(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann man im Rahmen der Kommunalaufsicht machen! - Weitere Zuru- fe)
Herr Hentschel, ich verstehe diesen Satz so, wie ich das eben gesagt habe. Das ist nicht in Ordnung und
Zum zweiten Absatz, zum Bundesrat und zur Föderalismusreform möchte ich sagen: Die Kommission fängt jetzt gerade ihre Arbeit an. Im Jahr 2009 will sie sie abschließen. Wollen Sie ernsthaft den jungen Familien sagen: Nun wartet erst einmal ab, bis die Föderalismuskommission zu neuen Regelungen kommt? Das kann doch wohl nicht Ihr Ziel sein.
Ich sage noch einmal: Ich setze darauf, dass in die Diskussion jetzt eine große Dynamik hineingekommen ist, dass die Große Koalition in Berlin sich einen Weg überlegen wird, wie es zu einer gemeinsamen Finanzierung kommen kann, nach dem Motto: Wer so etwas bestellt, der muss es auch bezahlen. Ich finde, dann muss es zu einem Pakt zwischen allen Beteiligten kommen. Ich glaube, dann kommt ist das auch in Bewegung. Mit einem KleinKlein, einem Hickhack um Aufbaupläne und einer Abfrage bei den Kommunen kommen wir nicht weiter.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Wir haben eine etwas unübersichtliche Antragssituation. Deshalb frage ich in Richtung CDU-Fraktion, ob der Antrag auf Überweisung aufrechterhalten bleibt.
- Gut. Dann liegt ein Antrag auf Abstimmung vor, der von der SPD-Fraktion gekommen ist. Ich schlage abweichend von der Geschäftsordnung vor, beide vorliegenden Anträge als selbstständige Anträge zu behandeln, sodass wir alternativ über sie abstimmen können. Wenn es keinen Widerspruch gibt, werden wir so verfahren. - Wer dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 16/1296, zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe!
- Entschuldigung, Sie haben recht. Man sollte nicht auf den Zettel gucken. Wer dem Antrag der Fraktionen von CDU und SPD, Drucksache 16/1315, zustimmen will, bitte ich um das Handzeichen. Damit ist der Antrag Drucksache 16/1315 von CDU und SPD mit den Stimmen dieser beiden Fraktionen angenommen worden. Der Tagesordnungspunkt ist abgeschlossen.
Ich erteile der Ministerin für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren, Frau Dr. Gitta Trauernicht, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Fast wöchentlich haben uns in der letzten Zeit auch aus Schleswig-Holstein Nachrichten von neugeborenen Kindern ereilt, die keine Chance zum Leben bekamen. Sie wurden nach der Geburt weggeworfen, alleingelassen oder ermordet. Die Schicksale der tot aufgefundenen Neugeborenen, die Schicksale vernachlässigter oder von Gewalt betroffener Kinder gehen unter die Haut und lassen uns nicht zum Tagesgeschäft übergehen.
Die Landesregierung sieht es als eine ihrer vordringlichsten Aufgaben an, den Kinderschutz zu verbessern. Die Aufnahme der Kinderrechte in die schleswig-holsteinische Verfassung ist ein wichtiger Meilenstein, über den ich mich persönlich sehr freue.
Wichtig ist aber auch die Bereitstellung erforderlicher Hilfen für Kinder in Not. So begrüße ich, dass in der gestrigen Debatte deutlich wurde, dass es eine fraktionsübergreifende Unterstützung für ein umfassendes Landeskinderschutzgesetz Schleswig-Holstein gibt. Herzlichen Dank!
Die erschütternden Einzelfälle der jüngsten Zeit sind die Spitze eines Eisberges. Jahr für Jahr müssen in Schleswig-Holstein allein 50 Kinder unter drei Jahren aus ihren Familien in Obhut genommen werden, weil Gefahr für Leib und Leben droht. Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass 5 % bis 10 % unserer Kinder unter Vernachlässigung oder Misshandlung leiden. Kindesvernachlässigung - das wissen wir - betrifft alle Altersgruppen, aber besonders häufig sind Säuglinge und Kleinkinder betroffen. In Schleswig-Holstein sind dies bei Zugrundelegung der 5 % bis 10 % allein 3.500 bis 7.000 Säuglinge und Kleinkinder unter drei Jahren. Circa 500 Kindern werden bereits im ersten Lebensjahr von ihren Eltern die Früherkennungsuntersuchungen vorenthalten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Folgen von Vernachlässigung sind drastisch. Je jünger die Kinder sind und je tiefgreifender sie vernachlässigt werden, desto größer ist das Risiko nachhaltiger Schädigung. Vernachlässigte Kinder bleiben oft lebenslang beeinträchtigt. Das betrifft ihre kognitiven Fähigkeiten, aber auch ihre emotionale Entwicklung. Sie weisen - das zeigen Studien - unterdurchschnittliche Leistungen auf. Sie werden häufiger nicht versetzt als andere. Sie werden auf Sonderschulen verwiesen und - was mindestens genauso schlimm ist - sie haben oft ein niedriges Selbstwertgefühl. Sie schätzen sich selbst als wenig liebenswert ein und leiden häufiger unter Ängsten und Depressionen und sie richten - das werden einige von Ihnen auch kennen - ihnen angetane Gewalt häufig genug gegen sich selbst. Suizidalität und Suchterkrankungen sind Folgen von Vernachlässigung.
