Die Wahl der Grundschule, oft verbunden auch mit der Wahl des Wohnsitzes, entscheidet vielfach über die tatsächlich zu realisierenden Bildungschancen. Wo, wie vor allem städtischen Bereich, solche Alternativen verfügbar sind, werden sie auch konsequent von den Eltern gesucht und gewählt.
Der zweite wesentliche Faktor ist die Art und Weise, wie die jeweilige Schule an ihre Aufgaben herangeht. Wenn eine - ich sage es einmal so salopp Taxi-Pädagogik nach dem Motto betrieben wird, man müsse die Kinder da abholen, wo sie stehen, und wenn dies nicht zugleich mit konsequenten Anstrengungen verbunden wird, die Bildungsziele mit intensiver Förderung tatsächlich zu erreichen, dann fällt das Ergebnis im schlimmsten Falle katastrophal aus. Ich habe in den letzten Jahren viele Gespräche mit Eltern geführt, in denen mir Beispiele für solche Problemfälle an Grundschulen geschildert worden sind.
Wenn Schulen zum Beispiel die Praxis pflegen, Rechtschreibfehler erst vom vierten Grundschuljahr an zu korrigieren - das gibt es -, wenn sie also aufgrund eines nach meiner Überzeugung falschen Verständnisses von kindgerechter Schule vorher, in den ersten Schuljahren gerade, in der Eingangsphase, möglichst keine Anforderungen stellen, dann bleiben vor allem jene Kinder im Abseits, bei denen die Eltern nicht in der Lage sind, die Versäumnisse der Schule auszugleichen. In diesen Fällen sitzen nämlich jene Eltern, die es können und wollen, nachmittags mit ihren Kindern zu Hause und üben Lesen, Schreiben und Rechnen und gleichen das aus, was die Schule nicht leistet, oder sie heuern Nachhilfelehrer an, um dies zu tun. Kinder aus bildungsfernen Schichten erhalten diese Chance in aller Regel nicht und die sind dann die Verlierer bei einer solchermaßen gestalteten Grundschularbeit.
Wenn zum Beispiel in einer Grundschule die Kinder zu Beginn der zweiten Klasse bereits fließend lesen können, während in einer anderen Schule in
der selben Stadt bei durchaus vergleichbarem Einzugsbereich am Anfang der zweiten Klasse noch nicht einmal das Alphabet vollständig durchgenommen worden ist, dann wird das enorme Eingangsgefälle zwischen Grundschulen auch hier in diesem Lande deutlich. Im Übrigen spricht sich das zwischen den Eltern bereits in der Kindergartenzeit ihrer Kinder herum. Die entsprechenden Erfahrungen, die man in der Regel von anderen Eltern aus dem Stadtteil vermittelt bekommt, führen dann auch zu den entsprechenden Entscheidungen, ob man diese Grundschule oder jene Grundschule wählt. Ich habe nicht den Eindruck, Frau Erdsiek-Rave, dass die Schulaufsicht diesen Sachverhalt in hinreichender Weise wahrnimmt und entschlossen darauf hinarbeitet, die Diskrepanzen, die Probleme zumindest zu verringern.
Ich darf abschließend aus der Mitgliederzeitung der GEW Schleswig-Holstein, Ausgabe 6/2007 zitieren, in der es unter dem Themenschwerpunkt Grundschulen unter anderem heißt: „Der Anspruch, so zu differenzieren, dass tatsächlich alle Schülerinnen und Schüler erreicht werden, von lernbehindert bis hochbegabt, ist kaum einzulösen und wird“ - ich ergänze: von den Lehrkräften -„als persönliches Unvermögen wahrgenommen.“ Auch dieses Problem, so meine ich, gilt es bei der Frage, wie man in der Grundschule, auch in der neuen flexiblen Eingangsphase, erfolgreich Bildung vermitteln kann, anzugehen. Dafür gilt es Lösungen bereitzustellen. Hier gibt es in diesem Lande eindeutig für die Schulen nicht die Hilfen, die sie tatsächlich benötigen.
Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Klug, das Thema Ihrer Rede war wohl Kritik an der Wahlfreiheit der Grundschule. Ich habe weite Teile Ihrer Rede in Bezug auf das Thema, mit dem wir uns gerade befassen, überhaupt nicht verstanden. Vielleicht drucken Sie das einmal aus. Dann wird mir das möglicherweise klar werden.
Meine Damen und Herren, die flexible Eingangsphase der Grundschule fügt sich nahtlos in das von den Koalitionsfraktionen beschlossene Konzept der
individuellen Förderung der Schülerinnen und Schüler ein. In Kindertagesstätten, Grundschulen und den weiterführenden Schulen der Sekundarstufe I wird zukünftig dieses Konzept greifen, um möglichst alle Schülerinnen und Schülern zu einem für sie passenden Abschluss zu führen, ohne dass die Qualität der Abschlüsse sinkt.
Da Beurlaubungen vom Schulbesuch der 1. Klasse laut Schulgesetz nur noch aus gesundheitlichen Gründen möglich sind, ist es notwendig, auf die weiter zunehmende Heterogenität und die unterschiedlichen Entwicklungsstände der Schülerinnen und Schüler in der 1. Klasse der Grundschule zu reagieren. Die flexible Eingangsstufe der Grundschule, die dazu führt, dass die Jahrgangsstufen der Klassen 1 und 2 in ein bis drei Jahren durchlaufen werden können, ohne dass diese Verlängerung auf die Gesamtzahl der Schulbesuchsjahre angerechnet wird, ist die notwendige, jetzt auch durch das Schulgesetz festgelegte Antwort auf die unterschiedlichen Entwicklungsstände und Lernvoraussetzungen der einzelnen Schülerinnen und Schüler.
Diese werden weiter bestehen, trotz oder gerade wegen der weitgehenden Zurückführung der Rückstellungen, nicht nur deshalb, weil die Schülerinnen und Schüler zu Beginn ihrer Schulzeit zwischen sechs und sieben Jahren alt sind, sogenannte KannKinder vielleicht aber auch deutlich unter sechs Jahren und beurlaubte Kinder vielleicht schon das 8. Lebensjahr vollendet haben, sondern auch wegen der unterschiedlichen Entwicklung und Lernvoraussetzung in Abhängigkeit von persönlichen Umständen und familiären Voraussetzungen.
Unabdingbar für die individuelle Förderung in der Grundschule ist die Zusammenarbeit zwischen Kindertagesstätte und Grundschule, die durch die Neuformulierung des Kita-Gestzes im Dezember 2005 von den Koalitionsfraktionen institutionalisiert wurde. Der Bildungsauftrag der Kindertagesstätten - in allen Kitas nach meiner Erfahrung in unterschiedlicher Ausprägung inzwischen realisiert -, die Sprachförderung vor der Schule, die Information zwischen Kitas und Schule, alle diese Maßnahmen tragen dazu bei, den Schülerinnen und Schülern der ersten Klasse den Übergang zwischen Kita und Grundschule zu erleichtern, und bilden die notwendigen Voraussetzungen für einen erfolgreichen Einstieg und Durchlauf durch die Grundschule.
Entscheidend für den Erfolg sind aber letztlich die Arbeit der Lehrkräfte und ihre Unterstützung durch uns und die Landesregierung.
Der Bericht stellt einige Beispiele für die Handhabung der flexiblen Eingangsstufe in der Versuchsphase dar. Aus allen Beispielen wird deutlich, dass der organisatorische und pädagogische Aufwand erheblich ist, dass die Schulen unterschiedliche Konzepte - entsprechend ihrer Ausgangslage und ihrer soziostrukturellen Voraussetzungen - entwickelt haben. Wir sollten ihnen diese Freiheiten in der Ausgestaltung belassen, zumal mit der Einführung der Verlässlichen Grundschule und der Vergleichsarbeiten sowie mit der Einführung von Englisch ab der 3. Klasse und der Umschreibung der Schulprogramme und deren Darstellung im Internet ein erheblicher Mehraufwand auf die Schulen zugekommen ist.
