Gerade darum müssen wir zur alten Regelung zurück. Wir ersparen damit den Schülerinnen und Schülern eine Erfahrung des unnötigen Sonderwegs. Noten sind nämlich nicht des Teufels - das hat der SSW auch nie behauptet -, sondern sie dampfen die Leistungen mehrerer Monate auf eine Ziffer ein. Das ist vor allem für den Schulstart ein gewöhnungsbedürftiges Verfahren. Darum sind wir gegen Noten in der Grundschule. Noten sollen anspornen und orientieren; ohne Gespräche mit den Lehrkräften bleiben sie aber auch nach der Grundschule dürre Nummern ohne Aussagekraft.
Noten im Abschlusszeugnis haben aber eine ganz andere Qualität: Sie sind gesellschaftlich anerkannt, und da verweise ich einmal auf die Initiative, die die Abgeordnete Klahn zugunsten der Noten gestartet hat. Ines Strehlau hat gesagt, die Benotung sei ein schwieriges Thema. Noten sind gesellschaftlich
anerkannt und im Abschlusszeugnis alternativlos. Für den Numerus clausus sind sie einfach das beste Verfahren, obwohl auch da erhebliche Vergleichsprobleme bekannt sind.
Den Übergang von Schule in den Beruf oder auf eine berufsbildende Schule angemessen zu managen, ist eine zentrale Aufgabe der Schule. Diese kann sie jetzt mit der Verordnung nur mit einem großen Handicap erledigen. Sie muss Berichtszeugnisse statt Notenzeugnisse für die Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf anfertigen. Das sieht die neue Landesverordnung in einem Paragrafen seit diesem Sommer so vor.
Das mag guter Absicht entspringen, ist aber tatsächlich eine fatale Markierung einer einzelnen Schülergruppe. Damit berühren wir unser gesellschaftliches Selbstverständnis im Umgang mit Menschen, die einen besonderen Förderbedarf haben.
Getrennte oder gemeinsame Beschulung? Beschützte Arbeitsverhältnisse oder Arbeit im Betrieb? Integrativer Kindergarten oder Behinderteneinrichtung? - Es hat lang gedauert, bis wir diese Fragen überhaupt gestellt haben, so selbstverständlich war jahrzehntelang die Trennung. Sonderwege wurden mit dem Sonderbedarf der Menschen mit Behinderung erklärt. Der Goldstatus war dabei der angebliche Normalo, der alles sehen, hören und verstehen kann. Die Erkenntnis, dass das ein Konstrukt ist, hat sich erst sehr langsam durchgesetzt. Jedes Kind hat seine Stärken, die man fördern und unterstützen kann. Inzwischen ist es Konsens, dass zu einer bunten Gesellschaft eben auch bunte Betriebe und Wohnviertel gehören. Nicht die Menschen sind behindert, sondern sie werden behindert.
Viele Eltern von Kindern mit Förderbedarf fühlen sich dadurch regelrecht verhöhnt. Die Landesverordnung sieht nämlich die Einbeziehung der Eltern in § 5 ausdrücklich vor, aber eben nicht, wenn es um ein Notenzeugnis geht. Da ist viel Porzellan zerschlagen worden. Viele Eltern sind regelrecht auf der Zinne. Dabei wollen sie nur, dass ihre Kinder die gleichen Startbedingungen wie alle andere Absolventen haben.
Dass das möglich ist, zeigt die Regelung in § 3, dass nämlich bei Umzug in ein anderes Bundesland auf Antrag ein Notenzeugnis auszustellen ist. Es geht also. Sollen jetzt die Eltern alle umziehen, um ein Notenzeugnis für ihre Kinder zu bekommen? Das finde ich ziemlich absurd. Darum ist unser Antrag, die Landesverordnung wieder zu ändern, der richtige Antrag. - Ich freue mich auf die Diskussion im Bildungsausschuss.
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Das Wort zu einem Kurzbeitrag hat der Abgeordnete Martin Habersaat aus der SPD-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Ja, die SPD ist eigentlich gegen die Noten, und heute ist sie dafür - wie witzig! Das ist intellektuell scharf herausgearbeitet.
Diskriminierung gibt es im Guten wie im Schlechten. Ich will das didaktisch reduziert einmal an einigen Beispielen klarmachen. Wenn ich als Lehrkraft mit einem Tablett voller Kuchen in die Klasse komme und sage: „Liebe Kinder, ich habe ein Stück Kuchen für jeden von euch - außer für dich, Anita!“, dann ist das Diskriminierung.
Ein anderes Beispiel. Wenn ich jetzt aber sage: „Liebe Kinder, wir brauchen für ein Schulfest ganz viele Kuchen, bitte backt zu Hause einen Kuchen und bringt alle einen Kuchen mit - außer Anita, du nicht!“, ist das auch Diskriminierung.
