Protokoll der Sitzung vom 30.06.2006

Einer angemessenen, konkret am Einzelfall ausgerichteten Beratung kommt daher eine Schlüsselfunktion zu. Insofern sind wir uns einig, wenn wir Beratungsangebote fordern und unterstützen.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ob allerdings die Einrichtung eines Pflegeportals für Schleswig-Holstein, wie es im Antrag der Grünen gefordert wird, ein geeignetes Instrument ist, möchte ich bezweifeln. Sie fordern nicht nur eine Auflistung der schleswig-holsteinischen Angebote. Eine solche mag vielleicht noch möglich sein, quasi in Form eines elektronischen Branchenbuchs, obwohl eine aktuelle Darstellung angesichts des sich ständig verändernden ambulanten Dienstleistungsmarktes wohl kaum erreichbar sein wird. Gerade im ambulanten Bereich haben wir auf dem Gebiet der haushaltsnahen Dienstleistungen viele graue Zonen.

Sie fordern des Weiteren eindeutige Qualitätsvergleiche jeweils nach einheitlichen Qualitätskriterien. Wie diese erfolgen sollen, kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, da für unterschiedliche Angebote bisher kaum einheitliche Qualitätskriterien zur Verfügung stehen.

Ebenso scheint es mir kaum möglich zu sein, permanent und möglicherweise sogar täglich aktuell die zur Verfügung stehenden Platzkontingente in einem Portal auszuweisen. Ich bezweifle, dass das von Ihnen idealtypisch geforderte Konzept mit dem anspruchsvollen Namen „Pflegeportal SchleswigHolstein“ das, was es verspricht, auch einlösen kann. Ich vermute, dass es wegen des hohen Aufwandes auch kaum zu finanzieren ist.

Wir setzen stärker auf regionalisierte Beratungsangebote, die wohnortnah und für die Betroffenen und die Angehörigen gut erreichbar sind. Im Übrigen arbeiten die im Bundesgebiet vorwiegend in Baden-Württemberg bisher errichteten Pflegeporta

(Torsten Geerdts)

le hauptsächlich auf regionaler Ebene, nämlich in den Landkreisen. Wir meinen, dass mit den unabhängigen Pflegeberatungsstellen, die in SchleswigHolstein inzwischen in fast allen Kreisen und kreisfreien Städten etabliert wurden, das geeignete Instrument zur Verfügung steht. Die Pflegeberatungsstellen informieren Betroffene und ihre Angehörigen nicht nur über das vorhandene Versorgungsangebot im direkten Umfeld des Pflegebedürftigen, sondern dort wird auch ausgelotet, welche zusätzlichen Dienstleistungen zur Verfügung stehen und in Anspruch genommen werden können. Das heißt, es wird direkt vor Ort mit den Menschen ein Konzept entwickelt, das passgenau auf die jeweilige Situation zugeschnitten ist.

Wir sind der Auffassung, dass die Arbeit der trägerunabhängigen Beratungsstellen sich nicht nur für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen bewährt hat. Ein erster Erfahrungsbericht, der in der letzten Legislaturperiode vorgelegt wurde, zeigt darüber hinaus, dass es auch zu Einsparungen in den öffentlichen Haushalten gekommen ist, und zwar deshalb, weil in vielen Fällen der Umzug in eine stationäre Einrichtung entweder ganz verhindert werden oder aber hinausgeschoben werden konnte. Wir sollten uns auch Gedanken darüber machen, wie wir die Arbeitsqualität der Pflegeberatungsstellen weiter verbessern können, und zwar nicht nur von der Landesebene aus, sondern auch gemeinsam mit den Kommunen. Auch die Kommunen müssen ein Interesse daran haben, dass Pflegebedürftige angemessen vor Ort betreut und versorgt werden und dass sie weiterhin, so gut es geht, am gemeinschaftlichen Leben teilhaben können. Natürlich sollte mit Blick auf die zur Verfügung stehenden Mittel auch die Kostenseite überprüft werden. Eine angemessene Lösung ist nicht immer automatisch eine teure Lösung.

Wir beantragen insofern einen Bericht für die 15. Tagung, in der dann auch ein Bericht zur gesamten ambulanten Versorgung vorgelegt werden soll. Uns geht es darum, dass noch einmal aufgelistet wird, welche Angebote in den Kreisen und kreisfreien Städten zurzeit zur Verfügung stehen, wie die Kostenentwicklung war und welche Kostenentlastungen der Sozialhilfeträger möglicherweise erfolgt sind.

