Protokoll der Sitzung vom 20.07.2016

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Mit ihnen redet doch gar keiner!)

Es geht bei diesen Abkommen nicht um den Abbau von Zöllen. Fakt ist vielmehr: CETA soll eine Nebenverfassung und ein Nebenverfassungsgericht für ausländische Konzerne und damit Sonderrechte sowie ein Sondergericht schaffen, um gegen demokratisch beschlossene Umwelt-, Daten- oder Verbraucherschutzmaßnahmen klagen zu können.

Dagegen gehen Zehntausende auf die Straße. Ich finde es unglaublich, wenn ein solcher Protest hier diffamiert wird und mit „Populismus“, „dümmlich“ oder „lächerlich“ benannt wird. Damit werden Sie die Leute nur noch weiter auf die Straße jagen.

(Beifall PIRATEN)

Auch bei uns in Schleswig-Holstein formiert sich längst eine Volksinitiative gegen CETA.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und SSW: Jetzt ist die Zeit des Herausredens, der schwammigen Bedingungen und der Hinhaltetaktik in Sachen CETA vorbei. Das fertige Abkommen liegt vor. Gutachten von SPD-Juristen bestätigen, dass CETA nicht einmal mehr die Bedingungen erfüllt, die der SPD-Parteitag aufgestellt hatte.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: SPD-Juristen? - Martin Habersaat [SPD]: Das sind die Bes- ten!)

Es gibt keine richterliche Unabhängigkeit, dafür gibt es schwammige Entschädigungsvoraussetzungen. Das Vorsorgeprinzip im Gesundheitsschutz wird aufgegeben. Es gibt keine Absicherung der öffentlichen Daseinsvorsorge. Vor allem - das ist für mich entscheidend - sind internationale Geheimverhandlungen schlicht der falsche Ort, um überhaupt über unseren Daten- und Verbraucherschutz zu entscheiden. Diese Entscheidungen gehören in die Parlamente. Diese Entscheidungen haben gewählte Volksvertreter zu treffen und nicht irgendwelche Lobbyisten oder Regierungsvertreter hinter verschlossenen Türen.

(Beifall PIRATEN - Wolfgang Kubicki [FDP]: Ungarn!)

- Mit solchen Abkommen, Herr Kubicki, nehmen wir vor allem die nötige Weiterentwicklung der Standards unseren Volksvertretern aus der Hand und zementieren jetzt schon falsche oder veraltete Regelungen, zum Beispiel beim Urheberrecht. Das heißt: Selbst, wo Sie vielleicht einen höheren Standard aus Kanada oder den USA übernehmen, können Sie diesen Standard nie wieder in Europa von unseren Parlamenten verbessern und den Bedingungen der Zeit anpassen lassen.

(Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP])

Die Bedingungen, die der Landtag mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und SSW im November 2014 selbst beschlossen hat, sind eindeutig nicht erfüllt.

Lesen Sie im Beschluss von damals nach. Es wurde nicht transparent verhandelt. Rekommunalisierungen bleiben nicht möglich. Die Stärkung der Schutzstandards wird verbaut. Eine Sondergerichtsbarkeit soll eingeführt werden. Wenn Sie Ihren eigenen Beschluss von damals ernst nehmen, Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, reicht es nicht länger, die Landesregierung entscheiden zu lassen, ob die Bedingungen eingehalten sind, wie es

hier drinsteht. Es reicht nicht länger zu sagen: Stimmt bitte nicht zu.

Jetzt ist die Zeit der Entscheidung für Ja oder Nein im Bundesrat. Stehen Sie auf der Seite der Bürger in unserem Land, oder stehen Sie auf der Seite von CDU, von FDP und des SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel, der die Deutschen auf einer nicht öffentlichen Wirtschaftsveranstaltung als „reich und hysterisch“ verhöhnte?

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Die sind die Bür- ger!)

Das ist eine unglaubliche Aussage, die aber bezeichnend ist.

Wir PIRATEN nehmen es ernst, Herr Kubicki, wenn 61 % der Bürger inzwischen in Umfragen sagen: Unsere Demokratie ist keine echte Demokratie, weil die Wirtschaft und nicht die Wähler das Sagen haben.

