Protokoll der Sitzung vom 10.09.2010

Denn es kann nicht angehen, dass die Länder für die Sicherheit zuständig sein sollen. Auch da wollen Sie jetzt noch etwas verändern. Auch da wissen Sie zwar noch nicht wie, aber: Wir werden etwas verändern. Und das alles, ohne die Länder zu beteiligen, die nämlich die Aufsichtspflicht haben und die Aufsicht übernehmen müssen. Dann sagen Sie den Ländern: Bitte schön, macht es noch einmal ein bisschen schärfer, macht es noch ein bisschen sicherer. - Aber Krümmel darf dann noch vierzehn Jahre weiterlaufen, Brunsbüttel darf auch noch acht Jahre weiterlaufen, ohne wirklich festzulegen, wo welche Sicherheitsmaßnahmen eingebaut werden sollen. Das ist einfach nur ideologisch eine Politik, die den großen Konzernen mehr Geld in die Tasche bringen soll.

Wenn ich mir Ihr Gutachten ansehe, so steht in dem, was bis jetzt heraus ist, nichts, aber auch gar nichts drin, wie Sie sich wirklich vorstellen, zukünftig die Energiepolitik in diesem Lande, in der Bundesrepublik Deutschland, voranzubringen und auf welcher Basis Sie das machen wollen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und SSW)

Ich hoffe ganz inständig, dass wir eine Bundesratsinitiative bekommen, dass unsere Landesregierung das im Bundesrat ablehnen wird. Da vertraue ich ganz auf Herrn Kubicki und auf Herrn Schmalfuß.

(Olaf Schulze)

Herr Kubicki, noch einmal ganz kurz zu Ihnen. Wir beide haben eines gemeinsam,

(Zurufe von der CDU und FDP: Oh, oh!)

Sie in der Atomenergie, ich in der Kohlefrage. Wir sind beide Leute, die etwas voranbringen wollen, leider in der Berliner Politik nicht gehört werden. Da geht es Ihnen wie auch mir. In diesem Sinne hoffe ich, dass wir uns beide im Sinne des Landes durchsetzen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und SSW)

Für die FDP-Fraktion erteile ich jetzt dem Herrn Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Kubicki das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist doch wieder schön, dass die Sozialdemokraten ihre Hoffnung nun in mich setzen, nachdem sich das gestern völlig anders angehört hat.

(Heiterkeit und Beifall bei FDP und CDU)

Aber in allem Ernst, man hat bei einigen der Beiträge lediglich das Gefühl, dass der Heilige Geist sein Unwesen getrieben hat und es nicht mehr darum geht, rationale Argumente auszutauschen, sondern mit moralischen Argumenten die Diskussion zu erledigen. Herr Kollege Habeck, es gibt rationale Argumente, und ich versuche, sie vorzutragen.

(Zuruf des Abgeordneten Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Aber ich weiß nicht, wie Ihre Moralvorstellungen im Übrigen sind, Herr Kollege Matthiessen. Das will ich auch gar nicht weiter wissen. Sie können Ihr Leben gestalten, wie Sie wollen, aber in der Politik sollte man gelegentlich mit rationalen Argumenten operieren.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dass die Koalitionsfraktionen dieses Landtages unterschiedliche Auffassungen haben, was die Laufzeit von Kernkraftwerken angeht, war vor der Wahl bekannt, war nach der Wahl bekannt. Wir haben uns im Koalitionsvertrag darauf verständigt, dass wir jedenfalls gemeinsam dafür eintreten wollen, dass die Reststrommengen von älteren Meilern auf neuere Meiler übertragen werden, weil das einen Sinn macht. Zu dieser Haltung steht diese Koalition.

Ich möchte mich mit dem Atomkompromiss der Bundesregierung gern auseinandersetzen und Ihnen erklären, warum meine Fraktion und warum ich selbst große Zweifel daran haben, dass es sich hierbei um ein sinnvolles Vorgehen handelt.

