Protokoll der Sitzung vom 20.01.2016

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ver- einzelt SPD und SSW)

Das liegt daran, dass die Taten schwer überprüfbar und leider auch entsprechende Gesetzesvorgaben nicht ausreichend sind. Ich möchte nur daran erinnern, wie lange es gedauert hat, die Vergewaltigung in der Ehe zu bestrafen, und dass Frauen in Deutschland auch heute, wenn sie Opfer sexualisierter Gewalt werden, egal ob in Familie, Job, auf irgendwelchen Festen oder in der Silvesternacht, noch immer nicht darauf bauen können, dass ein eindeutiges Nein zu sexuellen Handlungen wirklich strafbar ist. Dieses Nein ist völlig unabhängig davon, wie ich bekleidet bin, ob ich überhaupt bekleidet bin. Ein Nein ist ein Nein.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, SSW und Uli König [PIRATEN])

Es ist beschämend, dass die Bundesregierung erst die Vorfälle von Köln braucht, um endlich eine längst fällige Reform des Strafrechts anzugehen. Unser Gesetzentwurf dazu liegt schon seit letztem Jahr im Bundestag vor. Liebe Union, wo waren Sie denn da? An unserer Seite jedenfalls nicht. „Abgetaucht“ würde ich sagen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Abgeordnete von Kalben, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Ostmeier?

Ja, gern.

Frau von Kalben, ich kann Ihr Bedürfnis verstehen, über dieses Thema zu sprechen. Weil wir heute auch über den Antrag sprechen: Können Sie

(Präsident Klaus Schlie)

mir sagen, was ein Nein den Frauen in Köln an dem Abend konkret genutzt hätte?

(Zurufe)

- Wo liegen Ihre Lösungsansätze? Ich glaube, Frau von Kalben weiß genau, was ich meine. Das ist kein Angriff. Wir reden darüber, welche Lösungsansätze wir gemeinsam finden wollen. Ich frage Sie, welche konkreten Lösungsansätze Sie haben, damit das, was in der Silvesternacht in der Masse geschehen ist, nicht wieder passiert. Ich behaupte, dass, wenn eine Frau in der Silvesternacht in der Masse deutlich Nein gesagt hätte, das in der Situation nichts genützt hätte.

(Zurufe)

- Frau Ostmeier, mich wundert es ehrlich gesagt, dass gerade Sie als justizpolitische Sprecherin das fragen. Denn das Strafrecht soll ja verschiedene Dinge abdecken. Es geht zum einen darum, dass Menschen von der Straße ins Gefängnis geholt werden, zum anderen geht es ganz stark auch um Abschreckungseffekte und darum, Werte und Normen in der Gesellschaft zu setzen. Es ist doch wohl unstrittig, wenn ich in einem Gesetz einen Tatbestand beschreibe, der ein klares Nein als Nein formuliert das wird juristisch anders ausgedrückt werden, aber Sie wissen, was damit gemeint ist -, dass das dann auch einen Effekt auf die Gesellschaft hat. Sonst bräuchten wir diese Normen nicht, um abzuschrecken. Zumindest ich habe das so gelernt. Deswegen wundere ich mich über die Frage. Wenn eine Frau - im Ehebett oder sonst wo - Nein sagt und der Mann sie trotzdem mit Gewalt nimmt, nützt ihr das zwar nichts, aber sie kann es hinterher zumindest anzeigen, der Mann kann bestraft werden, und vielleicht macht er das morgen dann nicht mehr. Das ist doch der Sinn des Strafrechts.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Deshalb finden wir, dass so etwas bestraft werden muss, und das ist zurzeit noch nicht so.

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine weitere Frage der Frau Abgeordneten Ostmeier?

Ich habe keine Frage, sondern eine Bemerkung. Erst einmal

bedanke ich mich für die Erklärung. Wir sind uns einig, wenn wir ein Täter-Opfer-Individualverhältnis haben, ist der Täter tatsächlich leichter zu identifizieren. Wenn wir uns einig sind, dass schärfere Strafvorschriften zu mehr Abschreckung führen, ist das ein Statement, dem ich als justizpolitische Sprecherin nicht widerspreche. Dann sollten wir an allen Stellen einmal darüber nachdenken, ob schärfere Gesetze nicht doch eine Abschreckungswirkung haben.

(Beifall CDU)

- Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht gegenseitig Dinge in den Mund legen, die so nicht gemeint waren. Ich habe gesagt, dass das ein Bestandteil des Strafrechts ist. Das ist keine politische Meinung, sondern das ist Fakt. Aber wie stark man auf welche Maßnahmen setzt, auf Prävention oder Abschreckung, sind politische Fragen, die wir gern unterschiedlich diskutieren können.

