Protokoll der Sitzung vom 03.05.2006

schen als Referentenentwurf vorliegenden Fassung des neuen Schulgesetzes soll ja für die Gemeinschaftsschule die Differenzierung nur im Rahmen einer Kann-Vorschrift möglich sein. Das heißt, dort wird dann im zehnten Jahrgang - zumindest theoretisch - das denkbar sein, was ich eben als Extremfall beschrieben habe. Da sage ich: Das ist aus meiner Sicht eine Form von Schule, in der das Risiko eines extremen Leistungsabfalls so hoch ist wie noch nie zuvor.

(Beifall bei der FDP)

Diese Gemeinschaftsschule ist nichts anderes als sozusagen eine Kümmervariante des Gesamtschulmodells, bei der man auf die für die Qualität ganz wichtigen Strukturvorgaben der Gesamtschule verzichtet.

Da schauen wir uns natürlich in den nächsten Wochen und Monaten sehr genau an, ob die CDU das um der lieben Koalitionsraison willen einfach so schlucken wird. Wenn Sie das täte, würde man, wenn man alles, was die CDU früher zur Bildungspolitik gesagt hat, bedenkt, zu dem Ergebnis kommen, Sie würden um der lieben Koalitionsraison willen Ihre bildungspolitische Seele verkaufen. Das ist durchaus etwas, was über diesen Plenarsaal hinaus manchen in diesem Lande interessieren wird. Ich bin gespannt, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der CDU, wie Sie aus dieser Kurve herauskommen werden.

(Beifall bei der FDP - Zurufe von der CDU)

Für den SSW erteile der Frau Abgeordneten Anke Spoorendonk das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordert, dass sich die Landesregierung bei der anstehenden Überarbeitung der Vereinbarung über die Schularten und Bildungsgänge im Sekundarbereich I in der Kultusministerkonferenz dafür einsetzt, dass die Pflicht der Gesamtschulen zur äußeren Leistungsdifferenzierung aufgehoben wird. Das wissen wir. Das ist mehrfach gesagt worden.

Diese Leistungsdifferenzierung wurde mit der so genannten Hamburger Vereinbarung bereits Anfang der 60er-Jahre eingeführt und ist die Voraussetzung dafür, dass Gesamtschulen bundesweit gültige Schulabschlüsse vergeben dürfen. Aus Sicht der Befürworter der Gemeinschaftsschule, zu denen nicht nur die Grünen, sondern auch der SSW zählt,

füge ich hinzu, ist diese Leistungsdifferenzierung innerhalb der Gesamtschule nicht nur aus schulischer Sicht völlig unnötig, sondern auch kontraproduktiv für die einzelnen Schülerinnen und Schüler.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

- Ich bin mit eurem Antrag nicht ganz einverstanden.

Denn richtig ist ja, wie es im Antrag der Grünen formuliert wird, dass andere Länder mit erfolgreicheren Schulsystemen - die skandinavischen Länder, Finnland beispielsweise - auf diese Fachleistungsdifferenzierung in ihren Gemeinschaftsschulen verzichten. Hier herrscht die Meinung vor, dass sowohl die stärkeren als auch die schwächeren Schüler und Schülerinnen davon profitieren, wenn sie überwiegend gemeinsam unterrichtet werden. Das ist nicht nur eine Meinung, sondern eine Tatsache, die sich belegen lässt, liebe Kollegin Franzen. Dies ist möglich, weil Schüler innerhalb einer Klasse individuell gefördert werden.

Die Landesregierung will jetzt mit dem Schulgesetz die Gemeinschaftsschule neben den bisherigen Schulformen in Schleswig-Holstein auf freiwilliger Basis zulassen. Deshalb sind die Grünen in diesem Zusammenhang der Ansicht, dass die Landesregierung in der KMK ihr Votum nicht für eine Weiterführung der Pflicht zur äußeren Differenzierung der Gesamtschulen geben darf, um genau diese Entscheidung zu blockieren.