Selbstverständlich muss man immer wieder auch nach neuen Instrumenten fragen. Insofern haben auch wir ein Interesse, von der Landesregierung zu hören, inwieweit internetgestützte Informationsund Beratungsangebote realisierbar sind und wie die Nutzung vonseiten der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen eingeschätzt wird.

Frau Schümann, ich erinnere Sie an die Redezeit.

Frau Präsidentin, ich komme sofort zum Schluss. Man muss zumindest bedenken, dass viele ältere Menschen gar nicht in der Lage sind, mit diesen Technologien umzugehen, weil sie es entweder nie gelernt haben oder weil sie oft auch in einer persönlichen Verfassung sind, die diesen Umgang nicht ermöglicht. Insofern sollten wir im September über die Gesamtsituation der ambulanten Dienste noch einmal grundlegend diskutieren und uns natürlich auch darüber Gedanken machen, inwieweit Informations- und Beratungsangebote verbessert und ausgebaut werden können. Ich bitte insofern um Zustimmung zu unserem Antrag. Er ist, obwohl nur unter einem Spiegelstrich auf die Internetberatung eingegangen wird, in der Tat der umfassendere Antrag. Ich glaube, auch die Grünen könnten ganz gut damit leben, wenn sie diesen Antrag mittragen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke der Frau Abgeordneten Schümann. - Für die FDP-Fraktion hat der Herr Abgeordnete Dr. Heiner Garg das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich will Sie einleitend zunächst an meiner ereignisreichen Vergangenheit teilnehmen lassen. 1992 habe ich eine empirische Untersuchung über die Kostenstruktur und Kostenträgerschaft von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen in ganz Deutschland durchgeführt.

(Beifall bei der FDP)

Ich sage das deswegen, weil damals das Sozialministerium in Schleswig-Holstein zurückmeldete, dass es weder über die Kostenträgerschaft noch über die Kostenstruktur noch über die stationären Einrichtungen in diesem Lande Angaben machen könne. Das hat sich grundlegend geändert. Das Land Bremen hat damals schon zusammen mit der Stadt Bremerhaven zwar nicht das, was Sie heute als Pflegeportal einfordern, etabliert, aber immerhin eine komplette Übersicht über sämtliche stationären Einrichtungen des Landes Bremen und der Stadt Bremerhaven mit den entsprechenden Tagespflegesätzen in den jeweiligen Pflegestufen veröffentlicht. Das heißt, der Informationsgehalt, den wir heute

(Jutta Schümann)

haben und auf dem wir aufbauen können, ist ungleich höher als 1992.

Ich habe den Antrag der Grünen so verstanden, dass sie keine Sammlung irgendwelchen statistischen Datenmaterials - ob nun in gedruckter Version oder in Form eines Internetportals - wünschen. Sie wollen vielmehr ein Pflegeportal. Durch dieses Portal sollen, wenn man es wörtlich nimmt, Pflegebedürftige und ihre Angehörigen hindurchschreiten können. Wenn sie hindurchgeschritten sind, sollen sie besser als vorher informiert sein.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich gehe davon aus, dass Sie genau das bezwecken.

Ich weiß auch nicht, ob es materiell einen Dissens gibt. Ich beziehe mich hier zunächst auf die kostenträgerunabhängigen Pflegeberatungsstellen, die ordentlich arbeiten, deren Arbeit aber mit Sicherheit noch optimiert werden kann. Ich erinnere mich hier an ein Gespräch, das Anke Spoorendonk und ich vor Jahren einmal geführt haben. In diesem Gespräch ging es darum, wie wichtig es wäre, kostenträgerunabhängig zu beraten, und zwar im Blick auf die ganzen Möglichkeiten, die damals noch im Aufbau waren, angefangen beim Wohnen mit Service, damals noch betreutes Wohnen genannt, über die ambulante Pflege, teilstationäre Pflege und Kurzzeitpflege bis hin zur stationären Pflege. Es ging damals um kostenträgerunabhängige Beratung in Bezug darauf, was für den einzelnen Pflegebedürftigen im Zweifel am besten ist, welche Unterstützungen es für pflegende Angehörige gibt und wer schließlich die Kosten trägt, wenn die Pflegeversicherung - diese ist ja keine Vollkostenversicherung - die Kosten nicht voll deckt. Wenn es um ein Pflegeportal geht, lohnt sich jeweils - so wie Frau Schümann dies getan hat - ein Blick wenn nicht auf das Ausland, so doch auf andere Bundesländer.

