Protokoll der Sitzung vom 20.03.2015

(Anke Erdmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Quatsch!)

Das Bundesverfassungsgericht hat eine Nachbesserung bis Mitte 2016 angeordnet, nicht die vollständige Neugestaltung der Erbschaftsteuer. Es wäre wirtschaftspolitischer Unsinn, durch eine Erbschaftsbesteuerung die Fortführung von Betrieben und damit den Erhalt von Arbeitsplätzen zu gefährden. Wir brauchen - das sage ich deutlich - auch weiterhin eine Verschonungsregelung, die für die Betriebe wirklich greift.

(Beifall CDU und FDP)

Denn schon heute scheitern viele Betriebsübergänge, weil die nächste Generation den Betrieb nicht fortführen möchte oder zu hohe Auflagen bekommt. Eine höhere Erbschaftsteuer auf Betriebsvermögen wird dieses Problem weiter verschärfen. Diese Umstände müssen bei der Unternehmensübergabe und damit auch bei der Gestaltung der Erbschaftsteuer berücksichtigt werden. Die Unternehmen brauchen Planungssicherheit. Das gilt ge

rade für den Mittelstand und das Handwerk in Schleswig-Holstein.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass diese rot-grün-blaue Koalition für den Mittelstand in diesem Land nichts übrig hat, haben Sie in SchleswigHolstein mit ihren wirtschaftsfeindlichen Gesetzen in den vergangenen Jahren oft genug bewiesen.

(Lars Winter [SPD]: Deshalb boomt die Wirtschaft so!)

Herr Kollege Dr. Garg, aus der Erbschaftsteuer eine reine Landessteuer zu machen,

(Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP])

darüber könnte man ja theoretisch reden, Kollege Kubicki. Aber ich sage deutlich: Allenfalls erst dann, wenn Herr Dr. Stegner in Rente ist. Denn wenn Herr Dr. Stegner dieses Instrument in die Hände bekommt, dann werden wir nicht das Musterländle in Deutschland, sondern dann werden wir den Projekttitel „DDR 2.0“ tragen.

Meine Damen und Herren, unsere Auffassung ist, dass mittelständische Familienbetriebe grundsätzlich von der Erbschaftsteuer freigestellt werden sollten, wenn der Betrieb fortgeführt wird und die Arbeitsplätze erhalten werden. Kleinere Betriebe brauchen vereinfachte und unbürokratische Nachweispflichten. Das sind unsere klaren Leitlinien für eine Reform der Erbschaftsteuer, damit Mittelstand und Handwerk in Schleswig-Holstein Zukunft haben. - Herzlichen Dank.

(Beifall CDU und FDP)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Herr Abgeordnete Rasmus Andresen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom letzten Dezember ist eine Aufforderung, das Erbschaftsteuergesetz gerechter zu machen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Quatsch!)

Eine Privilegierung von Betriebsvermögen macht nur Sinn, wenn der Bestand des Unternehmens und der Erhalt der Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen. Kleine und mittelständische Unternehmen nicht zu

(Johannes Callsen)

gefährden, ist gerade für uns in Schleswig-Holstein ganz wichtig.

Herr Kollege Callsen, ich wundere mich, worüber wir hier eigentlich zum Teil reden. Rot-Grün-Blau vertritt ein Schäuble-Modell. Schäuble ist immer noch Mitglied der CDU. Mit dem, was Sie hier gegen uns rhetorisch in die Debatte einbringen, treffen Sie eigentlich Ihren eigenen Bundesfinanzminister.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Das finde ich schon absurd. Weder reden wir über 100 % Erbschaftsteuer, wie es andere zu anderen Zeitpunkten in der Geschichte schon einmal erhoben haben, noch reden wir darüber, kleine und mittelständische Unternehmen nicht schonen zu wollen. Wenn Sie das Gefühl haben, dass Ihr Finanzminister da auf einem anderen Weg ist, dann sagen Sie es doch wenigstens direkt.

Herr Abgeordneter Andresen, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung des Herrn Abgeordneten Dr. Garg?

Vielen Dank. Herr Kollege - Sie haben gerade den Kollegen Callsen auf sein Parteibuch angesprochen. Ich möchte Sie noch einmal fragen - ich hatte es vorhin in meinem Redebeitrag schon einmal ausgeführt -: Wollen Sie bestreiten, dass der baden-württembergische Finanzund Wirtschaftsminister und stellvertretende Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, der der sozialdemokratischen Partei angehört, massiv die Pläne des Bundesfinanzministers angegriffen und behauptet hat - anders als der Kollege Stegner oder auch Sie -, dass es den mittleren und kleineren Betrieben jedenfalls in Baden-Württemberg, massiv Schaden zufügen würde, wenn diese Pläne umgesetzt würden?

- Aus meiner Sicht irrt der baden-württembergische Finanzminister in dem Punkt mehr als der Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Welches Parteibuch die beiden haben, ist mir im Zweifel egal.

(Beifall Anke Erdmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Lars Harms [SSW])

Ich bin froh darüber, dass der grüne baden-württembergische Ministerpräsident nach anfänglicher Verwirrung inzwischen doppelt dementiert hat, dass das die Politik der Landesregierung in BadenWürttemberg ist.

„Manche Verbände machen jetzt sehr heftige Lobbyarbeit und zitieren das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nachweislich falsch.“

- Dieser Satz stammt nicht von mir, sondern von Bundesfinanzminister Schäuble, und ich sage: Dieser Mann hat recht.

