Protokoll der Sitzung vom 28.09.2001

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Abendschulen haben sich in den letzten Monaten offensiv in die Debatte eingeklinkt. Sie haben das engagiert und mit guten Argumenten getan. Viele von uns haben auch an Veranstaltungen und Gesprächen teilgenommen. Die Stellungnahme der Abendschulen ist uns zugeschickt worden. Ich finde, diese Vorstellungen sollten mitdiskutiert werden, wenn es um die Weiterentwicklung der Zukunft der Abendschulen geht.

Ich denke dabei in erster Linie an den Vorschlag, Schulbildungszentren für Erwachsene einzurichten.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mag sein, dass der traditionelle zweite Bildungsweg an Bedeutung verloren hat, wie das beispielsweise von der Landesregierung und vom Landesrechnungshof gesagt wird. Das heißt aber im Umkehrschluss nicht, dass Weiterbildung für Erwachsene heute weniger wichtig als früher ist. Unsere Aufgabe ist es, gesellschaftliche Entwicklung durch die Schaffung von Rahmenbedingungen aufzufangen. Die Frage, welches die richtigen Rahmenbedingungen sind, gehört zu den Kernfragen von Politik.

Wir sagen, es kann nicht das Ziel einer zukunftsweisenden Bildungspolitik sein, die Weiterbildung der Menschen zu erschweren. Daher begrüßen wir den Berichtsantrag von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Denn so bekommt die Landesregierung die Möglichkeit, dem Landtag ihr Konzept vorzutragen, sodass wir es im Bildungsausschuss weiter debattieren können.

Mein Vorschlag ist, dass auch der CDU-Antrag in den Bildungsausschuss überwiesen wird. Aus meiner Sicht macht es wenig Sinn, dass wir in der 17. Tagung einen Bericht erhalten und schon heute über den CDUAntrag abstimmen.

Noch eine Bemerkung zum CDU-Antrag. Wir haben Schwierigkeiten mit Vorschlägen, die das gegliederte Schulwesen weiter zementieren. Wir wollen das flächendeckende Angebot von Abendschulen. Wir wollen die Weiterbildung fördern. Aber das Argument, dass dadurch etwas für das gegliederte Schulwesen geschafft wird, können wir nicht teilen. Sollte es zu einer Abstimmung in der Sache kommen, werden wir uns beim CDU-Antrag der Stimme enthalten. Mein Vorschlag lautet - ich meine, das ist der einzig sinnvolle Vorschlag -, den Bericht der Landesregierung abzuwarten und dann abzustimmen.

(Beifall beim SSW)

Ich erteile der Frau Ministerin Erdsiek-Rave das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn wir diese Debatte heute zu Beginn der 70er-Jahre geführt hätten, hätten wir alle miteinander, auch Sie von der Opposition, Recht.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Ulf von Hielmcrone [SPD])

Es hat sich seit den 70er-Jahren und seit der Einrichtung und Errichtung der Abendschulen, der Abendrealschulen und der Abendgymnasien, in der Bildungslandschaft einiges verändert.

Als sie in den 60er- und Anfang der 70er-Jahre eingerichtet wurden - auch hier in Schleswig-Holstein -, ging es um eine noch nicht vorhandene Durchlässigkeit des Bildungssystems und um einen breiteren Zugang zu höheren Bildungsabschlüssen. Die Aufgabe bestand darin, berufstätigen Menschen eine Möglichkeit zu bieten, einen höheren Bildungsabschluss zu machen, im Beruf vorwärts zu kommen, einen neuen Berufsweg einzuschlagen. Dieser Ansatz war wichtig.

Inzwischen hat sich - ich betone es noch einmal - die Bildungslandschaft wirklich weiterentwickelt. Es gibt im Bereich der beruflichen Schulen, anders als damals, eine Fülle von Möglichkeiten, höhere Abschlüsse zu erreichen nach dem Grundsatz der Gleichwertigkeit der allgemeinen und der beruflichen Bildung. Dieser Grundsatz ist im Übrigen in den vergangenen Jahrzehnten gerade von Ihrer Partei sehr oft infrage gestellt worden. Wir haben ganz andere und vielfältige Möglichkeiten, höhere Abschlüsse zu erreichen. Mit diesen Änderungen ging einher, dass sich die Klientel vor allem der Abendrealschulen erheblich verändert hat.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Das stellt der Landesrechnungshof in seinem Bericht fest. Sie erfüllen nämlich die Voraussetzung, eine besondere Schulform für Berufstätige zu sein, nur noch teilweise. Sie, Herr Dr. Klug, haben es ja mit wünschenswerter Offenheit dargestellt. Man kann darüber streiten, ob die Abendrealschulen wirklich die richtige Schulform für Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger sind oder ob es nicht vernünftigere und andere Wege gibt, ob nicht gerade diese Klientel an

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

Tagesschulen, an beruflichen Schulen zumutbar unterrichtet werden kann.

