Protokoll der Sitzung vom 24.01.2014

Jedoch nicht nachvollziehen können wir die aufgezeigten Konsequenzen, die Sie im Rahmen Ihres Antrags von der Landesregierung einfordern. Wenn Sie die kalte Progression als eine der größten Ungerechtigkeiten insbesondere auch gegen kleine Einkommen ansehen, warum entlasten Sie die Menschen mit kleinem Einkommen dann nicht stärker? Warum starten Sie nicht wirklich einmal den Versuch, das Steuersystem fairer und gerechter zu gestalten? Die Wirkungen der kalten Progression entstehen vor allem durch den schnellen Anstieg der Grenz- und Durchschnittssteuersätze im unteren und mittleren Einkommensbereich. Warum also wollen Sie die Kurve nur verschieben, statt sich dem Verlauf der Kurve anzunehmen und hier Änderungen vorzunehmen und wirklich in eine neue Richtung zu denken? Warum?

Ich denke, wir sind uns einig, wenn ich sage, dass es bei einem Auto mit einem Motorschaden nicht hilft, nur die Räder zu tauschen. So scheint es zumindest im vorliegenden Fall. Seien Sie doch einmal ehrlich zu sich selbst: Würden Ihnen die vom Arbeitskreis Steuerschätzung antizipierten Steuermehreinnahmen nicht derart in die Hände spielen, wäre Ihr Vorschlag - wie leider oftmals - nur in Verbindung mit der Aufnahme neuer Schulden realisierbar.

Berechnungen des DIW zufolge würde der von Ihnen eingebrachte Reformvorschlag zu Steuerausfällen in Höhe von 3,7 Milliarden € pro Jahr führen, wobei der Großteil auf die Senkung der Progression im mittleren und höheren Einkommensbereich entfiele.

Werte Kollegen der FDP, wir haben zur Kenntnis genommen, dass Sie von einer Kompensation dieser Ausfälle durch die inflationsbedingten Mehreinnahmen ausgehen und Sie die von Ihnen geplanten Steuerentlastungen zudem im Einklang mit der Schuldenbremse sehen. Dem können wir uns allerdings nur bedingt anschließen. Es mag sein, dass unter den derzeitigen Voraussetzungen keine Aufnahme neuer Schulden notwendig wäre. Ob der von Ihnen erwartete Spielraum jedoch mittel- bis langfristig bestehen bleibt, vermögen wir zum aktuellen Zeitpunkt nicht vorherzusehen. Auch Sie würden sich wohl sehr weit aus dem Fenster lehnen, wenn Sie behaupten würden, das vorhersagen zu können. - Ich danke Ihnen und freue mich auf eine weitere Beratung.

(Beifall PIRATEN)

Für den SSW hat der Abgeordnete Lars Harms das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Landesregierung soll sich in Berlin für einen Ausstieg aus der sogenannten kalten Progression einsetzen, so die FDP. Eine Steuermehrbelastung soll mit diesem Antrag verhindert werden. Die kalte Progression steht natürlich nicht im luftleeren Raum, sondern sie ist an das System gebunden, ein System, das sich prinzipiell progressiv aufbaut. Unser Wirtschaftssystem produziert Inflation. Dies wiederum führt zu Lohnsteigerungen, und schon sind wir wieder bei der Progression angekommen. Es ist also ein Kreislauf.

(Torge Schmidt)

Mit diesem Antrag will man die Liebschaft zwischen dem Fiskus und der regelmäßigen Lohnsteigerung endgültig beenden. Der Grundgedanke ist aus Sicht des SSW sicherlich nicht verkehrt. Vor dem Hintergrund der Steuergerechtigkeit ist die kalte Progression ein echtes Problem. Wenn nach einer Lohnerhöhung etwas weggenommen wird, dann sollte auf der anderen Seite auch eine angemessene Kompensation erfolgen. Soziale Verhärtungen sollten aus unserer Sicht durch Gegenmaßnahmen ausgeglichen werden.

Jedoch hat die FDP in ihrem Antrag etwas Wichtiges vergessen, eigentlich sogar das Wichtigste, nämlich die Gegenfinanzierung. Ohne eine Gegenfinanzierung würde dieses Modell letztendlich zu Mindereinnahmen auf der staatlichen Seite führen. Das kann und sollte die Landesregierung nicht verantworten. Die Landesregierung ist in diesem Fall, also im Fall einer Steuersenkung ohne Gegenfinanzierung, in der Pflicht, im Bundesrat gegen derartige Vorhaben zu stimmen, um den damit verbundenen Schaden vom Land abwenden zu können.

(Vereinzelter Beifall SSW, SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Schließlich muss unsere Landesregierung Verantwortung für die Lebensumstände ihrer Bürger übernehmen. Wie Sie sicherlich wissen, haben Bund und Länder in Gemeinsamkeit einen umfassenden Konsolidierungspfad eingeschlagen. Mindereinnahmen würden also einen erheblichen Brocken auf der Wegstrecke darstellen.