(Beifall SPD)

Es gibt keinen Grund für eine automatische Verschonung von sehr großen Unternehmen und Steuervorteile für große Erbschaften. Mit Thomas Piketty hat sich die Debatte etwas gedreht, und es ist die Erkenntnis in den Fokus gerückt, dass der Anteil von Kapitaleinkünften am Einkommen in Deutschland und weltweit ansteigt. Die Reichen werden durch bestehenden Reichtum noch reicher, und die Armen bleiben auch mit Arbeit - so ist es leider, Herr Kubicki - arm. Die Vermögenskonzentration nimmt zu und damit auch die finanzielle Ungerechtigkeit in der Gesellschaft. Die Lohnungleichheit ist - das sagt nicht nur die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung, sondern auch die Bertelsmann-Stiftung - seit den 80er-Jahren auch bei uns in Deutschland massiv gestiegen.

Die Vermögensbesteuerung ist bei uns in Deutschland im internationalen Vergleich sehr unterdurchschnittlich. Sie beträgt bei uns weniger als 1 % des Bruttoinlandsprodukts, während sie beispielsweise in Kanada bei 3,6 % und in Dänemark bei rund 2 % liegt. Dabei ist gerade in Deutschland die Vermögensverteilung besonders ungleich - der Kollege Stegner ist darauf eingegangen -, ungleicher als in jedem anderen Land der Eurozone.

Die Erbschaftsteuer ist ein Instrument der Umverteilung. Wir setzen uns dafür ein, dass das Aufkommen aus der Erbschaftsteuer erhöht wird. Sie, Herr Kubicki, argumentieren oft - Herr Kollege Garg hat das auch gerade getan - aus der Sicht der Erblasser, die ihr Vermögen angeblich nicht einmal zu einem überschaubar kleinen Teil an den Staat abgeben wollen. Ich kenne zum Glück viele Menschen, die anders denken und bereit wären, beispielsweise für Investitionen in Bildung, von ihrem zu vererbenden Vermögen einen Teil an den Staat zu geben,

(Rasmus Andresen)

(Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP])

- Sie behaupten immer das Gegenteil -, an den Staat, der durch Bildungsreformen in den letzten Jahrzehnten vielleicht auch dazu beigetragen hat, dass sie überhaupt erst Vermögen aufbauen konnten.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Erben ist und bleibt leistungsfern. Was hat es denn bitte mit meiner Leistung zu tun, wenn ich - in hoffentlich erst sehr vielen Jahren - von meinen beiden Professoreneltern etwas erben werde? Hätte das etwas mit meiner eigenen Leistung im Sinne der Ausführungen von Herrn Stegner zu tun, dann hätte ich ein ganz anderes Problem.

Wenn Sie das nicht hören wollen, dann glauben Sie doch wenigstens einem der großen liberalen Vordenker John Stuart Mill, der schon vor 100 Jahren davor gewarnt hat, dass Erben die Leistungsfähigkeit einer Gesellschaft hemmen. Das sind Leute, die von 100 % Erbschaftsteuer gesprochen haben.

Herr Abgeordneter Andresen, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung des Herrn Abgeordneten Kubicki?

Herr Kollege Andresen, weil mir das immer wieder begegnet: Ich empfehle Ihnen und Ihren Freunden, die da Bedenken haben, etwas zu erben, schlicht und ergreifend, dem Bundesfinanzministerium das Geld zu überweisen. Es unterhält bereits ein Konto - ich gebe Ihnen die Kontonummer mit - bei der Bundesbank mit der Nummer 86001030, Bankleitzahl 860 000 00. Jeder dort eingezahlte Euro wird zur Schuldentilgung beziehungsweise für Bildungsausgaben verwendet. Das ist ausdrücklich festgelegt. Jeder, der möchte, kann sich heute von seiner Last befreien. Aber das zur Zwangserklärung zu machen, halte ich für untauglich.

(Vereinzelt Beifall FDP und CDU)

- Herr Kollege, mit dieser Argumentation müssten Sie alle Steuern abschaffen und den Staat in einem

total privatisierten Modell nur noch über Stiftungen finanzieren. Das ist aus meiner Sicht absurd.

(Vereinzelt Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, SPD und SSW)

Der Vergleich hinkt. Das, was Sie hier gerade gesagt haben, hinkt allein schon deshalb, weil Bildung Landesaufgabe ist. Ich erinnere an die Debatte über das Kooperationsverbot. Daher würde das schon wieder nicht funktionieren. Außerdem will ich keinen Staat, in dem man auf Basis der Freiwilligkeit dem Staat etwas spendet, sondern ich möchte, dass die Menschen, die es sich leisten können, automatisch ihren Teil zum Allgemeinwohl beitragen. Dafür, finde ich, ist das Steuersystem ein sehr gutes.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Wir Grüne glauben - das ist übrigens die nächste liberale Idee -, dass es unsere Aufgabe als Staat ist, Aufstiegschancen für alle, unabhängig vom Einkommen der Eltern, zu ermöglichen.

(Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP])

Das Aufkommen aus der Erbschaftsteuer muss deshalb erhöht werden, und das Geld sollte aus grüner Sicht direkt in Bildung fließen: Kitas, Schulen und Hochschulen. Die Unterfinanzierung ist groß. Wir sind der Meinung, dass das erhöhte Aufkommen in die Bildung gehen sollte.