Protokoll der Sitzung vom 17.07.2015

(Wolfgang Dudda)

Ohne stabile Strukturen kann eine Integration in die Gesellschaft nur schwer funktionieren. Diese können aber nicht einfach so mit dem Datum der Haftentlassung aus dem Boden gestampft werden. Von daher muss man schon am ersten Tag in der JVA an den letzten Tag denken.

Dazu gehört natürlich auch das entsprechend geschulte Personal. Auch hier wird einiges getan, um die sozialen und behandlungsfördernden Angebote so effektiv wie möglich gestalten zu können. Um die Ziele des Vollzugs erreichen zu können, gehören neben dem Personal natürlich auch gewisse bauliche Maßnahmen dazu. Denn es leuchtet ein, dass man für einen familienorientierten Vollzug auch Räume braucht, in denen sich Familien unbeengt begegnen und Zeit miteinander verbringen können. Es muss nicht weiter erläutert werden, dass eine Inhaftierung auch immer Angehörige berührt und zum Teil auch beansprucht. Auch sie, die Angehörigen, sind gewissermaßen wichtige Mitarbeiter, wenn es darum geht, das Vollzugsziel zu erreichen. Von daher steht ihnen nicht nur Aufmerksamkeit zu, sondern auch Raum vor Ort, um mit Familienmitgliedern sprechen zu können, ebenso wie mit den Bediensteten der Justizvollzugsanstalt.

Neben Familie und einem funktionierenden sozialen Netzwerk sind auch die Möglichkeit zur Arbeitsaufnahme oder der Zugang zu Weiterbildung oder Ähnlichem wichtig. Auch diese Angebote sind wichtige Zwischenschritte, um Perspektiven zu schaffen. Denn wer nach der Haft einen Arbeitsplatz hat, wird natürlich weniger häufig straffällig.

Ehrlicherweise muss man aber auch sagen, dass eine solche Gleichung nicht bei allen Inhaftierten aufgeht oder überhaupt aufgehen kann. Es gibt immer wieder Biografien, die von psychischen Belastungen gezeichnet sind. In anderen Fällen hat man das Prinzip der Arbeitsaufnahme schlichtweg noch nicht erlernt. Das heißt jedoch nicht, dass man diese Menschen einfach aufgeben soll. Vielmehr sollten alle Inhaftierten die Möglichkeit bekommen, ihr Leben während und nach der Haft bestmöglich im Sinne der gesellschaftlichen Teilhabe gestalten zu können.

Das Landesstrafvollzugsgesetz beinhaltet zweifelsfrei eine hohe Messlatte. Dabei geht es nicht nur um eine Reformierung der gesetzlichen Regelungen, sondern es geht darum, einen modernen Justizvollzug zu schaffen, der in puncto Sicherheit keine Abstriche macht. Genau diese zwei Aspekte sind im vorliegenden Gesetzentwurf gleichberechtigt wiedergegeben. Somit dient das Gesetz also nicht nur den Inhaftierten und den Mitarbeiterinnen

und Mitarbeitern der Vollzugsanstalten, sondern uns allen, meine Damen und Herren.

Dabei ist uns natürlich klar, dass wir, wenn wir dieses Gesetz beschließen, nicht von dem Tag an, ab dem dieses Gesetz gilt, auf einmal „blühende Landschaften“ haben, um dieses viel zitierte Wort zu benutzen, sondern es geht darum, die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen und die Ziele zu formulieren, die wir als Politik im Justizvollzugsbereich erreichen wollen. Das bedeutet, dass sich das Handeln der Landesregierung an diesem Ziel zu orientieren hat. Selbstverständlich wird es dann Zug um Zug bauliche Maßnahmen geben, die es leichter machen, dieses Ziel zu erreichen. Deswegen hoffe ich auf möglichst breite Zustimmung nach den Ausschussberatungen.

Wir wissen, dass wir mit dem Gesetz noch keine idealen Zustände schaffen, sondern sie zunächst nur beschreiben. Aber wir wollen ehrlich damit weiterarbeiten und zu erreichen versuchen, dass der Justizvollzug in Schleswig-Holstein richtig modern wird. Er ist schon sehr modern, aber er kann gern noch etwas moderner werden. Wir alle wollen etwas dazu beitragen. - Vielen Dank.

(Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Es wurde beantragt, den Gesetzentwurf in der Drucksache 18/3153 dem Innen- und Rechtsausschuss zu überweisen. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! Stimmenthaltungen? - Das sehe ich nicht. Dann ist das einstimmig so beschlossen.

Ich komme zu Tagesordnungspunkt 27:

70 Jahre nach der Befreiung von der nationalsozialistischen Herrschaft: Politische Verantwortung für historische Erinnerung

Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, PIRATEN und der Abgeordneten des SSW Drucksache 18/3183 (neu) - 2. Fassung

Es besteht Einvernehmen darüber, dass zunächst die SPD-Fraktion das Wort bekommt. Das Wort hat die Frau Abgeordnete Beate Raudies.

(Lars Harms)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Historische Erinnerungsarbeit ist kaum irgendwo so kompliziert wie in unserem Bundesland. SchleswigHolstein war bereits vor 1933 so anfällig für den Nationalsozialismus wie sonst höchstens Ostpreußen. Nach seiner Konstituierung als westdeutsches Bundesland war es ein Rückzugsraum für alte Nationalsozialisten. Wir hatten in den 50er-Jahren politisch Verantwortliche, für die der Übergang vom Naziregime in die Nachkriegsordnung so glatt lief wie sonst nirgends.

Der Tiefpunkt der Kontamination der demokratischen Institutionen durch Altnazis war schließlich erreicht, als der frühere SS-Gruppenführer Reinefarth, der für zahllose Gräueltaten in Polen verantwortlich war, für vier Jahre in den Schleswig-Holsteinischen Landtag, in dieses Haus, gewählt wurde.

Wir haben dies vor einem Jahr in einer einstimmig verabschiedeten Resolution bedauert und verurteilt. Ich danke dem Herrn Präsidenten dafür, dass er im Januar eine vielbeachtete und sehr substanzielle Veranstaltung zu diesem Fall organisiert hat. Das war wichtig. - Vielen Dank.

(Beifall)

Unser Parlament wird auch Gelegenheit haben, sich mit den Ergebnissen der Untersuchung auseinanderzusetzen, die wir zur nationalsozialistischen Verstrickung von Landtagen und Regierungen in Auftrag gegeben haben.

Meine Damen und Herren, als höchster Repräsentant der Menschen in Schleswig-Holstein steht der Landtag in der Verantwortung, Motor des historischen Gedenkens an die Herrschaft und an die Verbrechen des Nationalsozialismus zu sein. Frau Ministerin Spoorendonk hat vor Kurzem das Landesgedenkstättenkonzept vorgelegt, das aus einer breiten Diskussion hervorgegangen ist. Dieses Konzept ist nichts Statisches, sondern bedarf der ständigen Weiterentwicklung, weil es eben keine Denkschrift eines Ministeriums oder der Landesregierung sein darf, sondern von Hauptamtlichen ebenso wie von Ehrenamtlichen mit Leben erfüllt werden muss.

(Beifall Angelika Beer [PIRATEN], Uli Kö- nig [PIRATEN] und Jette Waldinger-Thier- ing [SSW])

- Wenn ich noch länger warte, wird es vielleicht noch mehr? - Nein.

Die Bürgerstiftung Schleswig-Holsteinische Gedenkstätten leistet hervorragende Arbeit, sollte aber nach unserer Auffassung in Zukunft stärker, als das bisher der Fall war, mit denen vernetzt werden, die in diesem Land politische Verantwortung tragen. Das Konzept des Ministeriums schlägt daher vor, dem Parlament mehr politische Verantwortung im Rahmen der Bürgerstiftung einzuräumen. Die Stiftung muss weg von der reinen Ehrenamtlichkeit, mit der die Fülle der zu bewältigenden Aufgaben nicht erledigt werden kann. Sie soll mit dem Land Zielvereinbarungen schließen, die Grundlage der Zuschüsse sein sollen, die der Landtag im Rahmen des Landeshaushalts bereitgestellt hat. Mehr Vernetzung, mehr Professionalisierung, mehr Service können nur umgesetzt werden, wenn nicht nur Fachabteilungen im Ministerium, sondern das Parlament als Ganzes die Bürgerstiftung und alle, die sich für Gedenkstättenarbeit in unserem Land einsetzen, dabei unterstützen.

