Protokoll der Sitzung vom 28.06.2006

Meine Damen und Herren, das Angebot für barrierefreies Fernsehen ist auf einem guten Wege. Diesen wollen wir weiter gehen.

(Beifall bei CDU, SPD, FDP und SSW)

Ich danke dem Herrn Ministerpräsidenten und eröffne die Aussprache. - Das Wort für die CDUFraktion hat die Frau Abgeordnete Heike Franzen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal, Herr Ministerpräsident, möchte ich mich bei allen, die an der Erstellung dieses Berichtes beteiligt waren, ganz herzlich bedanken. Sie haben es gerade ausgeführt: Es war nicht einfach, diesen Bericht zu erstellen. Trotzdem ist es gelungen, ihn so zu abzufassen, dass ihn auch Menschen wie ich, die sich in der Medienwelt, die ja nicht unkompliziert ist, nicht besonders gut auskennen, verstehen. Dafür ganz herzlichen Dank.

(Beifall bei CDU, SPD, FDP und SSW)

Meine Damen und Herren, in ganz Schleswig-Holstein gibt es rund 525.000 Menschen, die von Sehoder Hörschädigungen betroffen sind. Sie müssen wie jeder andere auch die Möglichkeit haben, sich in Rundfunksendungen zu informieren. Wir - damit meine ich insbesondere meinen Kollegen Peter Eichstädt von der SPD-Fraktion - wollen uns mit dem angeforderten Bericht einen Überblick darüber verschaffen, welche Bemühungen bisher unternommen worden sind, um Fernsehen barrierefrei zu gestalten, und welche Möglichkeiten wir haben, vielleicht stärker Einfluss darauf zu nehmen, dass barrierefreies Fernsehen in größerem Umfang angeboten wird.

Dem Bericht ist zu entnehmen, dass sich insbesondere die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender mit der Barrierefreiheit auseinander gesetzt haben. Herr Ministerpräsident, Sie haben gerade darauf hingewiesen. So will der NDR den Anteil von barrierefrei ausgestrahlten Programmen von derzeit 5,7 % auf circa 12 % erhöhen. Das ist erfreulich. Hierbei sollte allerdings auch die Kritik der Betroffenenverbände nicht ganz außer Acht gelassen werden, die sich eine bessere Beteiligung bei der Auswahl der Programme wünschen. Ich denke, das sollte machbar sein.

(Ministerpräsident Peter Harry Carstensen)

Zu begrüßen sind auch die Bemühungen des ZDF, den Anteil der untertitelten Sendungen weiter auszubauen, wobei besonders die technische und inhaltliche Umsetzung von Livesendungen hervorzuheben ist, die bisher nur vom ZDF angeboten wird und die unbedingt ausgeweitet werden sollte.

Bei den privaten Fernsehanbietern gibt es beim Thema Barrierefreiheit doch noch erheblichen Nachholbedarf. Die ULR hat festgestellt, dass Gebärdensprache oder Audiodeskription deutschlandweit im privaten Rundfunknetz nicht zum Einsatz kommen. Auch diese Sender haben eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung für Menschen mit Behinderung. Ich appelliere an diese Sender, wenigstens zu versuchen, das eine oder andere für Menschen, die nicht hören oder nicht sehen können, anzubieten.

(Beifall bei CDU, SPD und FDP)

Insgesamt bleibt immer noch festzustellen: Noch immer werden viel zu wenige Sendungen mit Untertiteln, Gebärdensprache oder Audiodeskription versehen. Da wohl keiner von uns an dem hohen Gut der Pressefreiheit und der Freiheit der Berichterstattung rühren will und somit die Vorgabe von Quoten - wie sie in einigen anderen Ländern praktiziert werden - ausgeschlossen ist, müssen wir auch weiterhin an die Rundfunksender und an die dortigen Gremien appellieren, barrierefreie Programme anzubieten.

Unser Ministerpräsident hat sich im letzten Jahr in hervorragender Weise dafür eingesetzt, dass das TV-Duell zwischen den beiden Kanzlerkandidaten vor der Bundestagswahl barrierefrei ausgestrahlt wurde.

Als im September letzten Jahres der ARD-Vorsitzende, Gruber, in einem Schreiben an die Rundfunkkommission der Länder die Meinung vertrat, dass barrierefreies Fernsehen eine zusätzliche soziale Leistung und kein Auftrag der Grundversorgung sei, hat der Ministerpräsident dankenswerterweise postwendend reagiert und deutlich gemacht, dass Barrierefreiheit sehr wohl zur Grundversorgung gehört und keineswegs eine zusätzliche soziale Leistung ist.

