Protokoll der Sitzung vom 27.11.2020

Deshalb bitte ich um Verständnis dafür, dass jetzt in dem Bereich noch nicht die Zeit für Öffnungen ist. Ich bitte alle um Solidarität, die im Moment schließen müssen. Aber noch mehr bitte ich alle Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner darum, dass sie mit denen solidarisch sind. Denn nur wenn wir diese Herausforderung gemeinsam angehen, wenn wir gemeinsam begreifen, dass wir der Schlüssel dazu sind, in dieser Krise zu bestehen, wenn wir das alle gemeinsam beherzigen, dann werden wir diese Krise in Schleswig-Holstein gut bewältigen. Ich bitte Sie alle herzlich um Ihre Unterstützung! - Danke für die Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall CDU, SPD, BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Herr Oppositionsführer, der Abgeordnete Dr. Ralf Stegner.

(Das Rednerpult wird von einer Reinigungs- kraft desinfiziert)

An dem Pult kann man jetzt ausrutschen, das stimmt. Aber es ist gut, dass das jemand macht. Vielen herzlichen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als wir im letzten Monat hier zusammengekommen sind, war die Lage überaus ernst. Es musste darum gehen, das exponentielle Wachstum der Coronainfektionen und damit die drohende Überlastung unseres Gesundheits

wesens schnellstmöglich zu stoppen. Das ist immerhin gelungen - mehr nicht. Deshalb ist es nicht Zeit für Leichtsinn oder Unvernunft. Die Infektionszahlen stagnieren, aber sie sind nach wie vor viel zu hoch. Corona wird uns so oder so noch über Monate begleiten.

Und der kommende Monat mit Weihnachten und dem Jahreswechsel wird eine ganz besondere Bewährungsprobe sein. Denn wir freuen uns doch alle nach den langen Monaten der Einschränkungen auf die Zeit mit Familie und Freunden. Gleichzeitig dürfen wir nicht riskieren, die Erfolge der vergangenen Wochen zu verspielen. Die unerwartet positiven Nachrichten über bald einsatzfähige Impfstoffe machen Hoffnung, aber sie dürfen eben nicht dazu verleiten, unvorsichtig zu werden, bevor hoffentlich Stück für Stück wieder mehr Normalität zurückkehrt.

Wir haben als Gesellschaft in den kommenden Wochen eine gemeinsame Verantwortung. Ich wiederhole es noch einmal: Umsicht, Einsicht, Vorsicht und Rücksicht - darum geht es nach wie vor. Solidarität bleibt das Gebot der Stunde. Lassen Sie mich bewusst einen Christdemokraten zitieren, den früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, der gesagt hat:

„Solidarität ist die Erkenntnis, dass den eigenen Interessen am besten gedient ist, wenn auch die anderen zu ihrem Recht kommen.“

(Vereinzelter Beifall SPD)

Genau darum geht es bei dieser Herausforderung für unsere Gesellschaft, die wir nur gemeinsam bewältigen können.

Das war und ist die Leitlinie für die SPD-Landtagsfraktion: Als konstruktive Opposition übernehmen wir Verantwortung dafür, dass unser SchleswigHolstein gut durch diese Krise kommt. Für meine Fraktion hat sich an den Prioritäten seit dem Frühjahr nichts geändert. Der Gesundheitsschutz der Bevölkerung hat vor allem anderen Vorrang, das bleibt auch so.

Auch wenn viele die Infektion kaum bemerken, so leiden doch andere unter monatelangen Nachwirkungen der Beatmung, und wieder andere ringen mit dem Tod. 410 Todesfälle in Deutschland an einem Tag - das war vorgestern der bisherige Negativrekord, der uns erschreckt hat. Insgesamt sind bisher bundesweit über 15.000 Menschen an und mit Corona gestorben, die von ihren Familien betrauert werden. Das ist eine Mahnung an uns, den Gesundheitsschutz nicht auf die leichte Schulter zu

(Ministerpräsident Daniel Günther)

nehmen. Wer im Vergleich die 260.000 Todesfälle in den USA sieht, weiß aber auch, wie leistungsfähig unser Gesundheitswesen ist und was unsere Ärztinnen und Ärzte sowie unsere Pflegekräfte täglich leisten. Dafür schulden wir ihnen Dank.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, SSW und Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein [fraktionslos])

Darüber hinaus braucht es besondere Priorität für diejenigen, die es besonders schwer haben. Dazu zählen zum Beispiel Familien mit Kindern. Kitas und Schulen offen zu halten, ist nicht nur wegen der Bildungsgerechtigkeit wichtig, sondern auch wegen der Familien. Dazu gehören auch die Menschen in Heimen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die für uns schuften, brauchen nicht nur Applaus, sondern handfeste Unterstützung. Außerdem wollen wir so viel norddeutsche Gemeinsamkeit wie möglich, insbesondere in der Metropolregion. Zur Sicherung von Arbeitsplätzen braucht es möglichst unbürokratische und wirksame Unterstützung für Betriebe, die von den Schließungen direkt oder indirekt betroffen sind.