Ein Gegenstück zum Abbau solcher verdeckten Steuererhöhungen durch die kalte Progression lässt sich natürlich nicht unmittelbar aus dem Hut zaubern. Um dem Antrag einen Schritt näherzukommen, müssen wir uns alle an dieser Stelle einmal Gedanken machen. Auf den Schuldenabbau kann an dieser Stelle ganz sicher nicht verzichtet werden. Was bleibt also übrig? Eine Sache, über die man in diesem Zusammenhang nachdenken muss, ist die Erhöhung des Spitzensteuersatzes.

Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kubicki?

Selbstverständlich gern.

Da ich die Debatte nicht verlängern möchte, möchte ich einfach nur für den Kollegen Harms, für die So

zialdemokraten und für die Grünen eine Literaturempfehlung aussprechen. Ich empfehle immer wieder gern das Buch von Peer Steinbrück mit dem Titel „Unterm Strich“. Auf den Seiten 347 und 348 äußert er sich zur Frage der kalten Progression. Wenn Sie das lesen, wird Ihnen vielleicht klar, dass mit der Frage der kalten Progression nicht die Frage -

(Zuruf Martin Habersaat [SPD])

- Sie haben offensichtlich noch nicht einmal Steinbrück gelesen. Sonst würden Sie solche Debattenbeiträge nicht leisten.

Unabhängig davon geht es nicht um die Frage der Steuersenkung oder um die Frage des Haushaltsausgleichs. Vielmehr geht es darum, dass die Ungerechtigkeit darin besteht, dass jemand, der eine Gehaltserhöhung bekommt, aufgrund der Tarifsteigerungen, aufgrund der kalten Progression netto weniger hat, als er vorher hatte. Das kann systematisch nicht richtig sein und muss deshalb beseitigt werden.

- Herr Kollege Kubicki, wir sind uns völlig einig in der Feststellung, dass die kalte Progression natürlich genau zu den Effekten führt, die Sie beschrieben haben. Es ist aber nun einmal so, dass bei künftigen Lohnerhöhungen auch künftige Einnahmen des Staates entstehen, der mit diesen Einnahmen rechnet. Wenn der Staat auf diese zukünftigen Einnahmen verzichten soll, dann müssen wir dies gegenfinanzieren. Nichts anderes habe ich hier gesagt. Ich glaube, das ist auch nachvollziehbar. Wenn wir darüber reden, müssen wir uns auch darüber Gedanken machen, wie man es schafft, die Abschaffung der kalten Progression zu finanzieren. Eine mögliche Maßnahme ist die Erhöhung des Spitzensteuersatzes.

(Beifall Dr. Ralf Stegner [SPD])

Andere Modelle, um die Folgen der kalten Progression abzumildern oder zu umgehen, sind beispielsweise die Einführung einer Flat Tax, eine weitere Absenkung des Eingangssteuersatzes oder die automatische Anpassung von Steuergrenzen und Absetzbeträgen an die Inflationsrate.

Mit Beginn dieses Jahres wurde ein Gesetz zum Abbau der kalten Progression auf den Weg gebracht. In zwei Schritten wird der Grundfreibetrag beim Einkommensteuertarif angehoben. Von dem zu versteuernden Einkommen bleibt also jetzt ein Grundfreibetrag in Höhe von 8.354 € in der Ein

(Lars Harms)

zelveranlagerung steuerfrei. Ob man dies als einen Schritt in die richtige Richtung oder auch nur als eine reine Kosmetik ansehen mag, ist sicherlich strittig. Das ist aber ein erster Schritt, um niedrige Einkommen zu entlasten. Ich glaube, man sollte einmal feststellen, dass das nicht so verkehrt ist.

Wir sehen als SSW nur zwei Grundsätze, an denen wir gern festhalten wollen. Der erste Grundsatz lautet: Starke Schultern können und sollen mehr tragen als schwache Schultern. Das ist unser erster Ansatz, meine Damen und Herren.

(Vereinzelter Beifall SSW, SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Unser zweiter Ansatz ist, dass Steuersenkungen immer auch gegenfinanziert sein müssen. Beim besten Willen kann ich einem Antrag ohne jeglichen Hinweis auf die Gegenfinanzierung nicht zustimmen.

(Vereinzelter Beifall SSW, SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Falls sich die FDP doch noch zu einem fundierten Gegenfinanzierungsplan aufraffen sollte, sind wir natürlich gern bereit, darüber nachzudenken. Das eine gehört aber definitiv auch zum anderen.

