Protokoll der Sitzung vom 19.02.2015

Wenn wir in unsere mittelständischen Unternehmen sehen, in die Sportvereine, in die Museen des Landes, dann stellen wir fest, dass dort die Arbeitszeiten wirklich minutiös erfasst und dokumentiert werden müssen, und zwar - das ist der Punkt - über die normalen Anforderungen hinaus. Das ist die zusätzliche Bürokratie, die wir beklagen. Die Daten müssen ständig für den Zoll abrufbar sein, und zwar für Gehälter bis zu einer Höhe von 2.958 € im Monat. Wenn Sie einmal nachrechnen: Um dieses Gehalt zu erreichen, muss ein Arbeitnehmer, der Mindestlohn erhält, 29 Tage im Monat jeweils 12 Stunden am Tag arbeiten. Das ist völlig weltfremd und Ausdruck einer heillosen Überbürokratisierung, die wir hier vor uns haben.

(Beifall CDU)

Selbst für Beschäftigte, deren Lohn und deren Arbeitszeiten vertraglich festgeschrieben sind, muss dies alles noch einmal extra dokumentiert werden. Auch das ist bürokratischer Wahnsinn. Ganz skurril wird es dann, wenn bei der Sozialversicherung Arbeitszeiten über längere Zeiträume ausgeglichen werden können, beim Mindestlohn aber punktgenau auf das Monatsende hin dokumentiert werden muss.

(Olaf Schulze [SPD]: Das ist falsch!)

Der Zoll sagt, eine Lohnangleichung über das Jahr sei unzulässig - und das, obwohl es in der Sozialversicherung mit den Krankenkassen eine entsprechende Einigung gibt. Unvertretbar ist dies. Saisonarbeiter, Erntehelfer, Hotels und Gastronomie werden mit dieser Regelung vor erhebliche Probleme gestellt; denn ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Familienfeier nachts um zwei Uhr beendet wird, nur weil die Dokumentationsdienstpflichten nicht mehr eingehalten werden können oder dass bei gutem Wetter die landwirtschaftliche Ernte abgebrochen wird, nur weil die Dokumentationspflichten nicht mehr eingehalten werden können.

(Vereinzelter Beifall CDU)

Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, ist es doch auch nur richtig, dass sogar der SPD-Fraktionschef in Baden-Württemberg Ausnahmen von diesen Mindestlohnregelungen fordert.

(Hans-Jörn Arp [CDU]: Recht hat er!)

Ich fordere Sie auf: Sie sollten sich hieran ein Beispiel nehmen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wo ist Stegner?)

Dieses Mindestlohngesetz erhöht die Hürden für Unternehmer, neue Mitarbeiter einzustellen, weitaus stärker, als es unserer sozialen Marktwirtschaft guttut.

(Vereinzelter Beifall CDU - Olaf Schulze [SPD]: Wo ist der Oppositionsführer?)

Wir können doch nicht ernsthaft wollen,

(Sandra Redmann [SPD]: Sollen wir das jetzt auch jedes Mal sagen, wenn - -?)

dass Unternehmen sich aus Geschäftsbereichen zurückziehen oder sich an öffentlichen Ausschreibungen nur deswegen nicht beteiligen, weil der Staat an sie zu hohe bürokratische Anforderungen stellt.

Wir haben im Landtag schon häufig über Bürokratie geredet. Es ist der Ministerpräsident, der sich beim Jahresempfang der IHK hinstellt und die Unternehmen als - ich zitiere - die tragenden Stützen unseres Gemeinwohls bezeichnet, Bürokratieabbau verspricht. Aber das Versprechen des Ministerpräsidenten von Bürokratieabbau hat er selbst in diesem Land an keiner Stelle ernst genommen.

(Beifall CDU und Dr. Ekkehard Klug [FDP] - Zuruf Olaf Schulze [SPD])

Entsetzt bin ich allerdings darüber, dass Unternehmer, die natürlich Arbeitszeiten einhalten, die Arbeitszeiten auch dokumentieren, die sich aber über die zusätzlichen Dokumentationspflichten beim Mindestlohn beschweren - zu Recht beschweren -, von Herrn Dr. Stegner bei Twitter mit Trotteln und Ganoven verglichen werden. Das haben die Mittelständler in diesem Land nicht verdient.

(Beifall CDU und FDP)

Das haben auch die Ehrenamtler, die von dieser Regelung betroffen sind, nicht verdient.

(Zuruf Olaf Schulze [SPD])

Die CDU-Landtagsfraktion wird den Wirtschaftsminister des Landes Schleswig-Holstein beim Wort nehmen; denn auch Herr Meyer kritisiert zu Recht den bürokratischen Aufwand beim Bundesmindestlohn. Ich habe mich gefreut, dass er sich beim Jahresempfang des HGV in Bergenhusen dafür ausgesprochen hat, Betriebe mit bis zu zehn Mitarbeitern von diesen überzogenen Dokumentationspflichten auszunehmen - ein tolles Signal, Herr Wirtschaftsminister!

(Beifall CDU und FDP)

Die CDU will mit diesem Antrag weniger Bürokratie beim Mindestlohn erreichen. Der Ministerpräsi

(Johannes Callsen)

dent - wenn er denn an der Abstimmung teilnimmt -, aber auch die Koalition kann sich entscheiden, ob sie der Bewertung von Herrn Dr. Stegner folgt oder der fachlich richtigen Forderung Ihres Wirtschaftsministers. Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag. - Herzlichen Dank.