Diese Prioritäten bleiben für uns Maßstab und Kompass für unsere Arbeit beim Coronamanagement von Bund, Ländern und Kommunen. Daran messen wir auch die Ergebnisse der Bund-LänderRunde aus dieser Woche. Wir können sie im Ergebnis bei kritischer Würdigung der einen oder anderen noch offenen Frage mittragen, auch wenn manches komplizierter geworden und nicht alles widerspruchsfrei ist. Das kommt übrigens auch in der gemeinsamen Resolution der demokratischen Fraktionen in diesem Haus zum Ausdruck.

Es ist eine gute Botschaft, dass die zentrale Rolle von Kitas und Schulen in aller Deutlichkeit festgehalten wurde. Es ist richtig, dass im November die Novemberhilfen für geschlossene Betriebe im Dezember verlängert werden, und dass als Vergleichsmaßstab die Umsätze aus dem Dezember 2019 gelten. Es geht bei der Frage um Existenzen, die sich Menschen über Jahre aufgebaut haben und die innerhalb weniger Monate ohne eigene Schuld in Gefahr geraten sind. Auch die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes bis Ende 2021, worauf die Sozialdemokratie sehr gedrängt hat, ist eine sehr gute Nachricht für Betriebe und Arbeitnehmerfamilien in diesem Land.

(Beifall SPD)

Ich sage auch: Als Landespolitiker muss man das besondere Engagement des Bundes in diesen Punkten ohne Einschränkung anerkennen. Wir leisten

mehr als alle anderen europäischen Länder zusammen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Wichtig ist auch, dass wir endlich zu bundesweit einheitlichen Maßstäben für die notwendigen Einschränkungen kommen. Gleicher bundesweiter Maßstab bedeutet keineswegs überall die gleichen Maßnahmen. Es wäre doch geradezu absurd, wenn in Bayern mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von 173 Fällen auf 100.000 Einwohner dieselben Maßnahmen greifen wie in Schleswig-Holstein mit einer Inzidenz von 47,9 auf 100.000 Einwohner. Das Prinzip, dass bei vergleichbarer Inzidenz überall die gleichen Maßnahmen ergriffen werden, ist vernünftig. Das zeigt, dass der föderale Staat durchaus funktioniert.

Die niedrige Infektionsrate in Schleswig-Holstein bedeutet aber nicht, dass wir auf einer Insel der Glückseligen leben, uns in falscher Sicherheit wiegen oder uns auch zu sehr auf die Schultern klopfen sollten. Manches ist auch Glück - auch das möchte ich einmal deutlich sagen. Es ist auch kein Aufruf zu falscher Überheblichkeit der weniger betroffenen Bundesländer.

Auch hier kann es Verbesserungen geben. Dass die Gesundheitsämter im Jahr 2020 ihre Daten noch per Fax austauschen - auch wenn das mit Datenschutz zu tun haben sollte -, ist eine groteske Ressourcenverschwendung in diesem Land.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Aber die inzidenzbasierte Vorgehensweise trägt dazu bei, die Akzeptanz für die Maßnahmen zu sichern. Es führt uns auch weg von einer Debatte, die - wenn ich an einige markige Äußerungen aus Süddeutschland denke - sehr viel mehr mit Schein als mit Sein zu tun hatte.

Aber ich möchte hier nicht über Herrn Söder reden, sondern lieber darüber, wie wir in den kommenden Wochen auch bei dem sensiblen Umgang mit Unterschieden im eigenen Land bleiben können. Denn den erfreulich niedrigen Inzidenzwerten in Flensburg und Plön stehen erschreckend hohe Werte im Hamburger Rand gegenüber. Im Kreis Pinneberg lag der Wert in dieser Woche bei über 100 und damit ein gutes Stück über dem Hamburger Wert. Damit werden wir einen Umgang finden müssen, wobei die Ursachen inzwischen lokalisiert zu sein scheinen, sodass wir zielgerichtet damit umgehen können. Das gilt auch mit Blick darauf, dass wir im

(Dr. Ralf Stegner)

Hamburger Rand nicht wollen, dass die weniger scharfen schleswig-holsteinischen Beschränkungen im Einzelhandel zum Shoppingtourismus aus Hamburg führen. Das wäre der falsche Weg.

Es bleibt richtig, dass wir bei den Beschränkungen in privaten Bereichen in erster Linie auf den Appell an Bürgerinnen und Bürger setzen, zumal sich die meisten sehr vernünftig verhalten haben. Handlungsfähigkeit des Staates heißt keineswegs, dass wir immer alles kontrollieren müssen. Freiheit und Selbstverantwortung sind wichtige Bestandteile unserer demokratischen Kultur.