(Beate Raudies [SPD]: Das stand heute Mor- gen in der Zeitung!)

- Das sagen 61 % der Bürger inzwischen in Deutschland. Ich entgegne: Die Demokratie muss die Herrschaft des Volkes durch das Volk und für das Volk bleiben. Deswegen sind wir PIRATEN Teil der Protestbewegung gegen die Gefährdung unserer Demokratie durch einen übermächtigen Wirtschaftseinfluss und die Wirtschaftshörigkeit der Politik.

CETA und TTIP sind der Inbegriff des Wirtschaftslobbyismus zulasten der Bürger in unserem Land, und deswegen müssen sie verhindert werden.

(Beifall PIRATEN)

Für die SPD hat der Fraktionsvorsitzende Dr. Ralf Stegner das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Globalisierung braucht Regeln. Das muss auch für die Handelspolitik gelten. Für TTIP und CETA gilt immer noch, dass die einen sagen: Das ist eine Verheißung, Milch und Honig fließen, man muss das machen. - Die anderen sagen: Das ist ein Menetekel. Das ist eine Verschwörung des Weltkapitalismus. - Ich muss Ihnen sagen: Das ist weder das eine noch das andere.

Es ist weder richtig, das jetzt durchzuwinken und sich über die Kritiker lustig zu machen - das ist

nicht richtig -, noch ist es richtig, Verhandlungen abzubrechen und zum Teil in einer Art linkem Nationalismus zu sagen: Wenn die Dinge bei uns so bleiben, wie sie sind, sei das wie eine Insel, und alles sei gut. Dabei hat man übrigens leicht falsche Freunde; ich brauche mir dabei nur die Rechtspopulisten anzuschauen.

Deswegen muss man die gravierenden Probleme ansprechen, wenn es um diese Regeln geht: Wir haben Kinderarbeit in der Welt. Wir haben Frauenausbeutung in der Welt. Null Arbeitsschutz. Wir werfen hier Lebensmittel weg, und anderswo verhungern Menschen. Wir haben eine Situation, in der sich Großkonzerne zum Teil weit über die Politik hinwegsetzen und ihre eigenen Regeln haben. Das ist die Beschreibung der Realität.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: VW!)

- Das gilt durchaus auch für VW, aber das gilt auch für ganz andere.

Deswegen sage ich, dass das, was wir im November 2014 hier beschlossen haben, nämlich dass es bestimmte Anforderungen an TTIP und CETA gibt, für mich im Mittelpunkt steht. Diese Anforderungen heißen: Unsere Standards müssen gelten im Umwelt- oder Verbraucherschutz, bei der Arbeit oder bei der öffentlichen Daseinsvorsorge, bei der Kultur oder beim Datenschutz.

In einem Punkt hat der Kollege Garg recht: Die Standards sind mitnichten bei uns überall höher. Beispielsweise sind sie bei Medizinprodukten in der Regel in den USA höher als bei uns - bei Finanzprodukten übrigens auch. Man muss da also genau hingucken. Das ist die eine Bedingung: Standards. Die sind nämlich hart erkämpft worden, die müssen bleiben.

Zweitens: Transparenz und Beteiligung der Zivilgesellschaft. Was nicht geht, sind Geheimverhandlungen und das Außenvorlassen von Menschen, die Interessen vertreten.

(Zuruf Dr. Patrick Breyer [PIRATEN])

Und das Dritte ist: Primat der Politik. Da muss ich in der Tat sagen, es ist für mich kein angenehmer Gedanke, dass Schiedsgerichte diskutiert werden, denen es erlaubt werden soll, sich am Ende über Gerichts- und Parlamentsentscheidungen hinwegzusetzen. Selbst die Tatsache, dass jetzt im Fall von Uruguay und Philip Morris entschieden worden ist, dass sie das in Uruguay dürfen; allein die Tatsache, dass infrage gestellt werden kann, was Parlamente tun, finde ich extrem schwierig. Damit wird nämlich die Demokratie aufgehoben.

(Dr. Patrick Breyer)

Deshalb komme ich zu der Schlussfolgerung, dass das, was wir als Anforderungen an die Handelsabkommen beschrieben haben, im Mittelpunkt stehen muss. Am Ende muss man dann abwägen, ob diese Anforderungen erfüllt sind: Ja oder Nein. Darum muss es am Ende gehen.

