Auch wenn Staatsziele keine einklagbaren Individualansprüche enthalten, wirken sie doch als wichtige Direktive für staatliches Handeln, für die Legislative, für die Judikative und für die Exekutive. Die Bindungswirkung von Staatszielen richtet sich im Wesentlichen auf die darin jeweils angesprochenen Ziele, während Gesetzgeber und Verwaltung über den Weg und die Mittel zur Umsetzung dieser Ziele entscheiden müssen.
In diesem Zusammenhang ist die offensichtlich vorhandene große inhaltliche Übereinstimmung im Parlament für die weitere Entwicklung von Kinderrechten in unserem Land besonders bedeutsam und gleichsam Ansporn für die Möglichkeiten, die wir als Landesregierung haben. Wir begrüßen diese Initiative sehr und werden sie gern aufgreifen.
Aus der Sicht der Landesregierung - speziell natürlich aus der Sicht der zuständigen Kollegin Dr. Trauernicht als Jugend- und Familienministerin - ist es erfreulich, dass wir im Landtag noch einmal den Blick darauf richten, unseren Kindern in unserer Gesellschaft eine stärkere Lobby zu verschaffen. Bemerkenswert ist die breite Unterstützung, die dieser Vorschlag in der Öffentlichkeit erfährt, was die Unionsfraktion zusätzlich ermuntert haben mag. Lieber Herr Kollege Puls, ich finde, Einsicht ist eine Tugend, die uneingeschränktes Lob verdient. Sie ist ja in der Politik auch nicht gerade überrepräsentiert.
Insofern ist das etwas, was wir als erfreulich in die Zukunft gerichtet finden sollten. Wir sind gemeinsam auf diesem Weg.
Kinder sind die Zukunft unserer Gesellschaft. So banal diese Aussage einerseits klingen mag, so eindeutig und selbstverständlich ist sie auch.
Kinder und Jugendliche sind besonderen Gefährdungen ausgesetzt, gegen die sie sich in manchen Fällen nicht wie Erwachsene selbst wehren können. Die erschütternden, tragischen Nachrichten der letzten Tage haben uns darauf noch einmal besonders aufmerksam gemacht.
Das Rechtssystem der Bundesrepublik enthält eine ganze Reihe von Vorschriften über Rechte und Schutz von Kindern und Jugendlichen. Wir haben die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen ratifiziert, aber leider immer noch mit einem Vorbehalt. Es fehlt jedoch an einem verbindenden Leitfaden zwischen dem Anspruch auf gewaltfreie Er
ziehung im Bürgerlichen Gesetzbuch, den Ansprüchen auf Förderung der Persönlichkeitsentwicklung im Kinder- und Jugendhilfegesetz und den strafrechtlichen Vorschriften zum Schutz junger Menschen. Ein erster Schritt auf diesem Weg kann die Schaffung des Staatsziels zum Schutz von Kindern und Jugendlichen sein, an das das Land sowie die Kommunen und andere Träger der öffentlichen Verwaltung und die Gerichte im Land gebunden sind.
Frau Kollegin Spoorendonk, ich will ausdrücklich unterstützen, was Sie gesagt haben - ich sage das auch als Kommunalminister -: Es ist nicht Bürokratieabbau, wenn wir die Mitwirkungsrechte von Jugendlichen in den Kommunen einschränken. Ich bin übrigens auch offen, über das Wahlalter zu diskutieren. Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht. Wir sollten uns einer solchen Diskussion nicht von vornherein verschließen. Wir sollten die Dinge vielmehr offensiv sehen und freundlich begleiten.
Die Kollegin Trauernicht ist in den Fragen nicht nur sehr engagiert, sondern hat vor zwei Wochen auch eine erste Überlegung für ein verbindliches Frühwarnsystem und ein verlässliches Netzwerk zum wirksamen Schutz von Kindern skizziert. Das Plenum wird sich morgen damit beschäftigen. Ich hoffe, das wird dann genauso viel Zustimmung erfahren wie das Staatsziel, über das wir jetzt debattieren.
„Kinder an die Macht!“ Dies malt sich Herbert Grönemeyer in seinem Lied aus. Ich muss zugeben, dass es in meiner Familie manchmal so ist. Aber insgesamt ist das in der Gesellschaft noch nicht der Fall. Insofern könnte die geplante Änderung der Landesverfassung einen großen Schritt dieses Landtags hin zu mehr Kindergerechtigkeit bedeuten.