(Beifall SPD, vereinzelt CDU und FDP)

Wir wollen keine Bespitzelung unter Nachbarn. Die eigenen Wände genießen in Deutschland aus gutem Grund einen hohen Schutz.

Das ist weder der Aufruf zur Unvernunft noch kann es regelmäßigen Kontrollen im öffentlichen Bereich entgegenstehen. Die Regeln sind bekannt. Sie werden von der übergroßen Mehrheit akzeptiert und unterstützt, aber sie müssen gegebenenfalls auch konsequent und manchmal noch konsequenter als bisher umgesetzt werden.

Parteiübergreifend werden wir uns in den kommenden Wochen für eine gute Lösung zur Finanzierung unserer schleswig-holsteinischen Krankenhäuser einsetzen müssen. Es kann nicht sein, dass die niedrige Inzidenzrate zu einer ökonomischen Benachteiligung unserer Kliniken führt. Zudem haben wir in Norddeutschland vereinbart, uns wechselseitig zu helfen, wenn es Engpässe auf den Intensivstationen gibt.

Das überarbeitete Infektionsschutzgesetz bringt bei dem Punkt nicht das Ergebnis, das wir uns gewünscht hätten, weil es keine Verbesserung für die angespannte Situation unserer Kliniken bringt. Dennoch, Herr Kollege Vogt, wäre es besser gewesen, wenn auch die FDP im Bundesrat aus staatspolitischer Verantwortung so wie CDU, SPD, Grüne und Linkspartei das Gesetz mitgetragen hätte, allzumal wegen der ausgesprochen schlechten Gesellschaft, in die Sie unfreiwilligerweise geraten sind.

(Beifall SPD)

Ich werfe Ihnen das nicht vor,

(Zuruf FDP: Das haben Sie gerade getan!)

aber ich will Ihnen das sagen. - Sie kennen die öffentliche Debatte.

Ich biete der Landesregierung ausdrücklich unsere Unterstützung an, damit wir in Berlin im Sinne der

Patientinnen und Patienten zu einem guten Ergebnis kommen, aber auch im Sinne der Beschäftigten in unseren schleswig-holsteinischen Krankenhäusern.

Mehr Aufmerksamkeit braucht es auch beim Nahverkehr. In den letzten Tagen wurde viel über den Fernverkehr gesprochen, aber ein deutlich ausgeweitetes Platzangebot und Reservierungseinschränkungen dort helfen den vielen Pendlerinnen und Pendlern in den Regionalbahnen oder Bussen im Land wenig. Erst recht gilt dies leider nach wie vor mit Blick auf die Situation in den Schulbussen im Land. Es bleibt unverständlich, dass Schülerinnen und Schüler morgens und nachmittags in vollen Bussen zusammensitzen, um in der Schule fein säuberlich in Kohorten getrennt zu werden. Zu Recht weisen Eltern und Schüler auf die Widersinnigkeit hin.

Ich verstehe, dass wir vielleicht nicht genug Busse haben, um ihnen eine Beförderung unter Berücksichtigung der Abstände zu garantieren. Und ja, die Kreise sind zuständig. Ich verstehe aber nicht, dass im Land Busse ungenutzt herumstehen, weil die Verantwortung vom einem zum anderen geschoben wird.

(Beifall SPD und SSW)

Unabhängig davon, dass einige Kreise - wie bei uns in Rendsburg-Eckernförde - schon aktiv geworden sind, gibt es eine Gesamtverantwortung des Landes, weil das ein entscheidender Punkt dafür ist, dass wir unsere Schulen offenhalten können. Damit das gelingt, hat meine Fraktion einen Vorschlag vorgelegt. Wir kommen damit auf Sie zu. Ich werbe bei den Regierungsfraktionen dafür, sich einen Ruck zu geben und hier mitzumachen, damit wir bei diesem Thema weiterkommen. Wir wollen die Schulen offenhalten. Das ist ein wichtiger Beitrag dazu. Es hilft, nebenbei bemerkt, auch dem Busgewerbe, das wir auch im Blick haben sollten.

Die letzten Wochen haben noch einmal verdeutlicht, dass bei aller Vorsicht eine grundsätzliche Verbesserung der Lage nur mit Impfungen eines großen Teils der Bevölkerung möglich sein wird. Das ist der Schlüssel zu einer weitergehenden Normalität. Es gibt vermutlich niemanden hier im Haus, der sich bei den überaus positiven Nachrichten über mittlerweile mehrere Impfstoffe nicht gefreut hätte. Das ist auch ein überragendes Ergebnis hervorragender Forschung und Wissenschaft in unserem Land. Auch das will ich gern einmal feststellen.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

(Dr. Ralf Stegner)

Entscheidend wird sein, nicht nur verlässliche Strukturen aufzubauen, sondern die Menschen dabei mitzunehmen. Nach allem, was ich in den letzten Tagen wahrgenommen habe, Herr Minister Garg, sind Landesregierung und Kommunen in dieser Frage auf einem guten Weg.