Meine Damen und Herren, natürlich kommen Menschen zu uns, die unter Umständen ein anderes Rollenbild haben. Auch das soll man nicht verschweigen, sondern aussprechen dürfen. Ich bin als Frau auch allein viel im nordafrikanischen Raum herumgereist. Ja, ich habe mich dort anders gefühlt, als wenn ich allein durch Skandinavien gereist bin. Ja, es ist so, dass ich dort einen anderen Umgang erlebt habe. Das kann ich nicht pauschalisieren und in Statistiken packen. Ich persönlich habe mich dort anders behandelt gefühlt, zum Teil mit mehr Respekt, zum Teil mit mehr Distanz und zum Teil auch zu aufdringlich. Ja, das ist so. Genauso weiß ich, dass meine Untermieterin, die aus Syrien kommt, sich sehr auf den Sommer freut, weil sie endlich mit kurzer Basketballhose zu ihrem Training gehen kann, was sie in Syrien nicht machen mochte, weil sie als Frau bepöbelt wurde und das nicht in das Rollenbild, das Verständnis dort, passte. Ja, das gibt es.

Das heißt trotzdem nicht, wenn wir bei Straftaten und kriminellen Handlungen auf den Araber oder den Mann gucken, wenn es um sexualisierte Gewalt geht, dass jeder Mann automatisch ein Sexualstraftäter oder jeder arabische Mann automatisch ein Sexualstraftäter ist, sondern wir müssen bei der Justiz genau auf den Einzelfall gucken, und wir müssen bei der Polizei, den Präventionsaufgaben und als Gesellschaft insgesamt auch berücksichtigen, welche Tätergruppen es gibt.

Da kann es sinnvoll sein, eine andere Integrationspolitik anzugehen, nicht darauf zu setzen, alle

(Eka von Kalben)

Gruppen unterschiedlich zu behandeln, sondern allen von Anfang an eine Beschäftigungsmöglichkeit zu bieten, allen von Anfang an unsere Werte und Sprache zu vermitteln. Die Werte werden - glaube ich - nicht in Integrationskursen oder durch Unterschreiben des Grundgesetzes vermittelt, sondern zum Beispiel im Betrieb, zum Beispiel durch Teilhabe in der Gesellschaft. Darüber kann man unsere Werte vermitteln.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Meine Damen und Herren, wir haben in Deutschland einen Emanzipationsvorsprung. Das brauchen wir nicht zu verleugnen. Wenn sich jetzt aber auf einmal Menschen zu Frauenverstehern Nummer eins inszenieren, die sich zu Frauenrechten bisher nur dadurch hervorgetan haben, dass sie sie veralbert und ins Lächerliche gezogen haben, finde ich das unwürdig.

Meine Damen und Herren, wir brauchen in dieser Gesellschaft weder Sexismus noch Rassismus. Wir müssen Gewalt klar benennen und sie da, wo sie stattfindet, bekämpfen. Wir brauchen einen sicheren Staat. Dabei ist es mir völlig schnurzpiepegal, ob es sich um Frau oder Mann handelt beziehungsweise welcher Herkunft dieser Mensch ist. Dieser Mensch muss in Deutschland sicher über die Straßen gehen können und integriert sein. Das ist unser Ziel, und daran werden wir weiter arbeiten. - Danke.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Das Wort für die Fraktion der FDP hat deren Vorsitzender, der Abgeordnete Wolfgang Kubicki.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorweg: Ich teile die Einschätzung des Oppositionsführers, was die Rede des Fraktionsvorsitzenden und stellvertretenden Bundesvorsitzenden der SPD angeht, die sich offensichtlich mehr in Richtung seiner eigenen Partei auf Bundesebene bewegen sollte, als dass sie in diesem Haus eine Berechtigung hätte. Herr Kollege Dr. Stegner, Sie kennen meine Haltung in dieser Frage sehr genau. Was ich in den letzten Tagen auch von Spitzen Ihrer eigenen Partei gehört habe, kommt schon nahe an Argumentationslinien von Rechtspopulisten.

(Widerspruch SPD)

- Ja, natürlich! Sigmar Gabriel hat sich hingestellt und gesagt, die Kanzlerin habe alle eingeladen, und sie sollten eine Integrationsleistung erbringen. Was ist das denn für eine Aussage? Der Fraktionsvorsitzende der SPD hat erklärt: „Kriminelle Ausländer raus!“ Das ist ein Slogan, mit dem die NPD einmal plakatiert hat. Also, wenn man schon Vorwürfe in eine bestimmte Richtung erhebt, dann muss man selbst aufpassen, wie man in der Argumentation verbleibt, um nicht genau dem Vorschub zu leisten, was Sie und ich richtigerweise bekämpfen. Da muss die SPD schon sehr aufpassen.

(Beifall FDP)

Es ist jetzt erklärt worden, die Kanzlerin müsse am 18. Februar 2016 liefern. Was heißt das eigentlich? Das heißt, den Zuzug in irgendeiner Form begrenzen. Damit begibt man sich auf einen sehr gefährlichen Weg, von dem ich nicht glaube, dass es der SPD nützen wird. Ich greife Sie jetzt nicht an und auch den Bundesminister nicht. Ich glaube auch nicht, dass es der Debatte insgesamt nützen wird.

