Protokoll der Sitzung vom 17.07.2015

Wir schlagen als Einstieg einen Runden Tisch vor, zu dem die relevanten Akteurinnen und Akteure eingeladen werden. Wir haben auch mit den Verbänden im Vorlauf zu unserem Antrag Gespräche geführt. Daraus habe ich zwei Eindrücke gewonnen.

Erstens. Wir blicken auf eine äußerst heterogene Praxis bei Stromsperren.

Zweitens. In Schleswig-Holstein gibt es aber auch sehr gute Praxisbeispiele, also Vorbilder, von denen man lernen kann.

Idealerweise sollte es gar keine Stromabschaltungen mehr geben. Vorauszahlungssysteme können eine Alternative sein. Es ist immer besser, Strom mit einer Plastikkarte oder einer Münze beziehen zu können als gar nicht.

Es sollte Anlass für eine Schulden- und Energieverbrauchsberatung sein. Weiter ist zu fragen: Sind Kinder oder Hilfsbedürftige betroffen? Gleichzeitig ist der Datenschutz zu wahren. Stigmatisierung ist zu vermeiden. Einfach ist das alles also nicht.

Klar ist nur: Wir müssen etwas tun. Fangen wir an mit dem Runden Tisch „Stromsperren verhindern“.

Ich bin für eine Abstimmung - darüber haben wir im Vorfeld gar nicht geredet - in der Sache mit Ihrem Einverständnis. Ich würde mir dann auch wünschen, dass wir eine Berichterstattung zu diesem Thema in den Ausschüssen haben, wenn dort Ergebnisse zu berichten sind. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit, meine Damen und Herren.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Für die CDU-Fraktion hat jetzt die Frau Abgeordnete Katja Rathje-Hoffmann das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Runde Tische, das Allheilmittel und die Allzweckwaffe dieser Koalition? Mit dem Runden Tisch „Stromsperren verhindern“ ist es in diesem Jahr der dritte Runde Tisch dieser Art - na denn.

Viele Haushalte haben Probleme mit ihrer Stromrechnung. Etwa 7 Millionen Mahnverfahren und 345.000 Stromsperren gab es im vergangenen Jahr in Deutschland.

Seit 2002 haben sich die Stromkosten für den Verbraucher fast verdoppelt, und auch im vorletzten

(Detlef Matthiessen)

und letzten Jahr stiegen die Kosten - das wissen wir alle - kräftig an. Nicht bezahlte Stromrechnungen können dazu führen, dass Versorger nach diversen Mahnverfahren die Belieferung stoppen.

Nach dem Gesetz und den geltenden Vorschriften kann ein Energieversorger die Belieferung eines Kunden mit Strom oder Gas einstellen und somit eine Sperre verhängen, wenn - da gibt es ein paar Voraussetzungen - diese vier Wochen vorher angekündigt wird, der Vollzug der Sperre drei Tage vorher angekündigt ist und der Verbraucher mit mehr als 100 € im Verzug ist. Die Sperre muss verhältnismäßig sein, und der Verbraucher darf dem Versorger nicht in Aussicht stellen, seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen.

Zu dieser Problematik gibt es zahlreiche Beratungsmöglichkeiten und Hilfen: direkt beim Energieversorger, der das anbietet, in den örtlichen Jobcentern oder auch bei der Verbraucherzentrale. Durch einschlägige Gerichtsurteile müssen Jobcenter Hilfe in Form von Darlehen gewähren. Sie sind dazu sogar verpflichtet. Sie müssen auch einen Ausgleich der aufgelaufenen Stromschulden gewähren, um die Sperrung der Strombelieferung zu vermeiden.

Gerichtlich wurde geklärt, dass Arbeitslosengeld-IIEmpfänger, die alles unternommen haben, um die Notsituation zu vermeiden, mit einem Darlehen zu unterstützen sind - allerdings nur zur Abwendung der Sperre und wenn kein triftiger Grund, etwa offensichtliche Verschwendung, dagegenspricht.

Unterstützung und Hilfe gibt es für die Betroffenen auch bei den freien Wohlfahrtsverbänden. Vielerorts gibt es Unterstützungsmöglichkeiten gerade für solche Fälle. Gute Aussichten haben besonders Familien mit Kindern.

Neben den Jobcentern können auch solche Anträge beim Träger der Sozialhilfe gestellt werden, wenn das Jobcenter nicht zuständig ist. Nach dieser Vorschrift kann auch dort ein Darlehen unter bestimmten Umständen gewährt werden.

