Protokoll der Sitzung vom 26.01.2006

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich!)

Meine zweite Frage: Liegt ein neues naturschutzfachliches Gutachten des LANU zur neuen Gebietskulisse für Eiderstedt vor, wenn nein, warum wurde darauf verzichtet?

In dem in der Region eingesetzten Arbeitskreis waren neben Vertretern des Kreises Nordfriesland lediglich Vertreter einiger Grundeigentümer, Mitarbeiter des Ministeriums und des Kölner Büros für Faunistik vertreten. Dieses Büro hatte bereits im Anhörungsverfahren zum Gebietsvorschlag 1618-401 „Eiderstedt“ ein Gutachten vorgelegt, das von dem damaligen MUNL im Mai 2004 als „fachlich mangelhaft“ kritisiert wurde.

Die im heutigen Vorschlag stark reduzierte Gebietskulisse und die Beschränkung auf die Trauerseeschwalbe weist große Übereinstimmung zum damaligen Gutachten des Kölner Büros für Faunistik auf.

Meine Frage dazu: Sind die vom damaligen MUNL im Mai 2004 kritisierten fachlichen Mängel des Gutachtens dieses Büros ausgeräumt worden und in welchem Umfang sind fachliche Bewertungen dieses Büros in den Vorschlag für die neue Gebietskulisse auf Eiderstedt eingeflossen?

Von verschiedenen Gutachtern wird darauf verwiesen, dass ein Gebiet dann als „Important Bird Area“-Gebiet - IBA - gelte, wenn es regelmäßig 1-% der Individuen einer Po

(Konrad Nabel)

pulation, einer Art oder Unterart von Wasser- oder Watvögeln beherberge.

Da dieses so genannte 1-%-Kriterium auf Eiderstedt regelmäßig von Nonnengans und Goldregenpfeifer erreicht oder übertroffen werde, erfülle Eiderstedt eindeutig die Kriterien eines IBA-Gebiet; im Übrigen ist Eiderstedt auch auf der deutschen IBA-Liste enthalten. Unabhängig von der geomorphologischen Einordnung von Eiderstedt als Feuchtgebiet nach der Ramsar-Konvention bestehe somit aufgrund des 1-%-Kriteriums die Verpflichtung, es als Vogelschutzgebiet im Sinne eines Feuchtgebiets internationaler Bedeutung zu melden.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dies hat im Übrigen auch die EU-Kommission in ihrem Schreiben vom 2. April 2003 an die Bundesrepublik betont und explizit die Nichtmeldung von Eiderstedt unter anderem wegen des hohen Bestandes an Uferschnepfen und Kiebitzen gerügt.

Hierzu die Frage: Besteht die Verpflichtung, Eiderstedt aufgrund der hohen Population von Wat- und Wasservögeln als IBA-Gebiet einzustufen und nach Art. 4 Abs. 2 der Vogelschutzrichtlinie zu schützen?

(Martin Kayenburg [CDU]: „Soll“, nicht „muss“!)

- Nein, Sie sind bei Ramsar, ich bin bei IBA. Das ist ein kleiner Unterschied. Ich kann es später gern erklären, aber jetzt habe ich nur noch drei Minuten.

Meine Damen und Herren, ich könnte noch mehr Fragen stellen - und ich werde Sie auch noch an den Minister stellen -, aber mir läuft einfach die Zeit weg.

Ich habe eine Frage zum faktischen Status dieses Gebiets. Wie wirkt sich die stark reduzierte Gebietskulisse auf die Einstufung Eiderstedts als faktisches Vogelschutzgebiet aus? Könnten zum Beispiel Klagen aufgrund dieses Status gegen den geplanten Ausbau der B 5 erfolgreich sein? - Da erinnere ich an die Diskussion im September 2005, als wir hier über Blankensee geredet haben Da ist im Übrigen auch die von mir zitierte Bemerkung von Ihnen, Herr Minister, hier - bezogen auf diese Frage - habe sich niemand mit Ruhm bekleckert, gefallen. Es bezog sich nicht auf NATURA 2000 allgemein; das können Sie auch im Protokoll nachlesen.

Erst wenn diese Fragen klar beantwortet sind, kann ich mich - und auch ein großer Teil meiner Fraktion, denke ich - abschließend zum neuen Gebietsvorschlag des Landwirtschaftsministeriums positio

nieren. Hierzu haben wir - wie bereits einmal in der letzten Wahlperiode, als ein Grüner Umweltminister war - auch den Wissenschaftlichen Dienst gebeten, zu den relevanten EU-Vorgaben in Bezug auf die Gebietskulisse auf Eiderstedt juristisch Stellung zu beziehen.

