Weder der schwarze Block noch die Nazis sind Verbündete der Gipfelgegner. Verbündete sind die Polizeibeamten, die ihr Recht auf friedliche Demonstration sichern sollen. Das sind die wirklichen Verbündeten in dieser Situation.
Lassen Sie mich auch etwas zur Debatte um die Deeskalation sagen. Es gibt keine vernünftige Alternative zur Deeskalation. Denn Deeskalation heißt nicht Schwäche, heißt nicht Willfährigkeit, heißt nicht Defensive, sondern Deeskalation heißt friedliche Demonstrationen zuzulassen, Kontrollen durchzuführen und gegen Gewalt konsequent einzuschreiten. Es ist keine Provokation, wenn irgendwo ein Polizeiauto steht. Es ist eine Frechheit, das so darzustellen. Das ist eine Schutzbehauptung für Gewalttaten an anderer Stelle.
Und Genua, der G-7-Gipfel damals, lehrt, dass der Gegensatz dazu, wenn auf friedliche Demonstranten eingeprügelt würde, kontraproduktiv ist und bewirkt, dass sich dann diejenigen mit Gewalttätern solidarisieren, von denen wir das eben genau nicht wollen. Wir wollen, dass sie in die Minderheit gedrängt werden, dass sie ausgegrenzt werden, weil Gewalt kein zulässiges Mittel von Protest ist. Im Übrigen schadet es auch denjenigen, die inhaltlich etwas bewirken wollen, weil dann eben nicht über Hunger oder Umweltzerstörung geredet wird, sondern weil dann über die Gewalt von Chaoten gegen Polizeibeamte geredet wird. Das ist falsch. Und deshalb sage ich, es gibt keine vernünftige Alternative zur Deeskalation. Unsere Polizeibeamten in Schleswig-Holstein sind auch genauso ausgebildet, dass sie das immer als Ziel verfolgen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Großveranstaltungen wie der G-8-Gipfel in Heiligendamm müssen mit großem Aufwand gesichert werden. Das ist notwendig und an sich nicht kritikwürdig. Kritikwürdig und fraglich ist aber, ob es so schlau ist, Orte auszuwählen, an denen man weder die Sicherung vernünftig durchführen, noch friedlich vernünftig demonstrieren kann. Das ist nicht besonders klug, aber das Kind ist jetzt im Brunnen. Das ist aber ein Punkt. Die Spirale des immer größer werdenden Sicherheitsaufwandes, immer mehr Polizeibeamte, immer mehr Kosten, immer mehr Medienaufregung, lässt einen schon fragen, ob man nicht am Ende zu dem Eindruck kommt, der Staat schützt sich vor seinen Bürgern. Ich glaube, das ist keine Sache, die man ad infinitum fortsetzen kann. Die Weltprobleme müssen diskutiert werden, aber wir müssen Wege finden, dass das nicht diese Form von Spektakel annimmt.
Lassen Sie mich als Vorletztes, als Beleg meiner These, dass es nicht Polizei allein ist, sagen: Bei der Fußballweltmeisterschaft, die ich damit nicht vergleichen will, gab es viele Beschwörungen im Vorwege, was da alles passieren wird. Es gab viele Sicherheitsmaßnahmen, aber es hat sich Zweierlei gezeigt: Die Mehrheit der Menschen in diesem Land, Millionen von Menschen, haben nicht nur den Rechtsextremisten die Fahnen entrissen - nach dem Motto: als ob das deren Monopol sei -, sondern sie haben gezeigt, dass sie friedlichen Sport haben wollen und fröhliche Veranstaltungen mit fröhlichen Polizeibeamten. Das heißt, Gewalttäter hatten in dieser Situation überhaupt keine Chance. Man kann das nie ausschließen, aber die Mehrheit der Bevölkerung hat gezeigt, was sie will. So ist es auch hier. Ich glaube, je mehr Menschen sich friedlich engagieren, umso schwieriger ist es für die kleine Minderheit, die etwas anderes will, sich durchzusetzen. Natürlich werden wir immer auch Polizei brauchen, immer Kontrollen brauchen, immer auch Sicherheitsmaßnahmen brauchen.
Ein Letztes: Verbote und Grundrechtseinschränkungen durch Gerichte und Politik mögen populär sein. Und ich akzeptiere ausdrücklich: Wenn das Bundesverfassungsgericht entscheidet, entscheidet es. Ich glaube aber, dass am Ende allein der Glaube, lass uns einfach die Verbotsschraube drehen, eher die Inhalte von Politik diskreditiert. Darüber freuen sich die Nazis und die Gewalttäter, denen geht es nämlich nicht um politische Ziele. Wir sollten die Gegner unserer Rechtsordnung mit allen Mitteln bekämpfen, die unser Rechtsstaat vorsieht, und sollten ansonsten versuchen, dass über die Inhalte von Politik gestritten werden kann. Wir sollten unsere Polizeibeamten unterstützen, die diese schwere Arbeit zu leisten haben und ihnen und uns allen wünschen, dass das in dieser Woche einigermaßen friedlich über die Bühne geht und wir nicht Bilder haben, die um die Welt gehen, die nicht nur für unser Land nicht schön sind, sondern vor allen Dingen auch für die Leidtragenden, die Polizeibeamten. Für die habe ich Verantwortung, deshalb ist mir das auch die allererste Sorge. Der eine oder andere, der törichte Ratschläge oder Vorschläge macht, der sollte sich das vielleicht noch einmal überlegen.
