Protokoll der Sitzung vom 26.09.2018

In der Zwischenzeit sind wir allerdings nicht untätig. Es wurde schon gesagt: Wir schaffen kontinuierlich zusätzliche Stellen für Sonderpädagogen. Wir bilden in Flensburg deutlich mehr aus, und auch das Qualitätsmanagement wird verbessert. Für eine qualitativ bessere Inklusion brauchen wir eben mehr dieser Profis an unseren Schulen.

(Beifall FDP, vereinzelt CDU und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen bei der Inklusion in erster Linie Rücksicht auf die Bedürfnisse des einzelnen Kindes nehmen, und wir müssen natürlich auch Rücksicht auf die Lehrkräfte nehmen. Ich finde es wichtig, dass erst einmal keine weiteren Förderzentren geschlossen werden. Aus meinem Wahlkreis weiß ich, wie wichtig der Fortbestand eines guten Förderzentrums für Eltern, für Kinder und für die Lehrer ist. Deshalb habe ich mich in der Vergangenheit auch entsprechend eingesetzt, als das einmal zur Debatte stand.

Der Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung wies schon bei verschiedenen Gelegenheiten darauf hin: Inklusion muss nicht bedeuten, dass alle Kinder immer im selben Raum unterrichtet werden. Bei manchen Formen der Behinderung braucht es eine so individuelle Förderung, dass sie in einer Regelschule nicht möglich ist. Ines Strehlau hat eben sehr deutlich darauf hingewiesen.

Es ist eine der zentralen Herausforderungen der Bildungspolitik, Inklusion erfolgreich zu meistern. Damit uns das gelingt, brauchen wir geeignete Lösungen und keine populistischen Anträge. Wir lehnen den Antrag von SPD und nun auch SSW ab. Letzteres tut uns ein bisschen leid, das muss aber getan werden. Stattdessen arbeiten wir lieber an der Verbesserung der Qualität der Inklusion. Das wird dem Thema gerecht, und das wird den Menschen gerecht. Das wird vor allem den betroffenen Kindern an den Schulen gerecht, und deswegen machen wir das so. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP, vereinzelt CDU und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort für die AfD-Fraktion hat der Abgeordnete Dr. Frank Brodehl.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste! Die schulische Inklusion wurde seinerzeit überstürzt eingeführt und vor allen Dingen - noch viel schlimmer - ohne wirklich tragfähiges Konzept. Personalplanung? - Zweitrangig. Sicherung sonderpädagogischer Standards? Zweitrangig. Finanzielle Folgen? - Vollkommen irrelevant. Es kam immer nur auf die Inklusionsquote an. Quantität ging vor Qualität. Ich kann das Wort „Quote“ in diesem Zusammenhang nicht mehr hören.

Heute soll der Landtag also beschließen, dass die Aussage von Bildungsministerin Prien „Inklusion ist kein Selbstzweck“ mit der Grundsatzposition des Landtags zur Inklusion nicht zu vereinbaren ist. Damit das Ganze auch möglichst medienwirksam wird, fordert man im Landtag eine Bekräftigung der Behindertenrechtskonvention und wählt die Überschrift „Inklusive Bildung ist ein Menschenrecht“. Herr Habersaat, noch dicker kann man kaum auftragen, denn durch das wiederholte Bekräftigen einer Sache, die ohne Zweifel gut und verfolgenswert ist, wird allein nichts besser. Es kommt doch darauf an, wie wir die BRK mit Leben füllen. Das Wort „Menschenrecht“ bauen Sie doch offensichtlich nur ein, damit man Ihrem Antrag im Prinzip nicht widersprechen kann, denn dann wäre man ja ein Feind der Menschenrechte.

Meine Damen und Herren, bei einem so wichtigen Thema wie Inklusion diese taktischen Spiele zu spielen, ist schon perfide. Das soll also SPD-Oppositionsarbeit sein: anderen auf die Füße zu schauen, bis sie fallen? - Um Himmels willen!

(Zurufe SPD)

- Das Lachen ist schon unverschämt und vor allem substanzlos.

(Beifall AfD)

Deshalb nutze ich für die AfD die Chance, drei konstruktive Vorschläge zu machen. Hören Sie gut zu, Sie können noch etwas lernen!

(Zuruf Martin Habersaat [SPD])

Bislang existiert keine allgemeingültige Definition des Begriffs „Inklusive Bildung“. Auf den Seiten des Bildungsministeriums findet man deshalb den klassischen Mix aus Inklusion und Integration. Heterogenität als Herausforderung, Inklusion steht im Vordergrund, heißt es da. Gleichzeitig ist zu lesen, dass es einen Ressourcenvorbehalt gibt und dass Inklusion nicht bedeutet, dass gemeinsamer Unter

(Christopher Vogt)

richt immer die beste Wahl ist. Im Ergebnis bleiben Eltern also letztlich darüber desinformiert, was die Schule vor Ort für ihr Kind leisten können muss, leisten kann oder eben nicht leisten kann.

Ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung als Integrationslehrer - neben ganz vielen Beispielen für gelungene Integration - auch sagen, wo genau das hinführt. Es führt nämlich dazu, dass oftmals den Anforderungen der Kinder nicht entsprochen werden kann, weil Eltern mit falschen Vorstellungen diese Schulform gewählt haben. Dann kommt es zu einem Abhängen dieser Kinder; oftmals im Leistungsbereich, viel schlimmer aber noch im sozialen Bereich. Dann kommen diese Eltern, die mit ihren Kinder mitleiden, natürlich in die Schule und sagen: Wir haben doch Inklusion, da muss Schule doch etwas machen!

Was aber Inklusion oder Integration genau sind, darüber sollten wir - das ist mein Appell - parteiübergreifend einen Konsens herstellen, denn es geht nicht nur um Schule, es geht um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Ich bringe noch zwei andere Aspekte ein: Wir haben den Bereich der pädagogischen Diagnostik und Prävention. Wir haben lange Zeit die Vorschulen gehabt. Diese haben sich bewährt, weil sie dafür gesorgt haben, dass die Startchancen von allen Schülern zumindest am Anfang ein bisschen fairer verteilt sind. Diesen Gedanken sollten wir auch in einem Inklusionskonzept nicht beiseitelassen, sondern wir sollten darüber nachdenken, ob wir dies nicht wiederbeleben sollten.

Nächster Vorschlag: Wir haben das Integrationsmodell nach dem Motto „Alle unter einem Dach“. Das gibt es in anderen Ländern schon lange, und die Idee ist, dass sich in einem Regelschulgebäude besondere Klassen befinden können, in denen Kinder mit einem erhöhten Förderbedarf zeitweise unterrichtet werden können, und zwar nach sonderpädagogischen Standards. Wir werden von diesen Kindern in Zukunft immer mehr haben. Teilweise ist dies auch nur ein temporärer Bedarf. Deswegen ist es umso wichtiger, dass wir jetzt rechtzeitig handeln und dieses Modell auch in Schleswig-Holstein installieren.

Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Der tieferliegende Grund für den Antrag der SPD ist allein deren Interpretation von Inklusion. Sie haben ein festgefahrenes Weltbild davon, wie Schule aussehen soll. Das ist auch legitim, aber missbrauchen Sie nicht die UN-Konvention zur Errichtung Ihrer Einheitsschule, auch nicht oder erst recht

nicht aus der Oppositionsrolle heraus. Nicht nörgeln, sondern pragmatische Wege zu mehr Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderung aufzeigen, das ist der Weg.

Ich habe dazu gerade drei konstruktive Vorschläge gemacht: Erstens. Konsens bei den Begrifflichkeiten herstellen, damit Eltern besser informiert sind. Zweitens. Wiedereinführung der Vorschule, damit alle die gleichen Chancen haben. Drittens. „Alle unter einem Dach“, so viel gemeinsames Lernen wie möglich, so viel spezielle Förderung wie nötig. Das entspricht auch der Behindertenrechtskonvention.

(Zurufe Birte Pauls [SPD] und Eka von Kal- ben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Es ist interessant, die Seitengespräche mitzubekommen. Das ist das, was jetzt passiert. Hören Sie doch einfach zu. Auch als jetzt regierungstragende Parteien: Nehmen Sie doch die konstruktiven Vorschläge auf, und sagen Sie nicht, dass wir hier irgendetwas missbrauchten. Das dient doch nicht der Sache.

Herr Abgeordneter, schauen Sie bitte auf die Uhr.

Ich bedanke mich ganz herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall AfD)

Das Wort für die Abgeordneten des SSW hat die Abgeordnete Jette Waldinger-Thiering.

Sehr geehrter Landtagspräsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Überschriften werden bewusst gesetzt. Sie sollen für die Gesamtheit der Aussagen des Textes stehen. Wir haben zum Beispiel eine Pressemitteilung mit dem Titel „Frühkindliche Bildung ist kein Luxus“ herausgegeben. Oder, erst kürzlich: „Alle Kinder haben ein Recht auf Bildung und ein selbstbestimmtes Leben“.

