Protokoll der Sitzung vom 12.12.2008

(Axel Bernstein)

Deutschland muss daher seine Vorreiterrolle im Klimaschutz weiter erhalten und ausbauen. Mut machen uns hier die Nachrichten, dass die KyotoZiele von 21 % weniger klimaschädlichen Treibhausgasen im letzten Jahr bereits mit 22,4 % übertroffen worden sind; das ist eingedenk des Zusammenbruchs der Wirtschaft in der ehemaligen DDR kein Wunder. Dass Deutschland im Schnitt der Jahre 2008 bis 2012 sein Kyoto-Ziel erreichen wird, ist für mich daher sicher. Ein Ausruhen auf diesem Erfolg ist jedoch der falsche Schluss. Es ist wie beim Rudern gegen den Strom: Wer stehen bleibt, fällt zurück.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Eine anspruchsvolle Klimaschutzpolitik hilft nicht nur, katastrophale Schäden abzuwehren, sondern schafft neue Marktchancen und Arbeitsplätze; das sieht man bei uns im Land bei der Windenergie. Wie diese Chance verpasst werden kann, sehen wir aktuell in Amerika, wo in Detroit die Spritschlucker ohne Marktchancen vergammeln. Gestern habe ich gehört, dass nach der Ablehnung des Konjunkturprogramms durch den Senat die Firmen Chrysler und Ford angekündigt haben, spätestens Mitte 2009 in die Insolvenz gehen zu müssen, wenn die wirtschaftliche Lage so anhält.

Hier wünsche ich auch in Deutschland mehr Mut. Der Kompromiss bei der Einigung von CO2Grenzwerten für Neuwagen mit einem maximalen Ausstoß von 120 g/km ist für mich - anders als für Bundesumweltminister Gabriel - ein schlechter Kompromiss, der falsche Zeichen setzt.

(Beifall beim SSW)

Kyoto war gut, meine Damen und Herren, aber gestern. Von der 14. Weltklimakonferenz in Poznan mit mehr als 10.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus 190 Staaten erwarte ich trotz der neuen Bremserrolle Deutschlands mutige Eckpunkte für ein Nachfolgeabkommen für das 2012 auslaufende Klimaschutzprotokoll von Kyoto.

Bis 2020 muss Europa beim Ausstoß von klimaschädlichen Treibhausgasen gemeinsam ein Minus von 30 % schaffen. Wer das nicht schafft, hat versagt. Die EU muss vorangehen und demonstrieren, dass entwickelte Industriestaaten Treibhausgase reduzieren können, ohne dass dadurch ihre Wirtschaft geschädigt wird. Nur dann werden andere Staaten auf diesem Weg folgen. Das ist unser Handlungsfeld, auf dem wir beispielhaft vorangehen können.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Für die Fraktion der FDP hat Herr Abgeordneter Dr. Heiner Garg das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Lieber Kollege Matthiessen, in der Zwischenfrage, die ich Ihnen gern gestellt hätte, hätte ich Sie darum gebeten, dass Sie sprachlich ein bisschen mehr Sensibilität walten lassen. Es sind in Schleswig-Holstein zwar keine Automobilhersteller angesiedelt, aber Zuliefererfirmen. An diesen Autos, die Sie hier immer großartig aus der Tasche ziehen, hängen Arbeitsplätze. Hinter diesen Arbeitsplätzen stehen Familien, und diese Familien haben Kinder.

(Beifall bei der FDP)

Ich finde es nicht zulässig, auf welche Art und Weise Sie hier ständig über die Menschen herziehen, um eine bestimmte Ansicht zum Tragen zu bringen. Das finde ich nicht in Ordnung.

(Konrad Nabel [SPD]: So ist es!)

Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund des derzeit in Polen stattfindenden EU-Gipfels muss man sich allerdings Sorgen machen, ob hier nicht eine Entwicklung eingeleitet wird, die in der Tat am Ende dazu führen wird, dass die bisher noch geltenden Klimaschutzziele irgendwann zumindest abgeschwächt oder sogar in größerem Maße aufgegeben werden.

Ich sage Ihnen ganz deutlich: Wir können uns das weder ökonomisch noch ökologisch leisten.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Formal werden zwar derzeit auf dem EU-Gipfel die Klimaschutzziele nicht angetastet, aber eine Vereinbarung, den osteuropäischen Ländern bei den Emissionszertifikaten kostenlose Zuteilungen zu geben, ist kein gutes Signal. Das gilt auch für eine Vereinbarung, dass in Deutschland energieintensive Unternehmen kostenlose Zuteilungen an Emissionszertifikaten bekommen sollen.

