Protokoll der Sitzung vom 22.02.2006

- Doch, ich habe zugehört. Aber da ist leider an Substanz nichts gekommen.

Wer das alles nicht erkennt, wer diese föderale Ordnung nicht reformiert, wird zum Totengräber des Föderalismus werden. Ich und wir wollen keinen Zentralstaat wie in Frankreich. Wir wollen, dass es in Deutschland eine bundesstaatliche Ordnung gibt, die gleichermaßen die Interessen der Länder deutlich werden lässt, aber auch dafür sorgt, dass insgesamt gehandelt werden kann, dass wir zu politischen Ergebnissen kommen und dass man dann, wenn auf Bundesebene etwas geregelt wird, das im Deutschen Bundestag und als Bundesregierung im Deutschen Bundestag durchsetzen kann. So, wie es ist, kann es nicht weitergehen. Wir arbeiten daran, zu einer neuen Systematik zu kommen. Daran sollte die Landesregierung aktiv mitwirken, die Interessen Schleswig-Holsteins in dem mehrfach in diesem hohen Haus diskutierten Sinn verteidigen, am Schluss aber nicht blockieren, sondern positiv, konstruktiv, kritisch mitwirken.

(Beifall bei CDU und SPD)

Für die Fraktion der SPD erteile ich deren Fraktionsvorsitzendem, dem Herrn Abgeordneten Lothar Hay, das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erste Vorbemerkung. Ich kann das Interesse von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verstehen, das Thema Föderalismusreform, nachdem es in Berlin eine Koalitionsrunde zu diesem Thema gegeben hat, noch einmal hier in einer Aktuellen Stunde aufzugreifen. Ich habe hier die Position der SPD vor einem Monat dargelegt. Unsere Position ist unverändert. Insofern ist es hilfreich, wenn Sie meine Rede von damals nachlesen. Ich bin gern bereit, die wesentlichen Punkte heute noch einmal vorzutragen.

(Dr. Johann Wadephul)

Zweite Vorbemerkung. Frau Kollegin Lütkes, wir beide waren in der Vergangenheit Mitglieder einer kleineren Koalition. Wir beide wissen sehr genau insofern kann ich an das anschließen, was der Kollege Wadephul gesagt hat -, wie wir im kleinen Kreis hinsichtlich des Abstimmungsverhaltens der rot-grünen Regierungskoalition in Berlin im Bundesrat diskutiert haben. Darüber haben wir nie im Landtag diskutiert.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Schade!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Ziel der Föderalismusreform ist es, die Kompetenzen der Landtage und der Länder zu stärken - das ist richtig -, was uns nicht daran hindert, jedes Politikfeld kritisch zu betrachten. Das bleibt Richtschnur unseres Handelns.

Wenn man schon über neue Politikfelder diskutiert, die in Zukunft in alleiniger Verantwortung der Landtage, der Länder stehen, gibt es bei der Föderalismusreform einen Punkt, der bisher überhaupt keine Rolle gespielt hat. Er ist jetzt Gegenstand der Beratung. Das ist die Reform der Finanzbeziehungen. Man kann den Ländern doch nicht neue Aufgaben geben, ohne gleichzeitig zu gucken, wie diese ausreichend finanziert werden, um die Aufgaben auch auszufüllen. Das ist ein wesentlicher Punkt. Man muss auch in Zukunft darauf drängen, dass das nicht im Nachhinein, sondern parallel geschieht.

(Beifall bei SPD und CDU)

Nun lassen Sie mich einige wesentliche Punkte benennen. Insofern ist es ein pädagogisches Prinzip und die Reihenfolge der Punkte, die ich nenne, ist keine Reihenfolge der Wichtigkeit.

An erster Stelle steht für die Sozialdemokraten, dass es auch in Zukunft darauf ankommen wird, gleichwertige Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland zu schaffen.

Nun kommen die einzelnen Unterpunkte. Das ist zum Beispiel das Beamtenrecht. Die Organisations- und Personalhoheit sollte weiterhin beim Bund verbleiben, damit eine unterschiedliche Besoldung mit der Folge der Abwerbung durch finanzkräftigere Länder verhindert wird. Für uns ist auch entscheidend, dass das gemeinsame Interesse auf der Aufrechterhaltung der Tarifgemeinschaft der Länder bestehen bleiben sollte. Denn das ist ein wichtiger Punkt, damit wir in Zukunft mit geordneten Verhältnissen gerade hinsichtlich des Beamtenrechtes in den einzelnen Ländern leben können.