Ich danke dem Herrn Innenminister für den Bericht und eröffne die Aussprache. Das Wort für den Antragsteller, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, hat nun der Herr Abgeordnete und Fraktionsvorsitzende Karl-Martin Hentschel.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben hier einen eigenen Antrag eingebracht, weil es nicht ausreicht, den G-8-Gipfel nur als Sicherheitsproblem zu betrachten, wie es in dem Berichtsantrag der Großen Koalition zum Ausdruck kommt.
Der G-8-Gipfel ist ein Ereignis, das weltweit Diskussionen auslöst, denen wir uns stellen müssen. Fast die Hälfte der deutschen Bevölkerung sieht Globalisierung mittlerweile als eine Bedrohung an. Wenn wir als Politiker darauf keine Antworten geben, dann reden wir an den Sorgen der Menschen vorbei. Das betrifft nicht nur die Hungernden in Afrika, das betrifft auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Telekom hier in Schleswig-Holstein, die in den Streik treten, weil ihre Löhne gedrückt werden sollen und von denen der Betriebsratsvorsitzende auf der Demonstration in Rostock geredet hat.
Das betrifft Millionen von Geringverdienern, die einen Mindestlohn fordern. Das betrifft die Bauern, wenn die Agrarpreise gesenkt und die Subventionen abgebaut werden sollen - worüber wir hier schon diskutiert haben.
Das betrifft unsere Deiche, wenn in der Antarktis Eisschilde von der Größe europäischer Staaten ins Rutschen kommen. Und das betrifft auch unsere Demokratie, wenn eine paranoide Angst vor Terroristen und Gewalttätern dazu führt, dass immer neue Einschränkungen unserer mühsam gewonnenen Freiheitsrechte gefordert und dann auch von den Parlamenten verabschiedet werden.
Gewalttaten sind zu verurteilen - und das tue ich uneingeschränkt. Ich war am Wochenende in Rostock. Ich kann bestätigen, dass die Polizei sich überwiegend an die verabredete Deeskalationsstrategie gehalten hat.
Das begrüße ich. Die Polizei ist nicht der Schuldige. Gerade die schleswig-holsteinische Polizei ist seit Jahren für eine Philosophie der Bürgerfreundlichkeit und Deeskalation bekannt,
die bundesweit anerkannt ist. Ich freue mich, dass der Minister bestätigt hat, dass das so bleiben soll.
Ich begrüße auch die Worte von Minister Stegner, als er sagte, dass die Polizei nicht nur zum Schutz des G-8-Gipfels dort ist, sondern auch, um das Grundrecht der Demonstrationsfreiheit zu verteidigen.
Ich teile auch die Kritik an dem Bündnis, das dort zur Demonstration aufgerufen hat, das sich im Vorfeld der Demonstration nur unklar gegen bestimmte Gruppen abgegrenzt hat. Ich glaube aber, dass das Problem in Rostock nicht war - vielleicht auch aus dem Grund; Sie haben geschildert, wie das bei der Fußballweltmeisterschaft war -, dass wir zu viele Demonstranten hatten, sondern eher, dass wir zu wenige hatten.
Gerade wegen dem, was in Rostock geschehen ist, darf meiner Überzeugung nach jetzt nicht die Diskussion über die Gewalttaten einer Minderheit das Anliegen der großen Mehrheit in den Hintergrund rücken.
Ich halte es für ganz entscheidend und es ist immer wieder der gleiche Fehler, der in solchen Situationen gemacht wird: Zigtausende von Menschen gehen auf die Straße und demonstrieren für die Zukunft. Es waren Zigtausende von jungen Menschen, die friedlich demonstriert haben, die sich deutlich in ihrem Erscheinungsbild und auch in den Momenten, als die Steine geworfen wurden, distanziert haben. Sie sind teilweise dazwischengegangen und haben teilweise was über den Kopf bekommen. Diese Zigtausend Jugendlichen mit ihrem Anliegen dürfen wegen der 2.000 Schläger, die dabei waren und nun versuchen, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, vergessen werden.
Denn wenn man das tut, gibt man genau denen recht. Dann sorgt man dafür, dass am Schluss nur noch über die Schläger geredet wird, und genau das ist es, was sie erreichen wollen. Wenn man das tut, kommen junge Menschen letztlich auf die Idee, das Randale sinnvoll ist, weil man mit ihr die mediale Aufmerksamkeit erregt. Genau das ist das Falsche.
Wir wollen, dass das, was die friedlichen Demonstranten vortragen, in die Öffentlichkeit kommt. Sie haben sich schließlich seit Monaten auf ihre Aktionen vorbereitet. Wir wollen, dass das rüberkommt. Denn das ist es, was uns am Herzen liegt.
