Protokoll der Sitzung vom 08.11.2018

(Martin Habersaat)

Was aber nur in äußerst seltenen Fällen geschieht, ist, dass von einer Einschulung abgesehen wird, und zwar auch dann, wenn der Amtsarzt ausdrücklich „nicht schulreif“ konstatiert, auch dann, wenn die Eltern um Rückstellung bitten, immerhin kennen sie ihr Kind am besten, und auch dann, wenn die zuständige Grundschule oder auch ein zu Rate gezogener Sonderschulpädagoge klar davon abraten. Begründet wird dies meist mit der Möglichkeit der erweiterten Eingangsstufe. Die erweiterte Eingangsstufe heißt: Die Kinder können die Klassen 1 und 2 innerhalb von drei Jahren durchlaufen. Vielen Kindern ermöglicht das in der Tat, Defizite nachzuholen. Für andere trifft das nicht zu, sogar das Gegenteil ist der Fall.

Um das zu verdeutlichen, stellen Sie sich bitte Kinder vor, die sehr starke Sprachauffälligkeiten haben, oder Kinder, die sehr große Schwierigkeiten im sozioemotionalen Bereich haben.

(Zuruf Dr. Ralf Stegner [SPD])

- Fragen Sie am Mikrofon, Herr Stegner. Auffälligkeiten im sozioemotionalen Bereich, das war das Stichwort.

(Beifall AfD)

Es geht also um Kinder, die beziehungsgestört sind. Diese Kinder gehen dann zunächst - wie alle andern Kinder - hochmotiviert zur Schule, aber ihren tatsächlichen Bedürfnissen wird nicht oder kaum entsprochen. Die Folge: Egal, wie sehr sich diese Kinder auch recken, sie erreichen allenfalls ab und zu die unterste Sprosse der Leistungsskala. Im schlimmsten Fall führt das dazu, dass das Kind auch sozial in der Klassengemeinschaft abgehängt wird. Meine Damen und Herren, damit fehlen dann die Grundlagen für jedes weitere erfolgreiche Lernen, und die Probleme potenzieren sich. Selbst wenn diese Kinder dann die 1. oder die 2. Klasse wiederholen: Solange sich die Richtlinien und die Rahmenbedingungen nicht verändern, so lange wird der Teufelskreis nicht durchbrochen werden können.

Die mittel- und langfristigen Folgen von so etwas habe ich 20 Jahre lang miterlebt. Ich kann sie mir gut vorstellen, und wir sollten sie nicht länger hinnehmen. Die beschriebene Problematik wird sich noch weiter verschärfen. Sie wissen: Seit Jahren tauchen immer mehr gravierende Defizite bei den Einschulungsuntersuchungen auf. Es besteht also akuter Handlungsbedarf. Das Gebot der Stunde ist die Wiedereinführung der Vorschulklassen an Grundschulen.

(Beifall AfD)

Wir können dabei auf unsere eigene bewährte Praxis zurückblicken. Die letzten Vorschulen wurden hier erst vor etwa zehn Jahren geschlossen. Oder wir können in andere Bundesländer gucken, nach Baden-Württemberg oder zu unserem direkten Nachbarn Hamburg. Hier hat der rot-grüne Senat für alle Kinder eine rechtzeitige umfangreiche Diagnostik eingeführt. Falls es für das Kind notwendig ist, wird von dieser Stelle aus auch eine Vorschule zugewiesen. Der Profit: Überschaubare Klassengröße, professionelle Förderung und vor allem Geduld, Zeit und Aufmerksamkeit führen in vielen Fällen dazu, dass die Defizite innerhalb von nur einem Jahr aufgeholt werden können. Oft wird sogar noch mehr erreicht. Oft wird einer drohenden Behinderung vorgebeugt.

Meine Damen und Herren, über den Stellenwert, der allein den Bereichen Sprache und Teamfähigkeit innerhalb des gesamten Bildungsweges zukommt, dürfte kein Zweifel bestehen. Die bisherige Praxis mit den erweiterten Eingangsstufen hat sich nicht bewährt, und die Zahl schulunreifer Kinder wird steigen.

Wenn wir Begriffe wie frühkindliche Bildung und Bildungsgerechtigkeit ernst nehmen und mit Leben füllen möchten, dann bitte ich Sie, diesen Antrag nicht aus ideologischen oder sonstigen Gründen abzulehnen, sondern zur Beratung in den Bildungsausschuss zu überweisen. Wir wollen, dass alle fünfeinhalbjährigen Kinder ein einheitliches diagnostisches Verfahren durchlaufen und dass Kinder, die nicht reif für die 1. Klasse sind, die Möglichkeit haben, in kleinen Lerngruppen ein Vorschuljahr zu durchlaufen, denn ein guter Schulabschluss ist wirklich wichtig, liebe Schüler. Entscheidend ist aber ein guter Schulstart. - Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Peer Knöfler das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Beginnen wir mit dem Antrag von SPD und SSW: Es ist unstrittig, dass schriftliche Matheprüfungen zum ESA und zum MSA in diesem Jahr im Verhältnis zum Vorjahr schlecht ausgefallen sind. Genau deswegen hat das Bildungsministerium unmittelbar