Es ist zu hoffen, dass sich mit der Durchführung der flexiblen Eingangsstufe in Verbindung mit der individuellen Förderung landesweit die Anzahl der Kinder verringert, die die Eingangsstufe in drei Jahren durchlaufen. Es ist auch zu hoffen, dass sich der Anteil der Kinder, die die Eingangsstufe in einem Jahr durchlaufen, erhöht. Erst dann werden wir mit der flexiblen Eingangsstufe Erfolg haben und von einer gelungenen Förderung der Schwachen, aber auch der Starken sprechen können.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mich den Äußerungen meiner Vorrednerin nur anschließen, Herr Dr. Klug.
- Lassen Sie doch diesen unqualifizierten Quatsch! - Ich beurteile die Äußerungen genauso. Es handelt sich hierbei um eine Kritik an der Grundschule, Herr Dr. Klug. Dabei müssen Sie berücksichtigen, dass die Idee, alle Kinder, gleich welcher sozialen Herkunft, wenigstens in den ersten Schuljahren gemeinsam zu unterrichten, noch keine hundert Jahre alt ist. In Deutschland wurde sie durch das Grundschulgesetz von 1920 reichsweit eingeführt. Manchmal habe ich bei Ihnen den Eindruck, als wollten Sie hinter diese Zeit zurück.
Jahren deutlich erfahren, als die internationale Grundschulleseuntersuchung IGLU den jüngsten deutschen Schülern bescheinigte, dass sie im internationalen Vergleich gut abschnitten, während sie mit 15 Jahren im Rahmen der OECD auf einen gerade einmal durchschnittlichen Wert zurückgefallen sind. Wir arbeiten daran, auch das zu verändern. Das bedeutet aber nicht, dass wir uns nicht weiterhin mit der Grundschule befassen. Denn nichts ist so gut, dass es nicht noch besser werden könnte.
Im Rahmen der Neuordnung unseres Schulsystems stand zwar das System Grundschule nie infrage. Aber auch über der Grundschule steht die Leitfrage, wie wir die Förderung jedes einzelnen Kindes verbessern können und wie wir es vermeiden können, dass wertvolle Lebens- und Lernzeit vergeudet wird.
So etwas löst immer wieder Verunsicherung aus. In Schleswig-Holstein hat es in der Vergangenheit einen geradezu peinlich hohen Anteil von Kindern gegeben, die vom Schulbesuch zurückgestellt wurden. Dieser Prozentsatz konnte seit den frühen 90er-Jahren bereits von 14,7 % auf 3,5 % entscheidend reduziert werden. Im Petitionsausschuss haben wir uns mit einer Reihe von Eingaben beschäftigt, die verlangen, die bisherige Rückstellung wieder einzuführen. Davon habe ich berichtet. Ich denke jedoch, dass es eine richtige Entscheidung war. Entsprechend der Philosophie, dass nicht das Kind schulreif, sondern die Schule kindreif sein muss, wird es nur für eine überschaubare Zahl von Kindern die Möglichkeit einer Beurlaubung geben.
Das Bildungsministerium hat auch klargestellt, dass Kinder, die für längere Zeit von der Einschulung beurlaubt werden, nicht in ein Loch fallen, wie es zu Anfang hieß. Die Rechtslage ermöglicht es ihnen, weiterhin in einer Kindertagesstätte betreut und gefördert zu werden.
Die Grundschule ist von einer Heterogenität des Alters gekennzeichnet. Der Abstand zwischen fristgerecht eingeschulten Kindern, die maximal sieben Jahre und einen Monat und minimal sechs Jahre und einen Monat alt sind, ist in den höheren Jahrgängen der weiterführenden Schulen nicht mehr sehr erheblich; bei kleineren Kindern ist er es natürlich. Dieser Abstand kann sich auch weiter vergrößern, wenn jüngere Kinder auf Antrag der Eltern vorzeitig eingeschult und wenn Kinder nach einer Beurlaubung mit Verspätung in die Klasse aufgenommen werden.