Es trifft zwar zu, dass die Menge dieser Emissionszertifikate bis 2020 zurückgeführt wird und so allein hierdurch das Klimaziel erreicht werden kann. Dennoch - das will ich Ihnen ausdrücklich sagen habe ich damit Bauchschmerzen. Bei einem Emis

(Konrad Nabel)

sionshandel kauft ein Unternehmen Zertifikate; das ist der Sinn der Sache. Es bezahlt dafür und hat damit die Rechte erworben, entsprechend weitere Mengen CO2 abzugeben. Bei einer kostenlosen Verteilung von Zertifikaten muss man sich fragen, wer überhaupt an dieser Verteilung teilnimmt. Nach welchen Kriterien werden diese überhaupt verteilt?

(Beifall bei FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Es ist schon fraglich und auch ein wenig willkürlich, dass ausgerechnet sogenannte Energiefresser geschont werden sollen. Denn auch Unternehmen, die nicht in gleichem Maße energieintensiv produzieren wie ein Aluminiumproduzent, werden durch hohe Energiepreise und möglicherweise durch den Erwerb von Emissionszertifikaten strukturell und damit im Wettbewerb mit ausländischen Unternehmen langfristig belastet. Das kann doch nicht eine ernsthafte Wirtschaftspolitik sein. Die Unternehmen müssen sich aber darauf offensichtlich einstellen.

(Konrad Nabel [SPD]: So ist es!)

Bei den energieintensiven Unternehmungen werden allerdings durch eine entsprechende kostenlose Zertifikatsverteilung auch die Anreize geschwächt, weniger energieintensive Produktionsformen zu entwickeln. Es wäre aber richtig, dass weniger energieintensive Produktionsformen entwickelt werden müssten.

(Beifall bei FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wenn die Wirtschaftskrise wirklich zuschlägt, dann wird es nur eine Frage der Zeit sein, dass die Rufe nach weiteren kostenlosen Zertifikaten oder auch nach weiteren Zertifikaten für mehr Emissionen kommen. Dann sind - das wissen wir alle - irgendwann alle Beteuerungen, die Klimaschutzziele einhalten zu wollen, noch nicht einmal mehr das Papier wert, auf dem sie im Moment formuliert werden.

(Beifall bei FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Vielleicht bietet die Zeit der kommenden Krise auch die Möglichkeit zu einem klaren strukturellen Schnitt. Ich hatte es bereits angesprochen: Klimaschutz ist nicht nur per se notwendig, sondern er bietet auch wirtschaftliche Chancen. Der neue amerikanische Präsident hat dies erkannt und wird die in Teilen der USA bereits vorhandenen Entwicklungen ausweiten. Deutschland hat, was die Techniken angeht, nach wie vor eine Führungsrolle

inne, und wir sollten diese Führungsrolle nicht leichtfertig verspielen.

Denn die Konkurrenz aus den USA wird kommen. Das sieht man ganz klar, wenn man beispielsweise nach Kalifornien schaut.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Sehr gut!)

Das Fraunhofer-Institut hat in einer Studie festgestellt, dass die in Deutschland vorgenommenen Maßnahmen zum Klimaschutz rund eine halbe Million zusätzliche Arbeitsplätze in Deutschland schaffen können. Das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland könnte bis 2020 um 70 Milliarden € gesteigert werden. Hier und jetzt in neue Technologien zu investieren, ist eine echte Herausforderung. Das ist die Zukunftsaufgabe.

(Beifall bei FDP, SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Lieber Kollege Matthiessen, ehrlich gesagt, mir sind irgendwelche Befindlichkeiten Ihrerseits oder meinerseits relativ egal. Wir müssen jetzt in der Krise die Chance nutzen. Nicht alles, was in der Vergangenheit als Klimaschutz bezeichnet wurde, war wirklich Klimaschutz. In sinnvolle und das Klima schützende neue Technologien zu investieren, hilft uns allen. Davon werden wir langfristig mit Sicherheit mehr profitieren als davon, worüber derzeit auf dem EU-Gipfel in Polen diskutiert wird.

(Beifall bei FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die Abgeordneten des SSW hat Herr Abgeordneter Lars Harms das Wort.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Jetzt können Sie noch einmal Oberlehrer sein! - Konrad Nabel [SPD]: Ich war viel besser als Sie!)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kein anderes Thema stand gesellschaftlich und politisch im letzten Jahr im Mittelpunkt so vieler Debatten wie der Klimaschutz. Kein anderes Thema hat die nationale und internationale öffentliche Diskussion so sehr dominiert. Es wurde eine Vielzahl von Beschlüssen und Maßnahmen zum Klimaschutz gefasst. Das große Paket der Bundesregierung wurde im Sommer letzten Jahres im brandenburgischen Meseberg geschnürt. Dort hat man sich auf einen umfangreichen Maßnahmenkatalog

(Dr. Heiner Garg)

zur Verringerung des Treibhausgasausstoßes geeinigt.

