Protokoll der Sitzung vom 04.04.2003

(Ursula Sassen)

Veränderte ausländerrechtliche Rahmenbedingungen könnten sich in Einzelfällen positiv auswirken, tragen aber nicht an der Wurzel des Übels zur Bekämpfung des Frauen- und Mädchenhandels wirklich bei.

Verehrte Frau Abgeordnete, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich komme zum Schluss. - Der Bericht lässt viele Fragen offen und wirft neue auf. Wir werden das Thema weiter begleiten. Ich beantrage Überweisung an den Innen- und Rechtsausschuss.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Dann erteile ich jetzt der Frau Abgeordneten Schlosser-Keichel das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Menschenhandel hat Konjunktur und verspricht lukrative Geschäfte. Die Ware sind vor allem Frauen und Mädchen. Die Ministerin hat richtig festgestellt: Wir in Schleswig-Holstein können das Problem des internationalen Menschenhandels zwar nicht allein lösen, aber wir können und müssen unseren Beitrag dazu leisten, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden und dass den Betroffenen geholfen wird.

Das alles haben wir schon im Oktober 2001 übereinstimmend im Rahmen einer Landtagsdebatte festgestellt. Der heute vorliegende Bericht ist eigentlich nur eine Ergänzung zu der Antwort auf die Große Anfrage der CDU, über die wir damals debattiert haben.

Der heutige Bericht fokussiert sich auf unsere Fragen, er würdigt insbesondere die Arbeit der Beratungsstelle contra die hier in Schleswig-Holstein einen wichtigen Part beim Schutz und bei der Betreuung der Opfer übernommen hat.

Die Beratungstätigkeit von contra ist zeitintensiv. Allein die Kosten und der Zeitaufwand für die Übersetzungen in zahlreiche Sprachen sind Herausforderungen für die Organisation. Hinzu kommen die multiplen Problematiken der Frauen, die von contra beraten werden. Sie sind alle Opfer, einige von ihnen sind auch Täterinnen, weil sie zum großen Teil gegen Ausländergesetze verstoßen haben.

Viele halten sich illegal im Land auf. Sie haben keine Wohnung und befinden sich in dramatischen psychischen Ausnahmesituationen. Viele sind krank beziehungsweise drogenabhängig. Der Umgang mit diesen vielfältigen Problematiken erfordert ein hohes Maß an Professionalität, wie sie von den hauptamtlichen Mitarbeiterinnen von contra auch geleistet wird. Wir haben uns die Arbeit vielfältig vorstellen lassen und sind im Gespräch mit contra. Wir haben natürlich auch Forderungen und Kritikpunkte aufgenommen. Aber einen derartigen Verriss der Arbeitsgemeinschaft kann ich nicht feststellen. Es ist klar, dass man sich kritisch miteinander auseinander setzt und dass Wünsche offen bleiben. Aber so scharf, wie es eben dargestellt worden ist, denke ich, kann man es eigentlich nicht stehen lassen. Wir können über die einzelnen Forderungen im Ausschuss noch reden.

Die professionelle hauptamtliche Betreuung bei contra muss gewährleistet sein. Es gibt aber - darauf weist der Bericht hin - im weiteren Umfeld der Beratung eine mögliche Entlastung durch ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dieser Bereich soll in Zukunft - darauf hat die Ministerin hingewiesen - mit Unterstützung des Landes ausgebaut werden. Es ist zu hoffen, dass auf diesem Weg ein Teil der Kapazitätsprobleme gemindert werden kann.

Die ehrenamtliche Tätigkeit kann die hauptamtliche Arbeit zwar unterstützen, aber sie kann und soll sie nicht ersetzen. Daher muss die Finanzierung gesichert werden. Da bin ich mit Frau Sassen einig. Die Frage, warum nicht Mittel aus der Vermögensabschöpfung eingeworben werden können, stellt sich von selbst. Auch wir haben diese Forderung bereits aufgestellt. Ich weiß, dass es insoweit haushaltsrechtliche Probleme gibt. Aber unsere Juristen und Finanzfachleute haben, denke ich, schon größere rechtliche Probleme gelöst. Wir müssen im Ausschuss ernsthaft darüber reden.