Unabhängig von der Aufgeregtheit der letzten Minuten in diesem Haus sage ich: Lassen Sie uns das nutzen! Lassen Sie uns darin vorangehen, den Schutz von Kindern und Jugendlichen in unserer Gesellschaft zu stärken! Kinder sind schließlich die einzige Zukunft der Menschheit.
Die Redezeit der Fraktionen verlängert sich nach § 56 Abs. 6 der Geschäftsordnung um zweieinhalb Minuten.
Herr Herr Kollege Hentschel hat sich zu einem Beitrag gemäß § 56 Abs. 4 gemeldet. Ich erteile ihm das Wort.
Meine Damen und Herren! Was mich an der Debatte heute gewundert hat, ist die Beteiligung der Regierung. Ich hätte erwartet, dass Frau Trauernicht redet. Denn sie ist die einzige Ministerin, die sich in der Vergangenheit öffentlich zu Kinderrechten in der Verfassung geäußert hat. Sie hat sich auch immer entgegen der Haltung des übrigen Kabinetts dafür eingesetzt. Mich wundert, dass Sie, Herr Ministerpräsident, Frau Trauernicht, die sich immer dafür eingesetzt hat, in dieser Stunde die Redezeit wegnehmen. Sie reden statt ihrer, obwohl Ihre Fraktion diese Dinge immer blockiert hat.
Die Stunde der Wahrheit ist morgen. Wir reden morgen über die Frage der Vorsorge. Seit einem Jahr wird im Ausschuss über die Vorsorge geredet. Damit wird es konkret. In der Verfassung wird das Staatsziel beschrieben. Aber entscheidend ist, was man nachher tut. Wird das Staatsziel in die Praxis umgesetzt? Kommen wir tatsächlich dazu, dass in Zukunft Untersuchungen kleiner Kinder in Schleswig-Holstein Pflicht werden? Ist sichergestellt, dass Kinder Ärzten regelmäßig vorgestellt werden? Es muss ja offenbar werden, wenn es Misshandlungen gibt. Wird das Staatsziel in Schleswig-Holstein tatsächlich umgesetzt oder geht die Blockade der Union in dieser Frage noch jahrelang weiter, wie wir es in der Vergangenheit erlebt haben?
Ich bitte also den Ministerpräsidenten: Sorgen Sie dafür, dass sich nicht nur in der Verfassung, sondern auch in der Praxis etwas bewegt!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin viele Jahre Parlamentarier. Aber so etwas habe ich noch nicht erlebt, dass man eine gemeinsame, einstimmig getragene Geschichte so kaputtreden kann, wie Sie, Herr Kollege Puls, es gerade getan haben.
Zu dem, was Sie gesagt haben, Herr Puls, will ich mich jetzt nicht äußern; mir ist ein bisschen der Kamm geschwollen.
Herr Hentschel, wenn ich mich richtig erinnere und es aus der Entfernung von Berlin aus richtig gesehen habe, war Ihre Partei bis vor zwei Jahren noch mit in der Verantwortung. Es gab bei Ihnen eine Ministerin, die dafür zuständig war. Jetzt frage ich mich, wie Sie sich die Frechheit herausnehmen können, jetzt etwas einzufordern, was Sie jahrelang selber hätten machen können.
Dies hätte in unserem Land ein guter Tag für den Kinderschutz sein können. Es hätte ein Tag der Freude sein können. Bei mir ist er das nicht mehr. Entschuldigung, wenn ich das so sage!
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich wollte ich mich an der Debatte nicht beteiligen. Denn ich bin davon ausgegangen, dass wir nach einem langen Diskussions- und Überlegungsprozess zu einer einmütigen Haltung gekommen sind.
Kollege Puls hat sehr viel Wahres gesagt, was aber nach meiner Auffassung eigentlich nicht in diese Debatte gehört hätte.
Ich bin der Letzte, der die CDU-Fraktion verteidigen will und muss. Das kann der Fraktionsvorsitzende der CDU in der ihm eigenen charmanten Art selbst tun. Aber ich bitte doch, lieber Kollege Puls und liebe Freunde von den Sozialdemokraten und den Grünen sowie die anderen Kollegen hier im Haus, einmal darüber nachzudenken, ob wir es uns nicht gelegentlich doch zu einfach machen, wenn wir einen riesen Katalog von Staatszielbestimmungen schaffen. Es ist die Frage, ob eine Verfassung mit einem solchen Katalog das bewirken kann, was wir bewirken wollen.