(Beifall bei der SPD)

Ein weiterer Punkt - dieser wurde hier schon mehrfach diskutiert und darüber herrscht meiner Meinung nach Einvernehmen im hohen Haus - ist der Strafvollzug. Die sinnvolle Entscheidung zur Vereinheitlichung des Strafvollzuges aus dem Jahre 1977 sollte auch vor dem Hintergrund der Bemühungen der Europäischen Kommission, eine europäische Vereinheitlichung zu erreichen, erhalten bleiben. Alles andere ist ein Rückfall in die Kleinstaaterei. Das hat Napoleon abgeschafft. So weit sollten wir nicht zurückfallen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ein weiterer Punkt - da freue ich mich, dass unser Wissenschaftsminister diese Position mit viel Tatkraft unterstützt - ist der Hochschulbau. Auf den Wegfall der Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau muss in der bisher geplanten Form verzichtet werden. Auf mittlere Sicht sind die ausfallenden Mittel für die finanzschwachen Länder nicht zu kompensieren.

Eine Neuregelung, die zur Grundlage die Jahre 2000 bis 2003 hat, ist unakzeptabel, weil sie nämlich eindeutig die süddeutschen Länder bevorzugt. Denn diese hatten damals die Möglichkeit, das, was die anderen Länder nicht binden konnten, zusätzlich zu binden und damit würde etwas zementiert werden, was etwas mit Wettbewerbsföderalismus, aber nicht mit dem Schaffen von gleichwertigen Lebenschancen zu tun hat. Außerdem gibt der Bund nur 70 % der bisher zur Verfügung gestellten Mittel. Das heißt, 30 % spart er ein. Von daher ist es dringend erforderlich, hier wieder das Thema Reform der Finanzbeziehungen aufzugreifen. So darf das nicht kommen.

(Beifall)

Ein weiterer Punkt betrifft das Thema Heimrecht. Es stört mich - das betone ich -, dass dieses Thema in der öffentlichen Diskussion so gut wie gar nicht zum Tragen kommt. Wir haben es nach jahrelangen Bemühungen 2002 erreicht, eine bundeseinheitliche Regelung mit verbesserter Rechtsstellung der Heimbewohner, Eingriffsmöglichkeiten der Heimaufsicht und weiteren grundsätzlichen Regelungen zu schaffen. Dieses muss erhalten bleiben. Was wir nicht wollen, ist Sozialdumping.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was das Thema Umweltrecht angeht, so fühle ich mich in guter Gesellschaft mit dem Wirtschaftsminister Glos und dem Umweltminister Gabriel. Die Abweichungsmöglichkeiten nach Einführung des einheitlichen Umweltgesetzbuches müssen so weit

(Lothar Hay)

wie möglich eingeschränkt werden, um eine Zersplitterung beim Natur- und Gewässerschutz zu vermeiden. Auf eine Aufhebung der Rahmengesetzgebung des Bundes sollte verzichtet werden. Ich sehe die warnenden Stimmen des Wirtschaftsministers Glos; diese sollten wir sehr ernst nehmen. Das ist ein Punkt, den wir ebenfalls noch ausführlich diskutieren müssten.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wer den Wettbewerbsföderalismus will, sollte sich nicht nur deutlich dazu bekennen, sondern er sollte sich auch selbst daran erinnern - ich denke hier an Bayern und Baden-Württemberg -, wie lange er Zahlungen durch den Länderfinanzausgleich bekommen hat; diese sind in Bayern sicherlich gut angelegt. Wir lehnen den Wettbewerbsföderalismus ab, weil er zu einem ganz anderen föderalen System führt. Wir halten Änderungen bei dem Thema Föderalismusreform für dringend erforderlich und ich gehe davon aus, dass auch hier das bereits vielfach zitierte strucksche Gesetz gilt: Es kommt nichts so heraus, wie es ins Gesetzgebungsverfahren hineingekommen ist.

Was das Verhalten der Landesregierung betrifft, Frau Lütkes, so wird sich diese rot-schwarze Landesregierung wie jede andere rot-grüne Landesregierung verhalten. Erst am Ende der Debatte sollte die Landesregierung unter Abwägung aller Gesichtspunkte über ihr Abstimmungsverhalten im Bundesrat entscheiden. Alles andere wäre für die Interessen des Landes nicht gut.

(Beifall bei SPD, CDU und SSW)

Für die Fraktion der FDP erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Föderalismusreform ist einmal als die Mutter aller Reformen bezeichnet worden. Zumindest in der Fassung, die seit dem letzten Donnerstag auf dem Tisch liegt, muss man eigentlich sagen, dass sie eher zu einem politischen Kuckucksei zu geraten droht. Das Problem dabei ist natürlich, dass maßgebliche Akteure, die an dem Zustandekommen dieses Papiers beteiligt gewesen sind - wie der Kanzleramtsminister de Maizière und auch der Regierende Bürgermeister von Berlin, Herr Wowereit -, erklärt haben, das ganze Ding sei nur als Ge

samtpaket zu haben, also ganz oder gar nicht. Wenn es nicht angesichts der vorausgegangenen Debatte makaber wäre, könnte man sagen: Vogel, friss oder stirb.