(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Anke Spoorendonk [SSW] - Dr. Johann Wadephul [CDU]: Was ist mit den Zigtausend verletz- ten Polizisten?)
Meine Damen und Herren, ich glaube, die Kritik am G-8-Gipfel ist berechtigt; deswegen haben wir es auch in unseren Antrag geschrieben. Und dies gilt nicht nur wegen der unzureichenden Beschlüsse.
Zu kritisieren ist, dass sich acht Staaten treffen und immer mehr dazu übergehen, politische Beschlüsse unter Umgehung der legitimen Gremien der EU zu fassen. Denn die acht Staaten der G 8 präsentieren zwar 65 % des Bruttosozialprodukts der Welt, aber sie repräsentieren nur 13 % der Weltbevölkerung. Die G-8-Länder haben keine Legitimation, allein Entscheidungen über die Gestaltung der Globalisierung zu treffen.
Meine Damen und Herren, fast alle Parteien hier im Saal jammern seit Jahren über den Schwund von Jugendlichen und die geringe Wahlbeteiligung. Insofern sollten wir uns meiner Meinung nach darüber freuen, dass Zigtausende von Jugendlichen losziehen, um für globale Gerechtigkeit, für wirksamen Klimaschutz und gegen immer mehr Überwachung durch Polizei und Geheimdienste zu protestieren.
Das, was in Rostock stattgefunden hat, ist die größte politische Jugendbewegung, die wir in den letzten 20 Jahren erlebt haben.
Dieses Engagement von Jugendlichen, die für ihre Zukunft demonstrieren, ist trotz der erschreckenden Begleitumstände erst einmal ein Grund zur Freude darüber, dass sich so viele Menschen so engagieren.
Und wer die unzähligen Plakate gegen Schnüffelhunde, gegen Polizeikontrollen, gegen den elektronischen Personalausweis, gegen den Bruch des Briefgeheimnisses und so weiter gesehen hat, der sollte sich ernsthaft fragen, ob unser Land dadurch sicherer wird. Auch Präsident Bush glaubte, er würde die Welt sicher machen, als er in den Irak einmarschierte. Heute pfeifen es die Spatzen selbst in jedem konservativen Dorf in Amerika vom Dach, dass Bush damit dem Terrorismus den größten Gefallen getan hat. Er hat Tausende und Abertausende Menschen in der Welt in die Fänge der Terroristen getrieben. Deshalb dürfen wir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten.
Wenn politisch aktive Jugendliche den Eindruck gewinnen, dass ihr Engagement unerwünscht ist und kriminalisiert wird, wenn Parlamente in Berlin und in Kiel und auch der Bundesinnenminister ständig nach Sicherheitsgesetzen rufen und Polizeigesetze beschließen, die nahezu von allen Juristenvereinigungen als verfassungswidrig bezeichnet werden, wenn Überwachungsmaßnahmen gegen Jugendliche, Mitbürger und Journalisten eingesetzt werden, weil diese ihre demokratischen Rechte wahrnehmen, dann schafft das kein Vertrauen bei der Jugend.
Damit leisten wir einen Bärendienst an unserer Demokratie und treiben engagierte Jugendliche geradezu gewalttätigen Rädelsführern in die Arme.
Meine Damen und Herren, der Protest der Demonstranten gegen die Unfähigkeit der Regierungen zu einer engagierten Klimapolitik sowie Dritte-WeltPolitik trifft auch die Landesregierung SchleswigHolstein. Diese Regierung hat bisher keine konkreten Maßnahmen und Schritte eingeleitet. Sie leistet nicht mehr als Bush. Statt den Weg ins solare Zeitalter zu gehen, will sie eine Renaissance der Kohleverbrennung einleiten.
Dieses Parlament hat mit seiner großen Mehrheit bisher alle Klimaanträge der Opposition ohne Ausnahme entweder abgelehnt oder in die Ausschüsse verschoben.
Diese Globalisierungskritik trifft die Regierung aber auch in anderen Fragen. Einer der Punkte, die mich besonders geärgert haben - das muss ich einmal sagen, meine Damen und Herren -, ist, dass diese Regierung sämtliche Mittel im Haushalt für die Entwicklungszusammenarbeit in SchleswigHolstein gestrichen hat. Die Landesregierung lässt ausgerechnet die Menschen, die sich ehrenamtlich für eine gerechte Weltordnung, für eine Zusammenarbeit mit Entwicklungsinitiativen in Afrika, Lateinamerika und Asien engagieren, im Regen stehen. Mich erstaunt das. Mich erstaunt es gerade deswegen, weil diese Arbeit ganz besonders von den Kirchen getragen und finanziert wird und wir jetzt eine Partei in der Regierung haben, die das Wort „christlich“ sogar im Namen trägt. Ich fordere deshalb die Regierung und den Landtag auf, den Protest gegen den G-8-Gipfel ernst zu nehmen.