Protokoll der Sitzung vom 29.08.2019

Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste, die gerade eintrudeln! Am 3. Oktober 2019 feiern wir hier in Kiel den Tag der Deutschen Einheit. Wir freuen uns alle auf ein großartiges Fest, bei dem wir uns der Wiedervereinigung erinnern. Wir sind den mutigen Männern und Frauen dankbar, die sich damals gegen das DDR-Regime erhoben und die Wende vollendet haben.

Ich weiß noch, wie ich selbst mit meinen Kindern damals waren es erst zwei - am 3. Oktober durch das Brandenburger Tor gegangen bin, das nach langer Zeit wieder offen war. Das ist eine der schönsten Erinnerungen, die ich heute noch habe.

Daher begrüßen wir auch die Aktivitäten der Landesregierung, den Bürgern ein Angebot für kostenfreien Nahverkehr zu unterbreiten, ausdrücklich. Wir sehen darin einen zusätzlichen Anreiz für interessierte Bürger, an diesem Tag ohne Pkw in die Landeshauptstadt zu reisen und aus diesem Anlass in die Bahn umzusteigen. Gerade der regionale Zugverkehr kann durch ein solches Angebot und dessen hoffentlich einwandfreie Umsetzung Werbung in eigener Sache betreiben und sein mehr als angekratztes Image aufbessern. Die Bahn hat da, wie wir wissen, großen Nachholbedarf; denn wir wissen auch, dass sich viele Kunden in den letzten Monaten oder Jahren enttäuscht abgewendet haben.

Erst vor wenigen Tagen berichtete die Presse unter der Überschrift „Züge fahren meist defekt“, dass im ersten Halbjahr 2019 rund 80 % der Regionalzüge in Schleswig-Holstein störungsbehaftet gewesen seien. Die Bahnkunden erwarten zu Recht, dass sie nicht nur von A nach B gebracht werden, sondern dass dies auch pünktlich und in sauberen, voll funktionsfähigen Zügen erfolgt. Hier aber liegt heute auch das Problem, denn viel zu viele Nah- und Fernverkehrszüge sind auch in Schleswig-Holstein mit defekten Türen, nicht funktionierenden Klima

(Kay Richert)

anlagen oder schlicht verschmutzt unterwegs. Deshalb ist der Hauptgrund für die schwache Akzeptanz des öffentlichen Personennahverkehrs nicht etwa die Frage der Kosten, sondern die fehlende Qualität.

Aus demselben Grund wären sicher auch viele Kunden bereit, am Tag der Deutschen Einheit für eine Bahnfahrkarte nach Kiel zu bezahlen, wenn ein angemessener Reisekomfort und Pünktlichkeit garantiert wären. Hier hat die Deutsche Bahn noch einen weiten Weg vor sich, um Vertrauen zurückzugewinnen, das über viele Jahre verloren gegangen ist.

Zurück zum 3. Oktober: Die Verkehrsunternehmen und hier insbesondere die Deutsche Bahn haben an diesem Tag die Chance, verlorenen Boden wiedergutzumachen, Vertrauen neu zu bilden und viele Bürger schnell, sicher und komfortabel zu den Feierlichkeiten nach Kiel zu bringen, auf die wir uns jetzt schon freuen.

Daher unterstützen wir den vorliegenden Alternativantrag der Jamaika-Koalition. Den SPD-Antrag müssen wir leider schon aus dem Grund ablehnen, sehr geehrter Herr Vogel, weil er die Landesregierung auffordert, „die Mitnahme aller Personen kostenfrei durchzuführen“. Ich glaube, es ist nicht die Aufgabe der Landesregierung, sondern das ist immer noch die Aufgabe der Verkehrsunternehmen. Und wir wissen schon, dass sich die Landesregierung aufgemacht hat, um mit den Verkehrsunternehmen und auch mit der Stadt Kiel eine Vereinbarung zu schließen. Das war ein bisschen haarspalterisch, Herr Vogel, aber Sie sind ja Lehrer, Sie müssen das abkönnen. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall Dr. Frank Brodehl [AfD])

Begrüßen Sie mit mir auf der Tribüne Schüler und Schülerinnen der Gemeinschaftsschule Reinbek.

(Beifall)

Das Wort für die Abgeordneten des SSW hat der Fraktionsvorsitzende Lars Harms.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kostenfreier Nahverkehr ist eine gute Sache, her damit,

(Beifall SSW und Lasse Petersdotter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

und zwar nicht nur an einem Tag alle 16 Jahre, sondern an jedem Tag in der Woche. Das muss das eigentliche Ziel sein. Der ÖPNV ist umweltschonend, sozial gerecht und schont unsere Ressourcen. Mehr öffentlicher Personennahverkehr bedeutet auch weniger Luftverschmutzung und weniger Flächenverbrauch durch Parkplätze. Kostenlos mit dem Bus zur Arbeit und zur Uni ist für einige SchleswigHolsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner dank Job- oder Semesterticket bereits fast Realität. Die Nutzerzahlen steigen, und die Natur atmet auf, weil weniger Menschen das eigene Auto nutzen. Von dieser Seite unterstützen wir die vorliegenden Anträge von ganzem Herzen. So könnten manche Skeptikerinnen und Skeptiker erstmals auf die Schiene gelockt werden. Das wäre ein nachhaltiger Erfolg und vielleicht für den einen oder anderen auch der Einstieg in die Verkehrswende.

