Protokoll der Sitzung vom 28.09.2005

Wir haben trägerunabhängige Beratungsstellen. Lieber Herr Kollege Geerdts - hören Sie bitte einmal zu -, ich hoffe, dass wir sie zukünftig auch in den Kreisen Plön und Ostholstein haben werden. Es wäre Ihre Aufgabe, Ihre CDU-Landräte davon zu überzeugen.

(Beifall bei SPD und SSW)

Und wir unterstützen zukünftig die Angehörigenarbeit.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn es uns gelingt, diese Instrumente weiter zu stärken, die Kooperation zu verbessern, dann sollte es möglich sein, Notfallsituationen weiterhin vorzubeugen, damit das voraussichtlich bis dahin entwickelte Lagezentrum Pflege oder das Notfallzentrum möglichst selten in Anspruch genommen werden muss. Denn - wie gesagt - wenn es zur Anwendung kommt, ist meistens über einen langen Zeitraum schon sehr viel passiert und genau das gilt es zu vermeiden.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Ich danke der Frau Abgeordneten Schümann. - Ich sage es gern noch einmal: Im Ältestenrat ist darüber Einvernehmen erzielt worden, dass das freundschaftliche Duzen gern weiter beibehalten werden darf, nur nicht im Plenum.

(Zurufe)

(Vizepräsidentin Frauke Tengler)

Ich darf Sie im Namen des Präsidiums bitten, sich daran zu halten. - Das Wort für die FDP-Fraktion erhält Herr Abgeordneter Dr. Heiner Garg.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Kollegin Schümann, das gehört hier ganz offensichtlich zum Ritual: Eine Oppositionsfraktion stellt einen ganz selbstverständlichen Antrag und eine Vertreterin oder ein Vertreter der Regierungsfraktionen behauptet dann, hier würde irgendeine Struktur schlecht geredet, die doch so wunderbar sei. Der Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dient mitnichten dazu, hier irgendetwas schlecht zu reden und in der Rede der Kollegin Heinold wurde schon gar nicht irgendetwas schlecht geredet.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte hier einmal aus dem „Anhang zur Tolerierungsvereinbarung - Gemeinsame Ziele in der 16. Wahlperiode“ - SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW - zitieren: „Die Landesregierung erarbeitet eine Notfallplanung, die in solchen Situationen ein Verschieben von Verantwortung zwischen Heimträgern, Kostenträgern und Aufsichtsorganen verhindert.“ Offensichtlich war das schon ein Anliegen, das der geplanten Regierung am Herzen lag.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich will auch Folgendes sagen, damit ich meine Redezeit nicht damit verbringe zu erzählen, was in diesem Land alles gut gewesen ist: Unter Zurückstellung aller persönlichen Eitelkeit finde ich, dass Politik für pflegebedürftige Menschen in diesem Land einen Namen hat, und dieser Name ist Heide Moser. Insofern können wir es uns sparen, hier aufzuzählen, was in der Vergangenheit richtig gewesen ist. Es war vieles richtig. Daran hat die ehemalige Sozialministerin einen ganz entscheidenden Anteil gehabt.

(Beifall im ganzen Haus)

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich hätte es sehr begrüßt und auch sehr spannend gefunden, wenn die jetzt amtierende Sozialministerin beispielsweise ganz klar gesagt hätte, was wir eigentlich unter Pflegenotfällen verstehen. Für welchen Bereich soll dieses zukünftige Instrument eigentlich entwickelt werden?

Es wurde hier schon das Pflegenottelefon angeführt. Das Pflegenottelefon hatte seine Geburtsstunde mit einem ebenso erschreckenden wie einprägsamen Satz:

„Wenn du nicht ruhig bist, nehme ich dir die Klingel weg!“ Das war der Satz, mit dem das Pflegenottelefon quasi vermarktet wurde, weil es diese Situation in den Heimen durch überforderte Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern tatsächlich gab. Überforderte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind aus meiner Sicht ein Pflegenotfall, bei dem wir die politische Verantwortung haben zu handeln.

Das Gleiche gilt im Übrigen für die mediale Inszenierung so genannter Pflegemissstände. Das ist nicht nur letztes Jahr so gewesen. Wir befassen uns in diesem Landtag bereits seit zwei Legislaturperioden immer wieder mit dem Thema Pflege. Die Medien tun das übrigens immer dann, wenn Missstände aufgedeckt werden, was dazu geführt hat, dass sich Pflegende - also Menschen, die mit großem körperlichen und emotionalen Einsatz einem ganz harten Beruf nachgehen - fast dafür schämen müssen, dass sie ins Licht der Öffentlichkeit gezogen werden, wenn etwas nicht stimmt. Auch das ist für mich ein Pflegenotfall und da hilft es wenig, wenn man solche Missstände nur öffentlich anprangert.