(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie gesagt hätten, gerade für Berufstätige, Hausfrauen und Mütter müssen wir diese Schulform erhalten, hätte ich noch eher Verständnis gehabt. Aber wenn Sie von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern sprechen, und zwar von Jüngeren, die zwischen 20 und 30 Jahren alt sind, meistens Anfang der 20, dann finde ich es absolut zumutbar zu sagen, diese Menschen können noch einmal in eine berufliche Schule, in eine duale Berufsausbildung, in eine ein- oder zweijährige Maßnahme gehen, um dort einen Abschluss nachzuholen. Diese beruflichen Maßnahmen sind nämlich so weit gefächert, dass dies durchaus möglich ist.

(Beifall der Abgeordneten Ursula Kähler [SPD] - Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Und wenn sie Kinder haben?)

Ich will die Zahlen des Landesrechnungshofs hier nicht wiederholen, aber sie sprechen eine deutliche Sprache. Ich streite nicht um zehn oder 20 Schüler, aber wir reden insgesamt über eine Klientel von etwa 700 Schülerinnen und Schülern landesweit. Demgegenüber kommen Sie beim Klientel der beruflichen Schulen auf circa 80.000 Schülerinnen und Schüler. Wir halten also für eine sehr kleine Klientel ein wirklich teures Angebot aufrecht. Im Grunde wird das dann noch nicht einmal mehr von der eigentlichen Zielgruppe wahrgenommen. Das muss man sehen und nicht nur irgendwelche Parolen bringen, Herr de Jager.

Circa 30 % beziehungsweise fast ein Drittel dieser Schüler sind 18 Jahre und jünger. Sie gehören also in die beruflichen Schulen, sind aber aus irgendwelchen Gründen in die Realschulen aufgenommen worden.

Ein weiteres Drittel hat bereits einen Abschluss, der dem Realschulabschluss gleichkommt. Es hat sich also unter der Hand ein Wechsel in der Intention bei den Abendrealschulen dahin vollzogen, durch einen höherwertigen Bildungsabschluss die Chance zu verbessern beziehungsweise nachzubessern, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Das ist im Grunde ein verständliches Anliegen, aber dafür sind die Abendrealschulen nicht gemacht. Sie hatten eine ganz andere Funktion. Wir müssen uns jetzt überlegen, ob und wie wir das berufliche Schulwesen weiterentwickeln, um diesem Weiterbildungsanspruch, der es eigentlich ist, gerecht zu werden.

Dies alles müssen Sie bitte zur Kenntnis nehmen und nicht einfach irgendwelche platten Formeln hier vorbringen.

(Beifall bei der SPD - Caroline Schwarz [CDU]: Das ist nun wirklich schwach!)

Vom flächendeckenden Angebot haben meine Vorredner bereits besprochen. Wir haben es nicht. An der ganzen Westküste gibt es überhaupt keine einzige Abendrealschule. Dafür gibt es dort Volkshochschulen, die Kurse anbieten, um entweder die Nichtschülerprüfung vorzubereiten oder den Abendrealschulabschluss in Abendkursen zu erlangen. Natürlich wird dabei auch ein Eigenbeitrag von den Schülerinnen und Schülern geleistet.

Mein Fazit ist: Es kann nicht sein, dass wir ein sehr teures Angebot in dieser Form der Abendrealschule für eine sehr kleine Zahl der Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner vorhalten. Wir müssen Sorge dafür tragen, die Möglichkeiten, die es heute schon flächendeckend in den beruflichen Schulen des Landes gibt, auszuschöpfen und weiterzuentwickeln und den Bedürfnissen Berufstätiger, soweit dies irgend möglich ist, Rechnung zu tragen, anzupassen und zugleich die Angebote der Volkshochschule weiter auszubauen.

In diesem Sinne arbeiten wir. Wir haben die Möglichkeit, weil die Realschulen erst mit dem Beginn des kommenden Jahres auslaufen, dies wirklich sorgfältig vorzubereiten.