(Beifall CDU und FDP)

Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Wolfgang Baasch.

(Zurufe)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bürokratische Belastungen beim Mindestlohn abbauen - so lautet die Überschrift des CDU-Antrags. Wenn wir einen Antrag hätten schreiben wollen, hätten wir ihn überschrieben mit: Mehr Gerechtigkeit durch den bundesweiten gesetzlichen Mindestlohn. Darum geht es und nicht um das Vortragen von bürokratischen Hemmnissen; dazu im Weiteren mehr.

Der bundesweite gesetzliche Mindestlohn ist eine wirksame Maßnahme, um Armut und Ausbeutung zu begrenzen. Mit dem Mindestlohn wird der zunehmenden prekären Beschäftigungsform in unserer Gesellschaft ebenso wie der wachsenden Altersarmut entgegengewirkt. Von der Einführung des bundesweiten gesetzlichen Mindestlohns zum 1. Januar 2015 profitieren rund vier Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

(Zuruf Hans-Jörn Arp [CDU])

- Das glaubst du doch wohl selber nicht, Hans-Jörn, so ein Blödsinn. - Oder um es an einem schleswigholsteinischen Beispiel zu verdeutlichen: Nach Berechnungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes mussten in der Hansestadt Lübeck mehr als 4.900 Vollzeitbeschäftigte mit weniger als 8,50 € Stundenlohn auskommen. Das heißt, über 8 % der insgesamt über 55.000 Vollzeitbeschäftigten in der Hansestadt Lübeck profitieren von der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns. Das ist das Stück Gerechtigkeit, das zu dieser Gesellschaft gehört.

(Beifall SPD, Dr. Patrick Breyer [PIRATEN] und Flemming Meyer [SSW])

Wer wie der Kollege Callsen hohe Bürokratie bei der Dokumentation kritisiert - was muss denn dokumentiert werden, Herr Kollege Callsen? Es müssen Beginn, Dauer und Ende der Arbeitszeit aufgezeichnet werden. Und nach welchem Gesetz wird

dies gemacht? - Nach dem Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie auch dieses ändern wollen, um der Schwarzarbeit Tür und Tor zu öffnen. Denn Sie wissen ganz genau: Wer solche Regeln aufweicht, der leistet dem Missbrauch Vorschub. Das wollen wir auf keinen Fall.

(Beifall SPD, PIRATEN und SSW)

Der gesetzliche Mindestlohn ist nun gerade sechs Wochen in Kraft. Seitens der Arbeitgeberverbände und von großen Teilen der Union gibt es massive Angriffe gegen den gesetzlichen Mindestlohn. Dies ist schwer nachvollziehbar, wurde der gesetzliche Mindestlohn doch mit einer überwältigenden Mehrheit im Deutschen Bundestag beschlossen, auch mit den Stimmen der Union.

Für praktische Probleme, die sich bei der Einführung des Mindestlohns ergeben, wird die Bundesarbeitsministerin in einem Dialog mit Wirtschaft, Gewerkschaften und Vereinen nach Lösungen suchen. Denn es geht nicht darum, bürokratische Hindernisse aufzubauen oder unnötige Belastungen zu erzeugen, sondern es geht schlicht und einfach darum, dass gesetzliche Regeln zum Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eingehalten werden. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben ein Recht darauf, vor Lohndumping geschützt zu werden, sie haben ein Recht darauf, vor Ausbeutung geschützt zu werden, und genau hier wirkt der gesetzliche Mindestlohn.

(Beifall SPD, SSW und Wolfgang Dudda [PIRATEN])

Ich bin mir sicher, dass auch die Akzeptanz bei den Unternehmern für den Mindestlohn zunehmen wird, wenn erst klar ist, dass alle den Mindestlohn zahlen müssen. Mindestlöhne und Arbeitsschutz dienen den Beschäftigten. Einige Arbeitgeber versuchen aber mit allen Tricks, den Mindestlohn zu umgehen. Das ist kein Kavaliersdelikt.

Die Debatte um die Dokumentation von Arbeitszeiten ist ein Armutszeugnis. Hier verbündet sich die CDU mit den Branchen, die als besonders anfällig für Schwarzarbeit gelten. Schon das Arbeitszeitgesetz verlangt die Dokumentation. Die Erfassung der Arbeitszeit ist schon immer die Grundlage jeder Lohnzahlung gewesen. Warum nun mit dem Mindestlohn etwas anderes gefordert wird, ist mir ein Rätsel. Eine Erfassung der Arbeitszeiten muss eigentlich Alltag in jedem Betrieb sein. Es darf nicht sein, dass der Mindestlohn gezahlt wird, aber die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dann mehr

(Johannes Callsen)

Stunden dafür arbeiten sollen - unbezahlt und nicht dokumentiert.

(Vereinzelter Beifall SPD, PIRATEN und SSW - Unruhe)

Die Einhaltung des gesetzlichen Mindestlohns muss daher streng kontrolliert werden.

Mit dem Mindestlohn haben sich die Chancen deutlich verbessert, der großen Mehrheit der Beschäftigten ein existenzsicherndes Einkommen zu garantieren und den Niedriglohnsektor zurückzudrängen.

Herr Abgeordneter Baasch, gestatten sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung des Abgeordneten Kubicki?

Herr Kollege Baasch, erfassen Sie die Arbeitszeit der Mitarbeiter in Ihrer Fraktion und in der AWO?

(Zurufe SPD: Ja!)