Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Manchmal bringt einen so ein Änderungsantrag dazu, sein Manuskript komplett umzustellen. Ich will das auch gern tun.
Ich hätte sonst gesagt, Ausbauplanung heißt das Losungswort, mehr Betreuungsplätze jetzt auch für unter Dreijährige. Das hat jetzt auch die Politik entdeckt, das ist notwendig, dabei bleibt aber das Wie viel zu oft auf der Strecke. Wir haben in der Bundesrepublik Eltern viel zu lange in irgendwelche
Schemata gepresst. Mal gab es da nur das Heimchen am Herd und auf der anderen Seite der Skala nur die Rabenmutter. Dabei haben wir viel zu spät erkannt, dass Familienleben bunt ist. Jetzt müssen wir uns beeilen, dass Familienpolitik auch bunt wird. Andere Länder machen uns das im Übrigen schon lange vor.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will zunächst einmal deutlich, weil die Kollegin Heinold in ihrem längeren Beitrag auf viele Inhalte eingegangen ist, etwas zur Antragslage sagen. Selbstverständlich ist, weil es um viel Geld geht, eine ordentliche Bestandsaufnahme notwendig. Das hat auch der Schleswig-Holsteinische Landtag erkannt. Ich darf daran erinnern, dass wir mit der Drucksache 16/828 eine Bestandsaufnahme haben, ich will präziser sagen, eigentlich haben wollten, denn bis auf die kreisfreie Stadt Kiel und einige wenige andere wurden uns eigentlich Unverschämtheiten vonseiten der Verantwortlichen um die Ohren gehauen, indem meistens geantwortet wurde: Bedarf nicht bezifferbar, oder: kein Bedarf. Das ist schlampig und das ist in dieser Form, wie hier mit Landtagsabgeordneten, die einen Informationsbedarf nicht um ihrer selbst willen haben, sondern weil sie genau diesen Bedarf als Arbeitsauftrag gebraucht hätten, schlicht eine Unverschämtheit.
Genau das haben wir in der 24. Sozialausschutzsitzung am 28. September 2006 erkannt und die Kollegin Heinold, der Kollege Torsten Geerdts, die Kollegin Jutta Schümann und ich haben angeregt, dass wir uns dieses Prozedere nicht länger gefallen lassen.
- Ja, alle die da saßen, alle Kollegen des Sozialausschusses, federführend selbstverständlich die Frau Vorsitzende, haben beschlossen - das können Sie nachlesen zur 24. Sitzung am 28. September 2006 -, dass wir uns ein solches Verfahren nicht länger bieten lassen. Wir haben beschlossen, dass neu nachgefragt wird, dass in den Kreisen und kreisfreien Städten eine neue Bestandsaufnahme stattfindet. Ich finde es erstaunlich, um es einmal freundlich zu formulieren, dass wir heute als Alternative zu einem präzisen Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN genau das, was bereits beschlossen wurde, noch einmal beschließen sollen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition, wenn es Ihre Alternative und Ihre Antwort auf Ihre Sonntagsreden von diesem Rednerpult aus ist, dass Sie einen im Sozialausschuss gefassten Beschluss, der längst in der Umsetzung ist, heute - ein halbes Jahr später - noch einmal als Alternative zu einem ganz präzisen Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beschließen wollen, dann kann ich nur sagen: Gute Nacht! Ich weiß, dass die Frau Vorsitzende dafür gesorgt hat, dass dieser Beschluss nicht nur gefasst wurde, sondern auch umgesetzt wird. Sie können Ihre Sonntagsreden dann am besten zu Hause vor dem Spiegel halten, aber bitte nicht hier in diesem Plenum. Damit helfen Sie den Familien überhaupt nicht, wobei es egal ist, welchem Familienbild die Einzelnen anhängen.
Die FDP-Fraktion wird dem präzisen Arbeitsauftrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN selbstverständlich zustimmen. Ich würde Ihnen wirklich empfehlen, noch einmal darüber nachzudenken, ob Sie sich mit einem bereits gefassten Beschluss noch einmal befassen wollen, nur weil Sie es nicht fertigbringen, einem ordentlichen Oppositionsantrag zuzustimmen.
Ich danke Herrn Abgeordneten Dr. Garg. - Für den SSW im Landtag hat Herr Abgeordneter Lars Harms das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die vorliegenden Anträge sollten wir vor dem Hintergrund der Erfahrungen der letzten Anhörung im Sozialausschuss diskutieren. Im Sozialausschuss haben wir uns mit Familienzentren beschäftigt. Bei allen Trägern war der Tenor in meinen Ohren zweifelsohne die Bitte an die Politik, sich auf ein Thema zu konzentrieren und nicht zu viele Baustellen im Kinderbetreuungsbereich zu haben, da ansonsten bald überhaupt kein Durchkommen mehr möglich sein wird. Das sagte man dort.
