Protokoll der Sitzung vom 13.12.2019

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Nationalstaaten wird es auch in Zukunft noch geben. Das Entscheidende ist doch der Zusammenschluss der Nationalstaaten, den wir durch die EU erreicht haben. Das Entscheidende ist doch, und das fehlt bei Ihnen im Antrag, dass es hier um ein geeintes Europa geht, und ein geeintes Europa ist echt viel. Ich glaube, die Leute vergessen das immer gern.

Das Wichtigste ist: Seitdem wir es haben, haben wir in unserer Region hier Frieden. Die, die außerhalb der EU sind, haben nicht immer Frieden. Das ist eine riesige Errungenschaft der EU. Man kann kritisch gegenüber der EU sein, das ist gar keine Frage. Aber dass Staaten miteinander auskommen müssen, weil sie miteinander wirtschaftlich verwoben sind und auf einmal keinen Grund mehr haben, sich aus nationalistischen Erwägungen heraus gegenseitig die Köpfe einzuschlagen, ist wirklich das Herausragende, was uns die EU gebracht hat, meine Damen und Herren.

Wenn wir als Deutsche darauf gucken, dann haben wir dadurch wirtschaftlichen Fortschritt. Herr Nobis, klar, wir zahlen mehr ein als andere. Das ist richtig, aber wir sind auch ein bisschen reicher als andere. Vor allen Dingen aber profitieren wir viel stärker davon, dass wir in der EU sind, als andere,

weil wir als Exportnation auf einmal riesige Märkte erschlossen haben, in die wir ohne Schwierigkeiten kommen. Deshalb haben wir auch einen großen Vorteil daraus. Es macht sogar Sinn, dass wir ärmere Länder innerhalb der EU unterstützen - nicht nur aus menschenfreundlicher Sicht, das allein würde mir schon reichen -, denn wenn es diesen Ländern irgendwann einmal gut geht, dann profitieren wir als Exportnation davon, dass es diesen Menschen gut geht und dass sie Einkommen haben.

Also, die EU ist nicht schlecht. Die EU ist klasse für uns. Wer kann sich noch daran erinnern, dass wir ewige Zeiten an Grenzen stehen mussten, um einfach nur einen Nachbarn zu besuchen? Die Zeiten sind um. Wir haben freien Reiseverkehr. Das ist klasse. Wenn ich über ein geeintes Europa rede, dann rede ich über eine einheitliche Rechtsordnung, die wir haben müssen. Wir brauchen eine einheitliche Wirtschaftsordnung. Die EU ist eigentlich sogar fortschrittlicher als manches Mal wir in der nationalen Gesetzgebung.

Und ich glaube, wir brauchen in Zukunft auch eine starke Vertretung nach außen. Die Konkurrenz besteht nicht mehr innerhalb der kleinen Nationalstaaten. Die Konkurrenz besteht mit China. Die Konkurrenz besteht mit den USA. Die Konkurrenz besteht mit Russland. Die Konkurrenz besteht irgendwann auch mit anderen Staaten, und wir müssen uns in der Welt behaupten; sowohl politisch als auch wirtschaftlich.

Das ist die große Chance, die ich mit der EU verbinde. Deshalb ist es wichtig, dass man sich ohne Wenn und Aber und ohne Einschränkung für eine europäische Zusammenarbeit und für ein geeintes Europa einsetzt.

(Beifall SSW, SPD, Tobias Koch [CDU] und Jan Marcus Rossa [FDP])

Was mir ganz wichtig ist: Wir haben jetzt das Problem mit dem Brexit. Wer sich aber das Wahlergebnis genau ansieht, der sieht, dass es in Großbritannien Regionen gibt, die sehr pro-europäisch sind. Unsere Schwesterpartei SNP hat gerade die Wahlen in Schottland gewonnen. Dort möchte man in Europa bleiben. Egal, was mit dem Brexit passiert - der wird kommen; davon gehe ich inzwischen auch aus -, bitte ich alle darum, die Regionen in Großbritannien, die in Europa verbleiben wollen, nicht vor den Kopf zu stoßen und ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, so schnell wie möglich wieder nach Europa zurückzukehren. Ich glaube, das wäre für uns ganz wichtig.

(Volker Schnurrbusch)

(Beifall SSW, SPD, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat der Abgeordnete Hartmut Hamerich.

Ich habe keine vorbereitete Rede.

(Heiterkeit - Christopher Vogt [FDP]: Hast du ja nie!)

- Das ist richtig. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Normalerweise lohnt es nicht, auf solche Einwürfe zu reagieren, um das, was die AfD hier ständig versucht, zu propagieren, noch aufzuwerten. Aber wenn hier Unwahrheiten behauptet werden, wenn hier Lügen verbreitet werden, dann habe ich ein Problem damit.

