Protokoll der Sitzung vom 12.11.2008

- Ich komme gleich darauf. - Wir erleben es gerade umgekehrt beim Bund, der sich anheischig macht, eine Bundessteuerverwaltung installieren zu wollen. Wir erfahren gerade, wie so etwas aussehen kann, dass es nämlich im Wochenrhythmus neue Verkündungen gibt. Hier besteht, so denke ich, das gleiche Problem, nur in umgekehrter Richtung. Das halte ich für falsch.

(Beifall bei CDU und FDP)

Es fehlt also der ordnungspolitische Rahmen, und es fehlt selbstverständlich auch die wirtschaftspolitische, die konjunkturpolitische Einordnung. Ich kann nicht recht verstehen, dass wir jetzt einer Familie, die sich für 150.000 € eine Eigentumswohnung kauft, sagen: 1.500 € mehr Grunderwerbssteuer, und dann überreichen wir ihr gleich ein Antragsformular, mit dem sie für energetische Maßnahmen am Haus 1.200 € Zuschuss beantragen kann. Die verbleibenden 300 € brauchen wir als Verwaltungsgebühr, um diese Steuer einzunehmen und den Antrag zu bearbeiten. Mit Verlaub: Welch ein Unsinn!

(Beifall bei CDU und FDP)

(Anke Spoorendonk)

Deshalb sage ich völlig klar: Wir haben in den letzten drei Jahren jeden Euro ungeplanter Steuermehreinnahmen, die wir durch steuerpolitische Maßnahmen eingenommen haben - denken Sie an die Mehrwertsteuer, denken Sie an manche Bereiche in der Lohn- und Einkommensteuer - zur Senkung der Neuverschuldung eingesetzt. Jeden Euro. Das ist der einzige Punkt, an dem ich mich in dem Sinne, wie es Tobias Koch dargestellt hat, mit einer solchen Steuererhöhung anfreunden könnte. Aber die beiden anderen Bedingungen müssen auch noch erfüllt sein: Es muss auch ein klarer ordnungspolitischer Rahmen vorhanden sein, und es muss auch wirtschafts- und konjunkturpolitisch in die Landschaft passen, aber es wird nur zur Senkung der Verschuldung eingesetzt.

(Beifall bei CDU und FDP)

Ich danke dem Herrn Finanzminister. - Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Es ist beantragt worden, den Gesetzentwurf Drucksache 16/2285 dem Finanzausschuss zu überweisen. Wer so abstimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist so beschlossen.

Wir unterbrechen die Sitzung und setzen sie um 15 Uhr mit Tagesordnungspunkt 24 - AKW Brunsbüttel - fort. Die Sitzung ist unterbrochen.

(Unterbrechung: 12:58 bis 15:03 Uhr)

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die Sitzung wieder. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich sehr herzlich auf der Besuchertribüne den Sozialverband Deutschland, Ortsverband Bargteheide, und den SSW Kiel-Nord, Ortsverein Holtenau, begrüßen. - Seien Sie uns sehr herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich darf ergänzend zu den Krankmeldungen von heute Morgen noch den Fraktionsvorsitzenden von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Herrn Abgeordneten Karl-Martin Hentschel, als erkrankt melden und ihm von hier aus gute Besserung wünschen.

(Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 24 auf:

AKW Brünsbüttel wegen fehlenden Schutzes gegen Terrorattacken stilllegen

Antrag der Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/2300

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache und erteile für den Antragsteller Herrn Abgeordneten Detlef Matthiessen das Wort.

Danke sehr, Frau Präsidentin! - Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wer im Jahre 2000 vor Gericht die Genehmigung einer kerntechnischen Anlage beklagt hätte - zum Beispiel als Nachbar oder Nachbarin -, hätte folgendes Szenario benennen können: Eine größere Gruppe von Terroristen mit Pilotenausbildung kapern gleichzeitig fünf vollbesetzte Verkehrsflugzeuge und lenken diese in einer selbstmörderischen Aktion auf verschiedenen Ziele, unter anderem auf ein oder mehrere Atomkraftwerke, und die Klägerin verlangt Schutz vor terroristischen Angriffen gegen das in der Nachbarschaft gelegene Atomkraftwerk. Dann hätte das Gericht erklärt: Wir beschäftigen uns nicht mit jeder Idee eines Science-fiction-Autors. Dies gehört nicht in den Bereich der praktischen Vernunft. Es ist ein Restrisiko, über das man philosophieren kann, das aber nicht Grundlage der Auslgung einer kerntechnischen Anlage werden kann.

Nach den terroristischen Flugzeugangriffen auf das World Trade Center am 11. September 2001 ist klar geworden, dass selbst schwer vorstellbare Bedrohungsszenarien Realität werden können. Nach diesen Ereignissen ist der atomrechtliche Begriff „jenseits der praktischen Vernunft“ und damit die Einstufung als Restrisiko weggefallen.