Und wenn ich sage: „Liebe Kinder, ich brauche eure Hilfe, wir müssen Bücher tragen, kommt alle mal mit - ach nee, Anette, du nicht, nur alle anderen!“, ist das Diskriminierung.
Und wenn ich als Ministerin sage: „Es gibt nichts Tolleres als Noten auf der Welt, und alle Kinder sollen Noten haben - außer ihr, ihr lieber nicht!“, dann ist das Diskriminierung. - Vielen Dank.
Ich erteile für die Landesregierung der Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Karin Prien, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Gäste! Sie reden heute über Diskriminierung, Herr Habersaat, andere reden heute über Sinn und Unsinn von Noten. Ich spreche über etwas ganz anderes, ich spreche nämlich über die Frage, wie man Schülerinnen und Schülern mit unterschiedlichen Förderbedarfen bestmöglich hilft, sie ertüchtigt, so aktiv und selbstständig wie möglich zu leben, zu lernen, einen aktiven Platz in Schule, Beruf und unserer Gesellschaft einzunehmen, und auch darüber, wo es nötig ist, ihnen einen geschützten Platz zu bieten, ihnen also genau die Unterstützung zu bieten, die sie wirklich brauchen.
Ich persönlich glaube übrigens, dass sich dieses Thema gar nicht für eine politische Skandalisierung eignet. Aber das sind natürlich Stilfragen, über die jeder selber entscheiden muss.
Tatsache ist, dass Regelschulen und Förderzentren genau an dieser individuellen passgenauen Unterstützung von Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarfen in den Bereichen geistiger Entwicklung und Lernen jeden Tag arbeiten. Dafür will ich Ihnen an dieser Stelle erst einmal danken.
Lehrkräfte können genau das, was in dieser Debatte leider zeitweilig etwas zu kurz kommt, nämlich genau und differenziert hinschauen und eben nicht für jeden und jede dasselbe gleich gut sein lassen.
Wir haben hier die interessante Diskussion - darauf ist ja hingewiesen worden -, dass hier plötzlich die Kritiker von Schulnoten zu glühenden Befürwortern werden
und eben dieses Maß an Differenzierung, was man in dieser Debatte eigentlich braucht, vermissen lassen.
Deshalb möchte ich Ihnen zur Sachlage einige Tatsachen mitteilen. Seit gut einem halben Jahr regelt eine Verordnung, dass Schülerinnen und Schüler, die nach den Anforderungen der Lehrpläne und Fachanforderungen unterrichtet werden - das heißt in der Fachsprache „zielgleich“ - selbstverständlich im Regelfall ab Jahrgangsstufe 3 Noten erhalten. Daran hat sich nichts geändert.
Wir sprechen hier also ausschließlich über diejenigen Schülerinnen und Schüler, die wir auf Grundlage der Fachanforderungen - und zwar auf keinem der Anforderungsniveaus; das ist der Fall an den Gemeinschaftsschulen, an diesen gibt es tatsächlich drei Anforderungsniveaus - nicht unterrichten können.
Nein, diese Schülerinnen und Schüler können wir und sollen wir auch nicht aufgrund des Niveaus der Fachanforderungen unterrichten. Das tun wir bei diesen Schülerinnen und Schülern nicht, weil sie aufgrund ihrer Förderbedarfe im Bereich geistiger Entwicklung und Lernen nicht in der Lage sind, nach diesen Fachanforderungen zu lernen.
Das sind Kinder und Jugendliche - Frau Strehlau hat darauf hingewiesen -, die zum Beispiel in der Jahrgangsstufe 8 einen Zahlenraum bis zehn, bis 100 oder sogar bis 1.000 beherrschen, während ihre Klassenkameraden einen Unterricht für den bis 10.000 oder 100.000 erhalten. Das ist gut und richtig, dass das in unseren Schulen auch und gerade inklusiv passiert.
Aber Sie werden mir beipflichten müssen, meine Damen und Herren, dass Notenzeugnisse in diesem Fall nicht aussagekräftig sein können. Berichtszeugnisse hingegen können aussagekräftig sein und fordern geradezu dazu auf, sehr genau zu beschreiben, was ein Kind, ein Jugendlicher kann. Sie sind nicht nur auf Defizite abgestellt, sondern auch auf die Stärken, die ein Kind individuell leisten kann.
Meine Damen und Herren, es ist doch so: Es geht darum, möglichst vielen Jugendlichen über eine gelingende Berufsorientierung den Weg in eine Ausbildung zu ermöglichen. Das ist doch der eigentliche Ansatz.
Wir haben in diesem Jahr das erste Mal solche Zeugnisse erteilt. Wir haben überhaupt keine Erfahrungen damit. Sie behaupten das ins Blaue hinein, genauso wie Sie behaupten, der Abschluss an der Berufsschule sei durch die neue Zeugnisverordnung in irgendeiner Weise verändert worden. Das ist nicht der Fall. Man könnte auch behaupten, es sei die Unwahrheit.