Es ist einfach so, dass diese Vermögen Kriminellen entzogen worden sind, die diese Vermögen nicht zuletzt durch Ausbeutung der betroffenen Frauen erwirtschaftet haben. Ich denke, gerade wenn festzustellen ist, dass der Landtag eine Lobby für diese Frauen ist, lohnt es sich, nach Lösungen zu suchen und solche zu finden.

Die Polizei und Staatsanwaltschaft engagieren sich - das macht der Bericht deutlich - ganz erheblich im Bereich der organisierten Kriminalität. Ich meine, wir sollten uns die Arbeit dieser Ermittlungsgruppen im Innen- und Rechtsausschuss einmal näher darstellen lassen.

(Anna Schlosser-Keichel)

In den Gesprächen, die wir mit contra geführt haben, ist deutlich geworden, dass es in manchen Bereichen wünschenswert wäre, wenn die Zusammenarbeit und der Austausch von Polizei und Beratungsstellen weiter intensiviert werden könnte.

Insgesamt ist die Situation der betroffenen Frauen durch den Abbau von bürokratischen Hindernissen und durch die Schaffung von klaren Zuständigkeiten eindeutig verbessert worden. Die Situation würde sich weiter verbessern, wenn das von der Bundesregierung vorgelegte Zuwanderungsgesetz in Kraft treten könnte;

(Konrad Nabel [SPD]: So ist es!)

denn dieses Gesetz enthält eine Reihe von Vorschriften, durch die gerade für die Frauen, um die es in der heutigen Debatte geht, Härten vermieden würden.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Verehrte Frau Abgeordnete, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ja. - Deshalb habe ich die Bitte an die Kolleginnen und Kollegen von der CDU, sich dafür einzusetzen, dass die CDU die Blockadehaltung im Bundesrat aufgibt; denn gerade für die Frauen ist es wichtig, dass dieses Gesetz in Kraft tritt.

Wir sollten die Einzelheiten im Innen- und Rechtsausschuss erörtern. Dort steht ja auch noch die Beratung des Antrages in der Drucksache 15/1299 an, bei dem es um die Verwendung der Mittel aus der Vermögensabschöpfung geht.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Contra-Finanzierung!)

Ich erteile das Wort der Frau Abgeordneten Kolb.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben es schon gehört: Menschenhandel ist ein globales Problem, jedoch leider mit sehr lokalen Auswirkungen, insbesondere in Schleswig-Holstein. Diesen lokalen Auswirkungen stehen Politik und Gesellschaft mit einer gewissen Hilflosigkeit gegenüber.

Statistiken des Bundeskriminalamtes bestätigen, dass die Opfer des Menschenhandels zu rund 99 % Frauen sind. Menschenhandel in Deutschland bedeutet damit vor allem Frauenhandel.

Ein Teilaspekt, der zur Bekämpfung dieses Problems beiträgt, ist die Strafverfolgung. Doch gerade bei Menschenhandelsdelikten wirft die Strafverfolgung besondere Probleme auf, sind doch Ermittler und das Gericht erstrangig auf die Aussage der Zeuginnen angewiesen, um einen Tatnachweis zu erbringen.

Es besteht zwar Einigkeit darüber, dass vom Frauenhandel nicht nur Personen des Rotlichtmilieus betroffen sind. Doch werden gerade in diesem Bereich die Auswüchse des Frauenhandels in der Folge von Razzien bekannt.

In diesem Teilbereich der organisierten Kriminalität sind die Zeuginnen aber paradoxerweise selbst das Problem. Ihr Abhängigkeitsverhältnis einerseits und ihr illegaler Aufenthaltsstatus andererseits machen es den Frauen in den allermeisten Fällen unmöglich, Anzeige zu erstatten.

Selbst wenn sie von der Polizei aufgegriffen werden, schweigen die meisten aus Angst, zum einen weil sie für sich oder ihre Familien in den Heimatländern Repressalien fürchten, zum anderen weil sie wissen, dass sie wegen eines Verstoßes gegen das Ausländergesetz selbst verfolgt werden können. Umso mehr ist die konkrete Hilfestellung und Betreuung für die betroffenen Frauen vor Ort besonders wichtig.

