Protokoll der Sitzung vom 22.03.2007

Ich bedanke mich bei allen Kolleginnen und Kollegen, die mit Anträgen und Anregungen dazu beigetragen haben, das Thema Kinderschutz in den Mittelpunkt vieler Beratungen gerückt zu haben. Ich danke auch der Landesregierung und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die Erstellung des vorliegenden Berichts.

(Beifall bei CDU und SPD)

Bereits mit dem Kinder- und Jugendaktionsplan Schleswig-Holstein vom 30. November 2005 wurden wesentliche Akzente zum Schutz und zur Gesundheitsvorsorge von Kindern gesetzt. Mit dem von CDU und SPD geforderten Bericht „Früher wahrnehmen, schneller handeln, besser kooperieren zum Wohle unserer Kinder“ vom 25. Januar 2006 das ist also vor einem Jahr gewesen - hat die Landesregierung in der 14. Tagung einen Bericht vorgelegt, der erste Projekte und Netzwerke zur Einrichtung eines Frühwarnsystems für gefährdete Kinder und Möglichkeiten der Hilfestellung für die Erziehungsberechtigten aufzeigte.

Parallel dazu wurde und wird auch der Gesetzentwurf - Herr Hentschel, Sie hatten ja gestern Sorge, dass der Entwurf in Vergessenheit geraten könnte der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Änderung des Gesetzes über den öffentlichen Gesundheitsdienst diskutiert. In der Sitzung des Sozialausschusses am 8. Februar 2007 haben wir uns parteiübergreifend darauf verständigt, die fachpolitischen Sprecher der Fraktionen zu bitten, dem Ausschuss auf der Grundlage vorhandener Gesetze und Entwürfe in anderen Bundesländern, zum Beispiel im Saarland, einen Formulierungsvorschlag für eine Gesetzesänderung vorzulegen und eine Beratung im Mai 2007 anzustreben.

Ich erwähne dies, um deutlich zu machen, dass wir gemeinsam bemüht sind, die unerträgliche Situation vernachlässigter Kinder und überforderter Eltern zu verbessern. Wenn wir den jetzt vorliegenden Bericht diskutieren, der Grundlage dieses Tagesordnungspunktes ist und die Fortschreibung des letzten darstellt, können wir feststellen, dass sich zwischenzeitlich doch schon einiges getan hat. Ergebnisse des Expertenhearings, das das Ministerium in Januar 2006 durchgeführt hat, und die Anhörung im Sozialausschuss im April 2006 waren hilfreich.

Die Öffentlichkeit - das war ganz wichtig - wurde für diese Thematik sensibilisiert. Alle Kooperationspartner tragen durch verantwortungsvolles, umsichtiges Handeln und Bildung von Netzwerken zum Schutz der Kinder bei.

(Ministerin Dr. Gitta Trauernicht)

In Schleswig-Holstein wurde das allseits gelobte Programm Schutzengel-Netzwerk sozialer und gesundheitlicher Hilfen für Familien seit Sommer 2006 mit Beteiligung aller 15 Jugendämter in den Kreisen und kreisfreien Städten bundesweit einmalig flächendeckend umgesetzt. Erfreulich ist, dass dabei auch die Kreise und kreisfreien Städte darüber hinaus selbst aktiv wurden und mit zahlreichen präventiven Hilfsangeboten und Bündnissen auch unter Einbeziehung ehrenamtlichen Engagements einen großartigen Beitrag leisten.

Im Kreis Nordfriesland hat sich - davon haben wir uns kürzlich mit dem Arbeitskreis Soziales überzeugen können - die Elternschule bewährt. Sie schafft neben vielen anderen Anlaufstellen eine Möglichkeit zur Förderung der Elternkompetenz.

Für ein verlässliches Frühwarnsystem muss es uns gelingen, mit niederschwelligen Angeboten das Mitwirken und Vertrauen von Eltern beziehungsweise Erziehungsberechtigen zu gewinnen.