(Serpil Midyatli [SPD]: Das machen die doch immer so!)

- Das weiß ich. Vielleicht hilft es ja irgendwann, wenn man das regelmäßig sagt. Steter Tropfen höhlt den Stein.

Herr Nobis, wenn Sie hier stehen und behaupten, ich hätte wirre Inselbewohner gesagt, dann ist das mitnichten der Fall. Ich habe gesagt: Ein Haufen von populistischen Demagogen hat das englische Volk belogen. Alles andere wäre für mich ein Grund, zu Hause nicht mehr reingelassen zu werden. 50 % meiner Familie sind britisch. Aber so etwas wird behauptet.

Sie stellen sich hier hin und behaupten, auch Herr Schnurrbusch hat es eben wieder behauptet, die Integrationspolitik wäre ein Grund. Sie sind scheinbar noch nie in England gewesen. Herrn Schnurrbusch glaube ich, dass er schon da war, der ist viel gereist in seinem Leben. Ich empfehle Ihnen einmal einen Besuch in Chinatown, Soho und Covent Garden. London ist eine Stadt mit 12 Millionen Einwohnern. Dort finden Sie gelebte Integrationspolitik. Keine Stadt ist so bunt wie London. Kein Land ist so bunt, wie London es ist. Eka von Kalben wird das bestätigen, die ist auch britisch liiert. Wer genau hinsieht, was in Großbritannien vonstattengeht, weiß, dass das britische Volk so international wie kaum ein anderes ist. Aufgrund seiner Historie, insbesondere der Kolonialzeit, leben dort sehr viele Menschen mit fremdländischem Hintergrund - das ist eigentlich nicht die richtige Bezeichnung -, und zwar in Frieden und Eintracht miteinander. Wer abends in England, egal ob in London oder auf dem Land, in einen Pub geht, sieht, dass dort Integration

ohne Ende gelebt wird; das ist nicht nur dem Alkohol geschuldet.

(Heiterkeit)

Ich bitte einfach darum, solche Lügen, solche dummen Behauptungen zu unterlassen. Wenn Sie das berücksichtigen, dann werden Sie vielleicht irgendwann glaubwürdiger; so sind Sie es nicht. - Herzlichen Dank.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat der Abgeordnete Dennys Bornhöft.

Sehr geehrte Präsidentin, Sie sehen: Ich habe nichts vorgefertigt, sondern ich rede spontan.

(Martin Habersaat [SPD]: Handflächen zei- gen! - Dennys Bornhöft [FDP] zeigt dem Ple- num seine Handflächen - Heiterkeit)

- Die Handflächen zeige ich auch.

Anlässlich des - anscheinend vorgefertigten - Beitrags von Herrn Nobis möchte ich Ihnen gern noch einmal darlegen, was in Großbritannien seit Juni 2016 rechtlich tatsächlich stattgefunden hat. Damals gab es eine Volksbefragung, die konsultativ war. Das heißt, sie hatte keinerlei rechtliche Bindung. Selbst wenn 90 % für „Remain“ oder 99 % für „Leave“ gewesen wären, hätte das nicht automatisch eine rechtliche Konsequenz gehabt.

Was ist dann passiert? Die britische Regierung, damals noch unter Tory-Mehrheit, versuchte dann, Artikel 50 des Lissabon-Vertrages „scharfzuschalten“, was Theresa May am 29. März 2017 tatsächlich gemacht hat. Allerdings hatte die Regierung die Absicht, Großbritannien allein, ohne Parlament, aus der EU zu führen. Dabei wurde sie von einem britischen Gericht gestoppt; demnach ist das Parlament einzuschalten. Im Unterhaus gab es bisher - bis gestern - keine Mehrheit für einen EU-Austritt.

Ich musste mich auch deshalb noch einmal zu Wort melden, weil ich betonen möchte, dass ein vereintes Europa der Grund ist, aus dem ich überhaupt in die Politik gegangen bin. Ein vereintes Europa ist mein Lebenstraum. Wir hatten hier schon ein paar Mal diese Diskussion. Das ist genau das, was Sie von der AfD bekämpfen. Diese Meinung kann man ja haben.

