Protokoll der Sitzung vom 08.03.2019

Genauso wenig geht es darum, einer ausufernden Quotierung nach immer mehr Kriterien die Tür zu öffnen. Das Grundgesetz hebt ausdrücklich hervor, dass Männer und Frauen - und nicht andere gleichberechtigt sind.

1994 wurde zudem ergänzend aufgenommen, dass der Staat die tatsächliche Gleichberechtigung von Frauen und Männern fördert und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinwirkt. Nichts anderes, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen wir mit unserem Antrag erreichen.

(Beifall SPD und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Bundeskanzler war 1994 allerdings sogar der bekannte Feminist Helmut Kohl, und auch die Partei der „Brüderle“ schaute dem „Schwesterlein“ einmal nichts ins Dekolleté, sondern hob brav die Hand bei dieser Grundgesetzänderung.

(Beifall Beate Raudies [SPD] - Zuruf FDP: Ausgesprochen niveaulos, Herr Kollege! - Widerspruch SPD)

(Flemming Meyer)

Eine weitere Ergänzung des Grundgesetzes, beispielsweise nach französischem Vorbild - darauf haben wir in unserem Antrag ja auch verwiesen -, dass der gleiche Zugang von Männern und Frauen zu den Wahlmandaten und Wahlämtern gefördert wird, ist tatsächlich möglich. Das würde uns auch von der lähmenden verfassungsrechtlichen Diskussion wegführen, die oftmals alle Gedanken an Parité-Gesetze zunichte macht.

Ich sage es ganz deutlich: Diese Bedenken in Bezug auf den Eingriff in die innere Ordnung der Parteien und auch in Bezug auf die Einschränkung der Wahlfreiheit teile ich größtenteils. Eine Ergänzung des Grundgesetzes wäre daher wirklich der beste und auch sauberste Weg; dies wäre die beste und sauberste Lösung.

(Zuruf SPD: Genau!)

Wenn es dafür nun keine Mehrheit gibt, wird es anhand des brandenburgischen Gesetzes sicherlich eine Entscheidung des dortigen Verfassungsgerichts geben, die uns Möglichkeiten im Rahmen der bestehenden Verfassung - hoffentlich auch Änderungsmöglichkeiten - über das Grundgesetz aufzeigt.

Unser Antrag soll dazu beitragen, einen solchen umständlichen Weg zu vermeiden und eine politische Diskussion - letztlich geht es um diese; alles andere folgt daraus -, beispielsweise in der Gemeinsamen Kommission von Bundestag und Bundesrat, zu führen.

Viele Länder der Europäischen Union haben bereits eine solche Regelung: Belgien, Frankreich, Griechenland, Irland, Kroatien, Polen, Portugal, Slowenien, Spanien - und, man glaubt es kaum, es funktioniert tatsächlich.

(Beifall SPD)

Die dortigen Quotenregelungen sind allerdings so vielfältig wie die entsprechenden Wahlsysteme; das muss natürlich zusammenpassen. Daher haben wir mit unserem Antrag keinen verbindlichen Vorschlag gemacht. Es wäre leicht gewesen, das brandenburgische Gesetz einfach abzuschreiben und das dortige Anhörungsverfahren zu wiederholen; dies bringt uns in der Tat aber nicht weiter. Denn es bedarf der differenzierten Betrachtung, welche Verfahren für welche Ebenen sinnvoll sind. Eine Liste im Reißverschlussverfahren zu quotieren, ist sicherlich der einfachste Weg. Dies hilft aber nicht über die Tatsache hinweg, dass die Wahlforschung zu dem Ergebnis kommt, dass mehr Wahlkreise gleichzeitig mehr Männer in den Parlamenten bedeuten würden.

Der vor Kurzem gemachte Vorschlag von Frau Sütterlin-Waack, die Wahlkreise zu quotieren, wäre zwar sicherlich wirkungsvoll; allerdings hätte dies die Halbierung der Zahl der Wahlkreise zur Voraussetzung, und das wäre in Bezug auf Kommunalwahlen in der Tat anders zu beurteilen als etwa bei Wahlen zum Deutschen Bundestag.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine lebendige Demokratie zeichnet sich dadurch aus, dass sie auf Veränderungen oder Defizite in der Gesellschaft reagieren und ihre Verfahren und Institutionen weiterentwickeln kann. Die gleichberechtigte politische Teilhabe aller ist das Ziel, eine Paritätsregelung, wie wir sie vorschlagen, wäre hierfür ein wichtiger Schritt auf diesem Weg.

(Beifall SPD)

Abschließend - meine Redezeitanzeige fängt schon an zu blinken - sei den lieben Kollegen hier im Saal auch gesagt, dass man auch als Mann - und zwar nicht nur am Internationalen Frauentag - Quotenund Reißverschlussverfahren und sogar die Zurückstellung eigener Ambitionen bei der Vergabe von Ausschusssitzen oder Aufgabenbereichen politisch überleben kann - denn sonst würde auch ich hier ja nicht mehr stehen. Also, keine Angst; nur Mut! Stimmen Sie unserem Antrag bitte zu. - Vielen Dank.

(Beifall SPD und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Abgeordneter Rother, ich möchte Sie trotzdem bitten, geschmacklose Verunglimpfungen von Politikern zu unterlassen. - Danke.

(Zurufe SPD: Hä? Was soll das heißen?)

