Im Zuge dieser Debatte wurde uns oft entgegengehalten, wir könnten über zukünftige Wahlergebnisse nur spekulieren und daher gar nicht voraussehen, zu welchen Parlamentsgrößen wir in Zukunft kommen werden. Wir haben uns im Innen- und Rechtsausschuss gleichwohl seit der 13. Legislaturperiode mit diesen Verhältnissen beschäftigt, noch nie aber mit dem Verhältnis 40 : 69. So viel zu geordneten Verfahren.
Wir wollen in Anbetracht der politischen Landschaft, wie wir sie heute haben, folgende Annahmen für die Zukunft als nicht unwahrscheinlich annehmen. Es gibt fünf Parteien im Landtag. Die stärkste Fraktion erringt zirka 90 % der Direktmandate, aber nur zwischen 40 % und 45 % der Zweitstimmen. Das alles ist überhaupt nicht unwahrscheinlich. Unter diesen Bedingungen wird es beim 40-69-Modell zu einer nicht unerheblichen Zahl von Überhang- und Ausgleichsmandaten kommen. Wenn wir das Wahlergebnis von 2000 zugrunde legen, dann käme es bei dem jetzt vorgeschlagenen Modell zu 10 Überhangmandaten.
Es gäbe also insgesamt 79 Abgeordnete. Das ist zwar eine Reduzierung gegenüber der jetzigen Zahl, aber auch deutlich von den angestrebten 69 entfernt.
Das heißt, die jetzige Situation wird in der Sache überhaupt nicht verändert, höchstens ein bisschen in der Zahl. Vom Gehalt her ändert sich nichts. Von daher möchten Sie jetzt handstreichartig die Verfassung ändern. Ich bitte das zu berücksichtigen.
Legen wir nochmals das Wahlergebnis von 2000 zugrunde und gehen von einem 75-38-Modell aus, wie es dem FDP-Antrag entspricht, dann kämen wir auf zwei Überhangmandate. Auch das finde ich noch nicht besonders toll. Das sind aber zwei weniger als in dem jetzt von CDU und SPD vorgelegten Modell. Noch besser wäre es natürlich, wir würden das ursprünglich von den Grünen geforderte Modell mit 35 Wahlkreisen beschließen und könnten dann wirklich bei 75 Abgeordneten im Parlament landen. Das ist das, was unsere Verfassung zurzeit vorgibt. Es gibt also gar keine Not, die Verfassung zu ändern.
Die Argumentation der Großen, wir Kleinen bräuchten uns um Wahlkreise nicht zu kümmern, stimmt natürlich nicht.
Natürlich müssen wir uns darum kümmern und tun es auch. Wir sind somit für weit größere Gebiete zuständig als Abgeordnete der großen Parteien mit ihren Wahlkreisen.
Wir wollen in dieser Frage aber keine Prinzipienreiter sein, sondern ergebnisorientiert handeln. Daher werden wir schweren Herzens die 69er-Lösung mittragen, und zwar dann, wenn klar ist, dass so etwas Grundsätzliches wie eine Verfassungsänderung nicht nur wegen der Änderung einer einzigen Zahl angestrengt wird,
die zudem praktisch kaum Folgen haben wird. Eine Verfassung ändert man nicht alle Tage. Das haben wir oft genug hören müssen. Wir werden angesichts des Ansehensverlustes dieses Parlaments kaum vermitteln können, dass wir die Verfassung ändern, aber die wichtigen Anliegen, die Bürgerinnen und Bürger an uns herangetragen haben, dabei nicht berücksichtigen.
Der Antrag von FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW liegt Ihnen allen vor. Darin sind ausschließlich Anliegen enthalten, die wir im Parlament schon einmal diskutiert haben und die auch von der SPD gefordert worden sind. Diese Ziele sind die Anerkennung von Sinti und Roma als nationale Minderheit, der Schutz der Interessen Pflegebedürftiger, der Schutz von Kindern und Jugendlichen sowie die Aufnahme des Tierschutzes in unsere Landesverfassung.
