Protokoll der Sitzung vom 08.03.2019

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Waldinger-Thiering, ich würde Ihnen ja den Vortritt lassen, wenn ich die Zusage vom Präsidium bekäme, dass ich danach gleich wieder dran bin. - Ich versuche, mich kurzzufassen, Frau Kollegin.

Ich möchte ganz ehrlich sagen: Ich habe nichts gegen lebhafte Debatten, ganz im Gegenteil. Das finde ich eigentlich gut; solche Debatten gibt es eher zu selten als zu oft. Allerdings hätte ich mir an der einen oder anderen Stelle doch mehr Nachdenklichkeit bei dem einen oder anderen Beitrag gewünscht.

Herr Dr. Stegner, Sie waren ja auch einmal Verfassungsminister. Auch Frau Barley als Justizministerin ist relativ „easy going“ über die verfassungsrechtlichen Bedenken beim Paritätsgesetz hinweggegangen. Das kann man so machen. Ich muss für meine Fraktion aber feststellen: Wir finden das bedenklich, und wir werden das auch weiterhin äußern. Das hat nichts damit zu tun, dass man etwas einfach nicht will, sondern verfassungsrechtliche Bedenken kann man auch äußern, wenn man für etwas ist. Insofern sollte man das, finde ich, etwas ernster nehmen. Ich fand das an dieser Stelle bedenklich.

Ein Punkt kam hier öfter auf, es wurde nämlich gesagt - - Na ja, Frauenfeindlichkeit wurde unterstellt, und da wurde gesagt: Das kam doch gar nicht. Ich fand, ein wenig schwang so eine Unterstellung mit. Wörtlich wurde zwar tatsächlich nichts Entsprechendes gesagt, bei dem einen oder anderen Beitrag schwang dies aber mit.

Ich muss ganz ehrlich sagen: Was ich wirklich unschön fand, Frau Kollegin Wagner-Bockey, war Ihre

Unterstellung in Bezug auf den Kollegen Lehnert, die ich überhaupt nicht teilen kann.

(Beifall FDP, CDU und Lars Harms [SSW])

So sollten wir hier nicht miteinander umgehen, finde ich.

Das mag nun daran liegen, dass ich den Kollegen Lehnert schon länger kenne und auch sehr schätze. Ich finde aber, so sollten wir nicht miteinander umgehen, schon gar nicht vom Rednerpult aus. Das ist kein gutes Bild des Parlaments.

Meine Damen und Herren, wir haben noch ein paar Punkte, auf die ich kurz eingehen möchte. Die Kollegin von Kalben hat gesagt: „Na ja, wir haben bei den Grünen dies sozusagen in der Satzung schon lange stehen; mindestens jeder zweite Platz wird von einer Frau belegt, und die Ämter sind paritätisch verteilt.“ Dies sei noch nie irgendwie beklagt worden, und deswegen könne man das im Wahlgesetz doch ebenfalls so machen.

Diese Einschätzung teile ich nicht. Denn das eine ist eine Parteisatzung, sozusagen die Selbstverpflichtung einer Partei - das wurde mit Sicherheit auch noch nie beklagt -, das andere aber ist ein Wahlgesetz. Da muss man sich die Verfassung schon genau anschauen.

(Beifall FDP, CDU und Lars Harms [SSW])

Die Kollegin Fritzen hat - so habe ich es zumindest wahrgenommen - sich aufgeregt, als ich das Thema angesprochen habe. Die Kollegin Fritzen hat noch einmal - zu Recht - meinen Punkt unterstrichen, dass wir nämlich über Rahmenbedingungen sprechen müssen und dass wir über die Familienfreundlichkeit von Parteiarbeit und die Familienfreundlichkeit von kommunalpolitischen und landespolitischen Strukturen sprechen müssen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.

Da kann man sagen: Man definiert erst das Ziel, und dann guckt man sich den Weg dorthin noch einmal an. Man kann das auch andersherum machen. Ich bin der Meinung, man sollte sich vor allem zunächst um die Rahmenbedingungen kümmern: Es geht um mehr Familienfreundlichkeit, und es geht auch darum, andere gesellschaftliche Gruppen einzubinden. Ich habe noch nie gehört, dass ein Sozialdemokrat gesagt hat: „Mensch, wir haben bei der SPD zu viele Beamte und zu viele aus dem öffentlichen Dienst.“ Ich habe sehr früh fürs Parlament kandidiert, weil ich der Meinung war, dass die junge Generation stärker in Parlamenten vertreten sein muss.