Ein letzter Satz zu den Abendgymnasien. Das Abendgymnasium Heide, das hier genannt worden ist, wird durch Angebote an der beruflichen Oberschule - auch in Teilzeitform - ersetzt werden. Wir können nicht für 25 oder weniger Schülerinnen und Schüler über die Jahre ein Abendgymnasium in dieser Form aufrechterhalten. Das ist nicht gerechtfertigt.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn wir müssen mit den knappen Ressourcen wirklich - das müsste auch in Ihrem Interesse sein, meine Damen und Herren - verantwortungsbewusst umgehen. Das tun wir und wir wollen auch gern darüber berichten.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Zu einem Kurzbeitrag nach § 58 Abs. 2 der Geschäftsordnung hat das Wort nun Herr Abgeordneter de Jager.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was ich will, das weiß ich nicht, deshalb fordere ich einen Bericht. Nach diesem Motto verfährt

(Jost de Jager)

offenbar Rot-Grün. Sie wünschen einen Bericht über ein Konzept, das die Landesregierung bereits vorgestellt hat. Aber - das möchte ich an dieser Stelle auch einmal sagen - sie hat es zwar der geneigten Presse vorgestellt, nicht aber dem Parlament. Ich finde es schon erstaunlich, dass die Bildungsministerin dazu übergegangen ist, mit dem Haushalts- und dem Schulgesetzgeber nur noch in Form von Pressemitteilungen zu korrespondieren. Wir hätten es für richtiger gehalten, mit diesem Konzept in die parlamentarischen Gremien zu gehen und es dort zu beraten.

(Beifall bei CDU und FDP)

Insofern erkennen wir immerhin an, dass durch diesen Berichtsantrag der Versuch unternommen werden soll, noch zu einer vernünftigen Beratung zu kommen. Aber wir glauben, dass im Grunde bereits die Entscheidung reif wäre. Jeder kann auf politischer Ebene sagen, was er will, und insofern schlagen wir, was das Abstimmungsverhalten angeht, vor, über unseren Antrag in der Sache abzustimmen. Wir haben klar Position bezogen. Über diese Position kann man sich politisch auseinander setzen. Aber wir beantragen doch, über unseren Antrag in der Sache abzustimmen. Denn wir werden ja noch weitere Möglichkeiten haben, über das Thema im Rahmen des Berichts zu diskutieren. Im Übrigen werden wir dem Antrag der SPD in der Sache nicht zustimmen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Zu einem weiteren Beitrag nach § 58 Abs. 2 der Geschäftsordnung hat nun Frau Abgeordnete Heinold das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch wir wollen alternativ abstimmen, obwohl ich bezweifele, dass die CDU in der Thematik fit ist.

(Lachen bei der CDU)

Herr de Jager, wenn Sie in Ihrem Antrag - das kann man nicht oft genug betonen - von einem flächendekkenden Angebot sprechen, haben Sie sich mit diesem Thema erstens nicht intensiv beschäftigt, denn ein solches flächendeckendes Angebot gibt es nicht, und zweitens wird mir nun klar, was Sie in Zukunft unter einem flächendeckenden Ganztagsangebot verstehen, nämlich selektiv hier und da irgendwann einmal etwas.

(Jost de Jager [CDU]: Jetzt wird es aber al- bern!)

Ich sage Ihnen noch eins, Herr de Jager: Gestern standen hier die großen Sparkönige und heute kommt wieder Ihr Wunschkonzert.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Lothar Hay [SPD])

Da frage ich Sie, wie das zueinander passt. Ich kann Ihnen jetzt schon Folgendes sagen. Bei der nächsten Vorlage eines Berichts des Landesrechnungshofs werden die Pressemitteilungen wieder wie folgt lauten: Rot-Grün: Wir werden uns inhaltlich mit der Kritik beschäftigen: CDU: Alles wunderbar; endlich Sparvorschläge. Warum setzt die Landesregierung diese nicht um?

Und dann legen Sie den Bericht zur Seite und machen nichts. Sie haben ja das Thema Abendschulen nicht angeschnitten, Sie haben sich nicht getraut, das hier einmal zu thematisieren. Sie haben sich wohl gedacht: Ach, die Haushaltsprüfgruppe tagt und dann wird der Haushaltsausschuss beschließen. Das merkt ja keiner und dann ist das durch.

Setzen Sie sich doch einmal ernsthaft mit der Kritik des Landesrechnungshofs auseinander und nennen Sie uns dann zu den dort vorgegebenen Sparvorschlägen auch einmal Ihre Konzepte! Begrüßen Sie nicht nur pauschal irgendwelche Sparmaßnahmen, von denen Sie dann nichts mehr gewusst haben wollen.