Die Aufnahme dieser Ziele findet Mehrheiten in der Bevölkerung. Dazu kommt noch die Einrichtung eines Landesverfassungsgerichtes. In dieser Frage haben wir nicht nur den Eingabenausschuss auf unserer Seite, sondern zum Beispiel auch - Herr Kubicki hat noch andere Verbände aufgezählt - den Unternehmensverband. Herr Driftmann hat immer gefordert, dass zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation und der Standortbedingungen SchleswigHolstein auch über ein eigenes Verfassungsgericht verfügen sollte. Ich kann ihn gut verstehen.
Wir vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN streben eine Lösung an, die durch den Einsatz ehrenamtlicher Richter und durch die Nutzung vorhandener Gebäude und vorhandener Geschäftsstellen in sehr moderatem finanziellen Rahmen umsetzbar ist. Wir sind uns darüber mit Kollegen und Kolleginnen in diesem Hause längst einig. Eine Verzögerung aufgrund einer unnötigen Verfassungsänderung von Ihrer Seite ist unangemessen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach unserer Ansicht hätten wir in den kommenden Wochen genügend Zeit gehabt, um uns über eine vernünftige Lösung bei den Wahlkreisen zu unterhalten. Leider haben die großen Fraktionen den Rückzug bei den Diäten nicht dazu genutzt, zumindest den Rest des Reformpaketes in Ruhe anzugehen und die Verfassungsänderung zurückzustellen. Man hat im Gegenteil im Innen- und Rechtsausschuss zu merkwürdigen Mitteln gegriffen, um mit der Änderung der Landtagsmandate durchzupreschen. Es darf wirklich nicht sein, dass man eine Verfassungsänderung auf eine solche Art und Weise durchdrückt.
Das ist einer Verfassungsänderung nicht würdig. Der Verfahrensablauf spricht für sich. Schon bei der ersten Lesung der Verfassungsänderung kam eine zweite Fassung des Antrages zur Beratung. Die erste Vorlage musste bereits vor der ersten Beratung wegen Mängeln ausgetauscht werden. Im Ausschuss hat sich die große Koalition völlig kompromisslos gezeigt. Ein Änderungsantrag von FDP und SSW wurde so abgebügelt, dass die Behandlung des Antrags durch SPD und CDU - nicht der Inhalt des Antrages - durch den Wissenschaftlichen Dienst überprüft werden musste. Die ursprünglich von SPD und CDU vorgesehene Vorgehensweise verstößt sowohl gegen die Geschäftsordnung des Landtages wie gegen die Landesverfassung. Es ist schon mehr als bedauerlich, wenn man heute diese Debatte in zweiter Lesung mit Gewalt zu einem Ende bringen will.
Dabei gibt es sehr viele Gründe, die Reform der Landtagsmandate ruhig anzugehen und noch einmal zu überdenken. Wir sind uns trotz allem einig, dass die Zahl der Abgeordneten im Landtag reduziert werden muss. Alle Fraktionen wollen, dass das Parlament nicht über die heute in der Landesverfassung festgeschriebenen 75 Mandate hinaus wächst. Uneinigkeit besteht nur in der Frage, wie das am besten gewährleistet werden kann. Wir wollen die Zahl der Wahlkreise auf 38 reduzieren. SPD und CDU wollen sie lieber auf 40 reduzieren und die Regelgröße von 69 Abgeordneten in der Landesverfassung festschreiben. Sie gehen aber gleichzeitig im Moment davon aus, dass diese Zahl regelmäßig überschritten werden wird.
Entscheidend ist aber nach unserer Ansicht, welche Regelung am besten vermeidet, dass der Landtag wieder größer wird, als es die Landesverfassung vorsieht.
Wir meinen, dass es die 38 Wahlkreise sind, und werden dabei vom Landeswahlleiter bestätigt. Seine Berechnungen kommen zu dem Ergebnis, dass nur unser Weg eine zuverlässige Reduzierung der Mandate bringt. SPD und CDU meinen, dass ihre Lösung besser ist. Sie behaupten auch, dass sie besser rechnen können als der oberste Wahlexperte SchleswigHolsteins.