Frühwarnsysteme gegen Vernachlässigung und frühe Hilfen tun not. Der vorgelegte Bericht zeigt, dass der Kinderschutz in Schleswig-Holstein in Bewegung ist. Neben den bewährten vielfältigen Angeboten des Kinderschutzes in unserem Land ist das Landesprogramm „Schutzengel für Schleswig-Holstein“ auf den Weg gebracht worden. Alle 15 Landkreise und kreisfreien Städte sind gut vom Start weggekommen. Sie haben das Angebot des Landes auf Entwicklung vernetzter Hilfen zwischen Jugendhilfe und Gesundheitswesen unter Einbezug von Familien, Hebammen und bürgerschaftlichem Engagement engagiert aufgegriffen. Eine aktuelle Broschüre gibt Auskunft über den Stand des Programms „Schutzengel für Schleswig-Holstein“.
Unser kinderpolitisches Ziel ist klar: Wir wollen das Netz dichter knüpfen, damit möglichst kein Kind durchfallen kann. Wir wollen ein Signal setzen, das jedes Kind in Schleswig-Holstein willkommen ist, dass jedes einzelne Kind Chance auf ein gutes Leben haben soll, dass für jedes Kind das Recht auf Entwicklung zu einer eigenständigen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit sichergestellt werden soll.
Jedes einzelne Kind soll uns gleich viel wert sein. Wir sollten die Einzigartigkeit jedes der Jahr für Jahr 24.000 in Schleswig-Holstein neugeborenen Kinder achten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Rahmen der Reform des Sozialgesetzbuchs Kinderund Jugendhilfe wurde der Schutzauftrag der Jugendämter konkretisiert und auf die Träger der freien Jugendhilfe ausgeweitet.
Das kann - wenn es gut umgesetzt wird - eine neue Qualität im Kinderschutz bedeuten. Doch woran können die Helferinnen und Helfer Risikofamilien erkennen? Mit dieser und anderen Fragen beschäftigen sich die Fortbildungsangebote des Landesjugendamtes zum Thema Kindeswohlgefährdung und die Weiterbildungsangebote zur Kinderschutzfachkraft. In der nächsten Woche werden die ersten 25 ausgebildeten Kinderschutzfachkräfte in SchleswigHolstein ihr Zertifikat erhalten. Das ist ein wichtiger Einstieg für einen besseren Kinderschutz. Die Sensibilität für Kinder in riskanten Lebenslagen steigt. Dieses Wissen haben nicht nur die Kinderschutzfachkräfte, aber diese in besonderer Weise und sie werden es zu nutzen wissen.
Aus wissenschaftlichen Untersuchungen des Informationszentrums Kindervernachlässigung und Kindesmissbrauch vom Deutschen Jugendinstitut in München wissen wir, dass bei Armut, bei Sucht, bei psychischer Erkrankung in den Familien die Wahrscheinlichkeit von Misshandlung und Vernachlässigung der Kinder drei- bis vierfach erhöht ist. Ein jugendliches Alter der Mutter oder mehrere zu versorgende Vorschulkinder in Haushalten mit niedrigen Einkommen lassen ebenfalls ein erhöhtes Vernachlässigungsrisiko annehmen. Wir haben zur Kenntnis zu nehmen, dass wir in Schleswig-Holstein in den letzten zehn Jahren eine Verdoppelung der Teenagerschwangerschaften zu verzeichnen haben. Hier liegt ein Risiko für das Aufwachsen von Kindern. Aber auch bei Partnerschaftsgewalt, bei ausgeprägten Ohnmachtsgefühlen gegenüber dem eigenen Kind oder bei einer Geschichte eigener Misshandlung oder Vernachlässigung sind weitere Gefährdungen von Kindern zu erwarten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist Aufgabe der staatlichen Gemeinschaft, über die Ausübung der elterlichen Sorge zu wachen. Deshalb sind vorsorglich Hilfen für Kinder in riskanten Lebensverhältnissen vorzuhalten. Wir brauchen - das zeigen die Schicksale vieler, zu vieler Kinder - eine neue Qualität des Aufwachsens in öffentlicher Verantwortung.
Die Landesregierung will die Landkreise, die Städte und die Gemeinden bei der Erfüllung dieser Aufgabe unterstützen. Sie hat kürzlich ein Handlungskonzept „Frühe Hilfen für Familien und wirksamer Kinderschutz in Schleswig-Holstein“ beschlossen. Zentraler Baustein dieses Handlungskonzepts ist
ein eigenständiges Landeskinderschutzgesetz. Ein Landeskinderschutzgesetz soll präventive Angebote stärken und rechtlich absichern. Es soll neue Wege in der Verzahnung gesundheitlicher und sozialpädagogischer Hilfen fördern und es soll bei vorliegender Kindeswohlgefährdung konsequent Kinderrechten zur Durchsetzung verhelfen.
