Protokoll der Sitzung vom 19.02.2015

men Mindestlohn; ohne Wenn und Aber. Die Arbeitskraft eines Menschen voll in Anspruch zu nehmen, ihm dafür aber nicht einmal das zu zahlen, was er zum Überleben nötig hat, ist wirklich unanständig.

(Beifall PIRATEN, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Daher kritisieren wir umgekehrt an dem Mindestlohngesetz, dass er durch Ausnahmen durchlöchert wird und dass Arbeitnehmer im Millionenbereich nicht davon erfasst sind: Jugendliche, Langzeitarbeitslose, ja ganze Branchen wie Leiharbeiter oder Beschäftigte im Friseurhandwerk bekommen weiterhin nicht den gesetzlichen Mindestlohn.

Auch dies hat mich besonders entsetzt: In unseren Landesbehörden werden nach Angaben der Landesregierung auf meine Anfrage hin fertig ausgebildete junge Menschen monatelang ohne jede Bezahlung als Praktikanten ausgebeutet. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich frage Sie: Wovon sollen die in der Zeit eigentlich leben? Wir brauchen hier dringend Rechte für die Praktikanten, die bei Landesbehörden beschäftigt sind.

Ganz allgemein muss man von seiner Arbeit leben können. Da ist es erst einmal egal, ob man für ein Unternehmen oder für einen Verein arbeitet. Es ist auch erst einmal egal, wie groß das Unternehmen ist. Es geht darum, dass die Menschen von ihrer Arbeit leben können müssen. Es reicht nicht, dass dieser Anspruch auf einen Mindestlohn nur auf dem Papier besteht. Er muss auch durchgesetzt werden; wenn es nottut auch bis hinein in die FDPFraktion, wenn er auf ihre Arbeitnehmer anwendbar ist. Die Stundenerfassung ist natürlich die Grundlage dafür, einen Mindestlohn von 8,50 € pro Stunde überhaupt abrechnen zu können. Und deshalb ist die Dokumentation der Arbeitszeiten das Kernstück einer wirksamen Kontrolle und keine überflüssige Bürokratie.

(Beifall PIRATEN)

Herr Kollege Kubicki, ein Tipp von mir: Übrigens kann diese Dokumentation dem Arbeitnehmer auch selbst aufgetragen werden. So funktioniert das in unserer Fraktion. Dies wird dort selbst aufgeschrieben und dokumentiert.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wenn Sie am Sonntag Ihren Pressesprecher anrufen, wird das nicht dokumentiert!)

- Unsere Arbeitnehmer schreiben selbst auf, wie lange sie arbeiten. - Wir müssen leider anhand der Erfahrungen mit diesem Gesetz feststellen, dass es

(Christopher Vogt)

schwarze Schafe in der Wirtschaft gibt, die durch eine geringere Arbeitszeit mit erwarteten Überstunden versuchen, dieses Mindestlohngesetz zu umgehen. Ich finde es bezeichnend, dass ausgerechnet die selbsternannte Law-and-Order-Partei CDU, die sonst das Leben der Bürgerinnen und Bürger möglichst lückenlos bis in die Privatwohnung hinein kontrollieren und überwachen will, nicht so genau hinsehen will, wenn es um die Einhaltung der Gesetze durch die Wirtschaft und die Arbeitgeber geht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb sage ich Ihnen: Es geht bei den Dokumentationspflichten auch um den Schutz der ehrlichen Unternehmen, die den Mindestlohn zahlen, die korrekt abrechnen und die die Stunden erfassen. Es braucht einen fairen Wettbewerb, damit ehrliche Unternehmen nicht unter Dumpingwettbewerb leiden. Deshalb dürfen wir auf gar keinen Fall die geringfügig Beschäftigten aus diesem Anwendungsbereich herausnehmen, denn gerade hier sind leider besonders häufig Rechtsverstöße in der Rechtspraxis festzustellen. Von diesem Punkt wären wirklich sechs Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer betroffen, die doch am dringendsten darauf angewiesen sind, von ihrer Arbeit leben zu können und darauf, dass der Mindestlohn ordentlich an sie gezahlt wird.

Zu einigen anderen Punkten würde eine Anhörung durchaus Sinn machen, zum Beispiel beim Punkt mehr Rechtsklarheit, was denn die Pflichten konkret beinhalten. Deswegen schlage ich vor, diesen Antrag an den Wirtschaftsausschuss zu überweisen, damit wir dort eine Anhörung durchführen können.

Ich möchte für uns PIRATEN aber ganz klar feststellen, dass wir mehr Existenzsicherung für die Menschen in Deutschland brauchen und nicht weniger. - Vielen Dank.

(Beifall PIRATEN)

Das Wort für die Abgeordneten des SSW hat der Abgeordnete Flemming Meyer.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Es war ein langer und beschwerlicher Weg, bis das Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns in Deutschland auf den Weg gebracht werden konnte und bis es schließlich am 1. Januar dieses Jahres in Kraft treten konnte. Es

war endlich an der Zeit, eine gesetzliche Regelung herbeizuführen.

