Protokoll der Sitzung vom 10.12.2020

sicher nicht auf dem Geländer einer Hochbrücke oder nachweislich auf dem Weg dorthin, danach aber bald wieder.

Wir haben uns in den Fachgremien besonders intensiv mit diesem Thema befasst. Wir haben mit Betroffenen und Fachleuten gesprochen und im Ausschuss viele Positionen abgewogen und miteinander verglichen; unser Ausschussvorsitzender hat darüber berichtet.

Wir wollen die Grundrechte psychisch Kranker stärken und schützen. Wir wollen die Patientinnen und Patienten zeitnah und umfassend über ihre Rechte informieren. Im Kern geht es also um Information, Überwachung, Dokumentation und angemessene Begleitung. Besuchskommissionen mit umfassenden Einsichtsrechten, auch in Diagnosen, und nicht zuletzt der Respekt vor Patientenverfügungen tun ein Übriges.

(Beifall SPD)

Was wir brauchen, sind optimal berücksichtigte Rechte für die Patientinnen und Patienten sowie Rechtssicherheit für die Behandelnden. Wenn die Not groß ist und die Einsichtsfähigkeit gering, muss der fachlichen Eignung der Entscheider mehr Gewicht zukommen; das ist auch unserer Verfassung geschuldet.

Auch an die Denunzierung missliebiger Kolleginnen und Kollegen, Familienmitglieder oder Nachbarn sei erinnert, die als „verrückt“ erklärt wurden, um dann womöglich - scheinbar freiwillig - einer freiheitsbeschränkenden Behandlung unterzogen zu werden, die einem Wegschließen Unschuldiger beziehungsweise subjektiv Kranker gleichkam.

Meine Damen und Herren, niemand von uns möchte im Laufe einer fremdgesteuerten Psychopharmaka-Behandlung zum willenlosen Psycho-Zombie werden. Aber niemand kann ernsthaft einer Verelendung, Ausgrenzung und Entfernung von der selbstbestimmten Lebensform durch psychische Krankheit zusehen, wenn der Betroffene hilflos dahintreibt. Dann sind wir gefragt.

In den Beratungen im Sozialausschuss haben wir darauf geachtet, die Anregungen der Expertinnen und Experten aufzunehmen - aus jeder möglichen Perspektive, die sich uns bot.

Wie stellt sich das Ergebnis des Beratungsprozesses für uns Sozialdemokraten dar? Mit unseren Anträgen, die qualifizierte Peer-Beratung - darüber ist gesprochen worden - durch Psychiatrieerfahrene bei der Genesungsbegleitung und die Berücksichtigung der Belange von Kindern psychisch erkrankter El

tern im Gesetz zu verankern, waren wir zumindest teilweise erfolgreich; das ist ein guter Schritt. Das haben wir gemeinsam auf den Weg gebracht, und deshalb stimmen wir dem zu.

Aber das Ergebnis zum PsychHG ist uns zu wenig. Wir werden uns also der Stimme enthalten.

Die Gestaltung des Maßregelvollzugsgesetzes hingegen ermöglicht es uns, dieser Gesetzesvorlage zuzustimmen, und das werden wir dann auch tun. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Abgeordnete Dr. Marret Bohn das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Minister und die Kollegen einschließlich des Ausschussvorsitzenden haben über die Beratungen, die wir durchgeführt haben, schon ausführlich berichtet.

Ich komme auf das zurück, was uns das Bundesverfassungsgericht am 24. Juli 2018 ins Stammbuch geschrieben hat: Das, was bis zu diesem Zeitpunkt beim Thema Fixierungen passierte - Kollege Hans Neve hat es schon gesagt -, konnte und durfte nicht so bleiben. Deswegen ist es richtig, dass wir uns mit diesen Gesetzentwürfen - dafür vielen Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ministeriums - ausführlich beschäftigt haben. Wir hatten zunächst eine große schriftliche Anhörung beschlossen. In der mündlichen Anhörung - vielen Dank an Kollegin Pauls; es war richtig, noch einmal darauf hinzuweisen - konnten ein paar Aspekte, die in der schriftlichen Anhörung nur angedeutet worden waren, deutlicher herausgearbeitet werden.

Deswegen bedanke ich mich auch bei den Kolleginnen und Kollegen der Jamaika-Koalition. Ich finde, wir haben in einem guten Prozess die Aspekte, die uns wichtig waren, ergänzen und noch einmal nachbessern können. Ich nenne als Beispiel aus der mündlichen Anhörung den Bereich der psychisch Betroffenen. Es ist vielleicht für alle anderen, die sich damit nicht so genau auskennen, ein kleiner Ansatz. Aber wenn es möglich ist, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen, ist das sehr gut. Der Peer-Review-Ansatz ist im Bereich der Sozialwissenschaft total wichtig. Ich finde es gut und richtig, dass wir uns verständigen konnten.