(Beifall und Zurufe)

Herr Kollege Vogt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stegner? - Das tun Sie; dann haben Sie das Wort, Herr Stegner.

Herr Kollege Vogt, Sie haben gesagt, wir würden die rechtlichen Bestimmungen leichtfertig betrachten. Das ist überhaupt nicht der Fall; die Rednerinnen und Redner aus unserer Fraktion, die sich darauf bezogen haben, haben auf Artikel 3 des Grundgesetzes und die Formulierung der aktiven Umsetzung Bezug genommen. Es wird sich eine rechtliche Regelung finden lassen, die verfassungskonform ist. Anders als Sie es gerade ausgeführt haben, Herr Kollege Vogt, sind die Anforderungen an Parteien, die demokratische Willensbildung zulassen müssen, in Deutschland nach den Erfahrungen unserer Geschichte sehr streng. Auch das, was Parteien für sich selbst regeln, unterliegt strengen rechtlichen Vorgaben. Und wir reden ja über demokratische Parteien.

Deswegen können Sie in keiner Weise sagen, wir machten es uns zu einfach. Es geht um die Frage, ob der politische Wille so ausgeprägt ist, das regeln zu wollen, und unser Antrag stellt genau dies fest: Wir haben den politischen Willen, das zu ändern, und suchen nach dem richtigen Weg. Deswegen finde ich, dass Sie danebenliegen, wenn Sie behaupten, wir nähmen Rechtsbedenken nicht ernst. Wir nehmen sie schon ernst, aber das heißt nicht, dass es unmöglich ist. Man kann das machen, wenn man es möchte.

Herr Kollege Dr. Stegner, andere Fraktionskollegen der SPD haben auf die Probleme hingewiesen, Sie sind relativ einfach darüber hinweggefegt. Darauf habe ich hingewiesen. Auch die Bundesjustizministerin - das ist für eine Justizministerin wirklich erstaunlich - hat es sich relativ einfach gemacht und gesagt, man macht einfach ein Parité-Gesetz, und dann ist gut. Auf die verfassungsrechtlichen Bedenken hat sie gar nicht hingewiesen. Darauf habe ich gerade hingewiesen.

Die Kollegin Touré hat einen Punkt völlig richtig genannt. Die Modelle, die in der Diskussion sind, sind hier munter durcheinandergegangen, pro Partei und Wahlkreis Mann und Frau. Das ist ein ganz anderes Modell, als Listenparität vorzuschreiben. Das

liegt daran, dass der SPD-Antrag so oberflächlich ist und im Ungefähren bleibt.

(Werner Kalinka [CDU]: Genauso ist das!)

Der Grund dafür, dass Sie den Antrag eingereicht haben, ist, dass Sie sagen: Es gibt einen Weg, das verfassungsgemäß zu machen, aber Sie haben ihn auch noch nicht. Das ist in dieser Debatte ein Stück weit das Problem, dass Sie behaupten, es gehe, uns aber nicht sagen, wie es geht.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Kollege Vogt, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage oder -bemerkung des Kollegen Stegner?

Herr Kollege Vogt, es ist doch genau andersherum: Gerade weil einem mit Blick auf das Brandenburger Gesetz vorgehalten wird, darüber habe noch kein Verfassungsgericht entschieden, haben wir gesagt: Wir wollen zunächst einmal feststellen, ob es einen gemeinsamen politischen Willen in diesem Hause gibt, sich in diese Richtung zu bewegen. Wir sind ja nicht die Einzigen, die juristischen Sachverstand haben; danach suchen wir nach einem Weg.

Natürlich hat das Modell einer Doppelbesetzung in Wahlkreisen auch Nachteile, weil ich es für falsch halte, die Anzahl der Wahlkreise zu reduzieren, um nicht die Entfernung zu den Bürgerinnen und Bürgern zu vergrößern, was wir uns nicht leisten können. Ich würde andere Wege präferieren.

Aber die Frage ist nicht, was wir im Einzelnen präferieren, sondern ob es einen gemeinsamen politischen Willen gibt, das zu bewegen und dann nach juristisch und verfassungsrechtlich tragbaren Wegen zu suchen. Das sagt unser Antrag aus, nichts anderes. Er baut eine Brücke, das festzustellen.

Herr Kollege Vogt, nach der heutigen Debatte bin ich nicht sicher, ob dieser politische Wille bei jedem Einzelnen in diesem Hause vorhanden ist. Darüber bin ich wirklich im Zweifel.

