Protokoll der Sitzung vom 28.09.2005

(Lars Harms)

halb kann die Reduzierung der Einkommensgrenze auf 85 % bei der Sozialstaffel im Einzelfall sehr wohl negative Folgen haben.

Das befürchten sowohl die Landeselternvertretung für die Kindertageseinrichtungen als auch der Paritätische Wohlfahrtsverband in ihren Stellungnahmen zum Gesetz. So glaubte der DPWV, dass die Sozialhilfeempfänger künftig vor die Entscheidung gestellt werden könnten, ob sie die Winterstiefel oder den Kindergartenplatz für ihre Kinder finanzieren können. Wir wollten schon damals im Gesetzgebungsverfahren sicherstellen, dass dies nicht die Folge des Ausführungsgesetzes sein wird. Das lehnte die rot-grüne Regierung oder Mehrheit damals ab. Stattdessen wurde eine Überprüfung der Folgen des Gesetzes schon für Juni 2005 beschlossen, um genau gegen diese Geschichten rechtzeitig vorgehen zu können. Das war uns damals zu wenig. Wir wollten von vornherein ausschließen, dass sich durch die Kürzung der Sozialstaffel negative Folgen für die Sozialhilfeempfänger und deren Kinder ergeben. Weil das nicht sicher war, hatte sich der SSW damals der Stimme enthalten.

Leider haben sich die Befürchtungen über die negativen Folgen der Reduzierung der Einkommensgrenze auf 85 % der Sozialstaffel laut einer Umfrage des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes bestätigt. So hat es in mindestens drei Kreisen Erhöhungen der Elternbeiträge für Sozialhilfeempfänger gegeben, die dann aber kurzfristig erst einmal zurückgenommen wurden. Dazu halten sich nach Ansicht des DPWV viele Landkreise und kreisfreie Städte bei der Erhöhung der Kindergartenbeiträge für Sozialhilfeempfänger derzeit nur zurück, weil sie noch eine Korrektur der entsprechenden Vorschrift des Landtages fürchten. Laut DPWV gibt es Signale, dass es auf breiter Front nach diesem Revisionstermin zu Erhöhungen der Kindergartenbeiträge kommen könnte.

Der SSW fordert daher dazu auf, die entsprechende gesetzliche Regelung wieder rückgängig zu machen. Ansonsten öffnen wir einem weiteren Anstieg der Kinderarmut und damit fehlender Chancengleichheit für Kinder von sozial schwachen Eltern in SchleswigHolstein Tür und Tor.

Zumindest aber muss man uns hier den gesetzlich vorgeschriebenen Bericht kurzfristig vorlegen. Schließlich steht es im Gesetz. Darüber sollten wir uns als Parlament eigentlich alle einig sein. Deshalb erwarte ich auch von den Koalitionsfraktionen Unterstützung und keine kritiklose Regierungshörigkeit.

(Beifall bei SSW, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich danke dem Kollegen Lars Harms und erteile nunmehr der Ministerin für Bildung und Frauen, Frau Ute Erdsiek-Rave, das Wort. Ich weise darauf hin, dass nach § 58 Abs. 1 der Geschäftsordnung nunmehr allen Fraktionen jeweils wieder die Hälfte der Redezeit zusteht.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin dem Parlament nach diesen Anwürfen natürlich eine Antwort schuldig. Ich weise den Vorwurf, hier sei nicht gesetzeskonform gehandelt worden und die Regierung nehme ihre Pflichten nicht wahr, mit Nachdruck zurück.

(Beifall bei SPD und CDU)

Man muss im Nachhinein - da gebe ich der Kollegin Franzen Recht - sagen, dass der Zeitpunkt für die Revision und für die Abfrage bei den Kreisen - Juni 2005 - wirklich schlecht gewählt war. Es ist nämlich so, dass die Sozialstaffelregelung und die Ergebnisse für die Kreise nicht nach Kalenderjahren, sondern nach Kita-Jahren abgerechnet werden. Das Kita-Jahr war zum 1. August dieses Jahres zu Ende. Deswegen haben wir im Juni bereits abgesehen, dass eine Abfrage bei den Kreisen zu überhaupt keinen fassbaren Ergebnissen führen würde, und haben im August eine präzise Umfrage durchgeführt, alle Sozialstaffelregelungen der Kreise angefordert, 15 detaillierte Fragen zu Einkommensgrenzen, Anzahl der Fälle und so weiter gestellt.

