Wie fühlt man sich aber, wenn man Tag für Tag und teilweise über mehrere Jahre hinweg auf einem ehemaligen Kasernengelände untergebracht ist, 6 m2 als individueller Lebensraum gewährt werden, man bei der täglichen Essensausgabe durch einen Stempel im sogenannten Hausausweis dokumentieren muss, dass man seiner Anwesenheitspflicht ge
nügt, nicht einmal eine Teeküche hat, um sich gegebenenfalls selbst zu verpflegen, und man keinen Anspruch darauf hat, die Sprache des Landes, in dem man sich aufhält, zu erlernen und an Integrationsmaßnahmen teilzunehmen? Fühlt man sich in einem solchen Land wirklich wohl? - Ich denke, liebe Kolleginnen und Kollegen, eher nicht.
Es ist aber die tatsächliche aktuelle Situation Asylsuchender in Schleswig-Holstein. Dass ein sozialdemokratisch geführtes Innenministerium solche Zustände zu verantworten hat, finde ich schlicht und ergreifend beschämend. Welche Auswirkungen dies auf die Flüchtlinge hat, beschreibt Frau Astrid Regler vom Flüchtlingsrat in einem Beitrag der Zeitschrift „Der Schlepper“, den ich hier auszugsweise zitieren möchte:
„Seit Jahren belegen Studien die negativen Auswirkungen von Ausgrenzungen, Isolation und Leben in Großunterkünften, ohne die Möglichkeiten, den Alltag selbst zu gestalten. Als Folgen werden Repression, Depression, Suizidgefahr, psychosomatische Beschwerden, familiäre Konflikte sowie Aufbegehren und Aggression genannt. All diese Reaktionen finden sich in der ein oder anderen Form auch bei den Bewohnerinnen und Bewohnern der Gemeinschaftsunterkunft in Neumünster.“
Ganz egal, ob hier noch in dieser Legislaturperiode in einem Ausschuss diskutiert wird oder nicht: Es ist dringend Zeit, die Situation der Asylsuchenden und Flüchtlinge grundlegend zu verbessern.
Für die Abgeordneten des SSW im Landtag erhält die Vorsitzende, Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist mehr als ärgerlich, dass die Landesregierung in ihrer Vorbemerkung zur Antwort auf die Große Anfrage die Unterbringung in einer zentralen Unterkunft als alternativlos darstellt. Das ist falsch, zu
Hinzu kommt, dass die Landesregierung in ihrer Erläuterung zu Frage 2 der Großen Anfrage die Notwendigkeit des Erhalts mindestens einer Landesunterkunft aufgrund von § 44 des Asylverfahrensgesetzes anführt. Dieser Paragraf bezieht sich nach Aussagen des Flüchtlingsrats aber nur auf die Erstaufnahme, die längstens drei Monate dauern soll. Soll heißen, eine Befristung ist zum einen rechtlich durchaus möglich, zum anderen werden dezentrale Unterbringungsmöglichkeiten in Kommunen und Städten, die sich für das Flächenland Schleswig-Holstein geradezu anbieten, aktuell diskutiert, aber offensichtlich ist die Landesregierung nicht gewillt, in diese Diskussion einzutreten.
So kommt es, dass die Aufenthaltsdauer in der zentralen Unterkunft durchschnittlich bei circa einem Jahr liegt. Bei Ausreisepflichtigen liegt die durchschnittliche Verweildauer sogar bei 565 Tagen. Bedauerlich ist in diesem Zusammenhang aber, dass sich die Landesregierung nicht dazu imstande sieht, eine genauere Statistik vorzulegen. Aus Sicht des SSW würde eine Statistik über die Aufenthaltsdauer von Asylsuchenden in den zentralen Gemeinschaftsunterkünften jedoch wirklich zu mehr Transparenz in diesem Bereich beitragen. Es kann also aus unserer Sicht nicht einfach als mehr Bürokratie abgetan werden.
Die Landesregierung scheint aber weiterhin der Meinung zu sein, dass die zentrale Unterbringung der Flüchtlinge ohne eigene Wohnung, ohne eigene Kaffeemaschine und ohne eigene Toilette - sage ich einmal ganz plastisch - die gesetzlich einzig erlaubte sei. Unverblümt gibt sie zu, dass es bei der zentralen Unterbringung darum gehe, möglichst hohe Rückführungsraten zu erreichen.
Nur die - ich zitiere aus der Antwort - „Wohnverpflichtung in einer Landesunterkunft und die konsequente Einhaltung rechtlicher Vorgaben zeigen Erfolge“.
Wohnen die Flüchtlinge dagegen nicht in der zentralen Unterkunft, sei die Rate der Rückführung geringer.
Problematisch ist nur, dass die Landesregierung im weiteren Verlauf der Beantwortung jegliche Begründung schuldig bleibt, inwieweit die landeszentrale Unterbringung tatsächlich zu einem beschleunigten Verfahren führt. Das Argument der Be
schleunigung der asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren durch die zentrale Unterbringung, wobei jederzeit auf die Betroffenen zugegriffen werden kann, entlarvt sich somit aus Sicht des SSW als ein vorgeschobenes Argument. Es geht um Kontrolle. Sollte das Argument zutreffen, müssten alle Arten von Antragsteller direkt bei der zuständigen Behörde wohnen, um die Verfahren zu beschleunigen. Das würde Finanz- und Bauamt sicherlich von ganzem Herzen freuen. Wenn man das Argument in dieser Weise auf die Inlandsbevölkerung anwendet, zeigt sich, wie vorgeschoben das Argument tatsächlich ist.
Es bleibt also als belastbarer Grund für die zentrale Unterbringung nur die Abschreckung. Dieses politische Argument für die zentrale Unterbringung lehnen wir ab, haben wir auch früher immer abgelehnt.
