Protokoll der Sitzung vom 15.11.2017

Wir hören und lesen in den Papieren, dass Gerhard Schröder dort namentlich auftaucht, ohne dass wir wissen, warum eigentlich und in welchem Zusammenhang. Trotzdem wird kolportiert, da könnte etwas Kriminogenes oder Kriminelles sein. Der Rechtsstaat hat übrigens auch die Unschuldsvermutung für Personen jeder Art, vor allem auch für Konzerne. Dort lesen wir: Alle bundesdeutschen Konzerne, die Rang und Namen haben, sind dort vertreten. Sie sind außerdem in Luxemburg, in Delaware und auf den Cayman Islands vertreten. Ich kann Ihnen noch viel mehr nennen. Das wissen wir doch alles. Das hat teilweise auch seinen Grund. Wenn wir jetzt dazu übergehen zu sagen, wir wollen jetzt gegen andere Länder, die Steueroptimierungsgestaltungen anbieten, vorgehen: Auch da kann man sagen, das sei interessant.

Ich warne vor Schnellschüssen und sage: Achtung an der Bahnsteigkante! Wenn die Chinesen oder die Inder auf die Frage kommen, warum VW die Wertschöpfung, die man in China macht, dort nicht versteuert, sondern in Deutschland, dann könnten die Chinesen auch auf die Idee kommen und sagen: Alle Umsätze, die VW oder unsere exportorientierte Wirtschaft in anderen Ländern machen, müssen

dort versteuert werden und nicht hier. Ich bin mir nicht sicher - jedenfalls ist sich das Bundesfinanzministerium nicht sicher -, ob das im Ergebnis für Deutschland besser oder schlechter wäre. Ich vermute einmal, dass es für Deutschland eher schlechter wäre.

Herr Kollege Dr. Stegner, Sie müssen uns auch noch einmal erklären, warum ausgerechnet der Genosse Schulz, Ihr Bundesvorsitzender, der Kanzlerkandidat der Herzen, der über das Wasser laufen kann, verhindert hat, dass in Europa die Luxemburg-Leaks ordentlich aufgeklärt worden sind - damit sein Freund Juncker geschützt wird. Sie müssen uns einmal erklären, warum der VW-Konzern - momentan bestimmt zur Hälfte durch Gewerkschafter, alles SPD, und geführt vom SPD-Land Niedersachsen unter Herrn Weil - nichts dagegen unternommen hat, dass VW sich innerhalb der Paradise Papers bewegt hat, dass VW beispielsweise Gewinne gar nicht erst über Deutschland in diese Oasen transferiert, sondern das direkt aus den Drittländern macht, damit das den deutschen Kreislauf gar nicht erreicht. Das müssen Sie doch einmal erklären.

Ich kann Ihnen sagen - der Kollege Koch hat darauf hingewiesen -: Die Cum-Ex-Geschäfte wären in der Größenordnung unmöglich gewesen, wenn Herr Steinbrück genau das gemacht hätte, was Wolfgang Schäuble 2012 gemacht hat,

(Beifall CDU, FDP und Jörg Nobis [AfD])

nämlich zwei Sätze im Einkommensteuerrecht zu verändern.

Wir müssen uns schon fragen, warum das unter Führung von Steinbrück und Asmussen - jetzt fragen Sie sich einmal, wo der damalige Staatssekretär heute unterwegs ist - damals nicht geschehen ist, obwohl man es gesehen hat. Ich bin froh, dass es Schwarz-Gelb gewesen ist, das diese Lücke geschlossen hat.

Ein Letztes: Ich finde Ihre Angriffe auf mich als Person mittlerweile

(Zuruf)

- ja, lustig, das wollte ich sagen - lustig. Das werde ich wirklich vermissen. Ich werde gelegentlich vorbeikommen und mich auf die Tribüne setzen, damit der Kollege Stegner Gelegenheit hat, wieder herumzufuhrwerken.

Aber eines kann ich Ihnen sagen: Rechtsanwälte sind Organe der Rechtspflege. Sie sind von Gesetzes wegen verpflichtet, ihre Mandanten vor staatlicher Willkür zu schützen. Das steht ausdrück

(Wolfgang Kubicki)

lich in der Berufsordnung der Rechtsanwälte. Ein schöner Satz. - Warum? - Weil wir wissen, dass es natürlich staatliche Willkür geben kann. Wenn Sie regieren würden, hätten wir nur staatliche Willkür.