(Dr. Frank Brodehl)

nach der Erkenntnis die Öffentlichkeit darüber informiert. Wir alle haben Einblick in die Prüfungsaufgaben und die entsprechenden Vorbereitungswege bekommen. Mehr als einmal haben wir im Bildungsausschuss mit dem Bildungsministerium und der Bildungsministerin die Problematik erörtert und analysiert. Transparenz und Aussprache gab es zur schriftlichen Mathe-Prüfung auf allen Ebenen.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Am 13. September dieses Jahres wurde auf Wunsch der SPD durch das Bildungsministerium ein Abschlussbericht zu den schriftlichen Prüfungsergebnissen in Mathematik für den ersten und mittleren Prüfungsabschluss in der Sitzung des Bildungsausschusses vorgelegt. Auch Sie, Herr Habersaat, und Sie, Frau Waldinger-Thiering, waren in der Sitzung anwesend und haben die bereits umgesetzten Maßnahmen zustimmend zur Kenntnis genommen. Zu diesen Maßnahmen gehörte unter anderem die Vorlage eines Zweitgutachtens zu den Prüfungsaufgaben.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder eine -bemerkung des Herrn Abgeordneten Habersaat?

Bitte sehen Sie es mir nach. Ich würde gern die Rede fortführen. Das nächste Mal.

Herr Abgeordneter, ist das jetzt das nächste Mal? Gestatten Sie jetzt eine Bemerkung?

Nein. - Zu diesen Maßnahmen gehörte unter anderem die Vorlage eines Zweitgutachtens zu den Prüfungsaufgaben. In diesem Gutachten werden die Prüfungsaufgaben als angemessen attestiert. Ferner sagt das Gutachten aber aus, dass Schülerinnen und Schüler in Schleswig-Holstein ein allgemeines Problem mit dem Erreichen des Bildungsstandards im Fach Mathematik haben, und das wird durchaus ernst genommen, um unsere Schülerinnen und Schüler zu schützen und zu stärken. Es sind bereits Maßnahmen getroffen worden wie zum Beispiel die VERA-6-Verpflichtung oder die Ausarbeitung von Informationsveranstaltungen mit fachbezogenen Workshops.

Abschließend möchte ich noch kurz auf die stichprobenartige Datenerhebung zur mündlichen Prüfung an 15 Schulen im Land eingehen. Zu den Aussagen zitiere ich mit Erlaubnis aus dem Protokoll der Sitzung des Bildungsausschusses vom 13. September 2018:

„In Bezug auf alle Prüflinge einer Schule erhielten durchschnittlich im ESA 80 % und im MSA 85 % eine Endnote, die ihrer Vornote entsprach.“

Dies ergibt sich, wenn man sich mit den Prüfungsregularien auseinandersetzt. Dann versteht man, wie das läuft: Wenn man mit einer „drei“ vorzensiert ist und beispielsweise in der Prüfung eine „fünf“ schreibt, dann sind durch die Vornote bereits 50 % der Note sicher. Wenn ich eine „fünf“ schreibe, dann habe ich die Möglichkeit, das Prüfungsergebnis über eine mündliche Prüfung, die auch Teil einer Prüfung ist, zu verändern. Wenn ich meine Vornote bestätige, was in der Regel der Fall ist, erhalte ich eine Prüfungsleistung „ausreichend“, und das führt zu einer Endnote, die die Vornote bestätigt.

Mit diesem Wissen plädiert die CDU-Fraktion für die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD und der Abgeordneten des SSW.

Zum Antrag der AfD: Ich möchte Ihnen das Prozedere der Einschulung oder besser gesagt die umfassenden Maßnahmen, die ergriffen werden, wenn ein Kind den Schritt vom Kindergarten in die Grundschule macht, etwas näherbringen. Ich habe drei Kinder, und meine Frau ist Grundschullehrerin und begleitet dieses Verfahren schon etwas länger.

Kinder, die zum 30. Juni eines Jahres sechs Jahre alt sind, sind in der Regel einschulungspflichtig. Nun ist es aber nicht so, dass schulpflichtige Kinder aus ihrer Kindergartengruppe entnommen und in die Schulbank gedrückt werden und so von heute auf morgen Schulkind sind. Nein, dieses Prozedere eines heranwachsenden Schulkindes erstreckt sich über mindestens ein Jahr, in dem Fachgespräche mit dem Fachpersonal des Kindergartens und zusätzlich der Schule geführt werden. Dieses Prozedere findet man unter anderem im § 5 des Kindertagesstättengesetzes wieder. Kindergarten und Schule stehen im engen Austausch miteinander und erarbeiten anhand von Leitlinien Maßnahmen, um einen guten Übergang vom Kindergarten in die Schule zu ermöglichen.