Ich finde es auch völlig unangemessen, dass wir hier jetzt eine allgemeine Asyldebatte oder eine Debatte über Sexualität in der Gesellschaft oder Sexualstrafrecht losbrechen. Wir wollten uns darüber unterhalten, was wir aus den Vorfällen von Köln lernen müssen, und darauf will ich mich jetzt konzentrieren.

Wenn wir in ferner Zukunft auf den Jahreswechsel 2015/2016 zurückblicken werden, können wir mit Sicherheit feststellen, dass die widerwärtigen Vorfälle in der Silvesternacht in Köln, Hamburg und in anderen Städten einen Paradigmenwechsel in der bundesdeutschen Integrations- und Sicherheitspolitik eingeleitet haben werden; denn die Übergriffe auf wehrlose Frauen und Mädchen, begangen nach allem, was wir wissen - hauptsächlich von Männern mit Migrationshintergrund, haben uns nicht nur schmerzhaft vor Augen geführt, dass die Organe des Rechtsstaats nicht imstande waren, im öffentlichen Raum Gewalt, Nötigung, Raub und sexuelle Übergriffe zu verhindern oder wirksam zu verfolgen. Es ist beschämend, dass wir aus Einsatzberichten hören, dass die Polizei es nicht vermocht hat, hilferufenden Frauen im öffentlichen Raum zur Hilfe zu kommen. Das darf sich definitiv nicht wiederholen,

(Beifall FDP, CDU, SSW, vereinzelt SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

weil sonst der Glaube an die Durchsetzungsfähigkeit des Rechtsstaates schwindet.

(Eka von Kalben)

Es wird sich im Rückblick auch zeigen, dass wir aus falsch verstandener Rücksichtnahme gegenüber bestimmten kulturellen Hintergründen zu wenig deutlich gemacht haben, wie wir uns unsere gesellschaftliche Freiheit vorstellen. Wir haben zugelassen, dass sich rechtsfreie Räume bilden konnten, in denen eher das Recht des Stärkeren zählt als die Stärke des Rechts. Dies muss dringend geändert werden. Erste Signale finde ich schon sehr vernünftig, mit Razzien beispielsweise in Düsseldorf und Köln, um an bestimmten Brennpunkten deutlich zu machen, wie wir unser Rechtsverständnis im Zweifel auch durchsetzen.

Es ist richtig, dass sexualisierte Gewalt nicht das Deliktsfeld ausschließlich ausländischer Männer ist. Ich glaube aber auch, dass unstrittig sein sollte, dass die Silvester-Übergriffe eine vollkommen andere Dimension hatten. Frau von Kalben, ich empfehle da wirklich einmal die Lektüre der entsprechenden Stellungnahmen. So stellte das nordrheinwestfälische Innenministerium, Herr Innenminister Jäger (SPD), am 10. Januar dieses Jahres in seinem Bericht an den Innenausschuss des Düsseldorfer Landtages fest - ich zitiere -:

„Die Tatbegehungsform sexualisierter Gewaltstraftaten durch Gruppen in Verbindung mit Eigentums-/Raubdelikten ist in der Ausprägung der Kölner Gewalttaten in Deutschland bisher nicht aufgetreten.“

Die Dimension ist völlig anders als bisher. Das Einkesseln von Menschen durch große Gruppen, um Straftaten zu begehen, ist so bisher jedenfalls in Deutschland nicht feststellbar gewesen. Das gab es bisher nur im arabischen und nordafrikanischen Raum. Ich sage deshalb ganz deutlich: Eine - wie auch immer geartete - Relativierung dieser Vorkommnisse verbietet sich.

Ich finde auch, dass wir der deutschen Bevölkerung mehr Differenzierung zutrauen sollten, als das momentan in Debattenbeiträgen gelungen ist.

(Beifall FDP)

Wir wissen, dass nicht jeder Deutscher ein Brandstifter ist, auch wenn es Deutsche sind, die auf Flüchtlingsheime Brandsätze werfen, und wir wissen selbstverständlich auch, dass nicht jeder, der zu uns kommt, ein Krimineller ist, nur weil es aus dem Bereich der Länder, aus denen sie kommen, kriminelle Taten gibt. Aber diese Differenzierungsfähigkeit müssen wir der deutschen Bevölkerung schon zugestehen, statt dauernd darauf hinzuweisen, dass sie diese zu beachten hat.

Wir müssen heute feststellen, dass viele führende Politiker in der Vergangenheit allzu nachlässig mit dem Rechtsstaat und seinen Organen umgegangen sind. Frau von Kalben, ich kann es nicht unerwähnt lassen: Es ist nur wenige Monate her, als die frühere Bundesministerin Renate Künast ernsthaft forderte, Polizeibeamte sollten bei Einsätzen in Moscheen oder in von Muslimen bewohnten Häusern ihre Schuhe ausziehen - aus Respekt vor dem islamischen Glauben. Das ist keine Beachtung kultureller Hintergründe, sondern das ist eine Negierung rechtsstaatlicher Erfordernisse. Diese Differenzierung darf es nicht geben.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)