(Beifall SSW und SPD)

Oder, um es einmal mit einer unserer Überschriften auf den Punkt zu bringen: „Bildung für alle ist der Schlüssel für eine gerechte Gesellschaft“. Allein anhand dieser Überschriften ließe sich das Bil

(Dr. Frank Brodehl)

dungsideal des SSW erklären. Deswegen ist es eben nicht übertriebene Wortklauberei, wenn wir die Pressemitteilung der Bildungsministerin, deren Überschrift zumindest unglücklich gewählt ist, nutzen, um gemeinsam klarzustellen, wohin die Reise eigentlich geht.

(Beifall SSW und SPD)

Wie wir in den bisherigen Äußerungen gehört haben, lässt sie sich nämlich durchaus unterschiedlich verstehen. Wenn die Bildungsministerin schreibt, Inklusion sei kein Selbstzweck, und damit gemeint ist, dass es nicht ausreicht, Kinder und Jugendliche mit besonderen Bedarfen in Regelschulen zu beschulen, ohne dass diese auf die neuen Bedarfe eingestellt sind, dann sind wir uns einig, weil es dann um die qualitative Weiterentwicklung inklusiver Bildung geht.

Und wenn die Bildungsministerin sagt, dass Schleswig-Holstein als Vorreiter-Bundesland mit den höchsten Inklusionsquoten gelten kann, dann sind wir uns auch da einig. Da gibt es ja auch gar nicht viel zu diskutieren, das hat uns die BertelsmannStiftung immer wieder bestätigt.

Wenn sie sich aber dazu hinreißen lässt, den Vorwurf an die Vorgängerregierung zu richten, und von Versäumnissen der Vergangenheit spricht, denke ich: Es verbietet sich jede rückwärtsgewandte Kritik, denn die Küstenkoalition hat nun wirklich getan, was in ihrer Macht stand, um Inklusion an Schulen umzusetzen; mit den Mitteln, die wir zur Verfügung hatten.

(Marlies Fritzen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist richtig!)

Wir haben an einem inklusiven Schulsystem gearbeitet, das eben nicht trennt und aussortiert; an einem, bei dem Kinder nicht in Schubladen gesteckt werden und ihnen allein dadurch schon der Lebensweg vorgezeichnet wird.

Gleichzeitig haben wir immer wieder betont, dass in den Förderzentren unseres Landes wichtige und hervorragende Arbeit geleistet wird. Wir haben nie infrage gestellt, dass wir die Strukturen der Förderzentren aufrechterhalten müssen, auch um eine tatsächliche Wahlfreiheit für die Eltern sicherzustellen.

Die Bildungspolitik der Küstenkoalition hat weitgehend den Idealen des SSW entsprochen, aber wir haben uns damit auch ganz trocken an geltendes Recht gehalten. Das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung sieht vor, dass ein inklusives Bildungssystem auf allen Ebe

nen und lebenslanges Lernen gewährleistet werden. Das bedeutet, dass Menschen mit Behinderung nicht aufgrund ihrer Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden dürfen. Wenn die Bildungsministerin der Jamaika-Koalition das nun fortführen will, dann wären wir prinzipiell auf ihrer Seite.

(Beifall Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Aber jährlich 70 Stellen für sonderpädagogische Kräfte zu schaffen und die Zahl der Studienplätze für Sonderpädagik von 120 auf 170 aufzustocken, ist bei der derzeitigen Haushaltslage doch etwas unambitioniert.

An unseren dänischen Schulen gilt der Leitsatz, dass jedes Kind verschieden ist und verschiedene Bedarfe hat. Die Lehre und der gesamte Schulalltag sollen darauf ausgerichtet sein, dass den unterschiedlichen Herausforderungen der Kinder im und außerhalb des Unterrichts begegnet wird. Es ist vollkommen klar, dass unser Ziel einer möglichst umfassenden inklusiven Beschulung bei höchstmöglicher Qualität - also eine Klasse, ein Pausenhof, gemeinsame Aktivitäten nach der Schule nicht von heute auf morgen erreicht werden kann. Aber wir stehen für eine kosten- und barrierefreie inklusive Bildung von der Kita bis zur Uni und im Sinne der Weiterbildung auch darüber hinaus. Das ist und bleibt unser Ideal.

(Beifall SSW, SPD und vereinzelt BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch wenn unser gemeinsamer Antrag mit der SPD heute durch die Mehrheit abgelehnt wird, muss ich eins sagen: Diese Debatte zeigt doch ganz deutlich, wo die AfD steht und wo Jamaika in gewissen Zügen immer noch mit der Opposition aus SSW und SPD übereinstimmt. Das freut mich. Das setzt doch wenigstens einen Punkt in die richtige Richtung. Darauf bin ich stolz. - Vielen Dank für die Diskussion.

(Beifall SSW, SPD und vereinzelt BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)