Mit dem Bericht „Gesundheit von Kindern schützen, Gesundheitsvorsorge ganzheitlich und verbindlich organisieren“ hat die Landesregierung eine umfangreiche Bestandsaufnahme der Initiativen und Maßnahmen dokumentiert. Vieles wurde von der Ministerin schon genannt. Ich kann Ihnen allen nur raten: Lesen Sie diesen Bericht. Er ist ein kleiner Hoffnungsschimmer dafür, dass schon etwas getan wird. Er ist auch ein gutes Arbeitspapier für alle, die sich an der großen Aufgabe des Kinderschutzes beteiligen wollen und auch sollen und müssen mit dem Ziel, ein soziales Frühwarnsystem auf den Weg bringen.

Auch wenn länderübergreifende Problemstellungen für eine bundeseinheitliche Regelung sprechen, ist die Entscheidung richtig, nicht auf eine solche zu warten, sondern so schnell wie möglich auf Landesebene ein Konzept zu entwickeln, zumal die Umsetzung der erforderlichen Hilfen in jedem Fall Aufgabe der einzelnen Länder beziehungsweise der jeweiligen Kommunen sein wird.

Wir begrüßen die Initiative der Landesregierung, mit einem Kinderschutzgesetzgesetz einen weiteren Schritt nach vorn zu tun für die Gesundheit der Kinder im Land und ihren Schutz vor Gewalt und Vernachlässigung. Wir werden alle im Bericht aufgezeigten Maßnahmen und Gesetzentwürfe in den Fachausschüssen beraten und alle geeigneten Möglichkeiten ausschöpfen, die dem Wohl des Kindes dienen.

Vor diesem Hintergrund und dem Stellenwert der Kinder in unserer Gesellschaft hat meine Fraktion

zugestimmt, die Kinderrechte auch in der Landesverfassung zu verankern.

Ich möchte Teile der gestrigen Diskussion nicht wieder aufleben lassen. Wir haben mit unserem gestrigen Beschluss ein Zeichen gesetzt. Die Taten müssen folgen.

(Beifall bei CDU und SPD)

Das Wort für die SPD-Fraktion hat nun die Frau Abgeordnete Siegrid Tenor-Alschausky.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Schutz von Kindern vor Vernachlässigung hat uns schon in vielen Landtagsdebatten und Ausschussberatungen beschäftigt. Einige der vernachlässigten Kinder sind nicht anonym geblieben. Sie hatten Namen, hießen Jessica, Patrick, Dennis, Tim. Andere, Neugeborene, blieben sogar namenlos weggeworfen, in Plastiktüten gesteckt, gefunden in Müllsortieranlagen, in Sammelcontainern, auf Parkplätzen, gerade vor wenigen Tagen in Hamburg von einem Balkon eines Hochhauses auf einen Rasenplatz geworfen, in Kiel in einer Tiefkühltruhe abgelegt.

Dies sind Berichte über Schicksale, die uns, die die Gesellschaft betroffen, fassungslos machen. Und wir wissen es: Es gibt sie, auch in unserem Land, mitten unter uns: die Kinder, deren Namen wir nicht kennen, die aber gerade jetzt in höchster Gefahr sind, die von ihren Eltern vernachlässigt, misshandelt werden.

Alle Kinder haben, unabhängig von ihrer sozialen und ethnischen Herkunft, Anspruch darauf, gefördert und unterstützt zu werden, um gesund aufzuwachsen. Dafür tragen in erster Linie die Eltern die Verantwortung und sie erfüllen sie in den allermeisten Fällen. Die staatliche Gemeinschaft hat die Pflicht, Eltern die Wahrnehmung ihrer Aufgabe zu ermöglichen und sie zu unterstützen. Um das Kindeswohl zu gewährleisten und zu stärken, müssen alle zur Verfügung stehenden Mittel genutzt werden, insbesondere wenn die Kernfamilie versagt.

Ich freue mich, dass sich im Schleswig-Holsteinischen Landtag jetzt endlich eine breite Mehrheit dafür abzeichnet, den Schutz und die Förderung von Kindern und Jugendlichen in die Landesverfassung aufzunehmen.

(Beifall)

(Ursula Sassen)

Dadurch wird es leichter, den Schutz von Kindern und ihr Recht auf ein gutes Aufwachsen über das Recht der Eltern zu setzen.