Damit stehen wir vor der Alternative, entweder Nein zu sagen und damit gar keine Föderalismusreform zu bekommen oder Ja zu sagen und sich eine Reform mit vielen Macken und Hakenfüßen einzuhandeln. Das wäre in der Tat so, als ob die große Koalition in Berlin, die das Ganze angedacht hat, und die in Kiel, die das im Bundesrat womöglich passieren lässt, eine Lotterie spielen würden, bei der jedes Los eine Niete wäre. Das kann es nicht sein.

Ich finde es schon bemerkenswert, Kollege Wadephul, dass Sie sich darüber ereifern, dass hier über ein Thema diskutiert wird, zu dem in relativ kurzer Zeit Entscheidungen der Landesregierung im Bundesrat anstehen. Das Thema liegt ja nicht erst seit gestern auf dem Tisch. Wir diskutieren seit langem über das Thema. Wir haben Anfang November letzten Jahres das Papier der Koalitionsrunde in Berlin auf den Tisch bekommen.

Gerade in den letzten Monaten ist ein Entscheidungsprozess eingeleitet worden. Herr Wadephul hat uns heute mitgeteilt, dass die Landesregierung tagtäglich Verhandlungen geführt habe. Von daher frage ich, was denn im Rahmen dieser tagtäglich geführten Verhandlungen von November bis zum Donnerstag letzter Woche, also bis zu dieser besagten Spitzenrunde in Berlin - diesen Begriff hat Kollege Stegner geprägt -, von der Landesregierung konkret bewirkt worden ist.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zumindest diese Frage, Herr Kollege Wadephul, wird man im Schleswig-Holsteinischen Landtag stellen dürfen. Was das Papier vom 7. November und das vom letzten Donnerstag - zumindest das, was in der Berichterstattung geäußert wurde - angeht, habe ich den Eindruck, dass sich gar nichts im Sinne der Punkte, die auch hier vonseiten der Landesregierung und aus diesem Hause angemahnt worden sind, geändert hat.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Landesregierung sollte da schon etwas mehr als lediglich Fußnoten zum Protokoll von Ministerpräsidentenkonferenzen zustande bringen.

Damit kommen wir zu den inhaltlichen Kritikpunkten; sie sind hier zum Teil schon angesprochen worden.

(Lothar Hay)

Das ist als erster Punkt der Komplex der Abweichungsgesetzgebung. In einer Reihe von Bereichen darf der Bund regeln, aber die Länder können durch eigene Landesgesetze abweichen. Dadurch, meine Damen und Herren, wird das föderale Wirrwarr eher verstärkt, als dass man zu einer klaren Trennung der Zuständigkeiten und Aufgaben für die eine oder andere Seite kommt. Das halte ich für ein Kernproblem bei der ganzen Geschichte.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der zweite Punkt - Kollege Hay hat es bereits angesprochen - ist die fehlende Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen. Das ist ein echter Mangel in dem, was bisher auf dem Tisch liegt. Und dass nicht einmal - das wäre ein Minimum - ein Konnexitätsprinzip eingeführt werden soll, das dann sichert, dass der Bund den Ländern keine Kosten aufs Auge drücken kann, halte ich auch für einen Problempunkt.

(Dr. Johann Wadephul [CDU]: Was sagt Herr Pinkwart dazu?)

Die Zerfaserung des Beamtenrechts ist angesprochen worden. Das ist auch aus unserer Sicht ein Kritikpunkt. Die Landesregierung denkt selber an eine Absenkung der Eingangsbezüge beispielsweise bei den Lehrern. Kollege Hay warnte davor, Besoldungsfragen im Beamtenrecht auf die Länder herunterzubrechen. Denn dann komme es aus seiner Sicht zu einer Abwerbung. Die finanzstarken Länder würden Personal aus den finanzschwächeren Ländern abwerben. Diese Situation wäre doch bei der Absenkung der Eingangsbesoldung der Lehrer denken Sie an die Lehrer in Mangelfächern - genau dieselbe. Also, besonders konsistent ist die Haltung der Landesregierung in dieser Frage nicht.

Herr Abgeordneter Dr. Klug, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Thomas Stritzl?

Bedauerlicherweise habe ich jetzt nur wenig Zeit. Ich kann eine Zwischenfrage jetzt nicht zulassen. Kollege Stritzl kann sich nachher in der Aktuellen Stunde melden.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Er will eh nur fra- gen, wie Pinkwart dazu steht! Das interes- siert keine Sau!)

Die Frage des bundeseinheitlichen Strafvollzugsrechts ist angesprochen worden; das ist auch aus unserer Sicht ein ganz wichtiger Kritikpunkt.

Dann kommen die Dinge aus dem Bildungsbereich. Wenn die Presseberichte stimmen, dass der Bund in Zukunft nicht einmal mehr Förderprogramme auflegen dürfe, dann bekommen wir in der Tat ein großes Problem. Ich bin sehr wohl der Meinung, dass der Kernbereich des Bildungswesens in die Länderzuständigkeit gehört.