Zunächst zur Verlängerung der Laufzeiten! Dass wir eine generelle Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken ablehnen, ist bekannt. Warum nun aber willkürlich die Laufzeiten der Kraftwerke, die vor 1980 ans Netz gegangen sind, pauschal acht Jahre und die der jüngeren pauschal um vierzehn Jahre verlängert werden, erschließt sich mir nicht. Dafür gibt es auch keine Begründung.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dass die störanfälligen Meiler die gleiche Laufzeitverlängerung erhalten wie Meiler, die einwandfrei gearbeitet haben, lässt sich kaum rational begründen. Sehr bedauerlich ist zudem, dass die Bundesregierung nicht wenigstens die Erhöhung der Reststrommengen von einer vorherigen Verwirklichung der sicherheitstechnischen Ertüchtigungsmaßen abhängig gemacht hat. Bemerkenswert empfinde ich auch, dass die Verlängerung der Laufzeiten in Jahren in eine erhebliche Erhöhung der Reststrommengen umgerechnet wird. Bis 2016 wird eine Nennleistung von 95 % erwartet. Dieser Wert wird in der Wirklichkeit nur selten erreicht. Später wird die fiktive Strommenge auf 90 beziehungsweise 85 % der Jahresnennleistung gesenkt. Ich würde einmal sagen, das ist ein Taschenspielertrick, um die Reststrommengen künstlich nach oben zu schrauben.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens. Durchsetzung des Gesetzgebungsverfahrens im Bundesrat. Aus verfassungsrechtlicher Sicht bedarf eine gesetzliche Erhöhung der Reststrommengen der Zustimmung des Bundesrats. Das ist meine feste Überzeugung. Die wird sich im Zweifel auch durchsetzen. Wer sich vertieft mit dem juristischen Thema auseinandersetzen möchte, dem empfehle ich den Aufsatz des ehemaligen Bundesverfassungsgerichtspräsidenten Hans-Jürgen Papier, der Ende September in der „Neuen Zeitschrift für Verwaltungsrecht“ erscheinen wird. Ich habe ihn bereits, und bin auch gern bereit, ihn dem zur Verfügung zu stellen, der ihn lesen möchte.

Drittens: Finanzielle Kompensation der Reststrommengenerhöhung. Für die Erhöhung der Reststrommengen wird die Bundesregierung eine

(Olaf Schulze)

Brennelementesteuer in Höhe von 2,3 Milliarden € beschließen. Zu kritisieren ist hier insbesondere, dass die Steuer als Betriebsausgabe geltend gemacht werden kann und somit für Steuerausfälle allein bei der Körperschaftsteuer in Höhe von 345 Millionen € sorgen wird.

(Beifall bei FDP, SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Das Aufkommen aus der Körperschaftsteuer fällt übrigens zu 50 % den Ländern zu. Ich bin gespannt, wie die Bundesregierung uns erklären will, dass wir unseren Konsolidierungskurs einhalten sollen, wenn auf diese Art und Weise wiederum Steuermindereinnahmen generiert werden.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zusätzlich werden die Kommunen durch entgangene Gewerbesteuereinnahmen belastet. Bei einem angenommenen Hebesatz von 350 % entgehen den Gemeinden dadurch Steuern in Höhe 281 Millionen € jährlich. Übrigens: Wie überhaupt die 2,3 Milliarden € erreicht werden sollen, obwohl der Steuersatz für ein Gramm Kernbrennstoff von 220 auf 145 € gesenkt wurde, ist mir bisher auch nicht ganz klar.

Unerklärlich ist weiterhin, weshalb sowohl die Brennelementesteuer als auch die Sonderabgabe für die erneuerbaren Energien in einer Gesamthöhe von 1,4 Milliarden € bis 2016 begrenzt sind. Das ursprüngliche Ziel, damit mindestens die Hälfte des anfallenden Gewinns durch die Reststrommengenerhöhung zu absorbieren, wird damit kaum erreicht werden können. Die Konzerne sind mit diesem Kompromiss besser davon gekommen, als sie selbst erwartet hatten.