Als das Paket Anfang des Jahres im Bundestag beraten wurde, haben Umweltverbände darauf gedrungen, die Beschlüsse zur Energie- und Klimapolitik nicht zu verwässern, da sie den Katalog ohnehin als nicht weitreichend genug ansehen. Ich denke aber, dass der Katalog der Bundesregierung ein Kompromiss ist, der hinzukriegen war. Er sollte für uns die Richtschnur für unsere klima- und energiepolitischen Beschlüsse sein. Das ist die Minimalhürde, die zu nehmen ist, daran sollten wir uns orientieren. Diese Hürde darf nicht verwässert werden. Der Bankencrash und seine Auswirkungen haben jetzt aber die Hoheit über die politische und gesellschaftliche Diskussion übernommen. Alles dreht sich nun um die Finanz- und Wirtschaftskrise und darum, wie die Rezession abgefedert werden kann. Klimaschutz ist auf einmal nicht mehr sexy und nur noch zweitrangig.

Die Finanzkrise ist in den Vordergrund gerückt. Die Wirtschaft wirkt entsprechend auf die Politik ein und flüstert ihr ins Ohr, dass sie nur noch zu retten sei, wenn von den unsäglichen Klimaschutzbeschlüssen Abstand genommen werde. Nun ist das Motto: Retten, was zu retten ist, auch wenn dies auf Kosten des Klimas geschieht. Es scheint, dass die Wirtschaftslobbyisten die Bundeskanzlerin fest im Griff haben. Schließlich hat sie sich dahin gehend geäußert, dass sie keinen Klimaschutzmaßnahmen zustimmen werde, die vordergründig Arbeitsplätze und Investitionen gefährden.

Es ist zu befürchten, dass die Kanzlerin Deutschland auf dem EU-Gipfel mit dieser sehr einseitigen und wirtschaftsorientierten Sicht vertreten wird. Bei der Entschärfung der Abgasvorschriften hat sie sich bereits durchgesetzt, und es steht zu befürchten, dass sie sich beim Emissionshandel für eine Ausnahme für energieintensive Industrien einsetzen wird. Damit werden alte Strukturen, die weder wirtschaftspolitisch noch klimapolitisch sinnvoll sind, weiter erhalten. Unser Land wird hierdurch nicht für die Zukunft fit gemacht, vielmehr verharrt es in einer konservativen Starre, die unverantwortlich ist.

(Beifall bei SSW und SPD)

Klimaschutz und wirtschaftliche Entwicklung sind kein Gegensatz. Man kann in Klimaschutz investieren und gleichzeitig dabei gewinnen, der Kollege Garg hat eben darauf hingewiesen.

(Beifall bei SSW und SPD)

Man muss Deutschland und Europa nur richtig steuern, um für die Zukunft fit zu werden. Genau hier arbeitet die Kanzlerin mit ihrer Regierung gegen die eigentlichen Interessen unseres Landes. Gerade wir hier in Schleswig-Holstein sollten ein Interesse daran haben, dass die Bundesregierung ein politisches Klima für den Klimaschutz und für die erneuerbaren Energien schafft. Unsere Wirtschaft würde von solchen Entwicklungen klar profitieren. Deshalb muss auch und gerade die Landesregierung im Interesse unseres Bundeslandes Druck auf Berlin ausüben, damit die richtigen Weichenstellungen vorgenommen werden können. Frau Merkels Geisterfahrt dürfen wir ihr jedenfalls nicht durchgehen lassen, das muss unbedingt verhindert werden.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Natürlich müssen Wege gefunden werden, die aufzeigen, wie wir aus der Wirtschaftskrise herauskommen können; das ist unbestritten. Für den SSW stelle ich aber fest: Es ist ein unglaubwürdiges politisches Signal, wenn der Klimaschutz gegen die Wirtschaftskrise ausgespielt wird. Für uns steht fest, dass weiter an den Meseberg-Beschlüssen festgehalten werden muss. Es darf kein Entweder-oder geben. Wir müssen daran festhalten, wir müssen diesen Weg knallhart gehen.

Eines muss hierbei auch deutlich gesagt werden: Die Wirtschaft hat, wenn es um Klimaschutz geht, eine Verantwortung, der sie sich nicht entziehen kann. Wer damit droht, den Standort ins Ausland zu verlagern, weil einem die Klimaschutzziele hier zu restriktiv erscheinen, handelt vor allem gegenüber zukünftigen Generationen unverantwortlich. Deshalb unterstützen wir den Antrag der Grünen.