Protokoll der Sitzung vom 08.11.2018

Architektur prägt maßgeblich unser Zusammenleben. Sie kann Orte aufwerten und Zusammenhalt und Zusammengehörigkeitsgefühl stiften. Es ist völlig richtig: Die Zeiten, in denen ein Gebäude 100 Jahre oder 50 Jahre steht, wie es unsere Abschreibungsmodi momentan noch vorsehen, entsprechen nicht mehr der Realität. Historische Gebäude bestehen noch so lange, aber ansonsten haben wir uns darauf einzustellen, dass der Lebenzyklus für ein Haus inzwischen 35 Jahre beträgt.

(Beifall Dr. Andreas Tietze [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Annabell Krämer [FDP])

Die Individualität ist also viel größer geworden. Baukultur ist aber noch viel mehr als das, nämlich ein interdisziplinärer Ansatz von qualitätsvoller Planung und Gestaltung der gebauten Umwelt. Er beschreibt einen gesamtgesellschaftlichen Prozess: Wie wir zusammenleben, spiegelt sich auch in der Art unserer Häuser wider. Diese Vorhaben fördern wir heute bereits sehr intensiv im Rahmen der Städtebauförderung, aber nur in den Quartieren, wo wir Gelder ausloben.

Ein, wie ich finde, identitätsstiftendes Gebäude haben wir gerade in Rendsburg eingeweiht, die dortige Mehrzweckhalle in einem - so sage ich einmal vorsichtig - sicherlich benachteiligten Stadtquartier, wie es dort der Bürgermeister selbst nannte. Aber dort entstehen dritte Orte, neben der Familie und neben dem Arbeitsplatz ein Ort, an dem ich mich treffe. Das sind neue Wohnformen und neue Lebensformen, wo wir miteinander kommunizieren.

Ich halte solche Gebäude auch für den Zusammenhalt einer Stadt heute für ganz wichtig.

Deshalb wäre es aus meiner Sicht zu eng, die Sicht nur auf das Segment sozialen Wohnungsbau zu richten. Natürlich ist das ein ganz zentraler Baustein unseres gesellschaftlichen Miteinanders heute. Wir müssen - so hoffe ich - weiterdenken. Wir erleben derzeit wirklich einen enormen Wandel in den Wohnformen. Junge Menschen ziehen zu uns nach Schleswig-Holstein, meist in die Ballungsgebiete. Gleichzeitig steigt die allgemeine Lebenserwartung. Die Form des Zusammenlebens wird im ländlichen Raum nicht mehr geprägt durch das klassische Einfamilienhaus, dort werden genauso Geschosswohnungen für junge und alte Menschen gebraucht. Wir haben Begriffe wie mitwachsende Häuser, wir haben Begriffe wie Lebenslagenhäuser. Wir wollen flexiblere Wohnformen. Ich glaube, dass wir daher etwas größer denken sollten. Ich habe aber auch Ihren Antrag nicht so verstanden, dass er eingrenzend ist. Ich glaube, ein Landesbaupreis muss in eine größer angelegte Baukulturinitiative eingebettet werden, um eine möglichst breite Debatte über den gesellschaftlichen Mehrwert einer guten Baukultur anzustoßen. Welche Wechselwirkungen haben wir zwischen dem Leben der Menschen und der Art des Lebens in Gebäuden?

Einen Landesbaupreis kann allerdings nur das Land Schleswig-Holstein vergeben. Wir fangen diesbezüglich auch nicht ganz neu und bei null an. Auch die Auslobung eines Landesbaupreises in den Jahren 2001, 2003 und 2005 erfolgte durch das Land. Ich möchte an dieser Stelle auf keinen Fall auf die Expertise der Architekten- und Ingenieurkammer verzichten, ich sehe sie intensiv eingebunden in die Vorbereitungen, in die Jury und möglicherweise auch Preisgerichte. Aber ob die einen Landespreis ausloben sollten, sollten wir zumindest noch einmal überdenken. Wenn, wäre es eigentlich eine Sache des Landes selbst.

Ich denke, wir sind uns einig. Ich bin deshalb froh, dass Sie diesen Antrag eingebracht haben, weil wir ein Thema angehen, das für uns wichtig ist. Ich vermute, es wird viele geben, die dies unterstützen werden, sei es die Technische Hochschule in Lübeck, die Muthesius Kunsthochschule, die Architekten- und Ingenieurkammer, oder seien es die Berufsverbände. All diese werden sich dieses Themas annehmen. Deshalb schlage ich vor, wie es vorhin schon gesagt wurde, dieses im Ausschuss zu erörtern.