In der Antwort auf die Große Anfrage geht die Landesregierung auf den schlechten psychosozialen Zustand vieler Flüchtlinge ein, der sich nach Jahren der Verfolgung und der Flucht fast automatisch einstellt. Trotzdem zwingt sie die Flüchtlinge in eine Zwangsgemeinschaft, bei der kaum eine Privatsphäre möglich ist und verdammt sie zum Nichtstun. Damit provoziert sie geradezu Stress und Reibereien. Die Träger bemühen sich redlich und umgehen das Verbot von Deutschkursen mit eigenen Angeboten. Sie wissen am besten, dass ohne rudimentäre Deutschkenntnisse die zentrale Unterbringung für ihre Bewohner zum Gefängnis wird, wenn draußen keine Verständigung möglich ist.
Der SSW hat in seiner Flüchtlingspolitik immer darauf hingewiesen, dass die Würde des Menschen Maßstab jeder Politik bleiben muss. Das fordern wir auch an dieser Stelle nachdrücklich ein. Wir plädieren dafür, unbegleitete jugendliche Flüchtlinge ebenso wie Familien mit Kindern grundsätzlich dezentral unterzubringen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Es ist beantragt worden, die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage, Drucksache 16/2659, federführend dem Innenund Rechtsausschuss, mitberatend dem Sozialausschuss zu überweisen. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! Enthaltungen? - Dann ist einstimmig so beschlossen.
Ich weise die Herren Parlamentarische Geschäftsführer oder die Vertreter der Fraktionsvorsitzenden darauf hin, dass wir heute Mittag um 13 Uhr, das heißt unmittelbaren im Anschluss an die Vormittagsdebatte, eine kurze Ältestenratssitzung haben werden, um Einvernehmen über den Zeitpunkt der Behandlung des Dringlichkeitsantrags Drucksache 16/2801 herzustellen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann eröffne ich die Aussprache und erteile für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dem Fraktionsvorsitzenden, Herrn Abgeordneten Karl-Martin Hentschel, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Deutschland hat sich bereit erklärt, 2.500 Flüchtlinge aus dem Irak im Rahmen des Resettlement-Programms des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen aufzunehmen. Die ersten Flüchtlinge sind mittlerweile in Schleswig-Holstein angekommen, wie ich gehört habe.
Worum geht es dabei? - Vor dem Hintergrund zurückgehender Asylantragszahlen - nicht deswegen, weil es keine Flüchtlinge in der Welt gibt, sondern, weil praktisch niemand mehr nach Europa durchkommt - setzen sich Kirchen, Verbände sowie Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen für ein deutsches Resettlement-Programm nicht nur für Irakerinnen und Iraker ein. Der Begriff Resettlement bezeichnet dabei die gezielte Neuansiedlung besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge, die auf absehbare Zeit nicht in ihre Heimatländer zurück
kehren können. Es geht also um Flüchtlinge, bei denen nicht davon auszugehen ist, dass sie in ihre Heimatländer zurückkehren können, aus unterschiedlichen Gründen. Resettlement ist deshalb zwar ein Schutzinstrument, es zielt aber auch auf eine dauerhafte Lösung.
Meine Damen und Herren, in Deutschland wirbt der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen seit Jahren für die Einrichtung eines systematischen Aufnahmeprogramms. Deutschland hat zwar in der Vergangenheit immer wieder spontan Menschen in akuter Not und Krisensituationen aufgenommen, ein geregeltes Verfahren, das die kontinuierlich gesteuerte Aufnahme von Flüchtlingen im Rahmen von Resettlement ermöglichen würde, existiert in Deutschland jedoch bislang nicht. Da wir aber seit Jahren rückläufige Flüchtlingsaufnahmezahlen in Deutschland haben, halten wir so ein Programm für sinnvoll.
Der UNHCR, das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen, hat deshalb Ende 2007 ein umfassendes Konzept für die Einrichtung eines solchen Programms erarbeitet und im Januar 2008 dem Bundesminister des Innern und anderen Akteuren zur Diskussion zugeleitet. Am 28. Januar 2008 wurde der Konzeptvorschlag anlässlich der Hohenheimer Tage zur Ausländer- und Asylpolitik erstmals einer breiteren Öffentlichkeit präsentiert.
Dabei hat der UNHCR die folgenden Prämissen formuliert, die im Laufe der vergangenen fünf Jahre in Zusammenarbeit mit traditionellen ResettlementAufnahmestaaten - dazu gehören eine Reihe europäischer Staaten, aber auch die USA - erarbeitet wurden:
Erstens. Ein Resettlement-Programm soll grundsätzlich nicht als Alternative, sondern als Ergänzung zu bestehenden Schutzmechanismen ausgestaltet sein.
Zweitens. Die Auswahl der Menschen erfolgt nach der Bedürftigkeit. Dies betrifft die rechtliche und physische Schutzbedürftigkeit, den medizinischen Handlungsbedarf, Gewalt- und Folteropfer, Kinder und Ältere.
Drittens. Es handelt sich um Flüchtlinge, die auf absehbare Zeit nicht in ihre Herkunftländer zurückkehren können.
Viertens. Resettlement ist deshalb kein beliebiges Aufnahmeprogramm für Menschen in Not, sondern ein gezieltes Neuansiedlungsprogramm für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge.
Meine Damen und Herren, wir sollten uns von Anfang an darüber im Klaren sein, die Bereitstellung von Kontingenten im Rahmen des Resettlements ist einerseits Flüchtlingspolitik, sie ist aber anderseits, anders als die Asylgewährung, auch Teil einer gezielten Einwanderungspolitik. Wir sollten deshalb die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen.