Protokoll der Sitzung vom 16.07.2009

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Programm sollte so ausgelegt sein, dass den aufgenommenen Flüchtlingen von Anfang an ein auf Integration ausgerichteter dauerhafter Aufenthaltsstatus gewährt wird. Deshalb sollte das Programm auch von Anfang an mit den aufnehmenden Kommunen vor Ort abgestimmt werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, es ist unsere Pflicht, Menschen in Not nicht abzuweisen, sondern ihnen Schutz und Hilfe zu gewähren. Wenn wir es richtig anpacken und nicht den alten Fehler wiederholen, dann ist das auch für uns eine Chance. Die sollten wir nutzen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion der CDU erteile ich Herrn Abgeordneten Wilfried Wengler das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag erscheint auf den ersten Blick ein sehr vernünftiger Beitrag zu einer hier schon häufig diskutierten Problematik in unserem Land zu sein, dem Asylwesen und der Migrationspolitik. Bei näherer Betrachtung ergibt sich jedoch ein für mich verwirrendes Bild. Ich will versuchen, dies anhand von Detailbetrachtungen zu verdeutlichen.

Ausgangspunkt sind offensichtlich das vom UNHCR im letzten Jahr veröffentlichte Resettlement-Konzept sowie der Beschluss der Innenministerkonferenz vom 5. Dezember des vergangenen Jahres, 2.500 Flüchtlinge aus dem Irak auf die

(Karl-Martin Hentschel)

ser Basis aufzunehmen. Beschluss und Konzept dienen mir als Messlatte, den Antrag der Grünen zu betrachten.

Nach Definition des UNHCR steht der Begriff „Resettlement“ für die Auswahl und den Transfer verfolgter Personen aus einem Staat, in dem die Betroffenen Schutz gesucht haben, in einen anderen Staat, der ihrer Aufnahme als Flüchtlinge zugestimmt hat und in dem sie sich dauerhaft niederlassen können. Resettlement ist laut UNHCR-Statut eine von drei Dauerlösungen für Flüchtlinge neben der freiwilligen Rückkehr und der Eingliederung in neue staatliche Gemeinschaften.

Gemäß Absatz 2 des Antrags soll die Landesregierung aufgefordert werden, sich für die Einhaltung bestimmter Bedingungen bei der Bundesregierung einzusetzen: Schutzbedürftigkeit soll das einzige Auswahlkriterium sein. Das UNHCR-Konzept beschränkt ausdrücklich den Personenkreis auf anerkannte und besonders schutzbedürftige Flüchtlinge. Dieser Personenkreis wurde vom UNHCR für 2006 weltweit auf lediglich 77.000 Personen geschätzt. Die aufnehmenden Kommunen sollen durch EU, Bund oder Land gefördert werden. Hier stellt sich die Frage, welcher Geldgeber in welchem Umfang den Grünen vorschwebt.

In Absatz 3 wird gefordert, dass Deutschland in einer ersten Phase jährlich mindestens 20.000 Flüchtlinge der oben angegebenen Kategorie aufnehmen soll, das heißt, etwa ein Viertel der vom UNHCR weltweit geschätzten Flüchtlinge beziehungsweise das Achtfache des von der Innenministerkonferenz beschlossenen Kontingents.

In der Begründung sprechen die Grünen im Zusammenhang mit zurzeit niedrigen Zahlen aufgenommener Flüchtlinge von einer „Festung Europa“. Meine sehr verehrten Damen und Herren der Grünen, eine derartig polemische Bezeichnung der Europäischen Union kann ich nur als geschmacklos zurückweisen, zumal Sie sie auch noch mit den erschütternden Schicksalen der Mittelmeerflüchtlinge verbinden. Die Grünen führen hier einen wahren Asyleintopf an, der den ohne Zweifel zu begrüßenden Beschluss der Innenministerkonferenz und das UNHCR-Konzept konterkariert.

(Beifall bei der CDU)

Aus Sicht der CDU kann ich den Antrag in der vorliegenden unausgegorenen Form nur ablehnen. Wir stehen auf dem Standpunkt, dass wir die Ergebnisse des gerade anlaufenden Resettlement-Projekts abwarten und nicht durch überzogene Forderungen gefährden sollten. Trotzdem bin ich bereit, die Ein

zelaspekte noch einmal im Innen- und Rechtsausschuss zu betrachten.

(Beifall bei der CDU)

Für die Fraktion der SPD erteile ich dem Herrn Abgeordneten Klaus-Peter Puls das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Landtagsfraktion begrüßt den Antrag der Grünen-Fraktion zur Fortentwicklung des Resettlement-Programms des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen. Auch gute, begrüßenswerte und aus der Sicht der SPD-Landtagsfraktion unterstützungswürdige grüne Anträge werden allerdings voraussichtlich den rein persönlich, wahltaktisch und parteiopportunistisch orientierten Manövern zur Auflösung des Landtags, denen sich die Grünen angeschlossen haben, zum Opfer fallen.