Ich möchte noch einmal die politischen Initiativen nennen, über die wir alle diskutiert haben: Verpflichtender Kindergartenbesuch, kostenfreies letztes Kindergartenjahr, längere Öffnungszeiten,
Sprachförderung im Kindergarten, integrierte Familienberatung im Kindergarten, Bildungsund Fremdsprachenangebote für die Kleinen und nicht zuletzt eine bessere Berufsausbildung der Erzieherinnen und Erzieher. Da bekommt man schnell den Eindruck, dass das, was in den letzten Jahren versäumt wurde, innerhalb einer Legislaturperiode nachgeholt werden soll. Kein Wunder, dass sich die Betroffenen vor Ort oftmals überfordert und allein gelassen fühlen. In der Anhörung konnte man zumindest diesen Eindruck gewinnen.
Andererseits ist der Entscheidungsdruck durch das neue Elterngeld enorm. Bereits in zwölf Monaten läuft für die ersten Bezieher das Elterngeld aus. Diese Eltern haben nur zwei Möglichkeiten, nämlich die Erwerbstätigkeit auch nach Ende des Elterngeldbezugs weiterhin ruhen zu lassen, ohne dafür einen Cent als Ausgleich zu bekommen, oder wieder arbeiten zu gehen und zuzusehen, dass man das Kind irgendwie untergebracht bekommt. Auf Geld zu verzichten, wird jedenfalls für die wenigsten infrage kommen. Wie die ersten Daten zeigen, erhalten die Bezieher von Elterngeld ohnehin weit weniger Geld als erwartet. Das Elterngeld beträgt durchschnittlich nur 58 % des Nettoeinkommens, meldete die Presse am Montag. Es beträgt eben nicht 67 %, weil Weihnachts- und Urlaubsgeld unberücksichtigt bleiben und weil die Werbungskostenpauschale abgezogen wird. Es ist leider nicht das erste Mal, dass die Nutzer von Leistungen erst spät merken, dass die Wahrheit der Pressekonferenz nichts mit ihren Ansprüchen zu tun hat.
Die Eltern können nach Ende des Elterngeldbezugs die Betreuung von Sohn oder Tochter privat organisieren oder das Kind in eine liebevolle, zuverlässige und vor allem professionelle Obhut geben. Das halte ich natürlich für die beste Lösung. In den meisten Dörfern des Landes fällt die letzte Option allerdings flach. Es gibt schlicht und einfach keine Krippenplätze. Aber auch in den Städten sieht es nicht so gut aus. Daran wird sich in den nächsten 12 Monaten nichts Grundsätzliches ändern. Kein Landespolitiker kann bis dahin eine Betreuungsgarantie für Kinder unter drei Jahren geben. Auf dieses Problem hat der SSW bereits im Entscheidungsprozess um das Elterngeld aufmerksam gemacht und gesagt, man sollte das Geld lieber woanders hineinstecken. Leider ist inzwischen wertvolle Zeit verstrichen. Die Eltern müssen nun sehen, wie sie Betreuung organisieren.
Im Laufe eines Jahres werden wir keine ausreichenden Strukturen zur Verfügung stellen können. Es fehlen die qualifizierten Pädagogen, um neue Gruppen einzurichten. Der SSW hat in der Vergangen
heit immer betont, dass eine professionelle Kinderbetreuung hohen Qualitätsstandards genügen muss. Eine Standardverschlechterung wie beispielsweise die Ausweitung der Kinderzahl pro Gruppe ist mit uns nicht zu machen. Auch das Thema Tagesmutter haben wir im Landtag schon häufig angesprochen. Tagesmütter müssen selbstverständlich pädagogischen Kriterien genügen. Sie müssen qualifiziert werden und fachlich begleitet und unterstützt werden. Alles andere läuft auf ein Kinderparkhaus hinaus: Kinder rein und aufpassen, dass sie weder geklaut noch beschädigt werden. Solche Zustände will hoffentlich keiner.
