Protokoll der Sitzung vom 25.01.2007

Das Thema Leukämiehäufigkeit in der Elbmarsch und im Großraum Geesthacht begleitet, ja belastet uns seit vielen, vielen Jahren. Sowohl die Länder Schleswig-Holstein als auch die Niedersachsen haben viele Jahre in unterschiedlichen Foren, Expertenanhörungen, mit Kommissionen jeder für sich, aber auch gemeinsam Ursachenforschung betrieben, leider mit einem nicht zufriedenstellenden Ergebnis für uns und natürlich insbesondere auch für die Menschen, für Familien mit Kindern in dem betroffenen Gebiet. Die Aussage von Professor Edmund Lengfelder, Strahlenbiologe und Mitglied der Leukämiekommission, ist bezeichnend für die Situation:

„Die Kommission hat zwölf Jahre lang nach Ursachen gesucht und alle erdenklichen Ursachen ausschließen können, chemische Ursachen, Pestizide, Düngemittel. Übrig geblieben ist die Vermutung, es ist von Strahlung ausgelöst.“

Diese Aussage macht deutlich, dass es nach wie vor keine verbindlichen kausalen Erklärungen für dieses weltweit größte Leukämiecluster gibt. Aber genau weil wir uns die Ursachen bisher nicht erklären können und uns möglicherweise zum jetzigen Zeitpunkt auch keine neuen Erklärungsansätze vorstellen können, bleibt es erforderlich, immer wieder zu

(Lars Harms)

versuchen, den Ursachen auf den Grund zu gehen, so wie die Ursachenforschung im Bereich der Krebserkrankungen nicht aufhören wird, bis es eindeutig klare Erklärungsmuster für die Entstehung geben wird. Deshalb möchten wir, die Mitglieder des Sozialausschusses, auch die Planung der niedersächsischen Kollegen für eine Expertenanhörung zu diesem Thema nutzen und gemeinsam hoffentlich auch mit unseren Hamburger Kolleginnen und Kollegen uns an dieser Expertenanhörung beteiligen. Möglicherweise erhalten wir neue Zusatzinformationen oder Erkenntnisse, über die wir bisher noch nicht verfügen.

Neben der verstärkten Ursachenforschung erscheint es aber ebenso erforderlich, noch einmal abzuprüfen, wie die entsprechenden Krebsregister geführt werden und wie die betreffenden Länder miteinander kooperieren. Es erscheint aus meiner Sicht problematisch, dass es zum Beispiel in Hamburg keine Verpflichtung gibt, Erkrankungsfälle an das Krebsregister zu melden. Auch da sollten wir länderübergreifend einheitliche Standards entwickeln. Das könnte auch für die Verbesserung in der Zusammenarbeit der niedergelassenen Ärzte vor Ort gelten, aber auch für die Zusammenarbeit der Fachärzte an den Kliniken und Universitätskliniken in Schleswig-Holstein und Hamburg.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es muss uns gelingen, die Menschen vor Ort aus der Region Geesthacht mitzunehmen, und das gilt auch für die Bürgerinitiative vor Ort.

Die von der Ministerin angekündigte Teilnahme an dem geplanten Symposium des Mainzer Krebsregisters ist zu begrüßen und auch die Absicht, unterschiedliche Forschungsansätze zu koordinieren. Das gilt ebenso für die geplante Zusammenarbeit mit Herrn Professor Schrappe vom Universitätskinderklinikum hier in Kiel.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen nach meinem Eindruck ein mit den anderen Ländern abgestimmtes Unterstützungs-, Informationsund Hilfekonzept für die gesamte Region mit bekannten Anlaufstellen und einer engen Kooperation zu denjenigen, die für den Bereich der verbesserten Therapie forschen und arbeiten. In welcher Weise dieses konkret durchgeführt wird, sollten wir gemeinsam in unserem Ausschuss, aber insbesondere gemeinsam mit unseren Kolleginnen und Kollegen in Hamburg und Niedersachsen erörtern, um dann hoffentlich ein Stückchen weiterzukommen. Wenn wir nicht mit den Ursachen und den Erkenntnissen über die Ursachen so schnell weiterkommen, dann sollten wir zumindest alle Möglichkeiten nutzen,

die uns im Bereich einer verbesserten Diagnose und Therapie zur Verfügung stehen.

