Protokoll der Sitzung vom 23.01.2015

- Entschuldigen Sie! Ich weise die Unterstellung, die in Ihrer Frage steckt, zurück. Ich habe nicht gesagt, die Bevölkerung sei nicht in der Lage, darüber zu befinden, was gerecht und fair ist, sondern ich habe einen gesunden Menschenverstand, und den darf man ja gelegentlich benutzen. Ich weiß doch, wie das bei einer Volksabstimmung ausgeht, wenn man gefragt wird: „Willst du Atommüll in deiner Nachbarschaft haben?“ Ich nehme an, da würde Herr Magnussen wahrscheinlich auch Nein sagen, weil er das nicht in seinem Garten haben will. So etwas käme dabei doch heraus. Ich sage Ihnen: Die repräsentative Demokratie dient auch dem Zweck, dass man gelegentlich Verantwortung für Dinge übernehmen muss, die eben nicht populär sind.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Hier müssen Leute, die gegen die Atomenergie sind, nun Verantwortung für die zukünftigen Generationen übernehmen. Das ist repräsentative Demokratie. Das haben Sie noch nie verstanden, Herr Kollege Breyer. Das will ich hier einmal deutlich sagen. Wir leben nämlich nicht in einer Schönwetterdemokratie, sondern hier geht es um etwas, bei dem man auch schwierigere Dinge zu lösen hat.

Langer Rede kurzer Sinn: Ich glaube wirklich, was die Beseitigung der Folgen angeht, wären wir gut beraten, a) zu kapieren, dass es ein großer Fehler der Menschheit gewesen ist, Atomenergie zu nutzen, und b) in gemeinsamer Verantwortung nach Wegen zu suchen, wie wir mit den Folgen so umgehen können, dass wir unseren nachfolgenden Generationen nicht noch mehr Schaden hinterlassen, als

ohnehin bereits Schaden angerichtet worden ist. Vielen Dank.

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat der Herr Abgeordnete Wolfgang Kubicki.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wollte nur darauf hinweisen, dass im Jahr 1914 die Sozialdemokraten den Kriegsschulden zugestimmt haben.

(Lachen SPD)

Ich sage dies deshalb, weil uns Dinge aus der Vergangenheit hier definitiv nicht weiterhelfen.

(Zuruf SPD)

- Das ist auch nicht falsch. Die Sozialdemokraten haben dem im Reichstag zugestimmt, selbstverständlich. Aber das ist jetzt wurscht.

Herr Kollege Dr. Stegner, ich akzeptiere das. Ich kann mich aber auch sehr gut erinnern, denn 1972 habe ich die betreffende Broschüre der SPD Schleswig-Holstein mit der Forderung nach einem massiven Zubau an Kernkraftwerken in der Hand gehabt. Auch bei uns hat es länger gedauert, dazu überzugehen, dass es tatsächlich Sinn macht, aus dieser Technik auszusteigen, wenn auch bei uns aus anderen Gründen als bei Ihnen, nämlich nicht wegen der Gefährlichkeit der Technik, sondern weil wir nach der Traube-Affäre unter Maihofer der Auffassung waren, dass ein Staat, der diese Technik anwendet, einen großen Sicherheitsapparat aufbauen muss, um alles Mögliche zu verhindern. Das wäre mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht in Übereinstimmung zu bringen. Das war unsere Maßgabe.

Wir haben Anfang der 80er-Jahre in SchleswigHolstein, übrigens auch als erster Landesverband, Abschied von der Atomenergie genommen. Das hat lange gedauert. Ich weiß es deshalb genau, weil ich die Parteitagsrede für den Kollegen Achterberg geschrieben habe, der sie gehalten hat - damals noch in der FDP, anschließend ging er in die SPD.

Wir haben uns selbstverständlich - das wissen Sie doch auch - aus Schleswig-Holstein heraus beim Einstieg in den Ausstieg gegen die Rückwärtsrolle der Bundesregierung gewandt. Wir haben in der Koalition mit der Union hier massive Streitpunkte gehabt, weil wir gesagt haben: Wir wollen, dass der Energiekonsens erhalten bleibt und wir aussteigen.

- Deshalb macht es keinen Sinn, wenn wir wechselseitig Schuldzuweisungen betreiben.

Ich will auch noch einmal sagen: Es hilft uns allen nicht weiter, ob wir dafür sind oder dagegen. Wir alle haben das gleiche Problem, völlig egal, welcher moralische Impetus dahintersteht. Wir alle haben das gleiche Problem, das wir lösen müssen. Das bedeutet, dass wir in Deutschland momentan technisch und genehmigungstechnisch zwei Anlagen haben - eine steht in Gorleben, die andere befindet sich in Lubmin -, in denen wir die Castoren unterbringen können. Wir können uns noch so sehr streiten, bis 2017 bekommen wir nirgendwo anders entsprechende Fazilitäten hin.