Nun zum Antrag der Koalitionsparteien: Wir halten den beantragten Runden Tisch „Stromsperren verhindern“ für nicht erforderlich, weil bereits alles ausreichend geregelt ist. Beratungsangebote sind in ausreichender Zahl vorhanden, und als letztes Sanktionsmittel sollen Stromsperren auch möglich sein, weil es nicht immer gelingt, Bürgerinnen und Bürger dazu zu bewegen, dass sie alle ihren Verpflichtungen - welcher Art auch immer - nachkommen.

Würde man stets mit Runden Tischen reagieren wollen, gäbe es auf anderen Gebieten weitaus dringenderen Handlungsbedarf. - Vielen Dank.

(Beifall CDU)

Für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Wolfgang Baasch das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank, lieber Detlef, für die Beharrlichkeit, mit der du an diesem Thema gearbeitet hast. Das macht deutlich, dass Sozial- und Energiepolitik an vielen Stellen sicherlich Gemeinsamkeiten haben, aber an dieser Stelle allerdings auf jeden Fall Gemeinsamkeiten entwickeln müssen.

Denn die aktuellen Zahlen belegen, dass die Energiearmut ansteigt. Im Jahr 2012 haben die Energieversorger mehr als 320.000 Bürgerinnen und Bürgern bundesweit wegen Zahlungsrückständen die Elektrizitätsversorgung abgestellt, so die Zahlen des Bundeswirtschaftsministeriums.

Wenn Menschen beziehungsweise ganze Familien bei Kerzenlicht sitzen müssen und nur noch Brot essen können, weil das Zubereiten einer warmen Mahlzeit nicht mehr möglich ist, wird deutlich, wie existenziell die Stromversorgung für uns alle ist.

Geringverdiener oder arbeitslose Menschen geraten immer häufiger in schwierige Situationen. Die knapp 32 €, die bei einem Ein-Personen-Haushalt im Rahmen der Regelsatzleistungen für Stromkosten zur Verfügung stehen, reichen oft nicht aus, um die Stromrechnung zu begleichen. Das heißt, das Budget im Regelbedarf für Strom ist einfach zu knapp bemessen. Hier muss der Regelsatz bedarfsgerecht angepasst werden.

Die Caritas hat im Jahr 2012 etwa 80.000 einkommensarme Haushalte zum Thema „Stromrechnung“ befragt. Zusammenfassend stellt die Caritas dabei fest: Grundsicherungsempfänger haben einen höheren Stromverbrauch, weil sie mangels oder wegen eingeschränkter Erwerbstätigkeit viel mehr zu Hause sind, damit auch viel mehr Zeit vor dem Fernseher und in ihren Wohnungen verbringen und deswegen auch mehr Strom verbrauchen. Zudem können sich die meisten energiesparende Geräte nicht leisten.

Die Konsequenz dieser steigenden Energiearmut ist dann das Abschalten der Elektrizitätsversorgung.

(Katja Rathje-Hoffmann)

Dies geschieht oft auch in Situationen, die man als unverhältnismäßige Härte bezeichnen muss, etwa wenn einer alleinerziehenden Mutter mit kleinen Kindern oder schwerkranken Menschen oder Familien mit pflegebedürftigen Personen im Haushalt der Strom abgedreht wird.

Um diese Situationen in Schleswig-Holstein zu vermeiden, fordern wir einen Runden Tisch „Stromsperren verhindern“. An diesem Runden Tisch soll mit Vertretern von Energieversorgern, und zwar nicht nur den kommunalen Stadtwerken, sondern auch mit den unterschiedlichen privaten Stromanbietern, mit den Kommunen, der Verbraucherzentrale und den Wohlfahrtsverbänden geklärt werden, wie die Elektrizitätsversorgung für alle Haushalte sichergestellt werden kann. Dazu gehört zum Beispiel die Einrichtung von Clearing-Stellen, die auf kommunaler Ebene gute Erfolge erzielt haben, um hilfebedürftige Bürgerinnen und Bürger zu beraten. Auch die Verbraucherzentralen müssten eine kostenlose Energieberatung für diesen Personenkreis anbieten.