Es gibt ein gut funktionierendes Pflegeportal in der Region Aachen. Sie haben ein ausgezeichnetes Angebot, und zwar nicht nur für Pflegebedürftige, nicht nur eine Übersicht über den ambulanten und den stationären Bereich, sondern eben auch Hilfereichung für pflegende Angehörige. Sie haben Baden-Württemberg erwähnt; mir hat das Pflegeportal der Region Aachen ganz besonders gefallen.

Das Problem an Ihrem Antrag, liebe Frau Kollegin Birk, sind in der Tat die von Ihnen geforderten Qualitätskriterien. Erstens wird sich die Frage stellen: Wer soll diese Qualitätskriterien aufstellen, und zwar in völlig unterschiedlichen Bereichen, völlig unterschiedlichen Teilsektoren der Pflegeleistungserstellung? Das halte ich, gelinde gesagt, für schwierig. Ich möchte beispielsweise nicht, dass

der MDK diese Qualitätskriterien aufstellt und dann auch noch kontrolliert.

Die zweite Frage ist: Wer soll, wenn solche Kriterien aufgestellt werden, eigentlich in Zukunft überwachen, dass sie auch eingehalten werden? Das ist auch eine schwierige Frage.

Vor diesem Hintergrund - weil ich viel Sympathie für das habe, was Sie als Pflegeportal fordern - hoffe ich, dass wir das auch verwirklichen können. Ich glaube nicht - jedenfalls habe ich es nicht so verstanden -, dass Sie sich daran festbeißen, ob es regional funktionieren oder ein landeseinheitliches Angebot sein soll.

Für die FDP-Fraktion sage ich: Dem Berichtsantrag der großen Koalition kann man problemlos zustimmen. Daraus wird mit Sicherheit auch die eine oder andere interessante Neuerung resultieren. Aber ich würde mich schon sehr freuen, wenn wir den Rest Ihr Antrag ist ja nicht nur ein Berichtsantrag - in den Sozialausschuss überwiesen; denn ich fände es schon wichtig zu erfahren, wie sich beispielsweise die Sozialministerin dazu äußert. Ich würde mich auch freuen, wenn Sie, Frau Trauernicht, einmal persönlich im Sozialausschuss auftauchten

(Beifall des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

und uns berichteten, welche Möglichkeiten bestehen, ein solches Pflegeportal einzurichten.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Garg. - Für den SSW erhält Herr Abgeordneter Lars Harms das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor zwei Jahren haben wir im Landtag über den erfolgreichen Modellversuch der trägerunabhängigen Beratungsstellen gesprochen. Über alle Fraktionen hinweg waren wir uns einig, dass eine unabhängige Beratung das beste Mittel ist, um im Falle der Pflegebedürftigkeit die Einrichtung seiner Wahl zu finden.

Pflegebedürftigkeit kann sich schleichend einstellen, in den meisten Fällen ist es aber ein Sturz, ein Unfall oder ein Schlaganfall, der zumeist ältere Personen von einer Sekunde zur anderen zum Pflegefall macht. Die Angehörigen müssen dann in Windeseile viele Entscheidungen treffen. Dabei werden

(Dr. Heiner Garg)

die Angehörigen durch die trägerunabhängigen Beratungsstellen in vorbildlicher Weise unterstützt.

Durch eine sachkundige Beratung kann ein stationärer Aufenthalt in manchen Fällen vermieden werden, bei denen man als Laie dachte, dass es gar nicht anders gehe. Manchmal können bereits kleine Umbauten in den eigenen vier Wänden einen Umzug ins Heim verhindern. Man muss nur wissen, was man tun muss, welche Hilfsmittel es gibt und das ist bei vielen nicht unerheblich - wer die Kosten trägt.

