Protokoll der Sitzung vom 25.01.2017

(Lars Harms)

Kollege Stegner, für mich ist entscheidend, und ich glaube, hier sind wir einer Meinung: Wenn wir über Abschiebehaft und über Abschiebungen allgemein reden, dann reden wir über das Asylrecht. Bei dieser Entscheidung, ob man jemanden abschiebt, auf welche Art und Weise jemand abgeschoben wird und wie lange er möglicherweise in einer Abschiebehaftanstalt sein muss, spielt immer nur die Asylgesetzgebung eine Rolle, nichts anderes. Das ist auch in Ordnung.

Davon zu trennen ist das Strafrecht. Da muss man sich die Frage stellen, ob wir es wirklich wollen vor einigen Jahren haben wir das bei Herrn Erdogan ja noch kritisiert -, dass jemand nur aufgrund eines bloßen Verdachtes in der Bundesrepublik Deutschland schon in Haft genommen werden kann.

Das ist eine Frage der Rechtsstaatlichkeit. Die beantworte ich ganz deutlich damit, dass ich nicht will, dass wir damit anfangen, Menschen bereits dann in Haft zu nehmen, wenn wir nur einen Verdacht haben. Ich glaube nicht, dass das der richtige Weg ist. Das habe ich hier deutlich zu machen versucht. Ich hoffe, hier gibt es vielleicht noch den einen oder anderen, der das ähnlich sieht wie ich.

Meine Damen und Herren, es besteht aber auch kein Zweifel daran, dass die Einordnung als sicheres Herkunftsland für Marokko, Algerien und Tunesien kommen werden. Davon gehe ich aus. Das ist dann aber aus unserer Sicht auch keine Vorabfestlegung, sondern wahrscheinlich nur eine Maßnahme, um maximal zu einer Verwaltungsvereinbarung zu kommen. Aber der Kollege Peters hat ja schon mitgeteilt und hier dargelegt, warum das wahrscheinlich nicht so fürchterlich viel bringen wird.

Ich sage aber für uns als SSW ganz deutlich: Das individuelle Recht auf Asyl ist für uns nicht verhandelbar. Jeder kann hier seine Asylgründe vorbringen. Diese müssen bearbeitet werden. Wenn einem Asylersuchen dann auch stattgegeben werden muss, weil die Gründe berechtigt sind, dann hat das auch für Menschen zu geschehen, die aus diesen Ländern kommen.

Noch einmal: Für uns ist ganz wichtig, Abschiebehemmnisse abzubauen. Das ist der entscheidende Schlüssel. Das heißt, Rückführungsabkommen, bei denen man sich mit den jeweiligen Staaten zu einigen versucht, wie man die Leute nicht nur wieder zurückschickt, sondern wie man ihnen auch eine Perspektive geben kann, haben möglicherweise

auch etwas mit Entwicklungshilfe zu tun. Dies sage ich vielleicht auch einmal in Richtung derjenigen, die vor langer Zeit das Entwicklungshilfeministerium abschaffen wollten.

(Christopher Vogt [FDP]: Ins Außenministe- rium eingliedern!)

Eines, meine Damen und Herren, ist vielleicht auch noch ganz wichtig. Wir haben jetzt nur über die Afghanen gesprochen. Ich glaube aber, wir müssen über das Asylrecht allgemein sprechen, und wir müssen über Grundlagen sprechen, nach denen wir Menschen zurückführen wollen oder auch nicht zurückführen wollen. Ich glaube, diese Diskussion kommt einfach noch zu kurz.

Wir haben immer das Problem, dass wir einen Anlass nehmen, auch schreckliche Anlässe nehmen, um über Gesetzesverschärfungen zu reden, um über die Änderung des Asylgesetzes zu reden und über alles Mögliche zu reden, nie jedoch über die Grundfrage: Was ist eigentlich unser Asylrecht, und unter welchen Bedingungen soll es gelten, und soll es möglicherweise auch weiterentwickelt werden?

Das sind natürlich keine leichten, sondern komplizierte und komplexe Fragestellungen, die man auch nicht einfach beantworten kann. Das macht es den Vereinfachern ja auch so schwer, gerade über dieses schwierige Thema zu reden. Unsere Aufgabe ist es jedoch, bei all diesen Fragestellungen - das ist wichtig - Rechtsstaatlichkeit Vorrang zu geben und Menschlichkeit in den Vordergrund zu rücken. Das wird zumindest bei uns immer so bleiben. - Vielen Dank.

(Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort zu einem Kurzbeitrag hat der Herr Abgeordnete Wolfgang Kubicki.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst finde ich es bemerkenswert, wenn der Kollege Stegner sich hier zu Dingen äußert, von denen er nun wirklich keine Ahnung hat, wobei dann die Frage im Raum steht, wozu er sich überhaupt noch äußern soll.