Der erforderliche Schutz gegen Störmaßnahmen und sonstige Einwirkungen Dritter ist gemäß § 7 des Atomgesetzes zu gewährleisten, und die Auslegung kerntechnischer Anlagen der Sicherungskategorie I müssen solchen Szenarien standhalten. Das ist atomrechtlich völlig unstrittig.

Tatsache ist jedoch, dass die deutschen Atomkraftwerke gegen Terrorattacken nackt dastehen. Sämtliche technischen und politischen Konzepte haben sich als nicht belastbar erwiesen. Das Atomkraftwerk Brunsbüttel ist dabei in besonderem Maße gefährdet.

(Minister Rainer Wiegard)

Man wollte Stahlbetonsäulen aufbauen, um den Schräganflug zu verhindern. Das sogenannte Stelen-Konzept wurde aufgegeben.

Man wollte Atomkraftanlagen vernebeln. Bei Windstärke 4 oder 5 Beaufort fliegen Flugzeuge noch, aber der Nebel auch: Er fliegt nämlich davon. Das muss man sich vorstellen: Die Terroristen fliegen eine gekaperte Verkehrsmaschine in Richtung Atomkraftwerk, dann eine plötzliche Vernebelung, die Piloten verlieren die Orientierung und fliegen so lange planlos im Nebel umher, bis sie von der Luftwaffe abgeschossen werden.

So ungefähr waren wohl die Vorstellungen. Diese Vernebelungstechnik wurde ursprünglich zum Schutz von beweglichen militärischen Zielen wie Panzern oder Fregatten entwickelt. Ein Atomkraftwerk kann sich aber weder zurückziehen noch verstecken. Wer glaubt ernsthaft, dass sich ein Terrorpilot, der gezielt und entsprechend vorbereitet ein AKW anfliegt, von Nebelschwaden ablenken lässt? Die Navigationsgeräte zum Blindflug sind mehrfach redundant ausgelegt und nicht einfach zu stören.

Hinzu kommt, dass mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz klargestellt wurde, dass der Abschuss eines Verkehrsflugzeugs durch die Bundeswehr verfassungswidrig ist. Es mangelt nicht an Aktivitäten gegen Terrorgefahren. Der Bundesinnenminister ist da ganz eifrig bis übereifrig. Er schießt regelmäßig über die Verfassungsgrenzen hinaus. Das zeigt nicht nur das erwähnte Urteil des Bundesverfassungsgerichtes in Sachen Luftsicherheitsgesetz vom 15. Februar 2006. Auch die Online-Durchsuchung wurde im Februar 2008 kassiert, das Urteil gegen automatisierte Erfassung von Kfz-Kennzeichen oder der Beschluss gegen die Vorratsdatenspeicherung - all dies ist kassiert worden. Diesem Übereifer der schwarz-roten Bundesregierung steht eine merkwürdige Trägheit in Sachen atomarer Sicherheit gegenüber.

Das mag seine Ursachen haben; vielleicht die Absicht, auch bei den ältesten AKWs, den Spitzenreitern in der Pannenstatistik, die Restlaufzeiten zu verlängern, mag ein mögliches Motiv liefern. Bei der Sicherung potenzieller Angriffsziele wird vergleichsweise wenig unternommen. Atomkraftwerke sind durch ein radioaktives Inventar, das Atombomben um ein Vielfaches übersteigt, Anlagen mit einem gigantischen Risikopotenzial. Gefahr besteht immer aus dem Produkt von Eintrittswahrscheinlichkeit und Größe des Risikos. Die zuständigen Behörden haben das erkannt. Nicht umsonst sind

Gutachten in Auftrag gegeben und Konzepte entwickelt worden, die sich allerdings als untauglich erwiesen haben. Daraus folgt: Atomkraftwerke in Deutschland sind nicht gegen gezielte Flugzeugabstürze - als nur eines von mehrten denkbaren Gefährdungsmodellen - gesichert.

Wir fordern die Landesregierung und die Aufsichtsbehörde auf, die Betriebsgenehmigung für das AKW Brunsbüttel wegen fehlenden Schutzes gegen Terrorattacken zu widerrufen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Rechtlich redet man vom Voraussetzungsfortfall. Im Atomgesetz heißt es im § 17 dazu schlicht: „Genehmigungen und allgemeine Zulassungen können zurückgenommen werden, wenn eine ihrer Voraussetzungen bei der Erteilung nicht vorgelegen hat“. Oder - in Absatz 3 -: „Genehmigungen und allgemeine Zulassungen können widerrufen werden, … wenn eine ihrer Voraussetzung später weggefallen ist und nicht in angemessener Zeit Abhilfe geschaffen wird.“ Ohne Zweifel ist die Bedrohung durch den Terrorismus heute neu zu bewerten. Dies muss atomrechtliche Konsequenzen haben.