Die wesentlichen Ergebnisse habe ich Ihnen wirklich im Rahmen der Möglichkeiten, die ich in einem FünfMinuten-Bericht habe, hier dargestellt. Ich bin sehr gern bereit und habe auch ein Interesse daran, damit es hier nicht dazu führt, dass daraus politisches Kapital geschlagen wird, ausführlich dazu im Ausschuss zu berichten. Es gibt eine Fülle von Daten, die ich Ihnen da vortragen kann, aber Sie dürfen nicht erwarten, dass wir Ihnen für jeden einzelnen Fall eines Kindes, das vom Kindergarten abgemeldet oder nicht angemeldet wird, präzise die Gründe nennen. Dann müsste man eine Befragung aller Eltern beziehungsweise der Sozialhilfeempfänger oder ALG IIEmpfänger, die Kinder im kindergartenfähigen Alter haben, durchführen.

Das ist nicht möglich, schon gar nicht in der kurzen Zeit. Aber ich habe eine Fülle von Informationen, die ich Ihnen heute angesichts der Kürze der Redezeit nicht geben konnte. Dann hätten Sie einen schriftlichen Bericht anfordern müssen. Wir sind gern bereit,

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

diese Informationen dem Ausschuss schriftlich zu überreichen; das ist überhaupt kein Problem.

(Beifall bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Also, die Abfragen sind - da muss ich auch die Mitarbeiter in Schutz nehmen - sowohl gesetzeskonform als auch sehr ausführlich gemacht worden.

(Beifall bei SPD und CDU)

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Ich stelle zunächst fest, dass der Berichtsantrag Drucksache 16/278 durch die mündliche Berichterstattung der Landesregierung seine Erledigung gefunden hat. Das Angebot der Frau Ministerin steht. Aber ein Antrag ist nicht gestellt worden. - Frau Heinold!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir nehmen das Angebot gern an. Es ist im Protokoll festgehalten, was die Ministerin sagte, dass sie dem Ausschuss einen schriftlichen Bericht mit weiteren Zahlen geben wird. Das reicht aus.

Nach dieser Protokollerklärung erkläre ich diesen Tagesordnungspunkt für erledigt.

In Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit werden wir es nicht schaffen, noch den nächsten Tagesordnungspunkt abzuarbeiten, es sei denn, es käme ein anderes Signal von den Fraktionen. - Das ist nicht der Fall.

Dann weise darauf hin, dass hier um 13 Uhr die Erntekrone überreicht werden wird und unterbreche ich die Sitzung für die Mittagspause.

(Unterbrechung: 12:42 bis 15:01 Uhr)

Meine Damen und Herren, wir setzen die Sitzung fort.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 24 auf:

Neuordnung der Lehrerbildung

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/264

Antrag der Fraktionen von CDU und SPD Drucksache 16/284

Bevor ich zur Worterteilung komme, darf ich Genossenschaftsmitglieder der co op Schleswig-Holstein begrüßen. - Seien Sie uns herzlich willkommen!

(Beifall)

Zu den Anträgen die Frage: Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Für den Antragsteller, die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, hat der Herr Abgeordnete Karl-Martin Hentschel das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In den letzten Monaten ist sehr viel über den Standort Deutschland, über Investitionen und über die Position Deutschlands im Globalisierungswettbewerb geredet worden. Leider denken die meisten Menschen bei Investitionen immer noch an Straßen und Beton. Wenn aber heute selbst in Schleswig-Holstein über ein Drittel der Produktion in den Export geht, dann hat das fast ausschließlich mit Know-how, mit Technologien, mit Software und mit Blaupausen zu tun. Wir sind nun einmal ein rohstoffarmes Land. Zwei Drittel des Kapitals unserer Gesellschaft stecken in den Köpfen.

Betriebswirtschaftlich bewertet heißt das: Das, was wir und unsere Kinder in unseren Köpfen gespeichert haben, ist doppelt so viel wert wie alle Straßen, Bahnen, Industrieanlagen, Raffinerien und Atomkraftwerke zusammen, und wie viel dort gespeichert wird, hängt entscheidend von der Lehrerbildung ab, meine Damen und Herren.