(Wortmeldung Wolfgang Kubicki [FDP])

- Wenn Sie die Uhr anhalten, bin ich willens, eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung zuzulassen.

Wir machen gerade den fliegenden Wechsel im Präsidium. Entschuldigung, Herr Abgeordneter. Jetzt haben Sie das Wort.

Ich äußere mich zu dem fliegenden Wechsel jetzt nicht, aber mir lag dazu etwas auf der Zunge.

Herr Kollege Dr. Stegner, habe ich Ihre Aussage dahin gehend richtig verstanden, dass Gerichte nicht darüber befinden sollten, was Parlamente entscheiden, dass Sie das für unzulässig halten? Würde das auch für Deutschland gelten, darf das Verfassungsgericht also keine Gesetze aufheben, die das Parlament beschlossen hat?

Verehrter Herr Kollege Kubicki, Sie sind ja im Gegensatz zu mir Jurist. Deshalb wundert es mich, dass ich Ihnen erklären muss, dass das Verfassungsgericht ein ganz besonderes Gericht ist. Das entscheidet nämlich über die Verfassungsgemäßheit dessen, was die anderen Gewalten tun. Dass sich aber Gerichte in Einzelfallfragen über Parlamentsentscheidungen hinwegsetzen dürfen, soweit diese Parlamentsentscheidungen verfassungsgemäß sind, finde ich ein großes Problem. Das darf nicht in Handelsfragen stattfinden und auch nicht in anderen Dingen, denn das stellt den Primat der demokratischen Politik infrage. Ich bin in der Tat massiv dagegen, dass das passiert.

(Beifall Lars Harms [SSW])

Sie erlauben noch eine Frage. - Bitte schön.

Ich habe das mit der besonderen Stellung des Verfassungsgerichts jetzt verstanden. Aber wie sollen denn zwischenstaatliche Konflikte gelöst werden,

wenn das Parlament eines Staates A beschließt und das Parlament eines anderen Staates B beschließt? Wie sollen territoriale Konflikte zwischen Staaten gelöst werden, wenn nicht durch Gerichte?

Diese Schiedsgerichte sind ja eine spezielle Konstruktion. Ich füge hinzu, und das muss man ehrlicherweise sagen: In der Form, wie sie praktiziert werden, ist das sogar eine deutsche Erfindung. Diese Schiedsgerichte sind allerdings in der privaten Form, in der sie bestehen, hochgradig problematisch. Ich habe nichts gegen internationale Handelsgerichtshöfe. Das ist ja übrigens auf Druck der Sozialdemokraten zustande gekommen. Die haben sich in Madrid zusammengesetzt und gesagt: Wir wollen das so haben. Die Kanadier sind übrigens willens, über so etwas zu reden, die Amerikaner nicht, die haben eher andere Vorstellungen. Insofern glaube ich, ist die Frage, wie man das organisiert, zu klären. Jedenfalls sollten es keine privaten Schiedsgerichte sein, weil damit für mich das Primat der Politik infrage gestellt wird. Meine Vorstellung als Demokrat ist, dass demokratisch legitimierte Instanzen zu entscheiden haben und nicht gut bezahlte privat organisierte Schiedsgerichte.

Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Breyer?

Ausnahmsweise, ja.

Herr Dr. Stegner, ich begrüße, dass Sie die Handelsabkommen an dem Beschluss vom November 2014 messen wollen. Ich verstehe aber nicht, was es da abzuwägen geben soll. Wir haben damals ganz klare Bedingungen aufgestellt, die eindeutig nicht erfüllt sind: keine transparenten Verhandlungen; Rekommunalisierungen, die Sie angesprochen haben, bleiben nicht uneingeschränkt möglich, gerade in Bereichen, die dem privaten Wettbewerb geöffnet sind, wie zum Beispiel Energieversorgungsnetze; die Sondergerichtsbarkeit - und der Beschluss von damals bezieht sich nicht nur auf private Schiedsgerichte, sondern auf jede Sondergerichtsbarkeit - wurde eindeutig abgelehnt, ist mit CETA aber geplant. Der Deutsche Richterbund

(Dr. Ralf Stegner)