Ich danke auch für das Entgegenkommen, weil wir von grüner Seite her ähnliche Punkte hatten, die der Kollege Bernd Heinemann gerade aufgeführt hat, auch was den Datenschutz angeht, was die Art der Fixierung angeht, was die Qualifikation des Personals angeht. Ich bin froh, dass wir bei allen diesen Punkten noch zu Nachbesserungen im Gesetzentwurf gekommen sind. Darüber freue ich mich sehr.

Ich denke, wir alle können uns vorstellen, dass eine Fixierung ein ganz massiver Eingriff in die Grundrechte ist, sodass es wichtig ist, in diesem Bereich sehr sorgfältig vorzugehen und ganz genau hinzugucken.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte noch kurz auf das Maßregelvollzugsgesetz zu sprechen kommen. Da haben wir darauf hingewiesen, dass es einen Richtervorbehalt geben muss. Richterinnen oder Richter müssen das mit Hilfe des Personals vor Ort überprüfen.

Die in der mündlichen Anhörung gegebenen Hinweise zur Eins-zu-eins-Betreuung haben mich sehr nachdenklich gemacht. Wenn das Gesetz in Kraft getreten sein wird, müssen wir uns ganz genau angucken, wie diese Eins-zu-eins-Betreuung vor Ort umgesetzt werden kann. Ich glaube, der Kollege Kalinka hatte das in der Anhörung ebenfalls angesprochen. Wir haben dort genau nachgefragt. Inzwischen haben alle Fraktionen die juristische Expertise hinzugezogen. Aber wir werden genau gucken müssen, wie das in der Praxis funktioniert.

Juristische Expertise ist auch mein Stichwort zum Ende meiner Rede. Ich möchte mich nämlich ganz herzlich bei Burkhard Peters, bei Karen Bartels und bei Nina Schneider sowie bei allen Angehörten bedanken. Es war für eine Sozialpolitikerin sehr spannend, sich mit solch komplexen juristischen Fragen auseinanderzusetzen. Ich denke, wir sind da gut zuieinander gekommen, und ich hoffe, dass das, was wir heute beschließen werden, die Grundrechte aller betroffenen psychisch Kranken deutlich stärkt. Ich hoffe auch sehr, dass der Geist dieses Gesetzes zu klaren Verbesserungen führen wird. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Dennys Bornhöft das Wort.

(Bernd Heinemann)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte eingangs zunächst einen kleinen Hinweis an den Kollegen Bernd Heinemann geben, der kritisiert hat, dass der Landessozialminister nicht anwesend ist und dieser Debatte somit zumindest hier am Platze nicht zuhört. Ich muss sagen, wenn Sie als SPD-Fraktion hier einen Dringlichkeitsantrag einreichen, damit wir am besten noch heute, spätestens aber morgen eine aktuelle Sachlage bekommen können, dann ist es vielleicht auch verständlich, dass sich die Landesregierung darauf auch entsprechend vorbereitet. Das bitte ich bei aller politischen Unterschiedlichkeit, die wir hier an den Tag legen, doch auch zu berücksichtigen.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf SPD)

Das kann man anders sehen, aber das ist zumindest meine Haltung, und ich wollte dieses hier einmal sagen. Ich denke, das ist dann auch in Ordnung so.

(Zuruf Serpil Midyatli [SPD])

- In der letzten Legislaturperiode war ich noch nicht dabei. Aber es ist doch in Ordnung, Frau Midyatli. Sie können sich ja auch noch zu Wort melden; denn wir haben ja noch ein bisschen Zeit.

Nun zum eigentlichen Thema. Sowohl beim Maßregelvollzug als auch beim PsychHG befinden wir uns in diversen Spannungsfeldern: Es gibt die Psychiatrie auf der einen Seite, es gibt rechtliche Bedingungen sowie ärztlich-therapeutische Belange und juristische Normierungen auf der anderen Seite.

Im Sommer 2018 gab es eine wirklich wegweisende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts über Vorgaben der Fixierung von Personen in jenen Einrichtungen. Karlsruhe forderte damit auch zwingend eine Anpassung der jeweiligen Landesgesetzgebungen und somit auch der von Schleswig-Holstein.

Wir sind dieser Aufforderung nachgekommen und haben uns darangemacht, das seit 2008 nahezu unverändert in Schleswig-Holstein geltende Recht, nach dem Fixierung auch gegen den Willen der Menschen möglich ist, zu novellieren. Somit wird in den vorliegenden Gesetzentwürfen nicht nur das Verfassungsgerichtsurteil umgesetzt, sondern es wird auch die fortgeschrittene Entwicklung der Therapiepraxis eingearbeitet.

(Beifall FDP)

Die beiden Fälle aus Baden-Württemberg und Bayern, die zu der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geführt haben, handelten von jeweils mehrstündigen Fixierungen an allen Extremitäten, sowohl des Bauches als auch des Kopfes. Diese Fixierungen waren zwar jeweils ärztlich angeordnet, jedoch nicht erneut richterlich beschieden worden. Vor dem Karlsruher Urteil war es so gesehen worden, dass die richterliche Anordnung zur Unterbringung in einer forensischen Klinik auch das etwaige spätere Fixieren von vornherein erlauben würde.