Leider ist es den großen Fraktionen bisher nicht gelungen, überzeugend darzulegen, weshalb ihre 69erLösung besser sein sollte. Die Reduzierung der Mandate ist es nicht. Wir haben lange gesucht, aber wir
haben keine andere plausible Erklärung dafür gefunden, weshalb dieser Weg besser sein sollte. Die einzige rationale Erklärung, die übrig bleibt, ist, dass diese Lösung am besten den Interessen der großen Fraktionen entspricht. Da diese Interessen nicht unbedingt die unseren sind und da wir weiterhin am Ziel der bestmöglichen Reduzierung der Abgeordnetenzahl festhalten, können wir dieser Änderung nicht zustimmen.
Man hätte aber die Denkpause, die aufgrund des Handlings entstanden ist, nutzen können, um wieder allen Fraktionen die Möglichkeit zu geben, an einer verständlichen und einvernehmlichen Lösung mitzuarbeiten. Angesichts der verfahrenen Situation - die ja nicht nur CDU und SPD betrifft, sondern das gesamte Parlament - wäre es gut gewesen, wenn wir diese uns alle berührenden Fragen gemeinsam hätten erörtern können. Wir können nur gemeinsam versuchen, das Vertrauen der Bevölkerung durch ein ausgewogenes und besonnenes Verfahren wieder herzustellen.
Der SSW ist gegen eine Änderung der Landesverfassung gewesen, die allein zum Ziel hat, die Zahl der Mandate zu begrenzen und die Funktionszulagen im Landtag abzusichern.
Der heute vorliegende Antrag, der eine erneute Änderung der Vorlage vorsieht - es handelt sich um einen Geschäftsordnungsantrag zur Verfassungsänderung -, ist kein verständliches, ruhiges Verfahren, wie es der Sache angemessen wäre. Zum einen meinen wir, dass die Landesverfassung nicht instrumentalisiert werden darf, um die Interessen der großen Fraktionen zu sichern. Zum anderen finden wir es unendlich bedauerlich, dass SPD und CDU sich innerhalb kürzester Zeit auf eine Verfassungsänderung in eigener Sache verständigen können, während die wirklich wichtigen Verfassungsänderungen immer wieder am Widerstand einer der großen Fraktionen scheiterten.
Wir haben deshalb gemeinsam mit der FDP die Initiative für ein Verfassungspaket ergriffen, das die inhaltliche und heute auch die tatsächliche Unterstützung durch die Grünen gefunden hat und das einige wichtige Änderungen der Landesverfassung enthält. Sicherlich haben FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW unterschiedliche Prioritäten, wenn es um diesen Gesetzentwurf geht. Für den SSW geht es ohne Wenn und Aber um die Aufnahme von Sinti und Roma in den Minderheitenartikel 5 der Landesverfassung. Diese Forderung haben wir immer wieder aufgestellt. Sie hat leider bis heute Aktualität und Vorrang.
Die Sinti und Roma gehören zu den vier anerkannten Minderheiten in Deutschland. Die Lücke in der Landesverfassung, die aufgrund der Diskussionen in den 90er-Jahren nicht geschlossen wurde, ist heute zu erkennen und zu schließen.
Sowohl die Rahmenkonventionen des Europarates als auch die Sprachencharta berücksichtigen diese Minderheit. Deshalb ist es notwendig, auch in Schleswig-Holstein die hier lebende dritte Minderheit in die Landesverfassung mit aufzunehmen.
Für uns kommt diese Forderung weit vor allem anderen. Daraus haben wir bisher keinen Hehl gemacht. Ich freue mich darüber, dass zum Beispiel der Kollege Kubicki gesagt hat, dass auch wir als Politikerinnen und Politiker - das ist nämlich das Tolle - dazulernen dürfen. Wir dürften auch Haltungen ändern. Das finde ich sehr gut. Ich fände es bedauerlich, wenn es bei den anderen Fraktionen nicht mehr möglich wäre.
Mit einer solchen gemeinsamen Initiative von uns Dreien, die viele weitere Punkte enthält, haben die kleinen Fraktionen bewiesen, dass wir zu Konsenslösungen bereit sind. Genau diese Suche nach Kompromissen vermissen wir in den großen Fraktionen im Moment aber schmerzlich. Ich hoffe sehr, dass wir das Diätendebakel bald hinter uns lassen.
Wir müssen wieder lernen, jenseits der Kompromisslosigkeit großer Koalitionen gemeinsam an den Problemen zu arbeiten, die unsere Wählerinnen und Wähler wirklich berühren und nicht nur aufregen.