Die demografischen Daten sollten keineswegs zum Aussitzen ermutigen, das dem Motto folgt: Mit sinkenden Kinderzahlen regelt sich das Problem von ganz allein. Was wir hier vorhaben, ist eine qualitative Ausweitung der Betreuungsstruktur, in die wir auch die jüngeren Kinder mit einbeziehen müssen. Wir wissen aber aus Berichten des Sozialministeriums, dass vor allem finanzschwache Kommunen so lange rechnen, bis bei ihnen kein Bedarf an Krippenplätzen mehr vorliegt. Sie können sich schlichtweg keinen Ausbau der Kinderbetreuung leisten. Eltern, die keinen Krippenplatz finden, sind dementsprechend zwangsläufig sehr erfinderisch bei der Organisation der Kinderbetreuung und gehen dabei meistens allein vor. Auch wenn es in einer Stadt oder in einem Dorf viele kleine Kinder gibt, findet sich nur in den seltensten Fällen eine private Initiative zur Gründung einer Krippe. Die finanziellen und bürokratischen Hürden sind einfach zu hoch.
Es gibt also einen enormen Schattenbedarf von allen Eltern, die ihre Kinderbetreuung nur notdürftig organisiert haben. Das merkt man spätestens dann, wenn eine Krippe aufmacht. Innerhalb von Tagen füllt sich die Anmeldeliste. Elternbefragungen bringen da kaum etwas. Wen will man auch befragen? Eltern mit kleinen Kindern, die aufgrund der Vorlaufzeit einer Krippe diese gar nicht mehr nutzen können? Potenzielle Eltern, die gar nicht wissen, wann sie Eltern werden und wann ein Bedarf bestehen könnte? Krippenplätze sind also angebotsinduziert. Findet sich ein Träger und öffnet eine Krippe, so sind die Plätze im Handumdrehen besetzt. Das alles führt zu einer Forderung nach einem Vouchersystem. In Hamburg hat man damit sehr gute Erfahrungen gemacht. Auch wenn es dort anfangs Schwierigkeiten gegeben hat, so glaube ich doch, dass das das beste System sein könnte.
Der SSW unterstützt die Bemühungen, ein zuverlässiges Finanzierungssystem zu etablieren. Ich möchte aber klarstellen, wie es nicht geht. Die
Kommunen können wir nicht wieder belasten. Auch eine Finanzierung von Familien für Familien beispielsweise durch die Senkung des Kindergelds oder die Änderung des Steuerrechts kommt für uns nicht infrage. Bei so einer Umverteilungsmaschinerie geht in der Regel sogar Geld verloren. Dagegen erscheint mir eine Steuerfinanzierung als die beste Lösung. Steuergeschenke an große Unternehmen sind dabei garantiert fehl am Platz. Dieses Geld sollte man lieber in die Kinderbetreuung investieren.
Ich danke Herrn Abgeordneten Lars Harms. - Für die Landesregierung hat nun die Bildungs- und Frauenministerin, Frau Ute Erdsiek-Rave, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Endlich ist dieses Thema in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Das ist wirklich gut so. Was ist das für ein volkswirtschaftlicher Unsinn, den wir uns leisten, indem wir junge Frauen teuer und gut ausbilden und ihnen anschließend den Eindruck vermitteln, wenn sie berufstätig sein wollen, dann können sie entweder ihren Beruf ausüben oder keine Kinder kriegen. Was für ein Unsinn ist das eigentlich?
Die Tatsache, dass dieses Thema in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, hat meiner Meinung nach aber auch ökonomische Gründe. Der ökonomische Druck steigt. Die Qualifikation junger Frauen wird in Zukunft gebraucht. Der demografische Wandel zwingt zu mehr frühkindlicher Bildung. Er zwingt gleichermaßen zu einer Steigerung der Qualität und der Quantität in der frühen Bildung und Betreuung. Es geht auch um die Ökonomie. Es geht nicht um eine frisch ausgebrochene Frauenfreundlichkeit in der Gesellschaft!
Die Chancen sind jetzt so gut wie nie zuvor. Sie sind gut für ein Bündnis aller Beteiligten von Bund, Ländern und Kommunen für die gemeinsame Finanzierung und für das Angebot einer tatsächlichen Wahlfreiheit. Meiner Ansicht nach sind die Chancen gut für einen Pakt zwischen Bund, Ländern und
Gemeinden zugunsten von Eltern und Kindern für mehr Bildung und Betreuung. Es darf nicht passieren, dass wir uns wieder im Gestrüpp der föderalen Zuständigkeiten verheddern. Es darf nicht passieren, dass die Finanzierung an unüberwindbaren und festgefahrenen Positionen scheitert. Es darf auch nicht passieren, dass am Ende außer dem Rauschen im Blätterwald und ein wenig gesellschaftlicher Bewusstseinserweiterung nichts geschieht.