(Vereinzelter Beifall bei FDP und SPD)

Die Erhöhung der Reststrommengen verstärkt schon aus wettbewerbsrechtlichen und kartellrechtlichen Gründen das Oligopol der vier großen Konzerne auf dem Energiemarkt, insbesondere gegenüber den kommunalen Stadtwerken.

Die Behauptung, dass Atomstrom günstig ist, lässt sich bei einer Vollkostenberechnung schwer begründen. Die Einbeziehung aller notwendigen Kosten - wie des Transportes und der Endlagerung des radioaktiven Materials - lässt den Atomstrom sogar relativ teuer wirken, immer noch preiswerter als den Solarstrom, aber trotzdem relativ teuer.

Sie wissen, CDU und FDP in Schleswig-Holstein haben in der Frage der Laufzeitverlängerung für

Kernkraftwerke unterschiedliche Auffassungen, wobei wir einig sind in dem Bestreben, Strommengen von älteren auf jüngere Kernkraftwerke zu übertragen. Sollte, was wir als FDP-Fraktion glauben, eine Bundesratszustimmung zur Laufzeitverlängerung notwendig sein, wird sich SchleswigHolstein wegen unterschiedlicher Auffassungen der Koalitionspartner im Bundesrat enthalten.

Aber es wird wegen der Frage der Bundesratsbefassung auch keine Klage Schleswig-Holsteins vor dem Bundesverfassungsgericht oder eine Beteiligung hieran geben, da auch hier die Koalitionspartner unterschiedliche Auffassungen haben. Ich bitte, dies schlicht und ergreifend zu respektieren. Ansonsten, denke ich, hat der Schleswig-Holsteinische Landtag relativ wenige eigene Kompetenzen, im Atomgesetz etwas zu regeln.

Ich würde mich freuen, wenn diejenigen, die klagen wollen, wie die Grünen als Bundestagsfraktion -

(Dr. Robert Habeck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tun wir!)

- Dann werden wir das Ergebnis sehen, Herr Kollege Habeck. Entweder unsere Auffassung setzt sich durch, dann muss der Bundesrat zustimmen. Oder sie setzt sich nicht durch, dann sind wir gar nicht gefragt. Das Weitere werden wir sehen, wenn es so weit ist.

(Beifall bei der FDP)

Für die Fraktion DIE LINKE erteile ich der Frau Abgeordneten Ranka Prante das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich hätte von meinem Grundgefühl her nicht gedacht, dass ich Herrn Kubicki diesmal in der Aussage, die er gemacht hat, einfach nur zustimmen kann.

(Zuruf von der FDP: Das hat er nicht ver- dient!)

Doch heute bei diesem Thema, denke ich, müssen wir einfach irgendwie zeigen, dass wir zusammenhalten und uns für die schleswig-holsteinische Bevölkerung einsetzen.

(Beifall bei der LINKEN und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schleswig-Holstein ist erneuerbar. Die Atomkraft kann in Schleswig-Holstein sofort abgeschafft wer

(Wolfgang Kubicki)

den. 49,3 % des produzierten Stroms exportierten wir, obwohl zwei der drei AKWs im Jahr 2007 nur zur Hälfte am Netz waren. Die Beschlüsse der Bundesregierung zu den Laufzeitverlängerungen sind für uns als Atomkraftgegner völlig inakzeptabel, und die Auswirkungen für das Land SchleswigHolstein und unsere Energiepolitik sind verheerend.

Wir werden nicht müde, die unverzügliche und unumkehrbare Stilllegung aller Atomkraftwerke und den Einstieg in eine hundertprozentig erneuerbare und gemeinwohlorientierte Energieversorgung zu fordern.

(Beifall bei der LINKEN)