Mit dem uns vorliegenden Bericht „Gesundheit von Kindern schützen - Gesundheitsvorsorge ganzheitlich und verbindlich organisieren“ haben wir eine sehr gute Grundlage für unsere weiteren Beratungen und erforderlichen Entscheidungen. Für diesen Bericht Ihnen, Frau Ministerin, und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern herzlichen Dank.

(Beifall bei SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Die staatliche Gemeinschaft hat den grundgesetzlichen Auftrag, Eltern die Wahrnehmung ihrer Aufgabe zu ermöglichen und sie zu unterstützen. Diese Verantwortung von Staat und Gesellschaft muss stärker als bisher wahrgenommen werden. Es bedarf eines neuen Verhältnisses von öffentlicher und privater Verantwortung für Erziehung, Betreuung und Bildung von Kindern.

Unter dem Dach des Kinder- und Jugendaktionsplans wurden bereits zahlreiche, erfolgreich wirkende Unterstützungs- und Hilfsangebote implementiert und ständig weiterentwickelt. Erfolgreich wirken diese Angebote, weil sie auf der verbindlichen Kooperation verschiedenster Akteure und dem Ausbau verlässlicher, ganzheitlich orientierter Netzwerke beruhen. Immer wieder und völlig zu Recht wird als gutes Beispiel das Programm „Schutzengel für Schleswig-Holstein“ genannt. Hilfsangebote werden angenommen, wenn sie niedrigschwellig sind, aber auch durch sie ist nicht sicherzustellen, dass alle Kinder vor Vernachlässigung zuverlässig geschützt werden.

Zur Frage einer möglichen Erweiterung und Umgestaltung der Früherkennungsuntersuchungen wird meine Kollegin Jutta Schümann Stellung nehmen.

Die SPD-Fraktion wird die Landesregierung bei der Umsetzung der bisher skizzierten Maßnahmen zum Schutz vernachlässigter und misshandelter Kinder unterstützen. Wir sind uns aber auch der Tatsache bewusst, dass die Befunde bei den Früherkennungsuntersuchungen nur Momentaufnahmen darstellen und dass auch eine 100-prozentige Teilnahme aller Kinder nicht sicherstellen kann, dass kein Kind in unserem Land vernachlässigt oder misshandelt wird. Deshalb kommt den Angeboten zur Unterstützung von Familien in belastenden Situationen, den konkreten Hilfsangeboten und einem niedrigschwelligen Zugang zu den zahlreich vorhandenen Beratungs- und Hilfsangeboten eine bedeutsame Rolle zu.

Es stimmt zuversichtlich, dass sich alle Kreise und kreisfreien Städte am Aufbau regionaler Netzwerke beteiligen, die helfen, dass das Kindeswohl gefährdende Entwicklungen früher wahrgenommen werden, verbindlich darauf reagiert wird und Institutionen zuverlässig übergreifend handeln. Hier gilt es, gemeinsam weiterzuarbeiten. Das von der Sozialministerin angekündigte Kinderschutzgesetz wird zu weiteren Verbesserungen beitragen und findet unsere Unterstützung.

(Beifall bei der SPD)

Wir hier im Landtag sind uns mit den Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker in der Grundsatzaussage einig, dass alle Kinder vor Vernachlässigung zu schützen sind. Die Verbesserung der Situation der Kinder, die unserer Aufmerksamkeit ganz besonders bedürfen, weil ihre Eltern ihr Wohl nicht sicherstellen, wird nicht ohne zusätzliche finanzielle Mittel zu erreichen sein.

Ich hoffe sehr, dass der Schutz der Kinder, eine immerhin grundgesetzlich und hoffentlich auch bald in unserer Verfassung verankerte Aufgabe, auch dann noch den bedeutenden Stellenwert haben wird, wenn es um die Finanzierung geht. Das Schicksal der Jessicas, Patricks und Tims darf nicht durch Geldmangel besiegelt sein. Der Schutz der Kinder, deren Eltern versagen, ist gesamtstaatliche Aufgabe und damit auch die unsere.

