Protokoll der Sitzung vom 19.02.2003

In der aktuellen Situation sind Politiker versucht, nach schnellen Lösungen zu greifen. Dabei geraten aber gerade die Grundfesten unserer Demokratie auf einmal ins Wanken. Die Väter und Mütter der deutschen Verfassung waren so weise, das Trennungsgebot zu erfinden. Danach ist die Bundeswehr im Inland nur für die Verteidigung im Rahmen eines Angriffs/Verteidigung zuständig und zwischenzeitlich auch noch durch weitere Änderungen im Falle der Katastrophenhilfe einsetzbar. Damit hat man die Lehre daraus gezogen, welche unheilvolle Rolle das Militär oder die Militärs in Deutschland in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts gespielt haben.

Wer meint, dass dies schon durch die Terroranschläge des 11. September überholt ist, ignoriert die Lehre aus zwei Weltkriegen. Wir können nicht zulassen, dass unsere Gesellschaft sich so erschüttern lässt. Denn es geht hier ja nicht nur um die Frage, ob die Luftwaffe ein Flugzeug abschießen darf. Da gibt es ja durchaus die Rechtsauffassung - der Kollege Kubicki hat vorhin schon geschildert, was passiert wäre, wenn man das Flugzeug abgeschossen hätte -, entsprechende Änderungen vorzunehmen.

Wer hier eine Änderung des Grundgesetzes fordert, will nach meiner Ansicht möglicherweise auch weitere Änderungen. Es öffnet nämlich gleichzeitig Tür und Tor dafür, dass die Bundeswehr in einer Reihe von anderen Zusammenhängen bewaffnete polizeiliche Einsätze im Inland durchführen kann. Und das wollen wir gerade nicht.

(Beifall bei SSW und FDP)

Wir müssen uns auch fragen, ob es angemessen ist, das Verfassungsrecht an erschütternde Einzelfälle anzupassen. Bisher haben Terroristen einmal mit Flugzeugen zugeschlagen. Der andere Fall in Frankfurt ist der eines geistig verwirrten Menschen gewesen. Er kann nicht als Begründung dafür herhalten, dass dies jederzeit wieder passieren kann. Terroristen werden schlau genug sein, auf andere Mittel auszuweichen, wenn ihnen eine Möglichkeit verbaut wird, seien es nun Geiselnahmen wie in Moskau oder Bombenanschläge wie auf Bali. Man kann nicht für alle Möglichkeiten eines terroristischen Anschlages präventiv das Militär einsetzen. Wir müssen auch erkennen, dass es Grenzen der Sicherheit gibt, wenn wir nicht die Freiheit opfern wollen, die ein grundlegendes Element unseres Zusammenlebens ist.

(Beifall bei SSW und FDP)

Ich freue mich darüber, dass wir trotz allem in einem Land leben, in dem kein Krieg herrscht. Manchmal, wenn ich diese Äußerungen höre, habe ich einen anderen Eindruck. Wenn aber darüber hinaus Lücken

(Silke Hinrichsen)

bei der Gefahrenabwehr bestehen, dann sollen sie zuerst durch die Behörden geschlossen werden, die für die innere Sicherheit zuständig sind: Polizei, Grenzschutz, viele Nachrichtendienste.

Wir dürfen den Terroristen auch nicht den Sieg gönnen, dass wir die freiheitlichen Grundlagen unserer Gesellschaft an ihre Grausamkeiten anpassen. Dann hätten sie nämlich das erreicht, was sie eigentlich wollen.

(Beifall bei SSW, SPD und FDP)

Mir liegen noch zwei Wortmeldungen nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung vor. Zunächst erteile ich dem Herrn Abgeordneten Behm das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Die Väter und Mütter des Grundgesetzes und auch diejenigen, die es geändert haben, haben eigentlich vorgesorgt, sodass es allem Bedarf gerecht werden kann. Es liest sich sogar relativ flüssig. Im Artikel 87 a Abs. 4 des Grundgesetzes heißt es wie folgt:

„Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann die Bundesregierung Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes beim Schutz von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer einsetzen.“

So etwas kann ja nur gemeint sein, und dafür ist Vorsorge getroffen.

Als langjähriger Kompaniechef in der Bundeswehr kann ich Ihnen versichern, dass die Bundeswehr weder von der Ausbildung her noch vom Einsatz her geeignet ist, bei anderen, weiteren Dingen eingesetzt zu werden. Ich kann nur davor warnen, leichtfertig in dieser Weise zusätzliche Aufgaben für die Bundeswehr zu konstruieren. Ersparen Sie den Soldaten den berechtigten Vorwurf, der gemacht werden könnte, im Bedarfsfall auch gegen Streikende, gegen Demos oder andere Unbilden, die im Lande auftreten, eingesetzt zu werden.

(Heinz Maurus [CDU]: Das will kein Mensch! Es geht ausschließlich um Objekt- schutz ziviler Objekte!)

- Herr Maurus, für alle Dinge, die den Bestand unseres Staates gefährden, ist der Einsatz der Bundeswehr

möglich. Schauen Sie sich den Artikel 87 a Grundgesetz an, und Sie müssen sich belehrt fühlen.

(Beifall bei FDP und SSW)

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Kubicki.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin den Kollegen der anderen Fraktionen - bis auf die Union - dankbar für ihre Beiträge. Wir können uns in Details immer unterscheiden, aber ich bin froh, dass wir uns im Grundsatz in dieser wichtigen Frage einig sind, was bei unseren Bundesparteien nicht immer wechselseitig der Fall ist.