(Zuruf Beate Raudies [SPD])

- Definitiv, weil er immer sagt, es sei entscheidend, was der politische Wille aussagt und nicht, was das Gesetz aussagt! Aber mir jetzt wie Herrn Steinbrück, dessen Rolle wir noch einmal genau untersuchen werden, was die Jahre 2006 und 2007 angeht, zu sagen, ich könnte eine bestimmte Funktion nicht einnehmen, weil ich Anwalt sei und meine Mandanten vertreten würde, wozu ich übrigens gesetzlich verpflichtet bin, so etwas von einem Sozialdemokraten gesagt zu bekommen, der als Sozialdemokrat Otto Schily zum Innenminister gemacht hat, obwohl der Terroristen verteidigt hat, das ist schon eine Menge Holz. Da war es in Ordnung, und bei Kubicki, weil es Kubicki ist, ist es nicht in Ordnung.

Herr Dr. Stegner, gehen Sie davon aus - das besprechen wir auch gerade in den Sondierungsgesprächen -, dass wir alles unternehmen werden, um das Steueraufkommen in Deutschland so hoch wie möglich zu halten. Daran haben wir ein unmittelbares Interesse, weil wir anders die vielen Ausgaben, die wir tätigen wollen, gar nicht finanzieren können, denn wir dürfen uns nicht mehr verschulden. Gehen Sie davon aus, dass wir das machen, was Rot-Grün und Rot bei Rot-Schwarz versäumt haben: Wir werden das Steuersystem in Deutschland auf ein festes Fundament stellen, ohne dass wir uns welt- und europaweit sozusagen verkämpfen.

Innerhalb Europas ist momentan wichtig, dass wir einheitliche Bemessungsgrundlagen bekommen. Dass wir innerhalb Europas auch Steuerwettbewerb haben müssen, leuchtet ein. Warum glauben wir denn, dass europaweit die deutschen Steuersätze die richtigen sind, wenn wir schon bei der einheitlichen Bemessungsgrundlage Probleme haben? Beispielsweise bei der Körperschaftsteuer sind wir einen wesentlichen Schritt weiter. Dabei könnten Sie uns helfen und nicht dauernd nur moralische Reden ohne jegliche Substanz halten. - Herzlichen Dank.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die AfD-Fraktion hat deren Fraktionsvorsitzender, Herr Abgeordneter Nobis, das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe besorgte Genossinnen und Genossen, Ihr Antrag für diese Aktuelle Stunde ist nichts weiter als Populismus.

(Zuruf Wolfgang Baasch [SPD])

- Ja, ich kenne das schon, ich weiß das. Ich bin kein Demokratieverächter vom rechten Rand. Merken Sie sich das. Dann nenne ich Sie auch nicht mehr Genossinnen und Genossen. Wenn wir uns darauf einigen könnten, dann wäre das für die Zukunft ein - so heißt es auf Spanisch - „Trato hecho“.

(Zuruf Wolfgang Baasch [SPD] - Wolfgang Kubicki [FDP]: Aber Genossinnen und Ge- nossen stimmt!)

Aus sozialdemokratischer Sicht liegt es natürlich nahe, diese Thematik für die Aktuelle Stunde dieses Hauses anzumelden, aber es ist ein ebenso billiger wie vorhersehbarer SPD-Reflex, weil Sie bekanntlich schon länger Ihr Interesse für klassische sozialdemokratische Themen verloren haben. Stattdessen versuchen Sie nun, eine echte Scheindebatte zu entfachen, Herr Dr. Stegner, die Überraschung, die nun landauf, landab geäußert wird, und die auch bei Ihnen hier heute anklang, diese Überraschung verwundert mich doch schon ein wenig.

Spätestens nach den Lux-Leaks, den Panama Papers dürfte nun wirklich niemand mehr überrascht sein über die Steuervermeidungsmodelle und die einmal mehr, einmal weniger legalen Tricks multinationaler Akteure, vom Internetwarenhaus bis zum vierfachen Formel-1-Weltmeister. Die Geschäftsmodelle der verschiedenen Offshore-Steueroasen sind doch seit Langem bekannt. Die Isle of Man, Jersey, Guernsey, um nur ein paar europäische Beispiele zu nennen, sind seit Jahrzehnten bekannt für ihre Niedrigsteuerpolitik und Finanzkonstruktionen zum Umgehen von Steuern und Zöllen.