Der Bericht des Bildungsministeriums gibt einen detaillierten Überblick über verschiedene Modelle, wie die Eingangsphase der Grundschule in Jahrgangsklassen oder in jahrgangsübergreifenden Lerngruppen organisiert werden kann. Sehr anschaulich wird dies in den verschiedenen Projektbeschreibungen, die dem Bericht beigegeben sind.
Natürlich wird es auch künftig nur sehr wenige Kinder geben, die die Eingangsphase in nur einem Jahr durchlaufen. Der Prozentsatz schwankt derzeit zwischen 0,1 % und 0,2 %. Die Zahl der Schüler, die drei Jahre benötigen, ist etwas höher; sie schwankt zwischen 1,3 % und 2,1 %, aber auch dies ist der Ausnahmefall, wie wir sehen.
Lassen Sie mich abschließend - das gehört auch dazu - ein Wort des Dankes an unsere Grundschullehrerinnen - es sind überwiegend Lehrerinnen - und an unsere Grundschullehrer sagen, die - nicht nur an den im Bericht dargestellten Schulen - sichergestellt haben, dass unsere jüngsten Schüler die Grundschuljahre mit Erfolg hinter sich gebracht haben und gut vorbereitet in die weiterführenden Schulen übergehen können.
Ich beantrage, den Bericht der Landesregierung zur abschließenden Beratung und Diskussion an den Bildungsausschuss zu überweisen.
Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich dem Herrn Abgeordneten Karl-Martin Hentschel das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe eine leicht abweichende Auffassung zu dem Thema.
Ich möchte zunächst sagen, dass ich die Arbeit der Grundschulen, die zurzeit wirklich die einzig gemeinsam operierenden Gemeinschaftsschulen im Land sind, auch als erfolgreich erachte. Dort werden die Kinder tatsächlich gemeinsam und nicht in getrennten Kursen unterrichtet. Dass die Grundschulen erfolgreich arbeiten, haben auch die Untersuchungen gezeigt. Bei verschiedenen Besuchen von Grundschulen habe ich selber erlebt, welch hervorragende Arbeit dort teilweise geleistet wird.
Unser Ziel ist es, die Kinder in der Gemeinschaftsschule nicht mehr nach Leistung, sondern nach Alter zu sortieren. Das heißt, wir wollen die Binnendifferenzierung einführen und die Kinder nach ihren individuellen Fähigkeiten fördern. Das geht unserer Meinung nach besser, wenn wir jahrgangsübergreifend unterrichten. Die Berichte von verschiedenen Schulen, die bereits jahrgangsübergreifend unterrichten, zeigen, dass es ein erfolgreiches Konzept ist. Es ist auch spannend, weil die jüngeren Kinder von den älteren und die schwächeren von den stärkeren lernen. Insofern stärken sie sich gegenseitig. Dazu gibt es übrigens schon ältere Studien über Schulen auf dem Lande, in denen jahrgangsübergreifend unterrichtet worden ist. Das ist ausgesprochen erfolgreich und das sollte gestärkt werden.
Wenn man sich für dieses Konzept entscheidet jetzt gehe ich auf Herrn Dr. Klug ein -, muss man allerdings auch gewährleisten, dass Schulen in sozialen Brennpunkten personell verstärkt werden. Das ist in den skandinavischen Ländern der Fall.
Also, ich fordere, dass die Kinder gemeinsam unterrichtet werden und dass sie individuell gefördert werden. Die Kinder sollen nach Alter und nicht nach Leistung sortiert werden. Wenn Schulen besonders viele schwache Kinder oder besonders viele Kinder aus sozial schwachen Familien haben, dann muss man diesen Schulen eine besondere Förderung zuteil werden lassen.