(Beifall des Abgeordneten Detlef Buder [SPD] - Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir könnten dem Antrag heute zustimmen! Das ist doch gar kein Problem!)

Für die Fraktion der FDP erteile ich dem Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Heinold, genau, noch tagt der Landtag. Deswegen werde ich mich an der Debatte für meine Fraktion auch beteiligen.

Deutschland hat eine große Tradition, schutzbedürftigen Personen Zuflucht zu gewähren. Neben der Flüchtlingsanerkennung von Asylbewerbern hat unser Land wiederholt die Bereitschaft bewiesen, Personen in akuten Krisensituationen Ad-hocAufnahme und vorübergehenden Schutz zu gewähren. So sind circa 30.000 vietnamesische Bootsflüchtlinge in den frühern 70er- und 80er-Jahren nach Deutschland gekommen. Anfang der 90erJahre haben beispielsweise knapp 350.000 bosnische Kriegsflüchtlinge Aufnahme und vorübergehenden Schutz gefunden. Ende der 90er-Jahre einigten sich die Innenminister des Bundes und der Länder darauf, 10.000 Flüchtlingen aus dem Kosovo vorübergehenden Schutz zu gewähren.

(Wilfried Wengler)

Das ist eine ganz beachtenswerte Leistung. Flüchtlingspolitik ist aber nicht statisch. Ihre Instrumente müssen weiterentwickelt werden. Daher ist es richtig und wichtig, was die UNHCR in ihrem Konzeptvorschlag zur Aufnahme von Flüchtlingen aus Drittländern als sogenanntes Resettlement vorgestellt hat. Dabei geht es darum, Flüchtlingen, die aus begründeter Furcht vor Verfolgung ihren Herkunftsstaat verlassen mussten, neben dem unmittelbaren Schutz vor Abschiebung eine Zukunftsperspektive im aufnehmenden Land aufzubauen, wenn andere Alternativen wie eine freiwillige Rückkehr oder die Eingliederung von Flüchtlingen in neue staatliche Gemeinschaften ausscheiden.

In seinem Gesamtkonzept hat der UNHCR auch Zahlen genannt. So lag zum Jahr 2006 der Gesamtbedarf an Resettlement-Plätzen weltweit bei rund 77.000. Von den zum damaligen Zeitpunkt circa 53.000 für ein Resettlement vom UNHCR vorgeschlagenen Personen wurden lediglich 29.560 Personen tatsächlich neu angesiedelt.

Umso mehr begrüßen wir es, dass sich zumindest in einem ersten Schritt die Innenminister auf europäischer Ebene und dann auch die deutschen Innenminister darauf geeinigt haben, für 2.500 irakische Flüchtlinge aus Syrien und Jordanien Aufnahmeplätze für ein Resettlement zur Verfügung zu stellen. Nach der Anordnung des Bundesministeriums des Innern müssen folgende Kriterien bei der Aufnahme berücksichtigt werden:

Erstens. Die Personen müssen integrationsfähig sein, wobei Indikatoren der Grad der Ausbildung, Berufserfahrung und Sprachkenntnisse sind.

Zweitens. Es soll den Aufgenommenen die Einheit der Familie gewahrt bleiben.

Drittens. Von Vorteil ist es, wenn die Betroffenen familiäre Bindungen nach Deutschland haben.

Viertens. Sie müssen schutzbedürftig sein, was beispielsweise daran gemessen wird, ob es sich bei den Betroffenen um traumatisierte Personen, alleinstehende Frauen mit familiären Betreuungspflichten oder auch Angehörige von im Irak verfolgter religiöser Minderheiten handelt.

Insbesondere hier setzt der Antrag der Grünen an. Sie wollen, dass künftig nur noch der Grad der Schutzbedürftigkeit als Auswahlkriterium für eine Aufnahme bestehen bleibt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ich sage ganz klar: Darüber kann man diskutieren. Auch aus unserer Sicht ist die Schutzbedürftigkeit das wichtigste Kriterium.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dennoch ist es natürlich für eine längerfristige Perspektive hilfreich, wenn insbesondere Vorkenntnisse zur deutschen Sprache und gegebenenfalls auch bereits familiäre Bindungen nach Deutschland bestehen. Aber auch bei der Definition der Schutzwürdigkeit kann man durchaus darüber diskutieren, ob die Angehörigkeit zu einer religiösen Minderheit Kriterium sein sollte. Das erinnert doch ein wenig an die unsägliche Diskussion, die der Bundesinnenminister seinerzeit losgetreten hatte, als er nur christliche Flüchtlinge aus dem Irak aufnehmen wollte.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn schon in manchen Ländern die Konfession den Grund für Verfolgung darstellt, dann sollten wir nicht die Konfession als Voraussetzung für unseren Schutz heranziehen.