(Lars Harms)

Ich war Mitte Oktober dieses Jahres zum ersten Mal in meinem Leben in Großbritannien. Dort fand die größte Demonstration, die dieses Land jemals gesehen hatte, statt. Über eine Million Menschen demonstrierten dort, und zwar parteiübergreifend; klar, von den Konservativen waren nicht ganz so viele dabei. Über eine Million Menschen gingen auf die Straße - aber nicht nur, um zu sagen: „Wir möchten den Brexit nicht!“, sondern sie hatten noch eine andere Forderung an das britische Unterhaus: Sie wollten eine echte Volksabstimmung, weil sie jetzt wirklich wissen, worüber sie abstimmen sollen. 2016 lautet die Frage ganz lapidar: Sollte Großbritannien Mitglied der EU bleiben oder die EU verlassen? - Ohne die jüngst gestartete Kampagne wusste man gar nicht, worauf man sich eingelassen hat. Jetzt hätte man eine richtige Entscheidung treffen können. Auf der einen Seite stünde das zwischen der EU und Großbritannien ausgehandelte Austrittsabkommen, das jeder mit allen Konsequenzen, pro und contra, bewerten müsste. Auf der anderen Seite gäbe es die Möglichkeit des Verbleibs. Das wäre eine gute Lösung gewesen.

Bisher hatten wir ein „Hung Parliament“, weil die Tories eine Minderheitsregierung anführten. Labour, SNP und unsere Schwesterpartei, die LibDems, haben meiner Meinung nach einen großen historischen Fehler, der in das britische Geschichtsbuch eingehen wird, begangen, weil sie sich ohne die Zusage, dass es ein Referendum geben wird, in Neuwahlen hineinbegeben haben. Gestern haben sie ganz klar verloren.

Boris Johnson wird sich freuen, dass er das, was 2016 so lapidar eingeleitet worden ist, jetzt einfach durchziehen kann, ohne dass die britische Bevölkerung noch einmal befragt wird. Das finde ich sehr schade. Aber so sind General Elections auch, und Großbritannien wird voraussichtlich die EU verlassen.

(Jörg Nobis [AfD]: Die Wahl gestern war das zweite Referendum!)

- Nein, das war es nicht. Sie kennen das Wahlsystem nicht.

(Christopher Vogt [FDP]: Gestern galt das Mehrheitswahlrecht! Die Konservativen ha- ben unter 50 %!)

- Mit dem Mehrheitswahlsystem ist das etwas anderes; das war gestern keine Ja- oder Nein-Frage. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat der Abgeordnete Dr. Ralf Stegner.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es ist wichtig, noch einmal auf einige Punkte hinzuweisen; heute sind ja auch viele Menschen auf der Tribüne.

Das, was in Großbritannien passiert ist, bedeutet eine Tragödie für Großbritannien, und es ist nicht schön für Europa. Wir sollten immer signalisieren, dass wir mit unseren britischen Nachbarn weiterhin freundschaftlich zusammenarbeiten wollen und dass wir uns ihre Rückkehr in die Europäische Union wünschen, falls sie sie tatsächlich verlassen sollten. Wenn sie sie verlassen, ist das nichts Gutes.

Warum ist es wichtig, dass wir darüber reden? Weil diejenigen, die in meinem Alter sind, wissen, dass wir die erste Generation seit ganz vielen sind, eigentlich seit Jahrhunderten, die seit 70 Jahren in Frieden leben kann. Das haben wir der Europäischen Union zu verdanken.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Warum müssen wir darüber reden? Weil wir anderswo sehen, dass Nationalisten das wieder ändern wollen. Die Leute, die positiv über Nationalismus reden, wollen das wieder ändern; sie gefährden Frieden und Wohlstand.

Das wird übrigens auch daran deutlich, dass Sie sich in ihren Reden darüber beklagen, dass es den Europäischen Gerichtshof gibt. Ich bin froh, dass es ihn gibt. Er wacht nämlich über die Einhaltung der Werte der Europäischen Union. Die EU ist nicht nur eine Wirtschaftsgemeinschaft, sondern auch eine Wertegemeinschaft. Sie verwechseln den Rechtsstaat mit einem rechten Staat. Sie wollen einen rechten Staat, wir wollen den Rechtsstaat haben. Das ist der große Unterschied zwischen uns, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW - Volker Schnurr- busch [AfD]: Die EU ist kein Staat!)

Man mag sich über solche Anträge oder solche dümmlichen Beiträge ärgern. Aber das ist auch die Chance, Ihnen zu zeigen, dass die weit überwiegende Mehrheit dieses Parlaments für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität in Europa steht und sich wünscht, dass wir ein Europa sind, in dem wir,

(Dennys Bornhöft)

friedlich nach außen und nach innen, als gute Nachbarn das verwirklichen, was unsere Vorgängergenerationen nicht getan haben. Denn wenn es eine Lehre aus dem blutigen 20. Jahrhundert gab, dann war es die Gründung der Europäischen Union. Die EU hat, bei aller Kritik, die man üben kann, dazu beigetragen, dass wir in Frieden und Wohlstand leben können. Wir sollten dafür sorgen, dass noch mehr Menschen in der ganzen Welt so leben können. Das erreichen wir nur, wenn wir nicht zum Nationalismus von gestern zurückkehren. - Vielen Dank.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)