- Darauf komme ich noch. Noch ist nicht klar, ob und in welcher Höhe und in welcher Form der Bund mitfinanzieren kann und will. Darüber soll sich die Große Koalition Mitte April verständigen. Bei einem Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für Kinder ab drei Jahren und beim TAG sind - jedenfalls in der Vergangenheit - durch Umsatzsteuer und Hartz IV-Reform die Mittel nicht wirklich zielgerichtet und nicht in der erwarteten Höhe in das System Kindertageseinrichtungen hineingegangen. Das ist auch meine Auffassung. Wir sind nicht nur in Schleswig-Holstein, sondern bundesweit noch ein großes Stück von einem bedarfsgerechten und bis 2010 zu realisierenden Angebot entfernt. Wir sind erst recht noch ein großes Stück von dem 35 %-Ziel entfernt, das die Bundesfamilienministerin ins Spiel gebracht hat.
Derzeit bereiten wir als zuständiges Ministerium das Bund-Länder-Gespräch am 2. April vor. Da soll es um die Versorgungssituation, um den Ausbaustand, um den Finanzierungsbedarf und um die Qualitätsentwicklung gehen. Es soll noch nicht um die Frage gehen, wie das finanziert werden soll. Klar ist, dass sehr viel Geld in die Hand genommen werden muss. Die Bundesfamilienministerin hat eine Zielmarke von 750.000 Plätzen für ein Drittel aller Kinder unter drei Jahren genannt. In Schleswig-Holstein stehen derzeit für 7,6 % aller Kinder Plätze zur Verfügung. In nackten Zahlen heißt das: 5.504 Kinder werden in Tageseinrichtungen oder in öffentlich geförderter Tagespflege betreut. Die Dunkelziffer bei den Tagesmüttern, die privat engagiert werden, ist natürlich größer.
Gegenüber 2002 hat sich also die öffentliche Versorgung verbessert. Das muss man auch sagen. Sie hat sich um 4 Prozentpunkte verbessert, das entspricht nahezu einer Verdoppelung. Wenn wir aber davon ausgehen, dass in Schleswig-Holstein in Zukunft ein Drittel aller Ein- bis Dreijährigen in einer Krippe betreut werden soll, dann bedeutet das, dass selbst unter Anrechnung der „demografischen Ge
winne“ jährlich 3.000 neue Krippenplätze erforderlich sind. Das wiederum entspricht in der Gesamtrechnung einem jährlichen Mehrkostenaufwand in einem hohen zweistelligen Millionenbereich.
Ich sage es noch einmal: Das können wir nur in einem Pakt zwischen Bund, Ländern und Kommunen für mehr Bildung und Betreuung schaffen.
Der Bund ist also in der Pflicht, Vorschläge zur Finanzierung auf den Tisch zu legen. Er muss dann zusammen mit den Ländern die gesetzlichen Grundlagen entsprechend ändern oder anpassen, damit es ab 2010 einen individuell einklagbaren, meiner Ansicht nach zunächst konditionierten Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz nach den Kriterien des TAG gibt. Der zweite Schritt wäre dann ein allgemeiner Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für alle Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr.
An dieser Stelle möchte ich etwas zur Verpflichtung der Kreise und kreisfreien Städte, Planungen durchzuführen und die Sache voranzubringen, sagen. Unsere letzte Umfrage ist hier schon genannt worden. Das Ergebnis ist bekannt. Es war und ist unbefriedigend. Die Äußerungen der Eltern in der aktuellen Diskussion - beispielsweise in den „Kieler Nachrichten“ - lassen sich mit diesen Rückmeldungen überhaupt nicht vereinbaren. Da heißt es, dass Angebote fehlen, dass sie überfüllt sind, dass sie nicht flexibel genug gestaltet sind. Ich frage mich, wie diese Differenz zwischen den Ergebnissen der Umfrage bei den Kreisen und dem, was jeder von uns beobachtet und was Eltern sagen, zustande kommt. Sind also die Kommunen und Träger wirklich ernsthaft an die Fragestellung, an die Aufgabenstellung herangegangen? Ich denke, das muss man sich schon fragen.
Ich sage Ihnen aber auch: Eine Umfrage ändert noch nichts an dem Ausbaustand, eine Umfrage sagt vielleicht etwas über den tatsächlichen Bedarf aus. Ich glaube schon, dass diese Zielmarke und die Prognose, für ein Drittel aller Kinder werden Plätze gebraucht, stimmt. Dafür brauche ich keine Umfrage, ich halte diese Prognose für richtig.
(Vereinzelter Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird aber von der Regierungskoalition beantragt!)