Ich habe mich deshalb sehr gefreut, dass die Landesregierung bei aller Mittelknappheit die Krisenintervention, Beratung und Begleitung der Opfer von Frauenhandel durch die Fachberatungsstelle contra weiterhin unterstützt. Doch sind vonseiten des Staates die vorhandenen Schutzmaßnahmen für die betroffenen Frauen noch verbesserungsfähig. Wichtige Ansatzpunkte sind dabei ganz sicher die gesetzlichen Regelungen des Zeugenschutzgesetzes und des Zeugenschutz-Harmonisierungsgesetzes, um das Übel des Menschenhandels zu bekämpfen; denn Zeugenschutz bedeutet in diesem Fall immer auch Opferschutz.

Doch dürfen wir hierbei nicht vergessen, dass dieser Schutz oftmals erst dann greift, wenn es tatsächlich zu einem gerichtlichen Verfahren kommt. Dieser Zustand bedarf deshalb der weiteren Verbesserung. Ziel muss es sein, mithilfe einer verwertbaren Zeugenaussage zu einer effektiven Strafverfolgung und Verurteilung der Täter zu kommen. Umso wichtiger ist es - Frau Ministerin Lütkes hat es bereits gesagt -, durch weitergehende besondere Aufenthalts- und Schutzregelungen es den Frauen zu ermöglichen, gegen die Täter auszusagen; denn Zeuginnen, die

(Veronika Kolb)

bereits in ihre Herkunftsländer abgeschoben wurden, werden regelmäßig nicht mehr zur Überführung der Täter beitragen können. Erst wenn ein entsprechender Schutzraum für die Zeuginnen geschaffen worden ist, besteht die realistische Chance, Täter entsprechend anzuklagen. Umso wichtiger ist es deshalb, das Zusammenspiel aller Institutionen zu fördern.

Natürlich kostet wirkungsvoller Zeugen- und Opferschutz Geld. Die Möglichkeit der Vermögensabschöpfung bietet ein wirksames Instrument - auch das haben wir schon gehört -, die organisierte Kriminalität zu bekämpfen. Umso wichtiger wäre es, die erheblichen logistischen und personellen Kosten von Polizei und Justiz, aber auch der entsprechenden Beratungsstelle über den Weg der Gewinnabschöpfung zu berücksichtigen. Leider ist die Landesregierung auf die präzise gestellte Frage unter 4 b des Berichts nicht eingegangen. Natürlich ist eine Abkehr vom Haushaltsgrundsatz nicht unproblematisch. Doch diese Antwort kann hier nicht zufrieden stellen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: So ist es!)

Dass es Möglichkeiten vonseiten des Landes geben könnte, zeigt Baden-Württemberg. Dort wird ein Teil der Gewinnabschöpfung, der einen gewissen Sockelbetrag überschreitet, nicht mehr dem Staatshaushalt zugeführt, sondern darf von der ermittelnden Behörde eingezogen und verwendet werden. Insoweit hätte ich mir an dieser Stelle schon eine eindeutige Stellungnahme der Landesregierung gewünscht. Aber ich hoffe, dass diese Fragestellung bei der Ausschussberatung deutlicher beantwortet werden wird.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Ich erteile das Wort der Abgeordneten Frau Fröhlich.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 28. und 29. März fand auf Initiative des Rats für Kriminalitätsverhütung SchleswigHolstein in Zusammenarbeit mit der Europäischen Union, der Friedrich-Ebert-Stiftung, der Stiftung für Kriminalprävention Münster-Hiltrup und dem Kriminalpräventiven Rat der Hansestadt Lübeck eine internationale Tagung von Ostseeanrainerstaaten und EUMitgliedstaaten über Strategien und Konzepte der Prävention von Kinder- und Jugenddelinquenz, von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit statt. Das war eine interessante Tagung. Ich konnte leider nicht daran teilnehmen. Ich hätte mir aber sehr gewünscht, dass das wichtige Thema Frauen- und Mäd

chenhandel dort ebenfalls aufgerufen worden wäre. Ich würde mir auch wünschen, dass der Innenminister jetzt zuhören würde. Vielleicht kriegt er es ja noch mit, ansonsten sage ich es ihm später selber noch einmal.