Vorhin ist in der Debatte schon darauf hingewiesen worden, dass die Aufnahme des Kinderschutzes in die Verfassung eigentlich nichts bewirken wird. Wohl wird es ein intensiveres Nachdenken bei den Behörden geben, die für den Kinderschutz bereits zuständig sind, die diese Aufgabe - teilweise aus
nachvollziehbaren, teilweise aus nicht nachvollziehbaren Gründen - jedoch nicht in ausreichender Weise erfüllen.
Herr Kollege Hentschel hat natürlich Recht, wenn er sagt, dass wir Parlamentarier aufgefordert sind, diesem Staatsziel weiteres Leben zu geben, und zwar in gesetzlichen Regelungen, beispielsweise auch im Hinblick auf die Finanzausstattung. Auch spielt hier die Frage eine Rolle, wie der Erziehungsund Bildungsauftrag für die frühkindliche Erziehung in der Gesellschaft finanziell abgesichert werden kann. Wir müssen intensiv darüber nachdenken, dass der Erziehungsauftrag, den die Eltern haben, nicht verstaatlicht werden darf.
Es gibt nicht den einen Weg der richtigen Erziehung. Wir müssen die Vielfalt der Erziehungsmöglichkeiten offen lassen. Darin liegen allerdings auch Gefahren. Wir dürfen nicht den Eindruck erwecken, die Eltern könnten ihren Erziehungsauftrag an der Behördentür abgeben. Es ist selbstverständlich, dass man darüber lange nachdenken und diskutieren kann; das ist in einer parlamentarischen Demokratie eine Selbstverständlichkeit.
Ich bin dankbar - das sage ich ausdrücklich -, dass die CDU-Fraktion ihre Bedenken hat überwinden können und wir jetzt zu einer einmütigen Regelung kommen.
Ich bitte, dass wir hier den Zwist, den es zwischen den Koalitionsfraktionen geben mag, jedenfalls bei diesem Thema nicht wechselseitig abarbeiten.
Ich gebe einen letzten, scherzhaften Hinweis. Was soll ich als Oppositionsführer eigentlich noch machen, wenn sich sozusagen meine Aufgabe, die Regierungsfraktionen zu kritisieren, von selbst erledigt? Aber ich will auch mir das Leben nicht schwerer machen, als es unbedingt nötig ist.
Ich erteile dem Vorsitzenden der SPD-Fraktion, Herrn Abgeordneten Lothar Hay, gemäß § 56 Abs. 6 der Geschäftsordnung das Wort. Er hat eine Redezeit von dreieinhalb Minuten.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Sorge ist, dass diese Debatte in der Öffentlichkeit völlig falsch wirkt. Mein Interesse ist gewesen, die große Einigkeit des Landtages darzu
stellen, dass der Schutz von Kindern in die Verfassung aufgenommen wird. Dahinter steht die Sozialdemokratie schon seit langem.
Ich will auch nicht verschweigen - das hat der Kollege Puls vielleicht etwas überzogen dargestellt -: Es hat wehgetan, in einer namentlichen Abstimmung gegen die eigene Überzeugung in Erfüllung des Koalitionsvertrages Nein zu sagen. Wir freuen uns, dass es inzwischen dennoch einen Weg gibt, dies gemeinsam mit der CDU umzusetzen. Nun sollten wir diesen Streit nicht fortsetzen. Er nutzt nämlich denjenigen, denen wir eine Zukunft geben wollen, unseren Kindern, überhaupt nichts.
Die Staatszielbestimmung ist das eine. Ich gebe dem Herrn Oppositionsführer recht: Eine Verfassung unterliegt nicht der Beliebigkeit. Wir können nicht immer neue Staatszielbestimmungen in die Verfassung aufnehmen, sondern wir müssen uns auf das Wesentliche konzentrieren. Eine Verfassung wird auch nicht alle paar Monate geändert. Sie ist ein hohes Gut. Wenn wir jetzt das Ziel aufnehmen, die Kinder zu schützen, so werden wir morgen die Gelegenheit haben, unter den Tagesordnungspunkten „Ausbau der Betreuung unter Dreijähriger“ und „Gesundheit von Kindern schützen Gesundheitsvorsorge ganzheitlich und verbindlich organisieren“ das, was aus der Zielbestimmung abgeleitet wird, konkret in gesetzliches Handeln umzusetzen, damit die Fälle, die wir in der Vergangenheit gehabt haben, auch wirklich der Vergangenheit angehören.