So überrascht sollten Sie also nicht sein, liebe Genossen, erst recht nicht, wenn man bedenkt, dass Sie seit 1998 15 Jahre an der Regierung beteiligt waren und davon immerhin elf Jahre lang den Bundesfinanzminister gestellt haben. Die Problematik der Steuerverschiebung in Steueroasen sollte Ihnen doch bekannt sein. Ihre Empörung können Sie sich also eigentlich sparen, Herr Dr. Stegner.

(Beifall AfD)

Wir erfahren dieser Tage, wie man steuersparend einen Privatjet aus Kanada einführt oder die Um

(Wolfgang Kubicki)

satzsteuer auf ein luxuriöses Wohnmobil spart. Das ist sicherlich interessant und wirft ein bezeichnendes Schlaglicht auf die Verhältnisse in der EU-Finanzperipherie. Aktuell profitieren die britischen Kronbesitztümer vom Zugang zur europäischen Zollunion, ohne gleichzeitig Teil der EU zu sein. Wenn es in Brüssel einmal brenzlig wird, hält das Noch-EU-Mitglied Großbritannien seine schützende Hand über die Ländereien Ihrer Majestät.

Das Problem dieser königlichen Offshore-Steueroasen ließe sich im Übrigen im Rahmen der BrexitVerhandlungen lösen. Diese Steuerflucht ließe sich mit relativ einfachen Werkzeugen wirksam bekämpfen, wenn man denn nur wollen würde.

Das Ziel ist klar - ich glaube, wir haben da einen parteiübergreifenden Konsens -, jedenfalls für uns ist klar: Im Ergebnis müssen Steuern zukünftig dort gezahlt werden, wo die Wertschöpfung stattfindet. Unternehmen, die unseren Markt nutzen, müssen auch hier Steuern und Abgaben zahlen.

Anders als in Regierungskreisen in Berlin angedacht wird, bedarf es hierfür - wir haben eben das Stichwort „Ausweitung von Meldepflichten“ gehört - nicht weiterer übergriffiger Regelungen, die in das Vertrauensverhältnis zwischen Steuerberater und Mandant eingreifen. Nein, das brauchen wir nicht. Derartige Meldepflichten gehen einmal mehr in die falsche Richtung.

Vielmehr bedarf es einer neuen Ehrlichkeit, die in der EU leider nicht sehr weit ausgeprägt ist. In Wahrheit sind nämlich nicht irgendwelche Kanalinseln oder karibische Finanzplätze die Haupthindernisse auf dem steinigen Weg zu mehr Steuergerechtigkeit, nein, die EU selbst beherbergt unter ihren Mitgliedstaaten mindestens vier Länder, die ohne jegliche Übertreibung durchaus als Steueroasen für Konzerne bezeichnet werden können: Die Niederlande, Luxemburg, Malta und Irland stehen für alle bereit, die sich grenzüberschreitend einer fairen Besteuerung entziehen möchten. Bekannt und berühmt-berüchtigt sind Modelle wie das sogenannte „Double Irish With a Dutch Sandwich“, dem nun mit Übergangsfristen bis zum Jahr 2020 zum Glück ein Riegel vorgeschoben wurde.

Meine Damen und Herren, wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die internationalen Abkommen zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung heute vielfach bessere internationale Abkommen zur doppelten Nichtbesteuerung sind. Wenn der holländische Finanzminister und die Brüsseler Technokraten in einem bemerkenswerten Zirkelschluss zu dem Ergebnis kommen, dass genannte Länder

vornweg die Niederlande - nicht gegen EU-Regeln verstießen, weil sie ja EU-Mitglieder seien und dies daher völlig unvorstellbar sei, haben wir den Bock zum Gärtner gemacht.

(Beifall AfD)

Das Problem ist ein Problem der EU im Umgang mit Steuerwettbewerb untereinander und ein Problem nicht ordentlich ineinandergreifender Regularien. Es braucht daher eine neue Ehrlichkeit im Umgang mit der bekannten Problemlage.