Ich hätte mir zum Beispiel gewünscht, heute zu hören, ob ein Coaching vorgesehen ist, ein Coaching für Heime, die man an die Hand nimmt und denen man ganz klar sagt, was verbessert werden muss, und nicht nur, dass etwas verbessert werden muss. Das gehört aus meiner Sicht auch zu einem Pflegenotfallplan.

Das Wichtigste bleibt allerdings, dass wir solche Pflegenotfälle minimieren. Dazu gibt es von unterschiedlichen Fraktionen gar nicht so unterschiedliche Konzepte. Ich will die Konzepte unserer Fraktion, die wir hier immer wieder vorgestellt haben, nur kurz nennen.

Das ist erstens die Schaffung einer integrierten Ausbildung in der Pflege. Das sind zweitens die Weiterentwicklung und Weiterqualifikationsmöglichkeiten in den Pflegeberufen. Das ist drittens der Aufbau einer ganzheitlichen Pflege und Hilfeinfrastruktur in Schleswig-Holstein. Dazu gehört auch, über alternative Wohnformen für ältere Menschen nachzudenken. Viertens ist aus meiner Sicht nach wie vor die Einführung eines kostenträgerunabhängigen PflegeTÜVs in Schleswig-Holstein ebenso notwendig wie fünftens der Bürokratieabbau in der Pflege und die Entwicklung eigener Pflegestandards in SchleswigHolstein.

Wir dürfen uns nichts vormachen: So professionell und so qualitativ hochwertig die Pflege in diesem Land auch ist, es wird immer wieder Notfälle geben.

(Dr. Heiner Garg)

Für diese Fälle muss es selbstverständlich ein Notfallmanagement geben.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Aber es muss politisches Ziel sein, für diese Notfälle eine optimale Pflegeinfrastruktur in SchleswigHolstein auf den Weg zu bringen. Das ist für uns im Übrigen kein Selbstzweck, sondern es geht uns tatsächlich um die Menschen, die am meisten unserer Hilfe und Verantwortung bedürfen.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Garg. - Das Wort für den SSW erhält der Herr Abgeordnete Lars Harms.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im letzten Jahr hat sich der SchleswigHolsteinische Landtag mehrfach mit den skandalösen Umständen der Schließung des DRK-Heimes in Flensburg oder den großen Problemen in Niebüll beschäftigt. Auch wenn die Verantwortung für die Missstände damals ganz klar beim Deutschen Roten Kreuz lag, so zeigten diese Fälle doch, dass die Zuständigkeiten im Notfall bei Pflegemängeln weiterhin sehr unklar sind.

Der SSW vertritt heute wie damals die Auffassung, dass es darum gehen muss, solche Vorfälle, wie die plötzliche Schließung eines Heimes - wie in Flensburg mit 100 Bewohnern -, in Zukunft zu verhindern. So etwas kann man alten, gebrechlichen Menschen einfach nicht zumuten. Leider liegt aber der Teufel wieder einmal in Detail des bürokratischen, unübersichtlichen Gestrüpps der Verantwortlichkeiten im Pflegebereich. Im Zweifelsfall fühlt sich niemand verantwortlich. Auch das zeigten die eben genannten Beispiele.

Der SSW forderte daher schon im Landtagswahlkampf von der Landesregierung, dass sie eine Notfallplanung aufstellt, die solche Fälle verhindert. Der Kollege Garg hat den Tolerierungsvertrag gerade eben noch einmal zitiert. Wir wollen diesen Weg entsprechend weitergehen. Es geht uns darum, im Interesse der Betroffenen ein effektives Management bei Pflegemissständen in der stationären Pflege überhaupt zu ermöglichen. Die Landesregierung sollte daher eine Notfallplanung erarbeiten, die in solchen Situationen ein Verschieben von Verantwor

tung zwischen Heimträgern, Kostenträgern und Aufsichtsorganen verhindert. Das war das wichtigste Ziel überhaupt, das mit der Notfallplanung verfolgt worden ist.

Auch im Koalitionsvertrag von SPD und CDU gibt es eine entsprechende Willensbekundung. Deshalb begrüßt der SSW den heutigen Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN; denn wir müssen sicherstellen, dass es in Zukunft einen Hebel gibt - dieser sollte in der klaren Verantwortung des Landes liegen -, der es ermöglicht, im Sinne der Heimbewohner zu handeln. Hier ist die Landesregierung in der Pflicht, schnellstmöglich Lösungen zu finden.

Der heutige Bericht der Landesregierung war also überfällig. Klar ist aber auch, dass es immer noch keine konkrete Notfallplanung und auch noch keine konkrete Aufteilung der Verantwortlichkeiten gibt. Das ist etwas, was dringend nachgeholt werden muss. Diesbezüglich hat die Landesregierung meiner Meinung nach eine große Bringschuld.