Wir teilen die Auffassung der Antragsteller, dass auch größere Kontingente als 2.500 Personen im Rahmen des Resettlements möglich gemacht werden sollten. Dass Schleswig-Holstein dies nicht allein entscheiden kann, ist dabei klar.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Abgeordneten des SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag erhält deren Vorsitzende, die Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 23. Mai wurde das Grundgesetz 60 Jahre alt. Im Parlamentarischen Rat hatte man sich viele Gedanken gemacht, welche Konsequenzen das neue demokratische Deutschland aus dem Unrecht des Dritten Reichs ziehen sollte. Herausgekommen ist unter anderem das Grundrecht auf politisches Asyl. 1992 wurde das Asylgrundrecht durch eine Drittstaatenklausel abgewertet - eine Entscheidung, die der SSW damals heftig kritisierte.

Die neue politische Bewegung des Resettlements versucht, diesen Fehler zumindest teilweise zu beheben. Menschen, die in einem Drittland Zuflucht gesucht haben, können im Zuge der ResettlementPolitik trotzdem auf die Gastfreundschaft Deutsch

(Dr. Heiner Garg)

lands hoffen. Hintergrund sind die wachsenden Flüchtlingsströme.

Die Vereinten Nationen haben das Flüchtlingskommissariat beauftragt, dauerhafte Lösungen für die Flüchtlinge zu finden. Dies kann entweder eine Perspektive im Erstfluchtland sein, die freiwillige Rückkehr ins Heimatland oder eben die Neuansiedlung in einem sicheren Drittland wie Deutschland. Für die irakischen Flüchtlinge in Syrien kommt eine Rückkehr nicht in Frage, ebenso wenig wie der Verbleib im Fluchtland, wo für die irakischen Christen keine freie Religionsausübung möglich ist. Insgesamt schätzt der UNHCR, dass aktuell mehr als 6,2 Millionen Menschen in ausweglosen Flüchtlingssituationen ohne Aussicht auf eine dauerhafte Lösung leben müssen: bhutanesische Flüchtlinge in Nepal, afghanische Flüchtlinge im Iran und in Pakistan sowie burundische, somalische, kongolesische und liberianische Flüchtlinge in Tansania, Uganda, Kenia und in der Republik Kongo. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir diese Perspektive berücksichtigen, wenn wir uns über Flüchtlingspolitik unterhalten.

Der SSW unterstützt die Resettlement-Bemühungen der Vereinten Nationen und hat bereits im Januar gemeinsam mit BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD einen entsprechenden Antrag im Kieler Rat vorgelegt.

Dennoch möchte ich darauf hinweisen, dass ein ernstzunehmendes Resettlement-Programm, das den Flüchtlingen Sprach- und Integrationskurse anbietet und sie bei Aus- und Weiterbildung unterstützt, solide finanziert sein muss. Wir müssen daher umgehend eine Einigung über die notwendigen Mittel erzielen und diese dann auch beschließen. Nur so bleibt unsere Glaubwürdigkeit erhalten. Denn schließlich wird eine humane Flüchtlingspolitik nicht an Resolutionen gemessen, sondern an Taten.

Darüber hinaus sollte die Euphorie für die neue Flüchtlingspolitik die offenen Fragen der alten Flüchtlingspolitik nicht vergessen machen. Resettlement ist nur eine Ergänzung, aber keinesfalls ein Ersatz. Das hat der Kollege Hentschel vorhin ganz deutlich gemacht.

In Schleswig-Holstein leben immer noch Tausende Menschen ohne einen gesicherten Aufenthaltstatus mittels der sogenannten Kettenduldung. Diese Geduldeten leben von einem Tag zum anderen, immer von Abschiebung bedroht. Die Idee, SchleswigHolstein zum sicheren Hafen, zum Safe Haven, zu erklären, ist unschlagbar gut und findet unsere volle

Unterstützung. Die Kampagne von Flüchtlingsrat, Wohlfahrtsverbänden und Kirchen will einen Neuanfang in der Flüchtlingspolitik wagen und ruft die Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner auf, sich am eigenen Wohnort für Zufluchtsstätten einzusetzen. Damit zieht sie einen Schlussstrich unter eine Debatte, in der menschliche Einzelschicksale zur Flut umgeschrieben wurden. Safe Haven will einzelnen Flüchtlingen eine sichere Heimstätte bieten; ein neues Zuhause. Ich denke, das ist ein neuer Anfang für ganz viele Menschen. Dem sollten wir uns alle anschließen.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)