Uns geht es heute darum, als Parlament aktiv deutlich zu machen, dass sich unsere Beteiligung an der Gedenkarbeit nicht in gelegentlichen Veranstaltungen in diesem Haus - so wichtig die ganz ohne Zweifel sind und sein werden - und in einzelnen Haushaltsanträgen erschöpfen kann, sondern dass die großen Fragen, vor denen die Gedenkstättenarbeit steht - ich nenne hier nur die Frage, ob wir einen Lernort in der Neulandhalle in Dithmarschen werden umsetzen können oder nicht -, Angelegenheit des Schleswig-Holsteinischen Landtags sein müssen.

Ich danke den anderen Fraktionen dafür, dass sie sich mit uns gemeinsam um eine Antragsformulierung bemüht haben, die deutlich macht, dass die Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit kein Gegenstand des politischen Streits, sondern gemeinsamer Auftrag ist.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN, SSW und Volker Dornquast [CDU])

Ich bitte deshalb um Zustimmung zu unserem gemeinsamen Antrag und bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

Für die CDU-Fraktion hat Herr Abgeordneter Peter Sönnichsen das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will zunächst ein Dankeschön an die Kolleginnen kulturpolitische Sprecherinnen der Koalitionsfraktionen zurückgeben, dass dieser Antrag gestellt worden ist und dass es, wie eben dargestellt, auch gelungen ist, daraus durch einige Formulierungsänderungen einen gemeinsamen Antrag hier zu machen. Auch das ist ein sehr gutes Zeichen vorneweg.

Verehrte Damen und Herren, ungefähr ein Menschenleben ist es her, dass Deutschland vom Terror des nationalsozialistischen Regimes befreit wurde. Die meisten, die diese schlimme Zeit ethnischer und politischer Verfolgung, die Zeit von Massenmorden und Krieg miterlebt haben, sind bereits nicht mehr unter uns. Diejenigen, die diese Erde verlassen haben, sind aber nicht gegangen, ohne uns ihre Erinnerungen zu hinterlassen. Diese Erinnerungen sind wichtiger Teil unseres historischen Erbes.

Es ist unsere Aufgabe, die Erinnerung an die nationalsozialistischen Schrecken zu erhalten und für kommende Generationen zu bewahren, den kommenden Generationen diese zu vermitteln.

(Beifall)

An keinem Ort und zu keiner Zeit habe ich persönlich so viel Unverständnis, Beklemmung, ja Ohnmacht erlebt wie beim Besuch von Erinnerungsstätten in unserem Lande, wie aber auch zusammen mit einigen Kolleginnen und Kollegen in Auschwitz. Ich denke, die Angesprochenen wissen, wovon ich rede und wie schwer es dort gefallen ist. Erinnerungsorte und Mahnmale geben uns den nötigen Raum, die Geschichte erfahrbar zu machen. Denn sie, die Erinnerungsorte und Mahnmale sowie die Erinnerungen selbst, beinhalten Lehren für zukünftiges Handeln.

Zu unseren Aufgaben gehört es auch, uns gegen die Kräfte zu wehren, die eine unverfrorene Geschichtsverklärung betreiben und versuchen, die Ideen dieser schrecklichen Zeit wieder aufleben zu lassen. Ich nenne in diesem Zusammenhang auch die Aufgabe, dass wir uns mit aller Macht denjenigen in den Weg stellen, die die derzeitige Flüchtlingssituation für ihr menschenverachtendes Gedankengut instrumentalisieren wollen.