Ich befürworte ausdrücklich ein starkes, gemeinsames Zeichen des Landtags, dass wir einen weitgehend autofreien Tag der Deutschen Einheit in Kiel begehen sollten. Mein ausdrücklicher Dank gilt darum sowohl den Autoren des Ursprungsantrags als auch denen des Alternativantrags, die es möglich gemacht haben, dass wir heute von einem besseren Ausgangspunkt in die Debatte gehen können.

Inzwischen hat sich die Stadt Kiel für den kostenlosen Nahverkehr am 3. Oktober 2019 entschieden und wird Festgäste, Publikum und alle Interessierten kostenlos in Kiel zum Festgelände hin- und zurückbringen. Das ist absolut vorbildlich. Für die Kieler Woche, die jedes Jahr unter Parkchaos und Staus stöhnt, wäre der kostenlose Nahverkehr sicherlich auch eine gute Idee.

(Beifall SSW, SPD und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit würden die Kieler Gäste dann nämlich umweltschonend zur Förde gebracht.

(Zuruf BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gute Idee!)

Zurück zum 3. Oktober 2019, bis zu dem es nur noch ein paar Wochen sind. Ich bitte deshalb zu bedenken, dass es mit einem kostenlosen Transport allein nicht getan ist. Es müssen auch mehr Züge mit einem entsprechend dichten Sonderfahrplan eingesetzt werden. Angesichts des Zeitdrucks ist das aber wohl nicht mehr zu erwarten; die Verhandlungen laufen ja auch schon. Ich hoffe, dass die Gespräche zu einem guten Abschluss kommen und gemeinsam mit NAH.SH ein Weg aufgezeigt wird, wie die Bürgerinnen und Bürger am 3. Oktober kostenlos mit der Bahn nach Kiel hin und zurückreisen können.

(Volker Schnurrbusch)

Abschließend möchte ich noch auf eine besondere Personengruppe aufmerksam machen: Menschen, die mobilitätseingeschränkt sind. Tatsächlich kommt es vor, dass Rollstuhlfahrer am Bahnhof zurückbleiben, weil die Rampe defekt ist oder die erforderlichen Plätze ausgebucht sind. Wollen mehrere Rollstuhlfahrer mitfahren, gerät das System Zug regelmäßig an seine Grenzen. Das ist beschämend, aber leider Realität. Ich wünsche mir, dass am 3. Oktober 2019 alle Züge verbindlich mit Wagen für mobilitätseingeschränkte Reisende ausgestattet werden. In den Gesprächen mit NAH.SH sollte diese Personengruppe zumindest ausdrücklich angesprochen werden, und man sollte versuchen, in irgendeiner Art und Weise eine Mobilitätsgarantie auszuhandeln.

Wenn die Züge fahren, soll jeder Bürger in Schleswig-Holstein und jeder Mensch, der zu uns kommt, eine Chance haben, das Fest zu besuchen. Das soll nicht an einem Rollstuhl scheitern.

(Beifall SSW, SPD und Dr. Andreas Tietze [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Jette Wald- inger-Thiering [SSW]: So ist es!)

Zusammenfassend ist klar, dass die Intentionen der Anträge richtig sind. Die Politik ist angesichts des Klimawandels geradezu verpflichtet, den Nahverkehr attraktiver zu machen. Da macht es Sinn, am 3. Oktober ein starkes Signal zu senden. Wie gesagt, darf man es dabei nicht belassen, aber es ist ein schönes Signal für die Verkehrswende. So können alle einmal ausprobieren, wie es ohne Auto geht. Es ist auch ganz schön, wenn sich dann der eine oder andere überlegt, in Zukunft auf das Auto zu verzichten. - Vielen Dank.

(Beifall SSW, SPD und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Landesregierung hat der Ministerpräsent Daniel Günther das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der 3. Oktober, Tag der Deutschen Einheit, bei uns in Schleswig-Holstein ist ein besonderes Ereignis. Die damals überwundene Teilung, 30 Jahre friedliche Revolution - es ist ein Glücksfall für uns, dass das hier in Kiel stattfindet. Dass wir die Hunderttausenden, die damals demonstriert haben, dabei würdigen, im Rahmen unserer Bundesratspräsidentschaft das Motto „Mut verbindet“ gewählt haben, das ist etwas Großartiges. Wir sollten uns alle

miteinander auf diesen Tag der Deutschen Einheit besonders freuen.