Noch 2004 hing der Himmel voller Geigen: Die Arbeit der Pflegeberatungsstellen wurde allenthalben gelobt; die Zukunft schien gesichert. Doch inzwischen warten die Träger im Land auf ein Signal aus dem Sozialministerium - vielleicht kommt es ja heute. Bisher ließ es jedenfalls auf sich warten. Schlagzeilen wie „Pflegeberatung droht das Aus am Jahresende" vom 7. Juni aus Mölln sind alarmierend. Solche Schlagzeilen dürfen nach Auffassung des SSW gar nicht erst entstehen. Wenn man politisch einig darüber ist, dass die Pflegeberatungsstellen gute Arbeit leisten, dann müssen wir sie weiterführen, dann muss aus diesen Modellprojekten eine regelmäßige Förderung werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Doch wir reden ja hier über ein internetgestütztes Pflegeportal, über dessen Einrichtung die Landesregierung berichten soll. Was haben Beratungsstellen mit einem Pflegeportal zu tun? - Sehr viel, wollen sie beide doch das gleiche: schnelle und zuverlässige Informationen über das regionale Pflegeangebot. Mehr und mehr wird das Internet zur Informationsquelle erster Wahl. Doch müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass gerade ältere Menschen doch eher persönliche Beratung nachfragen: Sie greifen zum Telefon oder machen sich kurzerhand gleich auf den Weg zur Beratungsstelle. Darum hat sich der SSW bereits vor zwei Jahren für die Verstetigung der Finanzierung der Beratungsstellen eingesetzt, um deren Angebot auch nach Ende der Modellphase gewährleisten zu können. Das, was damals richtig war, ist nach zwei Jahren beileibe nicht überholt.

Zu keinem Zeitpunkt kann ein Internetangebot die persönliche Beratung ersetzen, vor allem die dialogische Struktur kann das Internet nur begrenzt gewähren. Dazu ist das Thema, von dem wir hier sprechen, Pflegebedürftigkeit nämlich, viel zu persönlich und entzieht sich auch ein Stück weit der Standardisierung. Wer sich über das Internet informieren möchte, der muss nicht nur über die techni

schen Voraussetzungen verfügen, sondern muss auch genau die richtigen Fragen stellen; denn eine Datenbank gibt nur das preis, wonach sie gefragt wird.

Die regionalen Pflegeportale im Netz informieren Interessierte über die Vielfalt des Angebots, bevor die Pflegebedürftigkeit eingetreten ist. Ich persönlich würde sicherlich ein Pflegeportal nutzen, doch ich glaube nicht, dass das alle Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner tun würden. Gleichwohl ist es wichtig, das persönliche Beratungsangebot der Beratungsstellen zu ergänzen. Hier kann ein Pflegeportal wichtige Informationen bieten. Dabei ist es zum Beispiel wichtig, einen Überblick über die Leistungsanbieter im ganzen Land zu bekommen. Oft sind der Wohnort der Betroffenen und der Wohnort von Verwandten nicht identisch. Je nachdem, an welchem Ort nun die Leistung erbracht werden soll, muss eine Vergleichbarkeit der Angebote möglich sein, ohne dass man von Beratungsstelle zu Beratungsstelle verwiesen wird. Hier kann ein Internetportal durchaus helfen, zumal, wenn einem auch gleich die Preise für die Leistungen genannt werden und man erfährt, ob überhaupt noch Platzkontingente vorhanden sind.

Mir ist klar, dass ein Berichtsantrag keineswegs mit einem Antrag auf Einsetzung eines Portals gleichzusetzen ist. Der SSW möchte auch eindringlich davor warnen, Ressourcen aufzuteilen. Aber wir müssen unser gutes Angebot in der Beratung von Pflegebedürftigen und deren Angehörigen stetig verbessern. Wir sollten daher das derzeitige Angebot der unabhängigen Beratungsstellen erhalten und gleichzeitig nach und nach ein Portal zur Unterstützung dieser Beratungsleistungen entwickeln.

Ziel muss bleiben, ohne Wartezeiten umfassend, unabhängig und persönlich beraten zu werden. Je niedriger dabei die Zugangsschwelle ist, desto besser. Einer der wichtigsten Vorteile eines Portals ist, dass es rund um die Uhr angeklickt werden kann.

Wenn das Pflegeportal als eine Ergänzung und nicht als Ersatz für die unabhängigen Beratungsstellen aufgebaut werden soll, dann macht es nach Ansicht des SSW Sinn. Daher ist eine Untersuchung dieses Themas im Rahmen eines Berichts nach unserer Auffassung ein guter Weg, um zu sehen, wie wir die Pflegedienstleistungen noch transparenter und leichter zugänglich machen können. Da aber unabhängige Beratungsstellen und Pflegeportal für uns nahezu ein und dieselbe Sache ist, sehen wir in dem Antrag von SPD und CDU den richtigen Weg, dies gemeinsam zu untersuchen. Deshalb werden wir diesen Antrag unterstützen.

(Lars Harms)

(Beifall bei SSW, SPD und vereinzelt bei der CDU)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Lars Harms. Für die Landesregierung erhält nun die Gesundheitsministerin Frau Dr. Gitta Trauernicht das Wort.