Auf dem Reißbrett ist der vorliegende Antrag des Kollegen Hentschel in sich schlüssig und nachvollziehbar. Ob die Intention des Antrages der Realität standhält, wage ich aber zu bezweifeln. Denn die Einführung der Pflicht zur äußeren Leistungsdifferenzierung in den Gesamtschulen ist auf einen Kompromiss zwischen den verschiedenen schulpolitischen Kräften in Deutschland zurückzuführen, der sicherstellen sollte, dass die Abschlüsse der Gesamtschulen in allen Bundesländern - auch in Bayern und Baden-Württemberg - anerkannt werden. Stellt man diesen Kompromiss infrage, stellt man womöglich auch die Anerkennung der Gesamtschulabschlüsse in Schleswig-Holstein - oder sogar insgesamt - infrage.

Trotz unserer Sympathie - das möchte ich deutlich sagen - für die Abschaffung der Pflicht zur äußeren Differenzierung bei den Gesamtschulen haben wir ein Problem damit, die Gesamtschüler als schulpolitische Speerspitze zu benutzen. Wir sollten uns in Schleswig-Holstein erst einmal darauf konzentrieren, eine Regelung für die Einführung von Gemeinschaftsschulen zu formulieren, die vor Ort angenommen wird; genau darauf wird es nämlich an

(Dr. Ekkehard Klug)

kommen. Nur so werden wir unserer Meinung nach auch die Schullandschaft in Schleswig-Holstein verändern können.

Wir hätten uns ein anderes Schulgesetz gewünscht, ein Schulgesetz mit einem klar definierten Ziel und mit vielen offenen Wegen zu diesem Ziel. Stattdessen haben wir etwas bekommen, was diesen Weg zu einer Gemeinschaftsschule aus unserer Sicht schwieriger machen wird. Aber ich füge hinzu, dass das, was Kollege Klug vorhin gesagt hat, bereits gilt: Schon mit dem jetzigen Schulgesetz ist es möglich, Lerngruppen in den Gesamtschulen aufzubrechen. Ich kann hinzufügen, dass die dänischen Gesamtschulen es schon seit Jahren getan haben. Die Gesamtschule in Eckernförde sagt, es ist ihr Ziel, deutlich zu machen, dass sich kein Kind nur immer in einer festen Lerngruppe befinden darf, in der es zu den Verlierern gehört. Alle Kinder müssen einmal zu den Gewinnern, zu den Guten und zu den weniger Guten gehören. Nur so kann man auch weiterkommen. Das ist schon möglich; das darf man nicht vergessen.

Also: Es wird letztlich darauf ankommen, die Freiräume des Schulgesetzes zu nutzen. Diesbezüglich hätte ich mir eine klarere Einstellung der Landesregierung gewünscht. Aber all das werden wir noch diskutieren, wenn wir das neue Schulgesetz hier in diesem Haus im Zusammenhang diskutieren. Wir werden uns - sage ich auch noch einmal - bei diesem Antrag der Stimme enthalten.

(Beifall beim SSW)

Ich danke der Frau Abgeordneten Spoorendonk. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sitzung geht langsam dem Ende entgegen, ich bitte Sie jedoch um etwas mehr Aufmerksamkeit für die Redner.

Das Wort für einen Dreiminutenbeitrag erhält der Herr Abgeordnete Karl-Martin Hentschel.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Detlef Buder und Anke Spoorendonk! Folgendes noch einmal zu der Situation, über die mir das Protokoll vorliegt: Bei der Abstimmung über die Passage, die keine Differenzierung mehr vorsieht, haben sich zehn Bundesländer dafür ausgesprochen, dass diese Passage gilt beziehungsweise angewandt wird. Zwei Bundesländer haben sich enthalten, vier waren dagegen. Das heißt, es ist keineswegs so, dass der Konsens gesprengt wird, wenn sich Schleswig

Holstein jetzt auch klar für diese Alternative entscheidet. Bayern hat es übrigens getan. Es ist nicht dafür, dass die Differenzierung aufgehoben werden muss; das noch einmal zur Beruhigung der CDU. Aber Bayern hat dafür gestimmt, dass es aufgehoben werden kann, dass es möglich ist auszuprobieren, einen freien Wettbewerb zu gestalten zwischen dem skandinavischen Schulmodell und dem klassischen deutschen Dreiklassenschulmodell. Dafür hat sich Bayern ausgesprochen. Schleswig-Holstein hat sich in dieser Frage nicht klar ausgesprochen, sondern hat bei beiden Fragen mit Ja gestimmt. Das heißt, Schleswig-Holstein hat sich letztlich an dieser Stelle indifferent verhalten. Ich verstehe nicht, warum Schleswig-Holstein nicht das Gleiche tun kann wie Bayern.