Für die CDU-Fraktion hat nun der Abgeordnete Claus Christian Claussen das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Die SPD beantragt, alle erforderlichen gesetzlichen Regelungen auf den Weg zu bringen, die eine Geschlechterparität in den Parlamenten und in weiteren öffentlichen Vertretungskörperschaften herstellen. Vorweg: Ich habe große Zweifel, dass ein solches Ziel mit einfachgesetzlichen Maßnahmen zu erreichen ist. Denn wie jedes Gesetz müsste sich auch ein solches Gesetz nach Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes an den Regelungen unserer Verfassung messen lassen. Da

(Thomas Rother)

ran dürften zumindest die bislang diskutierten Varianten zur Änderung des Wahlrechts scheitern.

(Vereinzelter Beifall CDU)

Eindeutig ist: Unser Grundgesetz verlangt eine geschlechterparitätische Besetzung unserer Parlamente genauso wenig wie irgendeine andere paritätische Besetzung, zum Beispiel nach Herkunft, Alter, Religion oder Behinderung. Das Grundgesetz geht vielmehr von einer repräsentativen parlamentarischen Demokratie aus, in der die einzelnen Abgeordneten Vertreter des ganzen Volkes, nicht an Aufträge und Weisungen gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen sind.

(Zuruf Serpil Midyatli [SPD] - vereinzelter Beifall CDU)

Dabei geht alle Staatsgewalt vom Volke aus und wird durch Wahlen und Abstimmungen ausgeübt. Die Abgeordneten des Bundestags sowie der Landtage werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Das sind nicht nur objektive Rechtsprinzipien, sondern diese vermitteln auch subjektive und grundrechtsgleiche Rechte.

Damit sind aber meiner Meinung nach alle Regelungen unvereinbar, die das Ergebnis der Wahl - das Ergebnis der Wahl! - von vornherein in irgendeiner Art und Weise festlegen.

(Beifall CDU und vereinzelt FDP)

Darüber hinaus gibt es aber noch weitere verfassungsrechtliche Freiheits- und Gleichheitsrechte, die von einer gesetzlichen Regelung betroffen beziehungsweise hierdurch beeinträchtigt wären. Der Wissenschaftliche Dienst hat dies in Umdruck 19/1996 sorgfältig dargelegt.

Auch in die Parteienfreiheit - Kollege Rother erwähnte dies -, die den Parteien eine staatlich unbeeinflusste Aufstellung ihrer Kandidaten garantiert, würde eingegriffen.

(Zuruf Werner Kalinka [CDU])

Wenn also einfachgesetzliche Regelungen scheitern, bleibt die Frage, ob das Ergebnis mit einer Verfassungsänderung zu erreichen wäre. Auch das dürfte problematisch sein, da die Gleichbehandlung aller Staatsbürger bei der Ausübung ihres Wahlrechts eine wesentliche Grundlage unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung darstellt.

(Beifall CDU und vereinzelt FDP)

Festzustellen ist, dass es sich nicht um ein Problem der rechtlichen Gleichstellung von Mann und Frau

handelt. Die ist erreicht; dies räumt der SPD-Antrag ja auch ein. Aber die faktische Gleichstellung erscheint bislang noch nicht erreicht. Deshalb stellt sich die Frage, ob nicht durch andere Maßnahmen der Anteil von Frauen in den Parlamenten erhöht werden kann.

(Beifall CDU - Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche? - Zuruf: Das hat ja bisher nicht geklappt!)

- Vielen Dank. Aber das ist natürlich auch eine gesellschaftliche Herausforderung, auch gerade eine Herausforderung für die Parteien, eine verbesserte Partizipation von Frauen zu erreichen.

Auch gesetzliche Maßnahmen, die nicht verfassungskritisch sind, wären durchaus möglich; auch hierzu hat der Wissenschaftliche Dienst Ausführungen gemacht. Um gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen zu verändern, müssen die Gründe, die dazu führen, dass der Frauenanteil in den Parlamenten geringer ist, herausgearbeitet werden, um dann zielgerichtet Änderungen vornehmen zu können.

(Zuruf Serpil Midyatli [SPD])

Deshalb ist es sinnvoll, sich mit diesem Thema weiter zu beschäftigen und den Antrag in den Innenund Rechtsausschuss zu überweisen. Wir bewegen uns hier in einem Spannungsfeld zwischen gesellschaftlicher Realität und verfassungsmäßigen Prinzipien. Wie dieses Spannungsverhältnis aufzulösen ist, haben die bisherigen Lösungsvorschläge noch nicht überzeugend dargelegt.

Ich möchte mit Nachdruck dafür werben, mit unserer Verfassung und ihren tragenden Prinzipien sehr sorgfältig und vorsichtig umzugehen. Das Grundgesetz hat sich seit 1949 als die stabilste und beste Verfassung, die wir in Deutschland je hatten, bewährt.

(Beifall CDU, FDP, AfD und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Stabilität sollten wir nicht aufs Spiel setzen, auch wenn das Ziel noch so gut gemeint ist.

Die bisherige Diskussion - ich erwähnte es - hat noch keinen Vorschlag für eine verfassungsrechtlich haltbare gesetzliche Regelung hervorgebracht. Das spricht dafür, die Diskussion fortzuführen und zu versuchen, einen solchen Vorschlag zu entwickeln. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

(Claus Christian Claussen)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Abgeordnete Aminata Touré das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Wir haben eine strukturelle Männerquote - das ist mein Blickwinkel bei der Debatte. Die Vehemenz, mit der man versucht, deutlich zu machen, dass ein Parité-Gesetz nicht möglich ist, würde ich mir bei der Frage wünschen, dieses Ziel zu erreichen.