(Werner Kalinka [CDU]: Das müssen Sie auch jedem Einzelnen überlassen!)

(Christopher Vogt)

- Ich bin Ihnen dankbar für den Hinweis. Sie haben auf das Modell Oppermann hingewiesen, der das ein Stück weit mit der Größe des Deutschen Bundestags vermengt und als Vizepräsident den Vorschlag gemacht hat, die Zahl der Wahlkreise deutlich zu reduzieren und dort Parität vorzuschreiben. Auch ich halte diesen Vorschlag für falsch, weil damit die Entfernung zwischen dem einzelnen Wähler und der einzelnen Wählerin und dem Parlament vergrößert wird. Wir sollten das Wahlrecht eher bürgernäher gestalten und uns nicht weiter von den Bürgern entfernen. - Dann sind wir uns in dem Punkt immerhin einig.

Ich bin Ihnen dankbar für den letzten Punkt. Ich habe in meiner Rede ausdrücklich darauf hingewiesen: Wir wünschen uns das Ende von jeder Form von Diskriminierung. Wir wünschen uns endlich richtige Gleichberechtigung. Aber unser Wunsch ist nicht, Parität, also 50 zu 50, vorzuschreiben, sondern wir wollen Chancengleichheit, nicht Ergebnisgleichheit.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

In dem Punkt sind wir auseinander. Danke, dass ich darauf noch einmal hinweisen konnte.

Jetzt hat die Kollegin Waldinger-Thiering für die Abgeordneten des SSW das Wort.

Sehr geehrter Landtagspräsident! Sehr geehrte Kollegen und Gäste oben auf der Tribüne! Ich finde, wir führen am heutigen Weltfrauentag eine großartige Diskussion über Parität. 100 Jahre nachdem die Frauen das Wahlrecht bekommen haben, haben wir gesehen, dass Frauen zur Wahl gehen, sich aber nicht viele, nicht genügend Frauen für Ämter aufstellen lassen.

(Werner Kalinka [CDU]: Das stimmt doch überhaupt nicht!)

Wenn wir im Ausschuss über den SPD-Antrag beraten, sollten wir auch überlegen, wie wir das auf kommunaler Ebene regeln. Da müssten wir das eigentlich genauso machen wie auf Landesebene.

Was ich in der heutigen Diskussion vermisse, ist: Ich möchte den Familien nicht vorschreiben, wie sie zu Hause ihre Rollen verteilen. Ich gehe davon aus, dass die Rollen im Jahr 2019 zu Hause so verteilt sind, dass auch einmal ein Mann die Geschirrspülmaschine ausräumt.

(Beifall SSW, CDU, FDP und AfD)

Wir Mütter haben die große Aufgabe, unseren Jungs beizubringen, wie Gleichstellung des Mannes aussieht.

(Zurufe)

- Mütter und Väter. Wir sprechen über Parität, wir sprechen aber nicht über die Grundvoraussetzungen dafür: Wie schaffen wir es, dass mehr junge Frauen und Männer in den Landtag kommen? Wir müssen ganz andere Voraussetzungen schaffen.

In Skandinavien ist es so: Wenn man ein gewähltes Mandat innehat, ist es reversibel. Das heißt: Bin ich schwanger, gehe ich für ein halbes oder ein Jahr in Mutterschutz, dann rückt jemand von der Liste nach. Nach dem Mutterschutz oder der Erziehungszeit kehre ich zurück.

Über diese Themen müssen wir reden. Es nützt nichts, nur über Parität zu reden. Wir müssen das ganze Spektrum mitdenken. Das gilt auch für junge Väter, die Erziehungszeit anmelden.

Insofern finde ich, das Thema ist ausbaufähig; wir sollten nicht nur im Innen- und Rechtsausschuss über den Antrag sprechen, sondern auch im Sozialausschuss.

(Beifall Lars Harms [SSW] und Barbara Ost- meier [CDU])

Was unterscheidet Männer und Frauen? Warum haben Frauen vielleicht nicht unbedingt Lust, jeden Tag Politik zu machen? - Ich glaube, dass viele Frauen sagen: Mein Gott, ich kann meine Lebenszeit anders nutzen.

Lukas Kilian, ich möchte noch eines klarstellen: Egal ob man direkt gewählt oder über die Liste ins Parlament gekommen ist - jeder von uns, der hier im Landtag sitzt, hat seine Qualifikation. Der nächste Punkt -