Die Landesregierung hat Eckpunkte als Diskussionsentwurf für ein Kinderschutzgesetz in Schleswig-Holstein vorgelegt, Ihnen allen zur Kenntnis gegeben und wird die Debatte mit Expertinnen und Experten eröffnen. Wir können dabei an Vorschläge und Vorstellungen anknüpfen, die in letzter Zeit im Landtag und in seinen Ausschüssen erörtert und geklärt werden konnten. Dabei sollten wir nicht die Schlachten von gestern schlagen, sondern gemeinsam die Zukunft von Kindern gestalten. Wir sollten die erhöhte gesellschaftliche Sensibilität für den Kinderschutz nutzen, denn besserer Kinderschutz ist nicht zum Nulltarif zu haben. Hier wird die Stunde der Wahrheit noch kommen, wenn es darauf ankommt, den Kinderschutz auch finanziell auszustatten.
Das Landeskinderschutzgesetz hat das Ziel, die vorhandene Infrastruktur im Kinderschutz abzusichern und den Ausbau lokaler Netzwerke zu fördern. Wir haben bewährte Angebote wie den Kinderschutzbund, die Kinderschutzzentren, Nottelefone und Zufluchtsstätten. All diese brauchen aber finanzielle Sicherheit durch ein Landesgesetz. Das Landesprogramm „Schutzengel für Schleswig-Holstein“ muss nach der Modellphase in die Regelpraxis eingehen. Wir müssen dauerhaft Kinderschutzfachkräfte ausbilden. Wir müssen Vereinbarungen zur Umsetzung des Schutzauftrages rechtlich vorsehen, um die Praxis vor Ort zu sichern. Wir müssen Früherkennungsuntersuchungen für alle Kinder verbindlich machen. Wir können hier nicht länger auf den Bund warten, weil er uns bei dieser Frage nicht helfen wird. Wir müssen in Schleswig-Holstein einen eigenen Weg gehen. Dazu müssen wir eine Meldepflicht für Ärztinnen und Ärzte und eine zentrale Früherkennungsstelle schaffen. Das haben wir im Bereich des Screenings für die Bekämpfung von Brustkrebs schon gemacht. Diesen Weg müssen wir auch in Schleswig-Holstein gehen. Wie wir wissen, wird auch das Geld kosten.
Wir müssen die Kooperation zwischen Jugendhilfe und Polizei sowie Justiz verbindlicher organisieren. Ich glaube, dass wir ein Kompetenzzentrum Kinderschutz brauchen. Wir sollten uns regelmäßig mit einem Kinderschutzbericht beschäftigen, um unser Wissen zu verbreitern, Transparenz herzustellen und den weiteren Handlungsbedarf zu klären.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, insgesamt brauchen wir eine neue Kultur des Hinsehens und der gemeinsamen Verantwortung für unsere Kinder, insbesondere für Kinder in Not. Das Motto unseres politischen Handelns muss lauten: Risiken früher erkennen, konsequenter handeln und verantwortungsvoll kooperieren. Das gilt für uns alle. Deswegen freue ich mich darauf, dass wir die bereits im letzten Jahr miteinander beschlossenen und begonnenen Wege zur Verbesserung des Kinderschutzes auch in Zukunft gemeinsam gehen werden. Ich hoffe im Interesse dieser Kinder, dass wir erfolgreich sein werden.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Schon oft haben wir uns mit der Thematik vernachlässigter und zu Tode gequälter Kinder im Landtag beschäftigt. Trotz Aufklärung zur Schwangerschaftsverhütung und Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs in bestimmten Fällen häufen sich die Meldungen von Tötung Neugeborener. Immer mehr Fälle von Misshandlungen und Missbrauch von Kindern kommen ans Tageslicht. Was ist das für eine Welt? Was haben wir - auch die Politik - falsch gemacht, wenn menschliches Leben und Respekt vor der Schöpfung nichts mehr zählen, wenn Schutzbefohlene, wehrlose Kinder vernachlässigt und Opfer von Gewalt oder gar getötet werden? Dies alles ist unbegreiflich und zweifellos ein Schandfleck in unserer ach so toleranten Gesellschaft, die sich mit dem Motto „leben und leben lassen, nicht hinschauen“ nur zu gern aus der Verantwortung stiehlt.
Die Bereitschaft, Verantwortung sowohl für das eigene Leben als auch für das der Kinder zu übernehmen, ist nicht nur eine Frage der finanziellen Möglichkeiten und der Lebensumstände. Hier spielen Sozial- und Erziehungskompetenz, Geborgenheit, Vertrauen und Familie eine wesentliche Rolle.
Die Vermittlung von Werten einer christlichen Gesellschaft ist auf der Strecke geblieben. Die traurige Realität und die Fakten erfordern ein Eingreifen der Politik, um das Leben der Kinder zu schützen, ihre körperliche und geistige Entwicklung zu fördern