(Beifall)

Wir haben mit der Ausrichtung dieses Tages eine besondere Verantwortung dafür, diese Leistung entsprechend zu würdigen. Deswegen wollen wir damit auch deutlich machen, wie wichtig die Errungenschaften sind: Demokratie, die dort erkämpft worden ist, Reisefreiheit, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit. Wir wollen natürlich, dass diese wichtige Botschaft möglichst viele Menschen in unserem Land erreicht.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und Lars Harms [SSW])

Ich finde im Übrigen, dass die Aspekte ein bisschen zu kurz gekommen sind, dass es bei dem Anliegen zwar einerseits darum geht, im Rahmen von Klimaschutz Bus und Bahn zu nutzen, bei der Kostenfreiheit dieses Angebots aber anderseits auch darum geht, dass wir wollen, dass alle Menschen an diesem Tag mitfeiern können - unabhängig vom Geldbeutel. Das ist aus meiner Sicht sehr wichtig.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Kai Vogel hat gerade eben ein paar kritische Worte gesagt: Erst einmal, dass ich den Antrag, den Sie gestellt haben, noch nicht gelobt hätte. Dabei wussten Sie, dass es in der Natur der Sache liegt, dass Sie vor mir reden. Von daher hatte ich noch gar keine Chance dazu, das zu tun. Selbstverständlich mache ich das. Ich finde Ihren Antrag gut und richtig. Dass wir zu diesem wichtigen Thema jeweils Anträge gestellt haben, ist doch nichts, was uns trennt, sondern etwas, das uns verbindet. Deswegen sage ich ausdrücklich: Herzlichen Dank für die Initiative, die auch die SPD ergriffen hat.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Nun könnten wir uns lange darüber streiten, ob ich vielleicht glaube, dass Sie von unseren Gesprächen gehört und diesen Antrag gestellt haben oder umgekehrt. Wir sollten uns das einfach sparen und uns beiderseits darüber freuen, dass wir so gute Ideen haben.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Nachdem Sie mich aber bei dem vorigen Punkt dafür kritisiert haben, dass ich als Ministerpräsident zu wenig arbeiten würde, hat es mich dann schon ein bisschen getroffen, dass Sie uns dafür kritisiert

(Lars Harms)

haben, dass wir schon gearbeitet haben, bevor der Antrag im Landtag überhaupt beraten wurde.

(Birte Pauls [SPD]: Ja, ganz klar!)

Sie müssen sich schon überlegen, was Sie daran kritisieren. Weil wir alle Praktiker sind, sage ich Ihnen: Hätten wir als Landesregierung hier gesessen und gesagt: „Bevor sich nicht der Landtag mit einem solchen Antrag beschäftigt, arbeiten auch wir nicht daran“,

(Zuruf Birte Pauls [SPD] so hätte ich Ihnen heute sagen müssen, dass wir es bis zum 3. Oktober 2019 gar nicht mehr hinbekom- men. Es sind unglaublich komplizierte Gespräche, die dort geführt werden müssen. Daran, gemeinsam mit NAH.SH vorzubereiten, dass es am 3. Oktober 2019 passt, arbeiten Mitarbeiterinnen und Mitarbei- ter schon das ganze Jahr über. Dass wir den Letter of Intent mit Kiel jetzt durchhaben - Kostenteilung mit der Landeshauptstadt Kiel, den Rest übernimmt das Land Schleswig-Holstein -, war das Ergebnis schwieriger Verhandlungen über Takte und Linien an dem Tag. Es ist ein großartiger Erfolg, dass uns das gelungen ist. Wir waren uns übrigens relativ sicher, dass der Landtag es nicht schlecht finden wird, wenn wir es schaffen, das alles am 3. Oktober 2019 kostenfrei hinzubekommen. Ich mag mich getäuscht haben. (Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, SSW, vereinzelt SPD und Beifall Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein [fraktionslos])

Von daher kann ich sicher sagen: Busse in Kiel am 3. Oktober 2019 - kostenfrei. Wir verhandeln im Moment abschließend darüber, ob wir es auch hinbekommen, dass im ganzen Land Menschen mit Bus und Bahn kostenfrei nach Kiel fahren können. Bezüglich der Höhe der Kosten, die sich aus den Verhandlungen ergeben: Wir werden das einigermaßen angemessen hinbekommen. Es wäre ein großartiges Signal, wenn möglichst viele Menschen hierherkämen - von daher arbeiten wir daran -, und ich hoffe, dass das am 3. Oktober 2019 gelingen wird.

(Beifall im ganzen Haus)

Es ist beantragt worden, über die Anträge in der Sache abzustimmen.

Ich lasse zunächst über den Antrag der Fraktion der SPD, Drucksache 19/1507, abstimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Dann ist der Antrag Drucksache

19/1507 gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der Abgeordneten des SSW mit den Stimmen aller anderen Fraktionen abgelehnt.