Wir als SSW hätten es prinzipiell zwar lieber gesehen, dass sich die Tarifpartner in der Frage geeinigt hätten, aber dann hätten wir wohl bis zum Sankt Nimmerleinstag warten müssen; denn Zeit war bis dahin bereits genug verstrichen.

Fakt ist, die Ausweitung des Niedriglohnsektors und auch die steigende Zahl der Zeit- und Leiharbeit haben sich in Deutschland rasant entwickelt. Dies hatte zur Folge, dass die gezahlten Löhne in diesen Bereichen häufig nicht ausreichten, um die Existenz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu sichern. Diesen Menschen blieb, trotz Vollbeschäftigung, nichts anderes übrig, als ihr Gehalt durch Arbeitslosengeld II auf das Niveau der Grundsicherung aufzustocken.

Aus diesem Grund brauchte es endlich eines arbeitsmarktpolitischen Instruments, das das Aufstocken überflüssig macht. Das bundesweite Mindestlohngesetz ist solch ein Instrument. Vollbeschäftigte müssen von ihrer Arbeit leben können, ohne dass sie am Ende des Monats auf staatliche Leistungen zugreifen müssen, um überhaupt über die Runden zu kommen.

(Beifall SSW und SPD)

Arbeitsmarktstrukturen, die derartige Missstände zulassen, sind menschenunwürdig.

(Beifall SSW und SPD)

Darüber hinaus sind derartige Verhältnisse wirtschaftsfeindlich. Durch die Hintertür wurden Unternehmen subventioniert, die zu niedrige Löhne gezahlt haben. Das führte zu Ungerechtigkeiten im Wettbewerb gerade gegenüber den Unternehmen, die vernünftige Löhne gezahlt haben. Dies gehört einfach noch einmal in den Blick gerückt, wenn wir heute über den bundesweiten Mindestlohn sprechen.

Dem dadurch entstandenen Handlungsdruck konnte sich die Politik letztendlich nicht mehr entziehen, auch nicht die Union. Zähneknirschend hat sie - aus ihrer Sicht - die Kröte geschluckt und hat für das Mindestlohngesetz die Hand gehoben.

Was die CDU in Schleswig-Holstein anscheinend immer noch nicht verstanden hat, ist, dass dieses arbeitsmarktpolitische Instrument die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland vor unangemessenen Löhnen schützt.

(Beifall SPD)

(Dr. Patrick Breyer)

Zudem leistet der gesetzliche Mindestlohn einen Beitrag für einen fairen und funktionierenden Wettbewerb, und er sorgt für mehr Stabilität in den sozialen Sicherungssystemen. Das ist es doch, worum es geht.

Es entsteht aber der Eindruck, dass die CDU das nicht akzeptieren will. Ihr Antrag wirkt somit als ein Kampfinstrument gegen gerechte Löhne und fairen Wettbewerb.

Gerade mal einen Monat nach Inkrafttreten des Gesetzes hat die CDU bereits ihren Antrag eingereicht. Bereits nach einem Monat fängt die CDU damit an, das Mindestlohngesetz zu zerpflücken. Die Dokumentationspflicht wird als Gängelinstrument gesehen und als erhebliche negative und bürokratische Belastung dargestellt. Um aber sicherzustellen, dass der Mindestlohn auch überall tatsächlich für die geleistete Arbeitszeit bezahlt wird, müssen Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern erfasst werden. Es braucht also eine Dokumentationspflicht, damit das Gesetz nicht ausgehebelt wird. Anders ist die Einhaltung nicht zu gewährleisten.

Es ist aber keine mathematische Hochleistung erforderlich, um die Stunden zu erfassen. Ein einfacher Stundenzettel reicht völlig aus; diesen kann auch der Arbeitnehmer ausfüllen. Hier von erheblichen Belastungen zu reden, ist völlig überzogen. Jo tak.

(Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort zu einem ersten Kurzbeitrag hat der Herr Abgeordnete Wolfgang Dudda.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin aus zwei Gründen an das Rednerpult gegangen. Der eine ist eine uralte Bringschuld gegenüber dem „Spiegel“, der mir im Sommer 2012 unterstellt hat, ich hätte mich nur in den Landtag wählen lassen, um Politik für meine Leute vom Zoll oder für meine GdP zu machen.

Es wird Zeit, dass ich das tue. Die Gelegenheit jetzt ist günstig, weil die Diskussion, die hier stattfindet, mich anwidert. Sie ist völlig dekadent und geht von völlig falschen Voraussetzungen aus. Ich will Ihnen auch gern erklären, woran das liegt.