Eine effektive Notfallplanung kann natürlich nicht die Schaffung von Rahmenbedingungen für eine verbesserte Pflege der alten Menschen ersetzen. Die Landesregierung muss daher auch ihre Initiative „PflegePlus“ aus dem Jahr 2004 weiterentwickeln und ausbauen. Dabei ist vor allem der Ansatz, die Qualität der Pflege zu verbessern, richtig. Darüber sind wir uns in diesem Hause ja auch einig.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die alten Menschen verdienen, dass die Pflege mehr Zeit in Anspruch nimmt, auch weil sich damit die Qualität der Pflege automatisch erhöht. Dazu gehört, dass die Pflegekräfte endlich weniger Zeit für die Dokumentation aufwenden müssen und sich auf ihre wirkliche Arbeit konzentrieren können. Positiv ist auch, dass die Landesregierung daran festhält, das Personalbemessungssystem PLAISIR einzuführen; denn mit PLAISIR steht der individuelle Pflegebedarf der Betroffenen verstärkt im Mittelpunkt aller Bestrebungen. Allerdings muss man sich darüber im Klaren sein, dass die flächendeckende Einführung von PLAISIR nicht zum Nulltarif zu haben ist.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Die Finanzierung der notwendigen Maßnahmen im Pflegebereich bleibt daher in naher Zukunft eines der Hauptprobleme. Allerdings ist dieses ein Problem, das nur auf der Bundesebene geregelt werden kann. Die Pflegekassen, die noch vor wenigen Jahren große Überschüsse anhäuften, sind quasi leer. Eine der wichtigsten Aufgaben für die neue Bundesregierung wird daher eine grundlegende Reform der Pflegever

(Lars Harms)

sicherung sein. Auch hier gilt, dass wir die Beiträge nicht einfach ins Bodenlose erhöhen können, weil sich die Lohnnebenkosten dann ebenfalls erhöhen. Deshalb plädieren wir als SSW auch in diesem Bereich für eine steuerfinanzierte Pflegeversicherung. Das ist unserer Meinung nach die einzige Möglichkeit, die Standards, die wir haben, abzusichern.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Günter Neugebauer [SPD]: Das muss ja auch jemand bezahlen! Wollt ihr die Steuern erhöhen?)

Wir danken dem Kollegen Harms. - Für einen DreiMinuten-Beitrag hat sich Frau Abgeordnete Jutta Schümann gemeldet.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte noch einige Dinge nachtragen.

Erstens. Die Ministerin hat sich nicht geweigert, eine Notfallplanung zu organisieren. Im Gegenteil: Sie hat darauf hingewiesen, wer an den Gesprächen und an der Planung beteiligt sein muss. Das sind unabhängige Akteure. Das sind die Träger, das ist der MDK. Das sind die Heimaufsichten auf kommunaler Ebene und das ist die Heimaufsicht auf Landesebene. Ihre Aufgabe ist es, diesen Prozess zu moderieren und verbindliche Regelungen zu organisieren. Da ist sie dabei. Das ist kein einfacher Prozess; denn wenn nachher Verbindlichkeit bestehen soll, muss man diesen gründlich und kontinuierlich betreiben. Die Ministerin hat auch auf die unterschiedlichen Szenarien aufmerksam gemacht. Insofern, Frau Heinold, ist es durchaus berechtigt, das drei Monate nach den Koalitionsverhandlungen abzufragen. Aber ich meine, man kann dann auch akzeptieren, dass die Planung erst in Arbeit ist.

Zweitens möchte ich darauf hinweisen, dass sehr viele Heime schon ein eigenes Qualitätssicherungssystem haben. Sie lassen sich zertifizieren. Jeder, der sich damit auskennt, weiß, dass damit auch ein ständiger Verbesserungs- und Kontrollprozess implementiert ist. Das heißt, Heime erarbeiten aus dem System heraus Verbesserungen.

Drittens, Herr Kollege Harms, haben Sie PLAISIR eingefordert. Dabei wissen Sie doch auch, dass das nicht geht, dass die kanadische Firma, die sich diese Methode hat einfallen lassen, nicht akzeptiert, dass wir das auf Deutschland übertragen. Daher müssen wir eigene Konzepte entwickeln. Das werden wir tun. Das können wir deshalb tun, weil wir im Bereich der

Pflege inzwischen gut qualifizierte Kräfte haben und auch im Bereich der Pflegeschulung so gut qualifizierte Kräfte haben, dass sie solche Konzepte entwickeln können. Insofern glaube ich, sollten Sie sich von diesem Modell verabschieden und vielleicht einmal versuchen, etwas Eigenes zu entwickeln.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)