Hinzu kommt die verpflichtende Schuleingangsuntersuchung durch Fachärzte des Kinder- und Jugendärztlichen Dienstes der Gesundheitsämter. Da

(Peer Knöfler)

bei geht es um die Beurteilung der körperlichen, geistigen, sozialen und emotionalen Entwicklung des angehenden Schulkindes. Zuständig hierfür sind die Träger, die Kreise, die kreisfreien Städte. Das gehört zu den kommunalen Pflichtaufgaben, und entsprechend sind die Aufsichten verteilt.

Diese Fachärzte untersuchen aber nicht nur das Kind, sondern stehen den Eltern sowie der Schule beratend zur Seite und empfehlen individuelle Maßnahmen für jedes Kind, zum Beispiel Logopädie, pädagogische Sprachförderung oder SprintKurse.

In Zusammenarbeit mit verantwortungsbewussten Eltern und Familien sind die Grundlagen für die besten Bildungschancen unserer Schulanfänger bereits geschaffen. Deshalb plädieren wir auch hier für die Ablehnung dieses Antrages. - Vielen Dank.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Für die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Abgeordnete Ines Strehlau das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jedes Kind in Schleswig-Holstein soll vor der Einschulung - so sagt es das Schulgesetz - schulärztlich untersucht werden. Dies ist auch die Regel, und das ist gut so, weil dort das Kind durchgecheckt wird und eventuelle Förderbedarfe festgestellt werden können.

(Beifall Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

So stellen die Kinder- und Jugendärztlichen Dienste der Gesundheitsämter fest, ob das Kind den Anforderungen des Schulalltags körperlich und seelisch gewachsen ist, welche Unterstützungsbedarfe vorhanden sind und wo in der Schule gegebenenfalls Hilfen benötigt werden.

Zusammen mit den verpflichtenden Vorsorgeuntersuchungen der Kinder durch Kinderärzte und Kinderärztinnen, die U9, wird dafür Sorge getragen, dass keine Schülerin und kein Schüler durch das Vorsorgeraster fällt. Auch eine spätere Einschulung ist möglich. Das, was die AfD will, gibt es also schon.

Nun will die AfD noch spezielle Vorschulklassen für Kinder mit Förderbedarfen an Grundschulen: typisch AfD. Nicht Inklusion und individuelle För

derung, sondern Separierung von Kindern mit Unterstützungsbedarf. Das ist rückwärtsgewandt und mit uns nicht zu machen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, SSW und Anita Klahn [FDP])

Wir haben mit den Bildungsleitlinien an Kitas eine gute Grundlage für die Begleitung und Förderung der Kinder von der Krippe bis zur Schule. Die Erzieherinnen haben einen intensiven, fachlich fundierten Blick auf die Kinder und unterstützen sie in ihren Entwicklungsprozessen. Man könnte sagen, die gesamte Kita-Zeit ist Vorschulzeit. Dazu gehört alles, was Kinder auf den nächsten Lebensabschnitt vorbereitet. Mit der geplanten neuen Kita-Finanzierungsstruktur und deutlich mehr Mitteln für den Kita-Bereich werden wir auch die Qualität an den Kitas weiter steigern.

Pädagogisch innovativ sind Projekte, in denen Kitas und Grundschulen gemeinsam den Übergang gestalten. Wir Grüne haben uns vor Kurzem das Bildungshaus mit Eltern-Kind-Zentrum in HamburgLurup angeschaut. Der Übergang zwischen Kita und Schule ist dort fließend. Wir fanden es besonders klasse, dass es, obwohl das Bildungshaus in einer besonders herausfordernden Gegend liegt, hier gelingt, einen hohen Bildungsstandard und eine Entkopplung von sozialer Herkunft und Bildungserfolg zu erreichen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das zeigt einmal mehr, dass mit dem richtigen pädagogischen Konzept quasi alle Herausforderungen gemeistert werden können. So geht fortschrittliche Bildungspolitik, geehrte AfD.

Nun zum Antrag von SPD und SSW: Die Abschlussprüfungen in Mathe sind in diesem Jahr besonders schlecht ausgefallen. Wir haben dies mehrfach im Bildungsausschuss diskutiert. Außerdem hat das Bildungsministerium zu Gesprächen eingeladen, in denen ausführlich der Entstehungsprozess, das Zweitgutachten des IPN und die Bewertung der Aufgaben vorgestellt wurden.

Die Vorbereitung der Aufgabenerstellung für Abschlussprüfungen dauert zwei Jahre. Das heißt, die erste Version der Aufgaben ist bereits im Jahr 2016 entwickelt worden. Auch ich habe Akteneinsicht genommen und mir den Weg der Erstellung, der Begutachtung und der Modifizierung der Prüfungsaufgaben angesehen. Es war höchstspannend, und die Akten zeigen, dass das Ministerium und die Fachkommission es sich wirklich nicht leichtma

(Peer Knöfler)

chen. Sie haben versucht, den Schülerinnen und Schülern eine möglichst ausgewogene Prüfung vorzulegen. Der Vorgang zeigt aber auch, wie schwierig das zu erreichen ist.