Protokoll der Sitzung vom 09.11.2005

Auch hier hat die Landesregierung auf die Fragen des Berichtsantrages nicht geantwortet.

Welche konkreten Aufgaben sollen künftig statt auf Landesebene auf kommunaler Ebene wahrgenommen werden? - Dazu gibt es keine Auskunft.

Nach dem Bericht soll dieser Prozess zwar erst Ende des Jahres abgeschlossen sein, aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen doch nicht annehmen, dass Herr Staatssekretär Schlie - der heute nun leider auch nicht hier ist - mit seiner neuen Abteilung bisher noch zu keinen Ergebnissen gekommen ist. Es muss doch bereits heute Erkenntnisse darüber geben, welche Aufgaben auf die Gemeinde- oder Amtsebene abgegeben werden sollen, welche Aufgaben pflichtige Selbstverwaltungsaufgaben werden sollen oder aber auch, welche Aufgaben künftig von den zukünftigen Dienstleistungszentren - Entschuldigung, es sind neuerdings Verwaltungsregionen - erledigt werden sollen.

Darüber gibt es im Bericht nichts - null Information. Das gilt auch für die Frage, welche Rechtsform diese Verwaltungsstellen eigentlich bekommen sollen und wer Leiter der Behörde sein soll. Auch über die demokratische Legitimation der Verwaltungsregionen alias Dienstleistungszentren wird nur gesagt, dass diese geregelt werden sollen - was ja löblich ist -, aber wir wissen nicht, wie.

Lassen Sie mich aber noch zu einem Berichtskomplex kommen, der mir als Bürgermeister und langjährigem Kommunalvertreter besonders wichtig ist. Es ist der erneut geplante Eingriff in den Kommunalen Investi

tionsfonds. Hierzu sagt die Landesregierung wenigstens etwas, wenn auch nichts Gutes.

Es ist schon beeindruckend, mit welcher Skrupellosigkeit seitens des Landes - nun auch von einer CDUgeführten Landesregierung - in den Kommunalen Investitionsfonds eingegriffen werden soll. Dieser Fonds ist von den Kommunen gespeist und gehört ihnen folglich auch. Der erneute Zugriff des Landes auf diese Mittel ist so zu beschreiben, als wollte meine Bank über mein Sparguthaben nach Belieben verfügen oder mir vorschreiben, was ich mir von diesem Geld kaufen soll. So hält es nämlich der Innenminister. Er macht wohlfeile Geschenke, indem er den Kommunen, die einen Verwaltungszusammenschluss vornehmen, eine Hochzeitsprämie in Höhe von 250.000 € von ihrem eigenen Geld zukommen lassen will. 12 Millionen € werden so dem KIF entzogen; das Land selbst will nur 3 Millionen € beisteuern.

Dass insbesondere die CDU, die in der Vergangenheit immer gegen neue Eingriffe des Landes in den Kommunalen Investitionsfonds gewettert hat, dies zulässt, halte ich für skandalös.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Sie verprellen Ihre kommunalen Vertreter damit zum wiederholten Mal und lassen sich vom SPD-geführten Teil der Landesregierung schlichtweg vorführen.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zum Schluss erlauben Sie mir noch eine abschließende Bemerkung. Sehr geehrter Herr Innenminister, Sie sind ja groß im Sprücheklopfen. Ich denke, Sie werden möglicherweise noch einmal das Wort ergreifen, wie Sie es häufig zu tun pflegen. Welcher Spruch auch immer kommen mag, er ändert nichts daran, dass dieser Bericht an den aufgeworfenen Fragen vorbeigeht und aus fachlicher Sicht ungenügend ist.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich danke dem Kollegen Hildebrand. - Ich erteile nunmehr für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dem Herrn Kollegen Karl-Martin Hentschel das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nordrhein-Westfalen hat 350 Kommunen bei 18 Millionen Einwohnern. Dänemark hat nach der Reform 90

(Karl-Martin Hentschel)

Kommunen bei 5 Millionen Einwohnern. Das halb so große Schleswig-Holstein leistet sich tapfer über 1.000 Parlamente und 250 Verwaltungen und mit Abstand die teuersten Kommunalverwaltungen in Deutschland.

Immer wieder höre ich im Land, wie gering die Kosten unserer Ämter im ländlichen Raum seien. Das stimmt. Aber die Amtsverwaltungen haben auch kaum Aufgaben. Bauamt, Sozialamt, Jugendamt, Umweltamt, Schulamt, überall müssen die Amtsverwaltungen passen. Bei allen wesentlichen Aufgaben verweisen sie auf die Kreisverwaltungen.

Vergleicht man die Verwaltungen in SchleswigHolstein mit dem Durchschnitt der Länder, stellt man fest, erhebliche Einsparungen sind möglich. Rechnet man dazu noch die möglichen Einsparungen durch die Zusammenlegung der Kreisverwaltungen mit den unteren Landesbehörden, so kommt man mittelfristig auf Einsparungspotenziale von circa 200 Millionen € pro Jahr. Das ist angesichts der dramatischen Landesfinanzen ein erheblicher Beitrag, um die Handlungsfähigkeit des Landes wieder herzustellen.

Aber so, wie die Landesregierung das vorhat, ist bestenfalls noch damit zu rechnen, dass einige Bürgermeisterposten entfallen. Der Aufbau zusätzlicher Regionalverwaltungen unter Beibehaltung der Kreise macht alles komplizierter, aber kaum effizienter.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber es geht nicht nur um Einsparungen. Wenn wir wollen, dass Schleswig-Holstein nicht weiter zurückfällt, dann brauchen wir handlungsfähige Regionen und Kommunen. Wer von den Kommunen und Regionen aktive Wirtschaftspolitik erwartet, wer sich eine abgestimmte Raumentwicklung wünscht, wer einen leistungsfähigen Nahverkehr, wer eine effiziente, abgestimmte Krankenhausplanung, wer gute, lokale Schulstrukturen will, der muss sich für handlungsfähige Kommunalstrukturen entscheiden.