Die schlüssige Logik des Bundesverfassungsgerichts ist hierbei, dass die Anordnung der Unterbringung in eine geschlossene Einrichtung zwar einen Freiheitsentzug darstellt, aber eine andere Form des Freiheitsentzugs, weil für mehr als 30 Minuten, auch wiederkehrend, ganzkörperfixiert werden kann und somit nur noch eine Bewegungsfreiheit gen null besteht. Eine solche besondere Sicherungsmaßnahme muss erneut durch richterlichen Beschluss angeordnet sein. Eine ärztliche Anordnung der Fixierung reiche hierfür nicht aus.

Diese Fixierung wird nun auch in der Novelle von Schleswig-Holstein unter Richtervorbehalt gestellt. Der Anforderung der Eins-zu-eins-Betreuung wird bei der Anpassung in der Regel Rechnung getragen. Die Ausnahmen davon hat der Minister vorhin erwähnt.

Da bei der Fixierung der Freiheitsentzug und der Schutz sowohl vor Eigen- als auch Fremdgefährdung eine Rolle spielen, war deren Umsetzung natürlich eine längere und kontroverse Debatte sowohl im Ausschuss als auch in manchen Fraktionsarbeitskreisen vorausgegangen. Marret Bohn hatte das vorhin ein bisschen angedeutet. Das war eine wirklich sehr spannende Debatte innerhalb der Koalitionsfraktionen und auch im Ausschuss, begleitet auch vom Innen- und Rechtsausschuss. Mit Marcus Rossa habe auch ich intern sehr ausführlich diskutiert. Es war wirklich sehr spannend, das alles aus unterschiedlichen Perspektiven zu durchleuchten,

(Werner Kalinka [CDU]: Das kann man wohl sagen!)

zumal das aus gesundheitspolitischer und aus rechtspolitischer Sicht natürlich nicht immer kongruent sein muss.

Ich möchte noch kurz zwei weitere Aspekte aufgreifen, nämlich die Besuchsdelegation wie die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter. Für beides wird es künftig ein rechtlich normiertes Akteneinsichtsrecht geben, um die Arbeit und den Einsatz für Menschen in geschlossenen Einrichtungen zu

stärken und zu verbessern, natürlich immer unter Wahrung der Persönlichkeitsrechte der Bewohnerinnen und Bewohner in den Einrichtungen.

Der Schutz des Fachpersonals, das ein enormes Engagement einbringt, ist ein wichtiger Punkt. Das haben wir im Ausschuss noch einmal deutlich ausgewiesen. Denn leider kann es natürlich auch im Maßregelvollzug zu Situationen kommen, die nicht gewollt sind. So wurde mehr Klarheit geschaffen bezüglich der Durchsuchung von Besucherinnen und Besuchern als auch der jeweiligen Bewohnerinnen und Bewohner, um das Einschleusen von Gefahrgut oder von gefährlichen Gegenständen auszuschließen.

(Beifall FDP)

Das wiederum dient auch dem Schutz der anderen Bewohner in den Einrichtungen. Hier dürfen nun rechtlich gestützt sowohl die Kleidung als auch die technischen Geräte der Besucher untersucht werden; dafür dürfen auch Detektoren eingesetzt werden.

Aber wir haben auch Besuchsrechte, vor allem dort, wo Kinder involviert sind, gestärkt und haben den Mindestanspruch für Besuchsmöglichkeiten erhöht. Denn familiäre Bindungen und der Kontakt zu Bekannten sind ein wichtiger Faktor für eine erfolgreiche Therapie der stationär aufgenommenen Menschen. Das muss man hier noch einmal deutlich betonen. Deshalb war es uns so wichtig, das gegenüber der bisherigen Rechtslage deutlich zu verbessern.

(Beifall FDP)

Für die Sportpolitiker in diesem Hause - das finde ich persönlich auch ganz wichtig - möchte ich noch Folgendes sagen: Der Therapieplan, der in Absprache mit den Betroffenen erstellt wird, wurde im Hinblick auf die angebotenen Freizeitaktivitäten explizit noch einmal um sportliche Aktivitäten ergänzt. Das finde ich ganz bedeutsam; denn Sport ist nun einmal wichtig.

(Beifall FDP)

Mein letzter Aspekt betrifft die Religionsausübung. Auch hier haben wir eine deutliche Ausweitung und Veränderung des Gesetzentwurfs der Landesregierung angelegt, sodass es zukünftig leichter sein wird, einen religiösen Seelsorger in Anspruch zu nehmen und religiöse Besitztümer und Schriften als Eigentum vor Ort mitzunehmen.

Zusammenfassend kann ich sagen, dass wir einen modernen und selbstreflektierenden Maßregelvoll