Das heißt, die Entscheidung wird getroffen werden müssen, ob wir das Endlagersuchgesetz verändern wollen, indem wir den Ausschluss der Zwischenlagerung der Castoren, die aus Sellafield kommen, in Gorleben aufheben und alles andere so lassen, oder ob wir den Bund veranlassen wollen, die Dinge in Lubmin einzulagern. Alles andere wird nicht funktionieren, nicht in der Zeit, die wir haben, auch rechtlich nicht.

Ich sage es noch einmal: Der moralisch sehr hochstehende Vorwurf hilft uns nicht. Ich akzeptiere, dass es schon immer das Lebenselixier des Kollegen Matthiessen war, gegen die Kernkraft zu kämpfen. Ich habe auch schon einmal gegen Gorleben demonstriert. Davon gibt es Bilder. Aber darauf kommt es nicht an. Wir haben ein Problem, das wir lösen müssen. Das lösen wir entweder gemeinsam, oder es wird keine Lösung geben.

(Beifall FDP, CDU und Lars Harms [SSW])

Ich sage es noch einmal: Das Problem, Herr Kollege Schulze, vor dem wir weiter stehen werden, ist, dass wir uns mit der Entscheidung des OVG Schleswig und des Bundesverwaltungsgerichts komplett in die Hände der Betreiber begeben haben beziehungsweise dass diese jetzt eine Position haben, die sie vorher nicht hatten, nämlich den politischen Entscheidungsträgern diktieren zu können, unter welchen Bedingungen wir sie dazu bewegen können, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Was passiert denn, wenn Vattenfall keinen Antrag stellt? Ersatzvornahme und anschließend stellen wir die Kosten in Rechnung? Was passiert? Appelle allein werden nicht mehr reichen.

Wir müssen uns in sehr kurzer Zeit sehr intensiv deshalb bin ich dankbar dafür, das im Ausschuss weiter zu beraten, das war auch unser Antrag - gemeinsam Gedanken darüber machen, wie wir das in einer Art und Weise lösen können, wie wir alle es

wollen, nämlich zu einer vernünftigen Zwischenlagerung und dann möglicherweise auch zu einer vernünftigen Endlagerung zu kommen. Wie gesagt, die Zeit ist aufgrund der Entscheidung äußerst knapp bemessen. - Herzlichen Dank.

(Beifall FDP und CDU)

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat der Abgeordnete Dr. Patrick Breyer.

Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Das Demokratieverständnis des Kollegen Dr. Stegner gibt mir Anlass zu diesem Wortbeitrag. Denn ich meine, dass aus Ihrem Beitrag, Herr Dr. Stegner, noch einmal ganz klar hervorgegangen ist, dass Sie den Bürgerinnen und Bürgern nicht den Horizont zutrauen, weiter zu denken als ihre Nachbarschaft,

(Beifall Uli König [PIRATEN])

und dass Sie ihnen pauschal unterstellen, niemand würde Atommüll in seiner Nachbarschaft haben wollen, dass Sie sozusagen nur Politikern zutrauen, eine Entscheidung zu treffen, die am Allgemeinwohl und an den nachfolgenden Generationen orientiert ist, und den Bürgerinnen und Bürgern diese Mündigkeit absprechen.

Ich sage Ihnen, dass das nicht nur hochmütig und eine Missachtung von Bürgern, sondern dass das auch kontraproduktiv ist. Denn indem Sie die Bürger entmündigen und ihnen wichtige Entscheidungen beim Thema EU, beim Thema bundesweite Volksentscheide, die es bis heute noch nicht gibt, vorenthalten, indem die Politik das seit Jahrzehnten macht, sorgt sie gerade erst für Widerstand. Der Widerstand wäre gar nicht da, wenn man die Menschen mitnehmen und mitentscheiden lassen würde. Dann könnte man sie überzeugen. Aber indem Sie ihnen das nicht zutrauen und sie nicht mitreden lassen und sagen, nur Politiker seien in der Lage, dazu eine vernünftige Entscheidung zu treffen, schaffen Sie überhaupt erst Widerstand, schaffen Sie Politikverdrossenheit, schüren Sie die Ablehnung von Parteien und von Politik generell bis hin zu Europaskepsis und Europafeindlichkeit und zur Ablehnung von Demokratie insgesamt.

Es macht mich sehr besorgt, dass wir, indem wir den Bürgern die Mündigkeit absprechen, solchen unreflektierten Protestbewegungen Auftrieb geben. Das dürfen wir nicht zulassen. Deswegen plädiere ich dafür, den Bürgerinnen und Bürgern zuzutrau

(Wolfgang Kubicki)

en, eine Entscheidung zu treffen, die im Wohl der Allgemeinheit liegt.