Wir stehen zu unserer politischen Verantwortung für den Naturschutz und die Menschen auf Eiderstedt. Gerade in den letzten Tagen haben uns zahlreiche Briefe, E-Mails und Anrufe aus der Region erreicht, die deutlich machen, dass das bisher geplante große Vogelschutzgebiet in weiten Teilen der Bevölkerung inzwischen erheblich an Akzeptanz gewonnen hat und auch als Chance für viele Landwirte und den Tourismus

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

vor Ort verstanden wird.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Dabei ist die Rede, Herr Kollege Kubicki, von 80 bis 100 Landwirten, die zum Vertragsnaturschutz bereit sind. Daraus wird auch deutlich, dass die Interessengemeinschaft „Rettet Eiderstedt“ keinen Alleinvertretungsanspruch für Eiderstedt hat.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir sind aufgerufen, gemeinsam für den Vogelschutz und die Menschen auf Eiderstedt eine zukunftsfähige Lösung zu finden. Diese Entscheidung sollte nicht in erster Linie schnell erfolgen und dann im weiteren Verlauf den Gerichten anvertraut werden. Die Diskussion um eine naturschutzfachlich sichere Gebietskulisse muss auf breiterer Ebene - auch mit den Naturschutzverbänden, mit allen Vertretern der Menschen vor Ort und nicht nur mit einer kleinen Gruppe - und mit der erforderlichen Gründlichkeit fortgesetzt werden.

(Beifall)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Nabel. - Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Herr Abgeordneter Karl-Martin Hentschel das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vorweg möchte ich betonen, dass mich sehr verwundert hat, was eben gesagt worden ist. Demnach sollen Abgeordnete der Regierungsfrak

(Konrad Nabel)

tionen Informationen erhalten haben, die wir nicht bekommen haben. So etwas hat es in der vorigen Legislaturperiode nicht gegeben.

(Lachen bei CDU und FDP)

Es ist immer darauf geachtet worden, dass alle Abgeordneten die gleichen Informationen bekommen haben.

(Zurufe von CDU und FDP)

Dass Sie sich hier auch noch lachend aufregen, zeigt den Stil, mit dem Sie hier Politik machen wollen. Es ist die Arroganz einer großen Koalition, die gar nicht mehr zu fassen ist.

(Zuruf von der CDU: Frag mal deinen Freund Müller! - Weitere Zurufe)

Meine Damen und Herren, über ein Drittel aller Vogelarten -

Könnten Sie bitte um Ruhe bitten, Frau Präsidentin?

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hentschel und das gilt auch für die hintere Reihe der CDU.

(Unruhe)

Ich bitte, dass die Zeit nachgetragen wird.

Ja.

Über ein Drittel aller Vogelarten in Europa ist vom Aussterben bedroht. Ein unermesslicher Reichtum droht uns verloren zu gehen. Darunter sind Vögel, deren Namen wir früher nie gehört haben, wie die Trauerseeschwalbe, die Uferschnepfe und der Wachtelkönig, aber auch Vögel, die jedem von uns von Kindheit her vertraut sind, wie der Uhu, der Rabe und der Seeadler.

(Der Redner hält ein Schriftstück in die Hö- he)

- Das hier ist die Vogelschutzrichtlinie der Europäischen Union von 1979. Sie ist geschaffen worden, um dem Aussterben Einhalt zu gebieten.

Als 17 Jahre später ein Grüner zum ersten Mal in Schleswig-Holstein Umweltminister wurde, wurden

endlich die ersten Gebiete an die Europäische Union gemeldet. Das waren bestehende Naturschutzgebiete und der Nationalpark.

Als Minister Steenblock dann begann, auch private Forst- und Landwirtschaftsflächen auszusuchen, stieß das auf empörten Widerstand, der durch die heute regierende CDU systematisch mit falschen Behauptungen und Argumenten geschürt wurde.

(Zuruf von der CDU: Ach!)

- Es wäre schön, wenn Sie zumindest zuhören könnten. Wir haben Ihnen auch zugehört.

Standardargumente waren stets folgende: Erstens. Die Meldung sei fachlich nicht erforderlich. Zweitens. Es handele sich um einen ungerechtfertigten Eingriff in das Privateigentum. Drittens. Die EU fordere gar keine Meldung.

(Claus Ehlers [CDU]: Alles stimmt!)