Die Haltung der Landesregierung zur Lehrerbildung gibt mir Rätsel auf. Seit Jahren wird an den Hochschulen an Konzepten zur Weiterentwicklung der Lehrerbildung gearbeitet. Solche Konzepte hängen aber davon ab, welche Rahmenbedingungen die Landesregierung vorgibt. Rätselhaft ist auch die Pressemitteilung von Frau Herold, die es offensichtlich für überflüssig hält, dass sich die Regierung oder gar das Parlament mit diesem Thema beschäftigt.

Frau Herold, ich gebe Ihnen ernsthaft zu bedenken: Bildungspolitik ist das Kernstück der Landespolitik. Andere Landesparlamente wie Bayern, Berlin, Thüringen, Hessen und Bremen haben ein Lehrerbildungsgesetz verabschiedet und damit die Lehrerbildung zur Sache des Parlaments gemacht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie der Meinung sind, die Hochschulen würden es schon richten, dies sei keine Sache des Parlaments,

(Karl-Martin Hentschel)

dann hätten Sie sich nicht hierher wählen lassen sollen.

(Unruhe bei der CDU)

Meine Damen und Herren, hinsichtlich der Reform der Lehrerbildung gibt es eine ganze Reihe von Punkten, bei denen wahrscheinlich ein breiter Konsens existiert.

Einig sind wir uns sicherlich darin, dass die Lehrerausbildung berufsorientierter werden soll. Von Anfang an sollen Praktika Bestandteil des Studiums sein. Ob man dabei das Bielefelder ,,Assistance Teacher"-Modell übernimmt, darüber können wir uns gern im Bildungsausschuss unterhalten. Einig sind wir uns, wie ich dem Antrag der Mehrheitsfraktion entnehme, auch darin, dass die künftigen Lehrerstudentinnen- und -studenten ein Berufspraktikum in der Wirtschaft machen sollen und dass auch Nichtberufsschullehrerinnen- und -lehrer wissen müssen, wie das Berufsausbildungssystem funktioniert.

Wir sind uns auch mit nahezu allen Fachleuten darin einig, dass Lehrerinnen und Lehrer in Zukunft stärker als bisher Spezialistinnen und Spezialisten für Lernprozesse und Persönlichkeitsentwicklung sein müssen.

Sobald dies jedoch konkretisiert wird, ertönt sofort der Ruf der Verbände: Beim Fachstudium darf aber auf keinen Fall gekürzt werden. Ich sage deutlich: Ich halte das für Unsinn. Wenn eine Lehrerstudentin oder ein Lehrerstudent nicht nur ein Fach, sondern zwei Fächer studieren und zusätzlich eine solide wissenschaftliche Ausbildung in Pädagogik, Didaktik, Psychologie, Individualdiagnostik und Bildungsmanagement haben soll und wir es dann auch noch erreichen wollen, dass die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern von heute sieben bis acht auf durchschnittlich fünf Jahre gekürzt wird, dann müssen wir in den Curricula daraufhin Auswahlentscheidungen treffen.

Dabei plädiere ich für eine einfache Regel: Je kleiner die Kinder sind, desto mehr pädagogisch-psychologische Kompetenzen sind erforderlich, je größer die Kinder, desto mehr fachwissenschaftliche Kompetenzen sind nötig.

Selbstverständlich muss ein Oberstufenlehrer für Physik einen Überblick über die wichtigsten Gebiete der Physik und die grundlegende Methodik des Fachs bekommen. Für einen Grundschullehrer ist dagegen nicht das Fachwissen das Problem. Er braucht aber die didaktischen Fähigkeiten, um alle Fächer unterrichten zu können; denn das ist in der Schule die Praxis.

Es ist nicht richtig, wenn heute Grundschullehrer noch als Fachlehrer ausgebildet werden, da dies in der Praxis überhaupt keine Rolle spielt. In der Praxis müssen sie alle Fächer unterrichten. Dagegen ist der Grundschullehrer in gleicher Weise Erzieher, Betreuer und Lehrer und braucht dazu die entsprechenden Kompetenzen. Dies ist auch der Grund dafür, dass wir ganz entschieden dafür plädieren, in Zukunft die Lehrer entsprechend der Altersgruppe der Kinder auszubilden und nicht mehr nach Schulart.

Ich sage das nicht nur, weil sich immer mehr Wirtschaftsverbände mehr oder weniger dafür aussprechen. Sogar der Deutsche Industrie- und Handelstag hat sich in seiner ,,Vision" ganz klar auf eine Stufenlehrerausbildung festgelegt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)