Da sitzt normalerweise der Herr Ministerpräsident. Er und ich hatten einmal denselben Dienstherrn, wobei er dem Herrn funktionell näher war als ich und ich dem Dienst näher war.

(Zuruf CDU: Das hat sich ja nun geändert! - Heiterkeit)

Wir haben damals schon erlebt, was wir heute mit dem Bundesfinanzministerium wieder erleben. Das Bundesfinanzministerium als Dienstherr der Finanzreform und der Schwarzarbeit ist weder gewillt noch in der Lage, eine vernünftige Kontrolle des Mindestlohns überhaupt zu organisieren, weil es sich gedanklich in einer Zeit befindet, die noch vor dem Ersten Weltkrieg liegt. Ich will Ihnen auch erklären, warum.

Man hat dort ein Verständnis von einem Prüfdienst. Mit einem Prüfdienst möchte man die Kollegen kontrollieren, die gegen den Mindestlohn verstoßen. Die Wahrscheinlichkeit, dabei entdeckt zu werden, bewegt sich bei eins zu zehntausend. Wäre ich selbstständig, würde ich dieses Risiko mit Sicherheit eingehen, wenn ich denn geldgierig genug wäre.

Herr Schäuble macht es ganz bewusst nicht. Er stellt die Finanzpolizei - so sehen wir das jedenfalls - nicht so auf, wie es sein muss. Daraus könnte eine echte Arbeitsmarktpolizei werden mit Marktbeobachtung, die ihre 16.000 bis 17.000 Beschäftigten strategisch so einsetzen könnte, dass dem Gesetz zumindest Nachhaltigkeit verliehen werden könnte. Aber das ist nicht der Fall. Man sieht die Aufgabe im Finanzministerium - Herr Albig könnte es bestätigen, weil er selber die Sprachregelung bedient hat - als Annex des Zolls. Das sagt bereits alles über die Bedeutung dieser Kontrollbehörde.

Ich will Ihnen dazu noch etwas sagen. Mittlerweile finden bei der Finanzkontrolle der Schwarzarbeit deutlich mehr Telefonüberwachungs- und Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen statt als beim Zoll ansonsten insgesamt. Damit haben Sie einen Eindruck davon, wie dringlich das Problem und wie bedeutsam das Problem ist. Das wird vom Bundesfinanzministerium organisatorisch völlig ignoriert und völlig falsch aufgestellt. Man kann nur dann dem Lohndumping, der Schwarzarbeit und der illegalen Beschäftigung die Zähne zeigen, wenn man eine Arbeitsmarktpolizei strategisch richtig aufstellt. Das, was das BMF hier anbietet, ist nichts anderes als fiskalischer Karies. Ich kann Ihnen eines sagen: Die Mitarbeiter dort haben genügend Biss, die wollen gerne, aber man lässt sie nicht.

(Flemming Meyer)

Ein letztes Wort: Natürlich müssen wir uns zum Beispiel auch über die Überstunden von jungen Assistenzärzten im UKSH kümmern. Wenn wir uns darum nicht kümmern, haben wir dort auch bald eine Mindestlohnunterschreitung, und dafür brauchen wir keine Polizei. - Vielen Dank.

(Beifall PIRATEN und FDP)

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat die Frau Abgeordnete Barbara Ostmeier.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Landtagspräsident! Eigentlich wollte ich Sie schon in die Mittagspause entlassen, aber Herr Schulze hat mich mit seinem Zwischenruf, die Ehrenamtler seien davon gar nicht betroffen, nun doch aufgefordert, hier einmal das Ehrenamt zu vertreten.

(Beifall CDU und FDP)

Ich möchte versuchen, Ihnen in drei Minuten darzustellen, welche Auswirkungen diese Dokumentationspflichten für unsere 2.600 Vereine in Schleswig-Holstein haben, in denen immerhin 25.000 Ehrenamtliche engagiert ihren Dienst tun, und zwar nicht nur dann, wenn sie Sport treiben, sondern auch dann, wenn sie die Verwaltungsarbeit ehrenamtlich übernehmen. Dass es hier ein enormes Anwachsen an bürokratischem Aufwand gegeben hat, das bestätigt übrigens auch der DFB, insbesondere für den Amateursport im Fußball.

Dokumentationspflichten sind gestiegen, es gibt Fragen über Fragen, die nicht nur die Übungsleiter und Trainer, sondern auch die Spieler und Betreuer betrifft. Es sind ganz einfache Sachen: Auswärtsfahrten in der Regionalliga, Flensburg Weiche besucht SSV Meppen: Arbeitszeit? Duschen nach dem Spiel: Arbeitszeit? Kleine Pausen zwischen den Pausen innerhalb des Trainings: Arbeitszeit? Es ist kein Scherz: Das sind genau die Fragen, die sich stellen, die man dokumentieren muss, um später auch dokumentieren zu können: War das jetzt Freizeit, war das ehrenamtlich oder war das Arbeitszeit?