Der uns vorliegende Bericht weist zu Recht darauf hin, dass Menschenhandel, der allerdings hauptsächlich Frauen und Mädchen betrifft, zu den Menschenrechtsverletzungen gehört und ein Gewaltdelikt ist. Leider hat dieses Delikt seit Öffnung des Eisernen Vorhangs zunächst Polen und Tschechien, inzwischen auch Russland, Belarus und die Ukraine erreicht. Leider müssen wir eingestehen, dass es besonders schwierig ist, die Opfer zu schützen und die Täter zu fassen, weil die Frauen, die mit falschen Versprechungen illegal ins Land geschleust wurden, nicht nur durch ihre Peiniger bedroht sind, sondern auch durch die Fußangeln unserer Ausländergesetze vom August 1998.

(Unruhe)

- Herr Kubicki, ich wäre froh, wenn Sie mir Ihre Aufmerksamkeit stiften würden. Das ist wirklich ein ernsthaftes justizpolitisches Thema. Per Ergänzungserlass wurde zwar bestimmt, dass Frauen, die möglicherweise Opfer von Menschenhandel wurden, eine Vierwochenfrist zur Ausreise zugestanden wird. Allein der gesunde Menschenverstand lässt aber ahnen, dass diese Frist beängstigend kurz ist. Außerdem stellt sich natürlich die Frage, wohin die Frauen denn zurückkehren können. Oftmals haben sie alle Brücken hinter sich abgebrochen und müssen sich womöglich - in ihr Heimatland zurückgekehrt - vor Nachstellungen von organisierten Menschenhändlern, denen sie schon einmal zum Opfer gefallen waren, fürchten.

Wir haben es also mit einem komplexen Problem zu tun, das nur in Zusammenarbeit aller zu lösen ist. Die Zuständigen der Ostseeanrainerstaaten müssen ebenso an einen Tisch wie Polizei, Strafverfolgungsbehörden und Unterstützungseinrichtungen in unserem Land. Dieser schwierigen Aufgabe stellt sich die Fachberatungs- und Koordinierungsstelle contra. Sie befindet sich in der Trägerschaft des Nordelbischen Frauenwerks, dem auch seinerzeit die Initiative zu verdanken war. Frau Sassen hat darauf hingewiesen: Kirche und Land teilen sich nicht ganz hälftig die Kosten für zwei Sozialpädagoginnenstellen, die allerdings jeweils nur zu 75 % besetzt sind.

In seinem Bericht teilt uns das Ministerium für Justiz, Frauen, Jugend und Familie mit, dass die offensichtlich schwierige und anspruchsvolle Arbeit nun mithilfe eines freiwilligen bürgerschaftlichen Engagements verbreitert werden soll. Die beiden verantwort

(Irene Fröhlich)

lichen Sozialpädagoginnen sollen Entlastung bekommen. Außerdem, so heißt es, soll die Arbeit auf Beratung und Begleitung der betroffenen Frauen konzentriert werden. Besonders diese Bemerkungen in dem Bericht deuten aus meiner Sicht darauf hin, dass die Arbeit nicht ausreichend mit Finanzmitteln ausgestattet ist. Ich befürchte, auf dieser Basis wird sich bürgerschaftliches Engagement nicht mobilisieren lassen. Vielmehr haben wir es hier mit einer originär staatlichen Aufgabe der Strafverfolgung und des Opferschutzes zu tun. Wir können froh sein, dass die Kirche in ihrer gesellschaftlichen und seelsorgerischen Verantwortung hier einen wesentlichen Teil übernommen hat. Ich bin nur froh, dass heute auch der Finanzminister zuhört.

Was das Gesamtdeckungsprinzip anbetrifft, so ließe sich hier vielleicht auf der Basis von Sockelbeträgen eine Lösung erreichen. Es wäre im Interesse der Frauen, aber auch im Interesse des rechtsstaatlichen Verkehrs zwischen uns und unseren neuen Nachbarstaaten, deren Grenzen nun zum Glück offen sind. Dies wäre ein richtiges Signal. Ich frage mich, ob es nicht zusätzlicher Anstrengungen im Bereich der Ermittlung und Strafverfolgung bedarf, um hier noch zu besseren Ergebnissen zu kommen. Den beiden Mitarbeiterinnen von contra sind die Defizite, wenn sie denn da sind, bestimmt nicht anzulasten.