(Beifall)

Mit der genannten Aufarbeitung der eigenen Nachkriegsvergangenheit leisten wir als Landtag einen Beitrag, die Verantwortung früherer Abgeordneter

an den Gräueltaten des Nationalsozialismus zu prüfen und für die Gegenwart und vor allem auch für die zukünftigen Generationen zu dokumentieren, damit Lehren daraus gezogen werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, 70 Jahre nach Ende der nationalsozialistischen Herrschaft gibt es aber auch einen Grund zur Dankbarkeit: Wir haben seit sieben Jahrzehnten die Möglichkeit, unser Leben in Frieden und Freiheit eigenverantwortlich zu gestalten - ohne Diktatur, in Rechtsstaatlichkeit. Unsere Eltern und Großeltern haben mit beachtlicher Hilfe der Alliierten dieses Land wieder aufgebaut. Ihrem Einsatz der Nachkriegszeit verdanken wir, dass wir heute so leben können, wie wir es tun, dass wir in unserem Land sicher sind, dass wir keine Angst vor staatlicher Willkür haben und haben müssen.

Ein ganz besonderer Dank und höchste Anerkennung gilt allen Handelnden der Erinnerungskultur, vor allem denjenigen, die Gedenkstätten erhalten, bewahren, pflegen und zugänglich machen. Dies geschieht weit überwiegend ehrenamtlich und ist insofern besonders hoch zu bewerten.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN und SSW)

Von den Runden Tischen und der Arbeit der BGSH wissen wir, dass es unterschiedliche Auffassungen der Handelnden hinsichtlich der Ausgestaltung der Erinnerungsarbeit sowie der notwendigen Unterstützung bei Erhalt und Präsentation der Gedenkstätten gibt. Aber es gibt auch unterschiedliche Auffassungen in der Frage, liebe Frau Kollegin Raudies, ob wir mehr Gedenkstätten brauchen oder ob mehr Unterstützung den vorhandenen Gedenkstätten gewidmet und gewährt werden muss.

So wird es auch in Zukunft Unterschiede in den Details zur weiteren Umsetzung des Gedenkstättenkonzepts geben - bei den Handelnden, in der öffentlichen Meinung und in der Politik. Keine Unterschiede gibt es im Grundsätzlichen: 70 Jahre Ende des Nationalsozialismus sind wichtige Mahnung, die Erinnerung an das barbarische Regime und seine Taten nie zu vernachlässigen. Das bittere Wissen um diese Vergangenheit muss durch Erinnerung den Folgegenerationen vermittelt werden, damit sich dieses Handeln nie wiederholt. - Danke fürs Zuhören.

(Beifall)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat jetzt Frau Abgeordnete Marlies Fritzen das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute, 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, setzen wir uns erneut und zum wiederholten Male auch mit unserer Geschichte auseinander. Erinnerung an das Vergangene ist notwendig für die Verortung in der Gegenwart und als Kompass für die Zukunft.

Ich will zwei politische Entscheidungen nennen, die dies exemplarisch verdeutlichen: Die Verabschiedung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland war die Antwort auf das Versagen der Demokraten in der Weimarer Republik, das in der Barbarei der Nationalsozialisten und in dem Weltkrieg endete. Die Entscheidung zum Aufbau der Europäischen Union war die Konsequenz aus der verheerenden nationalstaatlichen Machtpolitik der Vorkriegsjahre. Dies sind Lehren aus der Geschichte, die den Aufbau einer demokratischen Gesellschaft in unserem Land und Frieden mit unseren Nachbarn sicherten. Die Erinnerungen an die Gräueltaten der Nationalsozialisten, die keineswegs nur in den Konzentrations- und Vernichtungslagern, sondern auch in unserer unmittelbaren Nachbarschaft stattfanden, diese Erinnerung fiel uns lange, viel zu lange, schwer.

Die Arbeitsgruppen, die vor rund 30 Jahren die Spuren der Geschichte in Schleswig-Holstein aufdeckten, stießen an allen Orten auf verschlossene Augen und Ohren, auf Menschen, die lieber weiter wegsehen und weiter weghören wollten. Sie wurden vielfach geradezu angefeindet, wenn sie ihre Arbeit aufnahmen.

Vom Land Schleswig-Holstein, der Landesregierung, gab es ebenfalls lange Zeit keine Unterstützung, weder materiell noch inhaltlich noch ideell. Auch an diese Vergangenheit sei hier zumindest kurz erinnert.