Sehr geehrter Herr Nobis, eine Anmerkung: Ich fände es schade, wenn wir heute einen Wettbewerb

(Minister Hans-Joachim Grote)

auf ein ganz konkretes Ziel hin definieren. Wettbewerbe sollen bewusst flexibel sein. Ich wünsche mir wirklich, dass wir einen Landesbaupreis ausloben. Hätten wir ihn vor 20 Jahren in einem ganz strengen Segment ausgewiesen, wären wir heute nicht glücklich. Wettbewerbe zeichnen sich dadurch aus, dass sie individuelle Schwerpunktsetzungen zulassen.

(Zuruf Jörg Nobis [AfD])

Wenn wir ihn alle zwei oder alle vier Jahre ausloben, gehe ich davon aus, dass die Jury vorher eine Schwerpunktsetzung vornimmt. Für mich sind die Ideen und die Vorschläge aus einem Wettbewerb eigentlich das Entscheidende. Das Prämieren eines guten Entwurfs soll ja nicht nur ein Dank an den Planer sein, sondern Inspiration für neue Ideen geben. Deswegen finde ich es gut, es möglichst offen zu gestalten und nicht festzuschreiben.

Eine Debatte im Ausschuss wäre toll, und ich freue mich, wenn wir mit dabei sein dürfen. - Vielen Dank.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, SSW und Volker Schnurr- busch [AfD])

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Es ist beantragt worden, den Antrag Drucksache 19/987 dem Innen- und Rechtsausschuss zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist einstimmig so beschlossen.

Meine Damen und Herren, begrüßen Sie mit mir auf der Besuchertribüne des Schleswig-Holsteinischen Landtags Schüler und Schülerinnen der Käthe-Kollwitz-Schule in Kiel. - Herzlich willkommen im Haus!

(Beifall)

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 und 27 auf:

Gemeinsame Beratung

a) Gutachten ernst nehmen - Schülerinnen und Schüler schützen

Antrag der Fraktion der SPD und der Abgeordneten des SSW Drucksache 19/1017

b) Beste Bildungschancen von Beginn an: Vorschulklassen an Grundschulen einrichten

Antrag der Fraktion der AfD Drucksache 19/1022 (neu)

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Martin Habersaat.

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die diesjährigen Prüfungen zum mittleren und zum ersten Schulabschluss besonders in Mathematik waren ein Debakel. Bereits 16 Tage nach der Klausur hat das Ministerium in einer Pressemitteilung eine öffentliche Vorwarnung herausgegeben. Da standen die Ergebnisse noch gar nicht abschließend fest, aber es war schon ersichtlich: Irgendetwas ist da schiefgelaufen. Tatsächlich hatten mich in der Woche danach Lehrkräfte angerufen und mir E-Mails gesandt, die unter anderem von Schülerinnen und Schülern erzählten - eigentlich guten Schülerinnen und Schülern -, die sich in persönlichen Botschaften für Blackouts in den Klausuren entschuldigt haben und die richtige Briefe unter die Klausur geschrieben haben, in denen sie sagten, sie könnten sich nicht erklären, was da schiefgelaufen sei.

Es gab dann auch ähnliche Briefe an das Ministerium, wahrscheinlich deswegen auch die Sensibilität im Ministerium, vor Abschluss der Ergebnisse schon eine Pressemitteilung herauszugeben. Was stand darin? - Darin stand, Schülerinnen und Schüler könnten sich ja für Nachprüfungen melden und damit ihr Ergebnis verbessern. Die damit verbundene Aussage war: Wenn es schiefgelaufen ist, hatten die Schülerinnen und Schüler schuld. - In der Pressemitteilung stand aber auch, dass es künftig mehr und bessere Fortbildungen für Lehrkräfte geben wird. Das stand in kleinem Widerspruch zum ersten Teil der Aussage, denn wenn Lehrkräfte besser fortgebildet werden sollen, dann hatten die offenbar die Verantwortung. Der Berufsschulminister hat sich - da bin ich ganz sicher - nach sorgfältigster Prüfung der gesamten Situation

(Lachen Dr. Ralf Stegner [SPD])

auch zu Wort gemeldet und den Tipp gegeben, Mathe solle unterhaltsamer stattfinden, dann könne so etwas nicht mehr passieren.

(Minister Hans-Joachim Grote)

(Zurufe: Oh! - Stephan Holowaty [FDP]: Da hat er auch recht! - Beifall Dennys Bornhöft [FDP])

Das war eine schöne Lösung, nur leider nicht für das vorliegende Problem, Herr Buchholz.