Eine weitere Alternative zum vollständigen Sperren der Elektrizitätsversorgung ist die Smart-MeterTechnik, mit der eine begrenzte Menge Strom pro Stunde zur Grundversorgung zugelassen wird. Aber auch Vorauszahlungssysteme, Prepaid-Angebote, können Alternativen sein, wenn bei Stromkunden hohe Zahlungsrückstände aufgelaufen sind.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Breyer?

Gut.

Herr Kollege, ich freue mich über Ihre Forderung, dass die Verbraucherzentralen auch bei Sozialleistungsempfängern kostenlose Energieberatung durchführen sollten. Wir fordern allgemein seit Langem, dass Sozialleistungsempfänger bei der Verbraucherzentrale von den Gebühren freigestellt werden. Nur die Verbraucherzentrale hat das Problem: Wie soll sie die Gebührenausfälle finanzieren? Sind Sie denn dann bereit, mit uns gemeinsam an einem höheren Zuschuss zu arbeiten,

der das der Verbraucherzentrale dann auch ermöglicht?

Wenn Sie mich das jetzt persönlich und direkt als Abgeordneter fragen, würde ich sagen: Ich setze mich dafür gern ein.

(Beifall PIRATEN)

Aber auch Vorauszahlungssysteme, Prepaid-Angebote, können Alternativen sein, wenn bei Stromkunden hohe Zahlungsrückstände aufgelaufen sind. Grundsätzlich bleibt aber zu fordern, dass auch die Energieversorger aufgerufen sind und verpflichtet werden müssen, Haushalte aktiv bei der Vermeidung von Stromsperren zu unterstützen.

Natürlich fordere ich als Sozialpolitiker abschließend einen Sozialtarifstrom, der eine ausreichende Sicherstellung von Elektrizität für alle Bürgerinnen und Bürger gewährleistet. Dies bleibt eine zentrale Herausforderung in der Daseinssicherung für die Menschen in unserem Land. - Danke schön.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die FDP-Fraktion hat der Herr Abgeordnete Oliver Kumbartzky das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Nutzung von Energie gehört zweifelsohne zu den wichtigsten Säulen des Wohlstands unserer Gesellschaft. Es ist wirklich erfreulich, dass die Koalition endlich erkannt hat, dass die Energiekosten ich zitiere aus dem Antrag - „ein zentraler Faktor der Fixkosten privater Haushalte sind“. Fakt ist eben auch: Deutschland hat die höchsten Energiepreise unter allen Industriestaaten. Fakt ist zudem: Wegen steigender Preise können immer mehr Bürger ihre Stromrechnung nicht bezahlen. Die Zahlen sind ja schon genannt worden: 345.000 Haushalten wurde im Jahr 2013 zeitweilig der Strom abgeklemmt, und fast 7 Millionen Haushalten wurde dies angedroht; das ist wirklich eine enorme Zahl.

Was wir bei der Diskussion über Stromsperren aber nicht verkennen dürfen, ist die Tatsache, dass wir bei Stromlieferverträgen über ganz normale schuldrechtliche Vertragsverhältnisse reden. Eine Sperrung erfolgt auch nicht sofort, sondern erst bei einem etwas längeren Zahlungsrückstand, der unge

(Wolfgang Baasch)

fähr bei 100 € liegt. Natürlich überlegen sich die Stromversorger sehr genau, ob sie das Risiko einer Sperrung, die ja auch Geld kostet, wirklich eingehen sollten. Bevor sie die Gefahr eingehen, auf den Forderungen sitzen zu bleiben, treten die Stromversorger in der Regel in den Dialog mit den Betroffenen.

Das eigentliche Problem, über das wir auch reden sollten, ist heute leider noch gar nicht angesprochen worden: Die Strompreise haben sich seit dem Jahr 2000 nahezu verdoppelt. Dafür gibt es mehrere Gründe. Das ist zum einen die EEG-Umlage. Das sind die Stromsteuer sowie die Tatsache, dass auf beides noch die Mehrwertsteuer aufgeschlagen wird. Das ist auch der Effekt, dass die sinkenden Großhandelspreise nicht beim Endkunden ankommen.

Das sind die Probleme, die den Strom teuer machen. Für viele Familien ist der Strompreis zum Brotpreis des 21. Jahrhunderts geworden. Abhilfe schafft dabei doch wirklich nur eine Verhinderung des Kostenanstiegs insgesamt.

(Beifall Dr. Heiner Garg [FDP] und Jens- Christian Magnussen [CDU])