(Zuruf SPD)

Ja, es ist tatsächlich so. Mit Fake News können Sie vielleicht innerhalb der SPD Politik machen, aber nicht in der deutschen Öffentlichkeit.

Was die Frage angeht, wonach Richter entscheiden, dass Abzuschiebende zu entlassen sind, weil die Papiere nicht rechtzeitig da sind, so ist diese schlicht und ergreifend Unsinn. Das ist deswegen blanker Unsinn, weil die jetzige Koalition aus CDU/CSU und SPD im Jahre 2005 das Aufenthaltsrecht massiv verschärft hat, wonach mittlerweile Menschen, die ausreisepflichtig sind, bis zu 18 Monate in Haft gehalten werden können. Der Bundesgerichtshof hat bereits 2010 entschieden, dass es dann, wenn ein Abzuschiebender an der Identitätsfeststellung nicht mitwirkt, nicht zu seinen Gunsten läuft, sondern zu seinen Lasten. Das ist ein Beschluss aus dem Jahre 2010.

Man kann feststellen: Seitdem gilt der Grundsatz, dass diejenigen, die sich weigern, die Identitätsfeststellung zu vollziehen oder bei der Beschaffung der Papiere mitzuwirken, so lange in Haft bleiben, bis die Papiere herbeigeschafft worden sind. Das ist übrigens etwas, was man Herrn Jäger, dem amtierenden Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen, noch einmal erklären musste. Das hat man mittlerweile auch getan. Dieser Innenminister ist in seinem Amt komplett überfordert.

Nun komme ich zu Ihnen, Herr Studt. Die Behauptung, wir werden aus humanitären Gründen keine Flüchtlinge abschieben, ist deshalb unsinnig, weil wir Flüchtlinge gar nicht abschieben dürfen. Die Ausreisepflichtigen sind keine Flüchtlinge; denn sonst wären sie ja als Flüchtlinge anerkannt und hätten ein Bleiberecht. Diejenigen, die ausreisen müssen, haben nach einem rechtsstaatlichen Verfahren, in der Regel durch Gerichte entschieden, kein Bleiberecht und müssen deshalb das Land verlassen.

Ich frage mich, was Sie und diese Koalitionäre hier eigentlich tun. Was machen Sie mit den Mitarbeitern der Ausländerbehörden? Das sind wahrscheinlich alles Fremdenhasser, Rechtsradikale oder was auch immer. Die setzen Recht durch und leiden darunter manchmal auch persönlich. Sie aber diffamieren diese Mitarbeiter heute als diejenigen, die eine inhumane Rechtspolitik, eine inhumane Flüchtlingspolitik durchsetzen. Was für eine unverantwortliche Geschichte ist das eigentlich für Sie als Dienstherr?

(Beifall FDP und CDU)

Sie müssen jetzt die Frage beantworten, ob der Bund, ob Nordrhein-Westfalen, ob Baden-Württemberg, ob Hamburg mit der Abschiebung rechtswidrig handeln oder ob sie rechtmäßig handeln. Wenn sie nicht rechtswidrig handeln, sondern

rechtmäßig handeln, fragen wir jetzt Sie, warum Sie nicht auch rechtmäßig handeln.

(Beifall FDP)

Was machen Sie in drei Monaten? Der § 60 a AufenthaltsG gibt ihnen die Möglichkeit, die Abschiebung für drei Monate auszusetzen. Das ist selbstverständlich. Aber was machen sie in drei Monaten? Denn diese Möglichkeit haben Sie nur ein einziges Mal. Dann sagen Sie den Menschen, denen Sie jetzt gesagt haben, sie dürften noch drei Monate bleiben, in drei Monaten: „Ihr müsst jetzt ausreisen. Ich will das zwar nicht. Aber das Gesetz zwingt mich dazu.“

Was machen Sie denn eigentlich mit denjenigen, die bis dahin verschwinden wie die 200 Menschen, die bei Ihnen in der Freiwilligenaufnahme in Boostedt waren und verschwunden sind? Wo sind sie? Das interessiert Sie wahrscheinlich gar nicht. Was machen Sie denn eigentlich mit denen, die vielleicht bei einer Personenkontrolle erkannt und aufgegriffen werden? Dann sagen Sie wohl: „Ja, die bringen wir dann nach Boostedt, und morgen sind sie wieder weg.“ Sie müssen den Menschen einmal erklären, was Sie mit den Problemen machen, vor denen wir stehen.

Herr Kollege Dr. Stegner, machen Sie sich keine Gedanken? Ich frage mich ohnehin: Die SPD sitzt in der Bundesregierung. Ich kenne bisher keine Koalitionsregierung, in der man etwas gegen den Koalitionspartner machen konnte. Sie erwarten von uns, dass wir Herrn Steinmeier jetzt zum Bundespräsidenten wählen, den Mann, der erklärt, dass man nach Afghanistan abschieben kann. Das erwarten Sie wirklich von uns?