(Beifall im ganzen Haus)

Ich danke der Frau Abgeordneten Jutta Schümann. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratungen.

Ich gehe einmal davon aus, dass Ausschussüberweisung beantragt ist, und zwar an den Sozialausschuss zur abschließenden Beratung. Wer so beschließen will, den Bericht der Landesregierung, Drucksache 16/1165, dem Sozialausschuss zur abschließenden Beratung zu überweisen, den bitte ich um sein Handzeichen. - Das ist einstimmig so geschehen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 auf:

Kooperation von Jugendhilfe und Schule

Bericht der Landesregierung Drucksache 16/1072

Ich erteile das Wort der Ministerin für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren, Frau Dr. Trauernicht.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, einen, wie ich finde, sehr informativen Bericht zur Kooperation von Jugendhilfe und Schule vorlegen zu können. Kein anderes Thema bestimmt die jugend- und bildungspolitische Debatte in den letzten Jahren so sehr wie die ganzheitliche Bildung von Kindern und jungen Menschen. Die Steigerung der Bildungserfolge von Kindern und Jugendlichen wird als eine zentrale gesellschaftspolitische Zukunftsaufgabe definiert. Das ist auch nicht verblüffend, denn in einer wissensbasierten Gesellschaft sind nun einmal erfolgreiche Schulabschlüsse junger Menschen aus bildungsfernen und sozial benachteiligten Bevölkerungsschichten ein Garant dafür, dass sie eine gute Zukunft haben, und darüber hinaus auch Garant für die Zukunftsfähigkeit unseres ganzen Landes. In der Verstetigung und Weiterentwicklung der Kooperation von Jugendhilfe und Schule wird ein Schlüssel zum Erreichen dieser Zielsetzung gesehen.

Wir bauen in Schleswig-Holstein seit Anfang des Jahres 2001 auf einer Rahmenkonzeption auf, die auf drei Säulen steht, der strukturellen Kooperation und der Weiterentwicklung dieser strukturellen Ko

(Jutta Schümann)

operation zweier an sich sehr unterschiedlicher Bereiche, nämlich Jugendhilfe und Schule, auf der Beratung und Fortbildung der in diesen Bereichen tätigen Fachkräfte und auf der praktischen Kooperation vor Ort. Wir haben diese Rahmenkonzeption, wie dargelegt, seit dem Jahr 2001 weiterentwickelt und neuen Anforderungen angepasst.

Wir haben darüber hinaus auf Landesebene und auch auf der kommunalen Ebene, die meines Erachtens ebenfalls sehr hohe Standards erreicht hat und die es möglich gemacht hat, dass es auch auf örtlicher Ebene zu zahlreichen Kooperationsprojekten gekommen ist, Kooperationsstrukturen aufgebaut.

(Unruhe)

Einen Moment, Frau Ministerin! Ich bitte darum, dass die Gespräche, die nicht zum Tagesordnungspunkt gehören, draußen geführt werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir konnten vor kurzer Zeit eine Serviceagentur „Ganztägig lernen“ einrichten. Ich denke, auch diese Serviceagentur hat geholfen, dazu beizutragen, dass sich die Kooperation von Jugendhilfe und Schule in unserem Land weiter verbessert. Der Bericht zur Entwicklung offener Ganztagsschulen in Schleswig-Holstein aus dem Jahr 2004 ist Ihnen sicher allen noch in Erinnerung. Er nennt drei Perspektiven zur Weiterentwicklung in diesem Bereich. Die Kooperation mit außerschulischen Partnern ist ein Schlüsselthema. Darüber hinaus nennt er die offene Ganztagsschule, für die der Erziehungs- und Bildungsauftrag von Schule als gemeinschaftliche Aufgabe auch von außerschulischen Partnern definiert ist. Hier ist vor allem die Jugendhilfe zu nennen. Die offene Ganztagsschule leistet einen Beitrag zur Familienfreundlichkeit unseres Landes. Der Bericht definiert für das Jahr 2007 eine Zielgruppe von offenen Ganztagsschulen, die inzwischen deutlich übertroffen wurde. Ich finde, das ist ein ganz großartiger Erfolg!