Vor einem guten halben Jahr hatten wir die Sozialdemokraten endlich davon überzeugt, Nägel mit Köpfen zu machen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aus 250 Ämtern und Gemeinden sollten 70 handlungsfähige Gemeinden, Ämter und Amtsgemeinden mit Bürgermeister und Gemeinderat entstehen. Die Verwaltungen der Kreise und die unteren Landesbehörden sollten zu vier bis fünf Regionen mit eigener Regionalverwaltung zusammengelegt werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit wäre eine komplette Verwaltungsebene eingespart worden.

An diesem Konzept muss sich das, was die Regierung jetzt vorlegt, messen lassen. Von einem großen Entwurf ist kaum etwas übrig geblieben. Schon längst ist der großen Koalition das Herz in die Hose gerutscht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Das Ergebnis, das Sie hier vorlegen, ist ein Verwaltungschaos. Wenn in Zukunft das Amt Probstei eine wirtschaftspolitische Grundsatzentscheidung treffen will, dann muss das in 20 Dorfgemeindevertretungen, dem Amtsausschuss und der Vertretung der Gemeinde Schönberg diskutiert werden. Wie soll so eine vernünftige Wirtschaftsentwicklung, eine vernünftige Schulentwicklungsplanung und so weiter vorgenommen werden? Wie soll das funktionieren?

Das gleiche Chaos gibt es dann in den Regionen. Anstatt die K.E.R.N.-Region endlich zusammenzulegen, um eine schlagkräftigere Region zu bilden, soll eine neue regionale Verwaltungsebene unter Beibehaltung sämtlicher bestehender Strukturen gebildet werden. Die vereinigten Kalinkas dieser Welt lassen grüßen!

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Wer ist das denn, Kalinka?)

Immer wieder wird das Wort „bürgerfreundlich“ benutzt. Schauen wir uns das doch einmal an.

Was will der Bürger? - Der Bürger will ein Rathaus, in das er gehen kann und alles, aber auch alles, was er an Dienstleistungen von der Behörde erwartet, erledigen kann. Heute hat er mal mit der Gemeinde, mal mit dem Amt, mal mit dem Schulverband, mal mit dem Kreis und mal mit Landesbehörden zu tun.

(Jürgen Feddersen [CDU]: Stimmt überhaupt nicht!)

Kein Bürger außerhalb der vier kreisfreien Städte hat auch nur halbwegs eine Vorstellung, wann welche Verwaltung für ihn zuständig ist.

(Dr. Johann Wadephul [CDU]: Meine Her- ren!)

Deswegen haben wir eine Mindestgröße von 20.000 Einwohnern vorgeschlagen. Dänemark übrigens hat wesentlich größere Kommunen. Im Norden von Schleswig-Holstein haben wir es jetzt mit Åbenrå, Vejle, Ribe und Esbjerg zu tun. Sie liegen alle in der Größenordnung von 100.000 Einwohnern. Das muss man sich einmal überlegen. Das sind leistungsfähige Kommunalverwaltungen, die demokratisch organisiert sind und die in allen Bereichen, die den

(Karl-Martin Hentschel)

Bürger interessieren, über sein ganzes Leben - Altenversorgung, Gesundheitsversorgung, Kindergärten, Schulen, zu entscheiden haben.

Wir haben eine Mindestgröße von 20.000 Einwohnern vorgeschlagen. Dann gebe es im Kreis Plön, aus dem ich komme, sechs Rathäuser. Dort könnten sie alles erledigen, was sie möchten, auch den Bauantrag stellen, das Auto anmelden, den Ausweis und den Führerschein beantragen, Anmeldungen im Kindergarten vornehmen und so weiter. Und jedes dieser Rathäuser hat einen gewählten Bürgermeister und wird durch einen Gemeinderat kontrolliert. Das ist demokratisch. Das ist bürgerfreundlich.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Zusätzlich können in den Dörfern Ortsvertretungen mit ehrenamtlichen Bürgermeistern gewählt werden, denen die Amtsgemeinde örtliche Aufgaben übertragen kann. Keine Feuerwehr vor Ort muss um ihre Existenz Angst haben.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Was Sie aber fabrizieren, ist in Wirklichkeit eine Zerschlagung der demokratischen Selbstverwaltung.

(Beifall beim SSW)

Das Bilden von großen Ämtern ohne eigenen Gemeinderat und ohne gewählten Bürgermeister und die Bildung von Regionen ohne gewählte Regionalvertretung ist nicht nur strukturpolitischer Unsinn, das ist auch zutiefst undemokratisch.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Meine Damen und Herren, landauf, landab mobilisieren die lokalen Bürgermeister ihre Truppen. Das ist nicht verwunderlich. Wenn dann am Schluss eine Struktur herauskommt, in der die Zahl der Verwaltungsebenen nicht nur nicht reduziert, sondern sogar noch eine zusätzliche Ebene geschaffen wird, dann führt diese Verwaltungsreform das Land zur Umbenennung in Absurdistan.

Wenn in Zukunft keine Verwaltungsebene mehr eine ihr zugeordnete demokratisch gewählte Selbstverwaltung hat, dann erinnert mich das an den Bau des Rathauses von Schilda, wo die Eingangstür vergessen wurde, weswegen die Schildbürger noch heute sprichwörtlich berühmt sind.