(Beifall bei CDU, SPD und FDP)

Es ist gut zu wissen, dass sich die Landesregierung dem wichtigen Thema Barrierefreiheit an höchster Stelle annimmt. Besonders möchte ich erwähnen, dass sich die kulturelle Filmförderung SchleswigHolstein aufgrund der Anfrage des Berichtes spontan bereit erklärt hat, das Thema Barrierefreiheit noch in diesem Jahr in die Media-Tage Nord auf

zunehmen. Das halte ich für einen hervorragenden Ansatz.

Wie und in welchem Rahmen wir über Förderung auf die Produktion von barrierefreien Programmen Einfluss nehmen können und wollen, sollten wir intensiv diskutieren. Barrierefreiheit muss in die Köpfe der Menschen, die auf Barrierefreiheit nicht angewiesen sind. Daran sollten wir alle mitarbeiten. Das kann man sehr schön selber ausprobieren. Wenn man abends vor dem Fernseher sitzt, einmal die Augen zumacht oder sich die Ohren zuhält, dann weiß man, wie Menschen, die Seh- oder Hörschädigungen haben, Fernsehprogramme sehen oder nicht sehen.

Der Bericht gibt hilfreiche Anregungen und Grundlagen für weitere Gespräche. Daher beantrage ich für die CDU-Fraktion die Überweisung des Berichts an den Sozialausschuss und an den Innenund Rechtsausschuss.

(Beifall bei CDU, SPD, FDP und SSW)

Ich danke der Frau Abgeordneten Heike Franzen und erteile dem Herrn Abgeordneten Peter Eichstädt für die SPD-Fraktion das Wort.

Ich war auf eine andere Reihenfolge vorbereitet und bitte um Entschuldigung. - Meine Damen und Herren! Wir haben den Bericht erbeten, weil die Teilhabe - - Frau Präsidentin! - Entschuldigung. Ich bin völlig aus dem Gleis.

(Zuruf von Ministerpräsident Peter Harry Carstensen)

- Machen wir eine Wiederholung. Das gibt es beim Fernsehen auch. Das ist ein Grund dafür, aus dem die Quote bei den untertitelten Filmen so hoch ist: die Wiederholungen werden mitgezählt. Aber das nur am Rande.

(Heiterkeit)

Wir haben den Bericht erbeten, weil die Teilhabe von Menschen mit Behinderung am gesellschaftlichen Leben sowie ihre Verbesserung ein stetiges Ziel unserer Politik ist. Wir wollen wissen, wie die Situation von blinden und gehörbeeinträchtigten Menschen ist, wenn sie das Kulturgut Fernsehen nutzen wollen. Wir wollten auch wissen, welche Möglichkeiten es in Schleswig-Holstein gibt, Barrieren abzubauen und damit Chancen zur Teilhabe zu verbessern.

(Heike Franzen)

Lassen sie mich zunächst einmal sagen - in der Vergangenheit habe ich mich ja durchaus auch kritisch mit medienpolitischen Äußerungen unserer Landesregierung auseinander gesetzt -: Ich finde, der vorliegende Bericht ist eine gelungene Darstellung der Situation blinder und hörbeeinträchtigter Menschen vor dem Fernseher.

(Beifall bei SPD und CDU)

Er zeigt auf, wo Barrieren Teilhabe verhindern, er zeigt aber auch auf, was an Abbau von Barrieren erreicht wurde und wo noch abgeräumt werden muss, wenn wir internationale Standards erreichen wollen.

Der Bericht zeigt, dass man sich vonseiten der Staatskanzlei dafür einsetzen will, im Rahmen - zugegeben - beschränkter Möglichkeiten weiter an Abhilfe mitzuwirken. Natürlich ist dies in Schleswig-Holstein allein nicht zu leisten. Das geht nur im nationalen und europäischen Kontext. Ich will dazu auch sagen, dass ich Ihnen, Herr Ministerpräsident, in diesem Fall die ehrliche Absicht abnehme, sich persönlich mit Ihrem ganzen - politischen Gewicht

(Heiterkeit)

für eine weitere Verbesserung der Möglichkeiten der Teilhabe behinderter Menschen am medialen Leben einzusetzen.

(Beifall bei SPD, CDU und SSW)

Dafür und für den Bericht bedanke ich mich bei Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Alle Bemühungen, behinderten Menschen die Teilhabe am Fernsehen zu ermöglichen, müssen sich an Artikel 5 des Grundgesetzes messen lassen. Das ist in dem Bericht deutlich geworden. Er garantiert den Fernsehsendern die Rundfunkfreiheit und damit eine große Autonomie in der Gestaltung der Programme. Er verbietet damit weitgehend die Einflussnahme auf die Programme durch staatliche Regelungen. Deshalb ist das, was zum Beispiel in den USA Realität ist, nämlich eine Verordnung von Barrieren abbauenden Hilfen, bei uns nicht so einfach zu erzwingen.