An dieser Stelle kommt die Landesregierung ins Spiel. Das Land ist noch Miteigentümer der HSH Nordbank. Auch diese Bank war in der Vergangenheit stets mit dabei, wenn es darum ging, fragwürdige Geschäftspraktiken zu organisieren. So auch dieses Mal. Laut Presseberichten soll die HSH an einem Konsortium beteiligt sein, das Schiffsbeteiligungen in der Steueroase Liberia mit einer halben Milliarde Euro finanziert hat. Frau Ministerin Heinold hat bereits die Prüfung zugesagt. Vielen Dank dafür. Sollte die HSH Nordbank erneut an fragwürdigen Praktiken beteiligt sein und sollten wir dies erst auf Nachfrage in der Folge von Zeitungsberichten erfahren, wäre dies äußerst beschämend, wie ich finde.

Meine Damen und Herren, in erster Linie sind jedoch die nationalen Finanzminister gefragt, die bekannten Steuerschlupflöcher zu schließen und keine neuen Doppelbesteuerungsabkommen zu vereinbaren, die leicht zu missbrauchende Klauseln enthalten. Hier ist auch Deutschland gefragt, zukünftig hart zu verhandeln und sich von EU-Partnern nicht auf der Nase herumtanzen zu lassen. Gleichzeitig taugen nur Gesetze, die auch durchgesetzt werden können. Wir müssen die Finanzverwaltungen mit personellen und sachlichen Ressourcen ausstatten und die rechtlichen Voraussetzungen für Prüfungen und Kontrollen schaffen.

Die Paradise Papers haben einmal mehr vorgeführt, wie krank das System ist, wie hilflos die Eliten in den Hauptstädten und in Brüssel internationalen Konzernen gegenüberstehen und wie paradiesisch die Verhältnisse für Steuervermeider nach wie vor sind.

Aber diese letzten Enthüllungen stehen nur exemplarisch für viele andere Skandale der jüngeren Vergangenheit. Die Empörung sollte sich nicht in erster Linie gegen diejenigen richten, die legale Schlupflöcher nutzen - ich sage: legale Schlupflöcher -, sondern ehrlicherweise gegen die Handlanger in den Regierungen und Verwaltungen, die eine wirksame Bekämpfung wider besseres Wissen so

(Jörg Nobis)

oft verhindern oder verzögern. Das Beispiel der Cum-Ex-Geschäfte, des Dividendenstripping, ist mir noch gut in Erinnerung. Diese missbräuchliche Gestaltungsvariante, bei der einmal abgeführte Steuern mehrfach zurückerstattet wurden, war in Ministerien seit 1992 bekannt, wurde aber erst 2013 endlich gestoppt.

(Zuruf Beate Raudies [SPD])

Ob SPD, CDU oder FDP - wenn es darum ging, die Probleme im EU-Steuersystem ehrlich zu benennen, ehrlich für eine gerechtere Steuererhebung ohne populistischen Sozialneid einzutreten, haben Ihre Parteien stets versagt und versagen bis heute.

Herr Dr. Stegner, jenseits Ihrer Empörungsrhetorik, machen Sie sich ehrlich, treten Sie für eine gerechtere Steuerpolitik in Deutschland und Europa ein, und hören Sie endlich auf, aus lauter Rücksicht vor heiligen EU-Kühen diese staatlich geduldeten Steuertricksereien zu befördern! - Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Für die Abgeordneten des SSW hat der Abgeordnete Lars Harms das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte zwei Bemerkungen vorausschicken, bevor ich auf das Thema im engeren Sinne eingehe. Erstens zum ehemaligen Ministerpräsidenten. Man muss es in der Tat nicht so machen, wie er es gemacht hat. Es war alles legal, das ist keine Frage. Es ist aber schon eine ungewöhnliche Kombination, wenn man in einer niederländischen Firma eine Aufsichtsfunktion wahrnimmt, um ein Museum in Deutschland zu betreiben. Wir haben viele eingetragene Vereine und Gemeinden, die Museen betreiben. Man könnte sein ehrenamtliches Engagement auch anders gestalten; das wäre vielleicht etwas leichter. Sollte die Firma, in der Herr Carstensen tätig ist, in irgendeiner Art und Weise einem Firmengeflecht angehören, das dazu dient, Steuern zu sparen, haben wir als Politiker und ehemalige Politiker durchaus eine eigene Verantwortung, eine moralische Verantwortung. Das muss Herr Carstensen aber mit sich selber abmachen.