Wir fordern die Landesregierung zum Handeln auf.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich hoffe und möchte gern, dass unser Antrag an den zuständigen Ausschuss überwiesen wird; das ist in unserem Haus der Sozialausschuss.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich danke Herrn Abgeordneten Detlef Matthiessen. - Das Wort für die CDU-Fraktion hat nun Herr Abgeordneter Jens Magnussen.

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dokumentiert eindrucksvoll, dass die Grünen wieder den Einstieg zum Hauptwahlkampfthema gefunden haben. Herr Matthiessen bezieht sich in der Begründung des Antrags auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. April 2008 und führt dazu aus, dass terroristische Anschläge auf Atomkraftwerke etwa durch gezielte Flugzeugabstürze oder mit panzerbrechenden Waffen nicht mehr ausgeschlossen werden.

(Detlef Matthiessen)

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Panzer! Die kom- men mit Panzern!)

Der Kläger hingegen wendet sich im Wesentlichen gegen die atomrechtliche Genehmigung zur Aufbewahrung von Kernbrennstoffen aus dem Kernkraftwerk Brunsbüttel im dazugehörigen Standortzwischenlager. Die Zwischenlagerung von Brennelementen auf dem Kernkraftwerksgelände ist den Betreibern gemäß Atomgesetz zur Vermeidung von Transporten im Jahr 2002 auferlegt worden. Dieser Vorgang ist durch gesetzliche Genehmigungsverfahren unter Berücksichtigung der begleitenden öffentlichen Einspruchsverfahren geregelt und schlussendlich am 23. November 2003 mit einer befristeten 40-jährigen Genehmigung zur Realisierung auferlegt worden. Die Investitionen am Standort Brunsbüttel betragen 30 Millionen €. Hier an dieser Stelle fordere ich dann auch die politische Rückendeckung im Interesse der investierenden Betreiber ein.

(Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um Sicherheit, nicht um Wirtschaftlichkeit!)

Durchlaufende Genehmigungsverfahren sollten dann sachliche und inhaltliche Rechtssicherheit geben. Die deutschen Genehmigungsverfahren sollten die Planungssicherheit geben, die erforderlich ist, um Investitionen in unserem Land tätigen zu können. Neben dem bislang nicht vorliegenden Urteil des Oberverwaltungsgerichts Schleswig steht auch noch der Behördenbescheid im Verwaltungsverfahren des Sozialministeriums und der dortigen Atomaufsichtsbehörde aus.

Weiter beruft sich der Kollege Matthiessen auf das Gutachten von Frau Dr. Cornelia Ziehm aus Oktober 2008, welches im Auftrag von EUROSOLAR erstellt wurde und Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zieht. Das Gutachten bezieht sich unter anderem auf die Bedrohungslage, wobei hier bereits die Frage zu stellen ist, ob es sich bei den terroristischen Bedrohungsszenarien tatsächlich um ein völlig neues Phänomen handelt. Durch unzählige konkrete Anforderungen und behördliche Auflagen - zum Beispiel an die Flugsicherheit durch staatlicherseits ergriffene Maßnahmen - wird der erfolgreiche Angriff mit einer entführten Passagiermaschine auf ein Kernkraftwerk bereits im Vorfeld praktisch ausgeschlossen.

Eine zusätzliche Abwehr von konstruierten Terrorangriffen wird durch Maßnahmen der Kernkraftwerksbetreiber gewährleistet beziehungsweise

sind in Planung und Abstimmung mit den zuständigen Behörden. Es sind Maßnahmen, die die Erfolgswahrscheinlichkeit eines Angriffs faktisch reduzieren. Hier Details auszuplaudern, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, wäre so, als ob Sie Ihr Vermögen in einen Safe legen und jedem den Geheimcode offenbaren würden. Also, gehen Sie so realistisch, objektiv und vor allem verantwortungsvoll

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Man darf sie auch nicht überfordern!)

mit so sensiblen Themen wie Terrorismus um, wie es deren Aufklärung und Abwehr gebührt!

(Beifall bei CDU und FDP)

Im Ergebnis ist ein erfolgreicher Angriff auf ein Kernkraftwerk mit einem entführten Verkehrsflugzeug so unwahrscheinlich, dass das verbleibende, nur theoretische Restrisiko eines solchen Angriffs weitere Maßnahmen der Aufsichtsbehörde oder gar den Genehmigungswiderruf nicht rechtfertigen könnte. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil übrigens nicht geprüft, ob der Schutz vor Terrorangriffen auf kerntechnische Einrichtungen ausreichend gewährleistet ist, sondern dem OVG Schleswig aufgegeben, diese Überprüfung vorzunehmen.