(Lachen bei der CDU)

Nichts weiter verlangt unser Antrag. Wir wollen einen Wettbewerb möglich machen zwischen dem klassischen dreigliedrigen und dem skandinavischen Schulsystem.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das zu ermöglichen - nichts weiter - verlangt dieser Antrag. Wieso man dem nicht zustimmen kann, ist mir wirklich nicht begreiflich.

Noch eine Bemerkung zur Frau Franzen von der CDU über die Diskussion zum dreigliedrigen Schulsystem. Ich möchte hier aus einer dpa-Meldung vom 20. März 2006 zitieren:

„Der Chef des Münchener Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, …

- in Klammern: einer der bekannten konservativen Neoliberalen

(Zuruf von der CDU: War das innerhalb des Zitats?)

„…hat eine neue Diskussion über die Gesamtschule gefordert und das dreigliedrige Schulsystem auch verantwortlich gemacht für hohe Arbeitslosigkeit und mangelndes Wirtschaftswachstum.“

Weiter heißt es - Zitat -:

„Das dreigliedrige Schulsystem, mit dem wir weltweit nahezu allein stehen, passt nicht mehr in die heutige Zeit.“

Dies schreibt Herr Sinn in einem Beitrag für die „Wirtschaftswoche“. Es reflektiert die Dreiklassengesellschaft des 19. Jahrhunderts. Die frühe Selektion bereits im Alter von zehn Jahren - Zitat -:

(Anke Spoorendonk)

„… maximiert den Einfluss der Eltern und minimiert den Einfluss, die Bedeutung der tatsächlichen Begabung der Kinder.“

Das System gehört - Zitatanfang von Sinn -:

„in den Abfalleimer der Geschichte.“

Dem pflichte ich bei.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort für einen weiteren Dreiminutenbeitrag erhält der Herr Abgeordnete Detlef Buder.

Frau Präsidentin! Erstens ist festzustellen, dass die Bayern keine Gesamtschulen haben, wie wir sie in Schleswig-Holstein haben, und dass das System überhaupt nicht vergleichbar ist.

Zweitens möchte ich, dass man bitte zur Kenntnis nimmt: Sofern nur ein Mitglied in der KMK dagegen stimmt, ändert sich an der derzeitigen Rechtslage überhaupt nichts. Ob da zwei, drei oder einer dagegen stimmen, hat überhaupt keine Bedeutung für die hinterher herrschenden Verhältnisse. Es bleibt alles so, wie es ist. Deshalb spielt es keine Rolle, sondern es ist Einstimmigkeit zu erzielen. Die ist jedoch nicht erzielbar. Das müssen wir heute einmal zur Kenntnis nehmen, ob du das gern möchtest oder nicht. Damit wird sich die KMK keinen Millimeter bewegen.

(Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Deshalb muss man doch nicht schon bei der Probeabstimmung aufgeben! - Karl- Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Es ist ja nicht so, dass man bei der Probeabstimmung gegen die eigenen Über- zeugungen stimmen muss!)

Ich weise Sie freundlich darauf hin - und bitte Herrn Hentschel, nicht dazwischenzurufen -, dass das vertraute Du in der parlamentarischen Debatte zu vermeiden ist.

Das Wort für die Landesregierung erhält die Ministerin Frau Erdsiek-Rave.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will hier keine Fünfminutendebatte über das dreigliedrige Schulsystem oder das Schulsystem über

haupt führen; das finde ich an dieser Stelle wirklich unangebracht.

(Beifall bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)