(Beifall des Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD])

Eine erfolgreiche Kooperation von Jugendhilfe und Schule setzt voraus, dass sie in verlässliche und tragfähige Strukturen eingebettet ist. Diese Strukturen zu pflegen und aufzubauen, ist eine zentrale Aufgabe vor Ort. Um diese Aufgabe vor Ort mög

lich zu machen, hat das Land ein Programm aufgelegt, mit dem jeder Landkreis und jede kreisfreie Stadt jährlich mit Mitteln in Höhe von 26.000 € unterstützt wird.

Wenn man sich die Entwicklung in den Kreisen und kreisfreien Städten anguckt, was anhand dieses Berichtes möglich ist, dann sieht man, dass vor Ort sehr unterschiedliche Schwerpunkte und Akzente gesetzt worden sind. Das ist durchaus gewollt. Ich denke, dieser Bericht macht zunächst einmal transparent, dass die Unterschiede sehr differenziert zu bewerten sind und mit der jeweiligen Region zu tun haben. Ein Schwerpunkt ist das Ziel der Reintegration verhaltensauffälliger beziehungsweise gewaltbereiter Schülerinnen und Schüler. Weitere Schwerpunkte sind zum Beispiel gesundheitsfördernde Angebote, Bewegungsangebote und Angebote zur Gestaltung der Freizeit von Kindern und jungen Menschen, aber auch der Versuch, Suchtprävention zu betreiben oder sie in internationale Jugendprogramme einzubinden. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Angebote wie die Hausaufgabenhilfe und die Konfliktbearbeitung wie vieles andere mehr. Ich finde, das ist ein beeindruckender Bericht.

Wenn man die Perspektiven betrachtet, dann kommt es in den nächsten Jahren im Wesentlichen darauf an, dass wir die Beispiele gelungener Zusammenarbeit transparent machen und weiterentwickeln.

(Beifall bei SPD und FDP)

Hier sind die Runden Tische der Landeshauptstadt Kiel und die Arbeitsgemeinschaft gegen Gewalt an Schulen ebenso wie das Prävention-im-Team-Programm und die Perspektive lokaler Bildungspartnerschaften zwischen Jugendhilfe und Schule auf den Weg zu bringen. Im Kern geht es darum, eine integrierte kommunale Bildungs-, Familien- und Sozialpolitik zu gestalten. Diese Aufgabe der Kommunen wird das Land auch in den nächsten Jahren nach Kräften unterstützen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und vereinzelt bei der CDU)

Ich eröffne die Aussprache. - Frau Abgeordnete Angelika Birk hat das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gerade habe ich geklatscht, weil Sie wieder eine sehr überzeugende Rede gehalten ha

(Ministerin Dr. Gitta Trauernicht)

ben, Frau Trauernicht. Wir werden den Bericht trotzdem kritisieren. Wir danken dafür, dass die Fakten da sind. Daran haben wir natürlich keine Kritik. Wir denken aber an den gestrigen Tag und an die verpasste Chance, Jugendhilfe und Schule systematischer zusammenzuführen. Trotz des Engagements vor Ort und der in der Tat beachtlichen Steigerungsraten beim Ausbau der offenen Ganztagsschule sowie bei der Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule steht das Gesamtprojekt finanziell und im Alltag häufig noch auf wackligen Füßen. Gestern forderten wir deshalb mit unserem Antrag zum Schulgesetz mehr Autonomie für die Schulen. Sie soll die Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule organisieren. Vorbildlich geschieht dies zum Beispiel im Schulzentrum in Bargteheide, wo Grundschule, Gesamtschule und Jugend- und Sozialarbeit kooperieren. Ich kann alle Kolleginnen und Kollegen nur ermuntern: Gucken Sie sich das einmal an, das funktioniert dort seit Jahren! Grundlage ist natürlich, dass auch die Kommune ihren finanziellen und organisatorischen Anteil daran trägt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es braucht allerdings diese solide finanzielle Basis. Seit dem Jahr 2000 - immerhin seit sieben Jahren ist es erklärter Wille des Landtags, dass Jugendhilfe und Schule systematisch zusammenarbeiten. Aus dem Jugendministerium und aus dem Bildungsministerium wurden spätestens seither verschiedene Förderprogramme aufgelegt sowie regionale und landesweite Fortbildungen und Fachtagungen veranstaltet, um die Kommunen bei diesem Auftrag zu unterstützen. Auf diese Weise haben sich Schulen Schritt für Schritt geöffnet und vielerorts die offene Ganztagsschule vorbereitet und gestaltet.

Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass - wie es im Bericht steht - nur 50 % der Kinder an diesen offenen Ganztagsschulen diese Angebote wahrnehmen. Hier wäre nachzufragen, aus welchem Grund es nicht mehr sind. Sind nicht mehr Angebote möglich? Sind die Angebote nicht attraktiv genug oder liegt es an anderen Sachen? Liegt es daran, dass eine Reihe dieser Angebote durchaus kostenträchtig sind? Nach meinen persönlichen Kenntnissen ist der im Bericht genannte Unkostenbeitrag von 72 € pro Monat für eine mindestens dreitägige Teilnahme in der Woche nicht unbedingt das höchste der Gefühle. Es gibt immer wieder - offizielle und inoffizielle - Fälle, in denen durchaus mehr Geld auf den Tisch gelegt werden muss.

Jetzt wäre mit dem Haushalt 2007/2008 und dem neuen Schulgesetz die Zeit gewesen, die verschiedenen und gemessen am Haushalt und an der Auf

gabe nach wie vor kleinen Finanzprogramme des Jugendministeriums und des Bildungsministeriums zu entbürokratisieren, aufzustocken und noch besser aufeinander abzustimmen. Ich weiß, dass im Jugendministerium eine Neuordnung der Finanzierungsrichtlinien stattgefunden hat. Hier wurden schon erste Schritte gemacht. Trotzdem ist es nach wie vor so, dass zum Beispiel nicht die Kommunen Anträge auf solche Programme des Ganztagsangebots stellen. Vielmehr müssen Vereine gefunden werden, die entweder beim Jugendministerium oder beim Kultusministerium anfragen. Es müssen umfassende Abstimmungen stattfinden. Die zu erhaltenen Beträge und das Abrechnungswesen sind in den letzten Jahren verschiedentlich kritisch diskutiert worden. Einiges wurde verbessert. Gemessen an den relativ kleinen Beträgen, um die es geht, ist es nach wie vor ein mühsames Geschäft, bei dem immer sehr viele Leute miteinander kooperieren müssen, damit es klappt. Wir hätten uns dies mit unserer Vorstellung von Schulautonomie sehr viel einfacher und entbürokratisierter vorgestellt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Stattdessen haben wir noch Folgendes zu beobachten: Der allgemeine Jugendhilfeetat wurde im kommunalen Finanzausgleich, der doch eine relativ große Finanzspritze des Landes an die Kommunen ausmacht, entwidmet. Im Klartext heißt dies, dass es nicht mehr sichergestellt ist, dass dieses Geld vor Ort tatsächlich Kindern und Jugendlichen zugute kommt. Das hatten wir auch in den vergangenen Sitzungen schon beklagt. Auch auf diese Weise gibt es in der Ganztagsschule zunehmend Programme, für die die Eltern bezahlen müssen. Kinder aus armen Haushalten, die das Angebot am dringendsten brauchen, werden so ausgeschlossen. Dies ist nicht in unserem Sinne, das haben wir damals im Jahr 2000 mit diesem Beschluss so nicht gewollt. Das haben wir in unseren Debatten explizit ausgeschlossen. Ich denke, wir müssen in dieser Frage weiter wachsam sein. Es nützt nichts, jetzt nur zu sagen, was wir erreicht haben. Wir müssen mit den Kommunen zu Verabredungen darüber kommen, wie wir im Ganztagsschulprogramm in Zukunft eine soziale Spaltung ausschließen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion der CDU erteile ich Herrn Abgeordneten Niclas Herbst das Wort.

(Angelika Birk)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich sagen, dass es immer leicht ist, mehr Mittel und mehr Ressourcen zu fordern, insbesondere wenn man weiß, dass diese Mittel überhaupt nicht da sind. Ich habe mehr Respekt vor den Menschen, die versuchen, mit dem, was da ist, etwas sinnvoll zu tun.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)