(Zuruf Martin Habersaat [SPD])

Bisher sind wir davon ausgegangen, wir könnten Herrn Steinmeier vertrauen. Wir wissen nun, Herr Stegner, das können wir nicht. Der Mann macht irgendwas, weil er Frau Merkel oder Herrn de Maizière gefallen will. Sich angesichts einer Koalition, in der die SPD sitzt, hier hinzustellen und zu sagen, was das für eine Schweinerei sei, was Herr de Maizière macht, dazu kann ich nur sagen: Wie armselig ist die Sozialdemokratie in der Koalition in Berlin? Da gehören Sie im Zweifel auch nicht hin.

(Beifall FDP und CDU)

Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluss.

(Wolfgang Kubicki)

Mein letzter Satz. - Herr Dr. Stegner, ich kann Ihnen ganz sicher sagen, gerade auch was Ihre Bedeutung in Berlin angeht: Die könnten Sie vielleicht einmal in Ihrer eigenen Partei bundesweit durchsetzen. Mein Bundesvorsitzender wäre nicht zurückgetreten, ohne dass er mit mir vorher darüber gesprochen hätte. Dass Sie jetzt genauso überrascht sind wie wir, zeigt, welche Bedeutung Sie in der SPD haben.

(Beifall FDP)

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat der Abgeordnete Dr. Ralf Stegner.

(Zuruf Serpil Midyatli [SPD])

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Beitrag des Kollegin Kubicki lohnt keine Erwähnung, finde ich.

(Weitere Zurufe)

Meine Damen und Herren, jetzt hat der Herr Abgeordnete Dr. Stegner das Wort.

(Zuruf Serpil Midyatli [SPD])

- Frau Midyatli, auch Sie können sich zu Wort melden. Aber im Augenblick hat Ihr Fraktionsvorsitzender das Wort.

(Zuruf Serpil Midyatli [SPD])

Der Beitrag des Kollegen Kubicki lohnt nicht für eine Erwiderung; denn wir reden hier über das Schicksal von Menschen und nicht über einen solchen Politikquatsch, den er hier vorgetragen hat. Das will ich einmal ganz deutlich sagen.

Der Punkt, um den es eigentlich geht, ist folgender: Ich habe hier vorhin gesagt, dass es unterschiedliche Einschätzungen zur Sicherheitslage in Afghanistan gibt. Das respektiere ich. Das respektieren heißt aber mitnichten, dass man die Meinung übernehmen muss. Es bedeutet null Geringschätzung des Urteilsvermögens anderer, wenn man selbst zu einem anderen Urteil kommt.

Wir sind hier übrigens auch keine Technokraten und stellen auch nicht nur Rechtsgrundlagen dar,

sondern wir haben eine konkrete Verantwortung für die Politik, die wir hier treiben, wie übrigens auch der Herr Innenminister das konkret tut. Warum haben wir eigentlich eine Härtefallkommission, wenn das rechtlich schon alles erledigt ist? Wir haben diese hier im Land eingeführt, um Menschen zu helfen. Das kann man uns vorhalten, weil man glaubt, es kommt beim Publikum etwas anderes an. Uns vorzuwerfen, wir würden uns nicht an den Rechtsstaat halten, und ein paar Minuten später zu fragen, was wir denn eigentlich machten, wenn der Rechtsstaat verlange, dass wir nach drei Monaten etwas nicht alleine dürften, das ist schon von der Logik her jenseits dessen, was ich mit meinem Verstand begreife.

Deswegen muss ich Ihnen ehrlich sagen: In dieser Debatte heute hat man eines sehr deutlich gemerkt. Ich glaube, dass die Menschen in Schleswig-Holstein am Ende mit ihrer Mehrheit nicht gegen Humanität stimmen werden. Ich bin ziemlich sicher, dass das so ist. Wer glaubt, man könne Punkte damit machen, dass man markige Worte von sich gibt und sagt: „Schiebt ab, schiebt ab, schiebt ab“, ohne sich um die Menschen zu kümmern, über die wir hier reden, und darüber hinaus absurdeste Dinge behauptet, die mit der Realität nichts zu tun haben, geht völlig fehl.

Ich sage Ihnen: Einen Ertrag wird das nicht haben. Vor allen Dingen eines sage ich Ihnen ganz sicher: Sie können uns das bis zum Wahltag täglich vortragen. Diese Küstenkoalition wird von ihrem Kurs nicht abweichen, der da heißt: Im Zweifelsfall hat bei uns Humanität Priorität, meine sehr verehrten Damen und Herren. Im Zweifelsfall ist das so.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wir maximieren die Spielräume, die wir haben. Wir danken dem Innenminister dafür, dass er dieses tut. Die Landesregierung hat die ausdrückliche Unterstützung der Mehrheit dieses Hauses. Der Landtag wird heute mit Mehrheit beschließen, dass wir keine Abschiebehaftanstalten einrichten.