Aber, Herr Kollege Maurus, Sie haben die Katze aus dem Sack gelassen, was die Union vorhat. Es geht Ihnen gar nicht um die Frage der Abwehr eines möglichen terroristischen Angriffs aus der Luft, weil Sie genau wissen, dass die Anschläge vom 11. September 2001 und auch das als möglich gedachte Attentat in Frankfurt von der Luftwaffe der jeweiligen Länder gar nicht hätte bewältigt werden können, und zwar deshalb, weil die Zeiten zu kurz waren. Sie hätten das Attentat vom 11. September 2001 nur abwehren können, wenn Flugzeuge bereits in der Luft gewesen wären. Bei einer Vorlaufzeit von weniger als 15 Minuten bekommen Sie die entsprechenden Kapazitäten der Streitkräfte gar nicht an den Ort des Geschehens, in Deutschland nicht und in den Vereinigten Staaten auch nicht. In Frankfurt konnte man die „Phantom“ nur am Flugzeughimmel sehen, weil der etwas Verwirrte eine Stunde dort gekreist ist und wir nicht genau wussten, was mit ihm eigentlich passiert. Wenn er wirklich vorgehabt hätte, etwas zu organisieren, das heißt, in ein Hochhaus hineinzufliegen, hätte er es innerhalb weniger Minuten gemacht. Dann hätte die Möglichkeit, die Bundeswehr einzusetzen, überhaupt nichts genützt, weil sie gar nicht an den Ort des Geschehens gekommen wäre.

(Beifall bei der FDP)

Was Sie gesagt haben, bedeutet: Sie wollen das als Tor dafür schaffen, dass die Bundeswehr im Innern mit polizeilichen Aufgaben betraut werden kann. Und genau das wollen wir nicht.

(Beifall bei FDP, SPD und SSW)

Wir schaffen die Bewachung der Polizeikasernen durch Polizeibeamte ab, ersetzen sie durch zivile Bewachung, und jetzt kommen Sie und sagen, Sie

(Wolfgang Kubicki)

wollten die Bundeswehr einsetzen, damit zivile Objekte künftig von Bundeswehrsoldaten bewacht werden könnten. Ich stelle mir das vor, Herr Maurus, dass 18- oder 19-jährige Wehrpflichtige nach sieben bis acht Monaten Grundwehrdienst urplötzlich zur Bewachung von zivilen Objekten eingesetzt werden, nachts in einer Zweier-Streife mit scharfer Munition durch die Gegend laufen und überrascht werden.

(Zurufe von der CDU)

Ich stelle mir das vor. Es geht nicht um die Kaserne, es geht um die Bewachung eines Rathauses, eines Kraftwerkes, eines Wasserwerkes. Ich frage mich, ob Sie wirklich glauben, dass diese Soldaten ausreichend ausgebildet wären, eine gedachte Gefahrenlage bei der Debatte, die Sie führen, von einer wirklichen Gefahrenlage zu unterscheiden.

(Beifall bei FDP und SPD)

Das, was Sie gegenwärtig machen - und das werfe ich Ihnen und der Union vor -, ist: Sie militarisieren das Denken, Sie militarisieren die Gefühlslage der Menschen, Sie malen ein Szenario an die Wand, um Ihre Haltung in der Frage, wo die Bundeswehr weltweit eingesetzt werden kann, zu untermauern. Das machen wir einfach nicht mit.

(Beifall bei FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Mir liegen noch zwei Wortmeldungen nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung vor. Zunächst hat Herr Abgeordneter Wagner das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das, was ich hier gehört habe, animiert mich, nun doch einmal das Wort zu meiner so genannten Jungfernrede zu ergreifen.

Herr Kollege Behm, als ehemaliger Kompaniechef, der ich nämlich auch bin, sage ich Ihnen: Es ist falsch, was Sie hier erzählen. Ich weiß nicht, wann Sie Kompaniechef waren. Es ist wahrscheinlich schon ein bisschen länger her.

Erstens haben wir in der Bundeswehr eine hervorragend ausgebildete Feldjägertruppe, die jederzeit in der Lage ist, diese Aufgaben zu übernehmen, wenn sie es denn müsste.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Sie müssen Pio- nier sein, so wie Sie reden!)

Zweitens nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass die SFOR-Truppen, um nur ein Beispiel zu nennen, genau diese Aufgaben wahrnehmen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Nein!)

Sie stellen sich vor, dass ein 18- oder 19-Jähriger nach kurzer Zeit irgendetwas bewachen muss. Ich muss Ihnen sagen, Herr Kubicki: Das ist die Realität in der Bundeswehr! Nach der Wachausbildung müssen die jungen Rekruten die Kaserne bewachen. Das ist Tatsache.

Ich kann wirklich nicht verstehen, dass als Argument für Ihren Antrag zwei Weltkriege angeführt werden. Sie tun gerade so, als ob im Falle einer Änderung des Grundgesetzes mit dem Ziel, in außergewöhnlichen Fällen die Bundeswehr einsetzen zu können, der dritte Weltkrieg vor der Tür stünde. Das finde ich albern. Ich finde es hingegen gut, dass wir jede Möglichkeit prüfen, die Sicherheit der Bevölkerung Deutschlands sicherzustellen.

(Beifall bei der CDU)

Wenn es erforderlich sein sollte, hierfür das Grundgesetz zu ändern, sollte man das tun und dies nicht mit ollen Kamellen verhindern.

(Beifall bei der CDU)

Das war die provozierte Jungfernrede des Herrn Abgeordneten Wagner.

(Beifall bei CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Wadephul.

Frau Präsidentin! Manchmal reicht es eben nicht, Kollege Kubicki, 14 Tage als Oberleutnant zur See eine Kurzwehrübung zu machen. Sie brauchen noch ein bisschen mehr Einblick in die Struktur der Bundeswehr, um manches beurteilen zu können, über das Sie gerade gesprochen haben.

(Beifall bei der CDU)