(Vereinzelter Beifall SSW, SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Landesregierung hat Frau Finanzministerin Monika Heinold das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn es um den Abbau der kalten Progression geht, steht zumeist der Begriff der Steuergerechtigkeit im Mittelpunkt der Debatte. In der Tat ist der Begriff heute schon mehrfach gefallen. Er steht auch in der Überschrift des FDP-Antrags: Mehr Steuergerechtigkeit für Schleswig-Holsteins Bürger. Wer wollte diesem Ziel widersprechen?

Ich will gern zugestehen: Dass Lohnerhöhungen, die lediglich die Inflation ausgleichen, zu einer höheren Steuerbelastung führen können, ist mit dem Begriff der Steuergerechtigkeit nur schwer unter einen Hut zu bringen. Die Landesregierung ist gern bereit, sich auf Bundesebene für mehr Steuergerechtigkeit einzusetzen, aber der springende Punkt in der Debatte ist dieser: Eine Ungerechtigkeit zu beseitigen, indem man neue Ungerechtigkeiten schafft, kann nicht das Ziel der Reise sein.

Es gibt nämlich noch einen anderen Gesichtspunkt, der zu berücksichtigen ist, und das ist die Generationengerechtigkeit. Schleswig-Holstein steht nach wie vor mit 27 Milliarden € in der Kreide. Das bedeutet: Jeder neunte Euro, den die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler dem Land anvertrauen, muss aktuell für Zinszahlungen zweckentfremdet werden.

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Wortmeldung des Herrn Abgeordneten Dr. Garg?

Das mache ich.

Vielen Dank, Frau Ministerin. Ich bin ganz bei Ihnen, wenn Sie den Aspekt der Generationengerechtigkeit so hervorheben. Würden Sie das, was derzeit in Berlin von der Großen Koalition im Hinblick auf unsere Sozialversicherungssysteme und insbesondere die Alterssicherungssysteme geplant ist, als generationengerecht bezeichnen?

- Nein.

(Beifall)

Die heutigen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler bezahlen damit die Zeche früherer Generationen. Deshalb haben wir mit der Schuldenbremse vereinbart, bis 2020 die Ausgaben und die Einnahmen des Landes wieder zusammenzuführen und den Haushalt generationengerecht aufzustellen. Der Finanzplan der Landesregierung sieht bis 2020 einen strukturell ausgeglichenen Haushalt vor, und zwar auf Basis unseres Trendsteuerpfades. Damit ist klar: Wer am Steueraufkommen des Landes oder des Bundes eine Stellschraube verändern will, der muss sich immer fragen, wie die Wirkung ist. Für Steuerveränderungen, die dazu führen, dass wir die zukünftige Generation mehr belasten, weil wir wieder mehr Schulden machen, steht diese Landesregierung nicht zur Verfügung.

Ja, es ist zutreffend, die Landesregierung hat in der vergangenen Woche den ersten erfolgreichen Jahresabschluss seit 1962 vorgelegt. Ja, es ist auch zutreffend, dass wir dank der guten Konjunktur, der niedrigen Zinsen und des klugen Konsolidierungspfades einen Haushaltsüberschuss haben erwirtschaften können. Es trifft auch zu, dass es uns gelungen ist, einige Sonderfonds aufzulegen, um die verdeckte Verschuldung und den Investitionsstau Stück für Stück abzuarbeiten. Es ist auch zutref

(Lars Harms)

fend, dass wir in dieser Legislaturperiode bereits 1,3 Milliarden € weniger Schulden als geplant aufgenommen haben. Aber diese hervorragende Zwischenetappe auf dem Weg zu einem dauerhaft ausgeglichenen Haushalt muss für uns Ansporn sein, den eingeschlagenen Konsolidierungspfad konsequent weiterzugehen. Sie darf nicht Anlass dazu sein, unsere Bemühungen einzustellen oder gar zu konterkarieren.

(Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN])

Meine Damen und Herren, Konsolidieren klappt nur, wenn wir die begonnene Diät durchhalten. Wer die Schokolade wieder aus dem Schrank holt, sobald die ersten Pfunde purzeln, hat in der Regel verloren.

(Beifall Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Dr. Patrick Breyer [PIRATEN])

- Einige von Ihnen scheinen diese Problematik zu kennen. - Genau das ist es aber, was bei CDU und FDP in diesen Tagen zu beobachten ist: Kaum hat das Land zum ersten Mal seit über 50 Jahren keine neuen Schulden gemacht, fallen CDU und FDP in die alten Handlungsmuster zurück.

(Lachen Volker Dornquast [CDU])

- Hören Sie zu, und lachen Sie fröhlich weiter. Die FDP fordert munter die Absenkung der Grunderwerbsteuer und die Abschaffung der kalten Progression. Dies führt automatisch zu geringeren Einnahmen, als wir sie sonst hätten. Und als wären wir mit der Konsolidierung schon durch, fordert die CDU, die von ihr damals zur Haushaltskonsolidierung beschlossene Kürzung des kommunalen Finanzausgleichs wieder zurückzunehmen. Gegenfinanzierung? - Fehlanzeige.