Das gilt auch für die Frage, ob zusätzlicher Atommüll nach Schleswig-Holstein verbracht werden darf. Deswegen war es richtig, dass wir PIRATEN einen Volksentscheid über diese Frage gefordert haben.

(Beifall Uli König [PIRATEN])

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat der Abgeordnete Dr. Kai Dolgner.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Breyer, grau ist alle Theorie, kann ich dazu nur sagen. Ich bedauere, dass Sie noch nicht die Gelegenheit hatten, in der Kommunalpolitik so schwierige Entscheidungen mit zu treffen und mit vorzubereiten wie zum Beispiel die Wahl des Standorts einer neuen Mülldeponie.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das war 1994 nämlich meine erste Erfahrung: Standortsuchverfahren Mülldeponie Rendsburg-Eckernförde. Da haben wir etwas ganz Tolles gemacht, ein sehr offenes Verfahren, sogar sehr „piratig“, obwohl es planungsrechtlich natürlich nicht um einen Bürgerentscheid ging. Wir haben immer alle Unterlagen veröffentlicht, ewig viele Veranstaltungen im Kreistag gemacht. Es war vollkommen klar, nachher waren sich alle Experten einig, wo denn der ideale Standort ist. Raten Sie einmal, was am Ende eines solchen Verfahrens passiert ist und passieren musste: Die Bürgerinnen und Bürger des betroffenen Standortes in RendsburgEckernförde haben das natürlich nicht richtig gefunden. Natürlich bildete sich eine Bürgerinitiative. Das ist auch deren gutes Recht.

Jetzt wäre die Frage: Was schlagen Sie vor, wer denn über den Standort abstimmen soll? Der gesamte Kreis Rendsburg-Eckernförde? Denn auch der Kreistag stimmt dann natürlich insgesamt ab. Das wäre dann die Alternative in Ihrem Verfahren. Dann würden die Bürger vor Ort aber trotzdem nicht befriedigt sein, sondern sagen: Alle anderen Kreisbürger haben den Dreck jetzt zu uns hingeschoben.

Herr Abgeordneter Dr. Dolgner, gestatten Sie eine Bemerkung des Abgeordneten Dr. Breyer?

Wenn ich, statt eine Frage zu stellen, auch eine Antwort geben darf, möchte ich Ihre Frage gern dahin gehend beantworten, dass unser Vorschlag zur Volksabstimmung über die Zwischenlagerung war, die Bürgerinnen und Bürger Schleswig-Holsteins zu befragen.

(Serpil Midyatli [SPD]: Das ist ja toll!)

- Dann haben Sie natürlich nicht die Alternativen mitbefragt. Denn irgendwo muss das Zwischenlager ja sein. Das heißt, wenn man sagt, man hat in Deutschland eine Verpflichtung zum Zwischenlagern, dann muss man ganz Deutschland darüber abstimmen lassen und nicht nur Schleswig-Holstein, sonst sagen nämlich die Betroffenen wieder: Bei uns nicht zwischenlagern! - Dann machen Sie eine Abstimmung in jedem einzelnen Bundesland. Dann haben Sie es genauso auf der größeren Ebene.

Aber wir brauchen das gar nicht so theoretisch zu machen. Ich sage Ihnen nämlich, was damals passiert ist: Die Initiativen, die sich gegen den einen Standort gewehrt haben, haben natürlich aus ihren guten Gründen auch gesagt, der andere Standort müsste es sein. Wir hatten fünf Standorte im Schlussrennen. Raten Sie einmal: An allen fünf Standorten gab es Bürgerinitiativen. Sie haben sich nicht zusammengeschlossen und nicht gesagt: Prima, Bürgerbeteiligung! Der Standort, der es wird, der akzeptiert das.

Sie haben die These aufgestellt, dass derjenige, der die gesellschaftliche Gesamtlast zu tragen hat, dies akzeptieren würde, weil er an dem Verfahren beteiligt worden ist. Dafür gibt es keinerlei empirische Daten. Bei keiner Umgehungsstraße werden Sie keinen finden, bei dem die Umgehungsstraße direkt vor der Tür vorbeiführt, der sagt: Weil es ein schönes demokratisches Verfahren war, finde ich es gut, dass mein Häuschen an Wert verloren hat.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Herr Abgeordneter Dr. Dolger, es drängt den Abgeordneten Dr. Breyer, Ihnen eine weitere Zwischen

(Dr. Patrick Breyer)

frage zur Mülldeponie in Rendsburg-Eckernförde zu stellen.

(Heiterkeit)

Ja. Das ist reale Politik vor Ort. Das wird ja immer gefordert.