Ich danke der Frau Abgeordneten Tenor-Alschausky. - Das Wort für die FDP-Fraktion hat nun der Herr Abgeordnete Dr. Heiner Garg.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie sprachen von der gestrigen großen Einigkeit hinsichtlich der Eckpunkte zu einem Entwurf eines Kinderschutzgesetzes, also zu einem Entwurf, der uns, bis auf die Eckpunkte, noch gar nicht vorliegt. Ich möchte hervorheben: Gestern bestand insbesondere Einigkeit darüber, die Rechte von Kindern und Jugendlichen in die Landesverfassung von Schleswig-Holstein aufzunehmen, und ich möchte nicht, dass das untergeht, so wie das gestern wegen dieses unsäglichen Koalitionsklamauks der Fall war. Mir ist wichtig, dass genau daran erinnert wird, worin die Einigkeit besteht.

(Beifall bei der FDP)

Zudem sagen Sie, wir sollten einen Kinderschutzbericht haben. Liebe Frau Ministerin, Sie sind seit

(Siegrid Tenor-Alschausky)

knapp drei Jahren Ministerin dieses Landes. Wer hat Sie eigentlich in den vergangenen knapp drei Jahren davon abgehalten, diesem Parlament einen Kinderschutzbericht abzugeben? Ich finde es, offen gestanden, merkwürdig, wenn solche Worte gerade aus Ihrem Munde kommen.

(Beifall bei der FDP - Zuruf des Abgeordne- ten Peter Eichstädt [SPD])

- Ja, lieber Kollege Eichstädt, wenn man sich wirklich ernsthaft für die Kleinsten einsetzt, so muss man auch kritisch damit umgehen, damit auch wirklich etwas geschieht und damit wir uns nicht alle hinterher an den Händen fassen und sagen „gut gemacht!“ und in der Realität wird dann wieder kaum etwas umgesetzt.

Darum geht es mir. Es ist nicht nur die Pflicht der Opposition, kritisch nachzufragen, sondern, gerade, wenn solche Ankündigungen gemacht werden, auch einmal zu fragen, was in den letzten drei Jahren eigentlich ganz konkret geschehen ist. Insoweit hat die Kollegin Tenor-Alschausky jede Menge mehr erzählt als die zuständige Ministerin in der doppelten Redezeit. Auch das gehört zur Wahrheit dazu.

(Beifall bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit über einem Jahr debattieren wir darüber, wie gesundheitliche Störungen, Fehlentwicklungen, Vernachlässigungen und Misshandlungen von Kindern nicht nur frühzeitig erkannt, sondern auch von vornherein verhindert werden können. Netzwerke, wie sie im „Schutzengel“-Projekt in Flensburg etabliert worden sind und jetzt landesweit geschaffen werden sollen, sind Maßnahmen, um Defizite möglichst früh zu erkennen und rechtzeitig gegenzusteuern.

Welche Hilfen können aber darüber hinaus angeboten werden? Wie können Defizite in der Entwicklung der Kinder überhaupt erkannt werden, wenn die Eltern dieser Kinder solche Beratungsangebote überhaupt nicht wahrnehmen? Welche gesellschaftlichen, sozialen und letztlich staatlichen Kontrollmechanismen können und müssen wir etablieren, um diese kleine, aber leider steigende Zahl von Kindern schneller und zielgenauer zu erreichen?

Immerhin wurden 2005 allein in Schleswig-Holstein 99 Fälle von Kindesmisshandlungen zur Anzeige gebracht. Bisher wurde bei allen Vorsorgeund Hilfsangeboten immer auf die Freiwilligkeit der Eltern gesetzt. Das ist grundsätzlich der richtige Ansatz, denn 98 % aller Eltern nehmen die Angebote wahr. Was ist aber mit denjenigen, die die vorhandenen freiwilligen Hilfsangebote ignorieren,

und sei es aus Scham davor, dass man als Eltern versagt haben könnte? Wie können Defizite in der Entwicklung der Kinder überhaupt erkannt werden, wenn sie bei den entsprechenden Stellen erst gar nicht bekannt werden?

Wenn diese Ausgangsfragen nicht beantwortet werden können, laufen die vorhandenen Angebote ins Leere. Damit rutschen Kinder von Anfang an durch das vorhandene Netz von Hilfsangeboten und tauchen erst zur Schuleingangsuntersuchung wieder auf, schlimmstenfalls erst dann, wenn es zu spät ist und der Tod des Kindes mehr oder weniger zufällig festgestellt wurde. Dies hat die Kollegin Tenor-Alschausky sehr eindrucksvoll geschildert.