(Beifall SPD und SSW)

Denn tatsächlich gab es frühzeitig Hinweise darauf, dass ein Aufgabenteil mehr betroffen war als andere, der, in dem es um die Funktionen ging. Deshalb habe ich in den Ausschussberatungen und überall von vornherein gesagt: Ich glaube, da müssen wir genauer hinschauen.

(Zuruf Jörg Nobis [AfD])

Es kam heraus: Ein Gutachten warnte im Vorfeld der Klausuren vor dem Aufgabenteil Funktionen, wie er geplant war, und die Auswertung des Ministeriums zeigte tatsächlich: Da war die Situation besonders dramatisch.

Das Gutachten sollte geheim gehalten werden. Wir haben bei einem Treffen im Ministerium nachgefragt, wir haben im Ausschuss nachgefragt, wir haben in einer Kleinen Anfrage nachgefragt - das Gutachten wurde nicht vorgelegt. Über den Weg der Akteneinsicht ist es dann doch gelungen, und tatsächlich stand in diesem Gutachten über die in Rede stehende Aufgabe unter anderem, sie sei sehr rechenlastig. Für eine Mathe-Klausur finde ich es zulässig, dass die Aufgaben rechenlastig sind. Da stand aber auch: Sie mutet gymnasial an. - Das ist nun, was die Aufgabe bei einem mittleren Schulabschluss genau nicht sein soll, denn der mittlere Schulabschluss ist das Dokument, mit dem Schülerinnen und Schüler ins Leben entlassen werden, die das Abitur nicht anstreben.

Das Ergebnis der Auswertung - vom Ministerium selbst in Auftrag gegeben - lautete: Nur 20 % der möglichen Punkte sind erzielt worden. Das ist, wenn man das mit anderen Aufgaben vergleicht, tatsächlich erschütternd wenig. Aus unserer Sicht ist das der Beweis: Fehler sind nicht allein den Schülerinnen und Schülern vorzuwerfen und nicht allein den Lehrerinnen und Lehrern, sondern es ist auch im Ministerium etwas schiefgelaufen.

(Jörg Nobis [AfD]: Alle Schüler eine Note anheben!)

Warum kann nun die Ministerin das nicht öffentlich erklären? - Die einzige Erklärung, die ich dafür gefunden habe, ist eine politische. Es gab in Hamburg einmal einen vergleichbaren Fall, Frau Prien, wo Sie sich sehr schrill mit Herrn Rabe gestritten ha

ben, der die Noten sogar quasi nachträglich angepasst hatte. Möglicherweise wollten Sie diesen Schritt nicht gehen.

Meine Auffassung ist grundsätzlich, dass Unterrichtsinhalte und Prüfungen nicht regelmäßig hier im Landtag debattiert werden sollten. Ich finde aber, in diesem Fall muss hier einmal gesagt werden: Liebe Schülerinnen und Schüler, es war nicht allein eure Schuld. Frau Ministerin, eigentlich müsste diese Aussage heute auch von Ihnen kommen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD und SSW)

Für die Fraktion der AfD hat der Abgeordnete Dr. Frank Brodehl das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Schüler auf der Tribüne! Liebe Gäste! Gerade zum Schulbeginn sollten die Startchancen für alle Kinder möglichst vergleichbar und gut sein. Die AfD-Fraktion beantragt deswegen die Wiedereinführung der bewährten Vorschule. Die SPD beantragt zeitgleich die Feststellung der Schuld für die schlecht ausgefallenen Mathe-Abschlussarbeiten 2018. Herr Habersaat, der Begriff „Schuld“ ist hier vollkommen fehl am Platz. Die Angriffe auf die Bildungsministerin sind es ebenso. Im Ausschuss wurde alles abschließend besprochen.

(Zuruf Martin Habersaat [SPD])

Der SPD-Antrag zeigt aber auch: Einmal mehr fokussiert man sich hier auf den Abschluss der Schullaufbahn. Entscheidend ist aber nicht das Nachbessern am Ende, entscheidend ist der Beginn. Die entscheidenden Weichenstellungen werden beim Übergang vom Kindergarten zur Schule gestellt, und hier ist auch der Hebel anzusetzen, wenn wir endlich ernsthaft die Schere zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg verkleinern wollen.

(Beifall AfD)

Kinder sind unterschiedlich. Manche werden mit fünf Jahren eingeschult, andere mit sieben Jahren. In aller Regel befindet der Schularzt bei der Schuleingangsuntersuchung über die sogenannte Schulreife. Bei gravierenden Lücken können von dieser Stelle aus teils auch schulbegleitende Maßnahmen eingeleitet werden.

(Martin Habersaat)