Es hat in den letzten Jahren durchaus Fortschritte gegeben. So ist die Zahl der Programmbeiträge, die mit Audiodeskription für blinde Menschen oder Untertitelung, seltener durch Gebärdendolmetscher, begleitet sind, deutlich gestiegen. Auch ist festzustellen, dass offensichtlich das ZDF hier etwas mehr bietet - noch! - als die ARD-Anstalten.

Der Bericht hat deutlich gemacht: Die Situation kann nicht als befriedigend eingestuft werden. In

der Bundesrepublik leben 1,2 Millionen hörgeschädigte Menschen und über 2 Millionen blinde oder stark sehbehinderte Menschen. Sie alle können wegen ihrer Sinnesbehinderung Fernsehsendungen nicht verfolgen. Ihnen entgehen damit wichtige, für uns nicht behinderte Menschen selbstverständliche Informationen.

Kolleginnen und Kollegen, Frau Franzen hat angeregt, machen Sie selbst die Probe: Ton aus oder Augen schließen beim Fernsehen! Man kann auch die Fernbedienung nehmen. Was bleibt? - Unvollständige Informationen, Vermutungen. So erleben sie beeinträchtigte Teilhabe einer Gruppe von immerhin 3,2 Millionen Menschen. Angesichts dieser Zahl fällt es schwer, sie als Minderheit zu bezeichnen.

Wir leben in einem revolutionären Medienzeitalter. Die Digitalisierung wird technische Möglichkeiten eröffnen, Barrieren abzubauen, von denen unsere blinden und hörgeschädigten Mitbürger heute nur träumen. Ich hoffe sehr, dass diese Möglichkeiten zukünftig auch genutzt werden. Artikel 5 darf nicht missbraucht werden, technische Möglichkeiten zur Teilhabe ungenutzt zu lassen.

Die Verpflichtung des Staates, die Voraussetzungen für eine Grundversorgung durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu schaffen, ist ebenfalls im Artikel 5 enthalten. Das umfasst auch die Barrierefreiheit, weil Barrieren eine Diskriminierung darstellen.

Ich will zum Schluss noch auf einen speziellen Aspekt hinweisen: Betroffene - vor allem die nach dem Spracherwerb ertaubten Menschen - kritisieren die verkürzte und vereinfachte Untertitelung, die ihrem Wunsch nach einer vollständigen, nicht verkürzten und damit inhaltlich nicht manipulierten Wiedergabe nicht gerecht wird. Die Neigung, zum Beispiel Schimpfwörter wegzulassen oder inhaltlich vereinfacht zu untertiteln, wird von ihnen als Zensur empfunden. Ich erwähne dies, um deutlich zu machen, dass es bei diesen Mitteln nicht nur darum geht, sie anzubieten und eine Quote zu erreichen - möglicherweise auch durch Anrechnungen von Wiederholungen -, sondern dass sie sich auch einem Diskurs um Qualität, Standards und Zensurferne stellen müssen.

Ich hoffe, dass sich die Landesregierung und der Ministerpräsident in Zukunft weiter für den Abbau von Barrieren beim Fernsehen einsetzen. Der NDR ist offensichtlich bemüht, die Situation zu verbessern und die Zahl der barrierefreien Beiträge zu erhöhen. Da ist die im Bericht enthaltene Zusage des Landesrundfunkrates des NDR - der Herr Mini

(Peter Eichstädt)

sterpräsident hat auch darauf hingewiesen - und des Vorsitzenden des NDR-Rundfunkrates ein Silberstreif am Horizont, den wir aufmerksam beobachten werden. Die Zahl der barrierefreien Sendeminuten kann man ja messen.

(Beifall)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Peter Eichstädt und erteile für die FDP-Fraktion dem Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, das mit dem Gewicht hätte ich nie gesagt, aber auch ich nehme Ihnen Ihr Engagement voll und ganz ab und bedanke mich für den Bericht, für Ihre Rede dazu und vor allem für die Bemühung, weiter am Ball zu bleiben. Das ist das Wichtigste. Denn unabhängig davon, ob man Sendeminuten zählt oder – wie wir es versucht haben – prozentual zusammenzählt, was öffentlich-rechtlich und privat an barrierefreien Sendungen insgesamt angeboten wird, bleibt das Problem bestehen. Zählt man alles zusammen, kommen wir auf einen immer noch viel zu niedrigen, einprozentualen Bereich im Angebot. Wir stehen hier erst am Anfang und Sie haben es verdient, dass wir Sie auf Ihrem Weg voll und ganz unterstützen, Herr Ministerpräsident. Vielen Dank für Ihr Engagement!

(Beifall im ganzen Haus)

Kollege Eichstädt, drei Kolleginnen und Kollegen versuchen, Zahlen zusammenzutragen, und kommen zu unterschiedlichen Zahlen. Ich glaube, es spielt überhaupt keine Rolle, wie viel Millionen Menschen entweder schwerhörig oder gehörlos sind, blind oder sehbehindert sind, ich habe wieder andere Zahlen als Sie.