Protokoll der Sitzung vom 24.01.2020

Damit geht es auch um die Perspektiven für den Standort Kiel. Wir kommen nicht weiter, wenn wir uns in irgendwelchen Diskussionen verlieren und wenn Sie Behauptungen aufstellen, die falsch sind. In Europa zum Beispiel ist es mit der Gemeinsamkeit bei Rüstungsprojekten so eine Sache. Bei manchen Projekten wollen wir diese Gemeinsamkeit übrigens nicht, weil wir striktere Waffenexportrichtlinien anstreben. Wir wollen nicht in Schurkenstaaten liefern, um es einmal klar zu sagen. Insoweit wollen wir keine Gemeinsamkeit.

Hier geht es aber im Kern nicht um Waffenexporte, sondern darum, dass wir durch einen riesigen Auftrag der Bundeswehr Strukturen erhalten könnten. Wir wollen hier nicht nur etwas zusammenschrauben; deshalb habe ich von „Brosamen“ für Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern gesprochen. Vielmehr muss es unser Ziel sein, die Technologieführerschaft zu behalten. Alle miteinander müssen an einem Strang ziehen, damit das gelingen kann. Da nützt es nichts, Betrachtungen über Zuständigkeiten anzustellen.

(Tobias von der Heide)

Frau Midyatli hat nur darauf hingewiesen, dass den Beschäftigten durchaus signalisiert worden ist auch durch den Ministerpräsidenten Ende vergangenen Jahres -: Es wird schon werden! - Es wird eben nichts! Man muss wirklich aktiv etwas dafür tun.

Wenn übrigens die nächsten Fregattenaufträge in fünf Jahren kommen, dann sind die Arbeitsplätze weg. Damit bin ich wieder bei dem, was den Kolleginnen und Kollegen, die auf der Tribüne sitzen, besonders wichtig ist: Das Parlament muss zusammenstehen, wenn es darum geht, Zukunftsperspektiven für Kiel und für ganz Schleswig-Holstein zu erhalten. Dabei geht es um Arbeitsplätze und um Technologieführerschaft. Wir sollten uns nicht in Diskussionen verlieren, von denen die Beschäftigten überhaupt nichts haben. Das sollten wir tun. Das hat Frau Midyatli vorhin versucht.

(Lukas Kilian [CDU]: Aha! - Zuruf Tobias von der Heide [CDU])

- Ich verstehe, dass Sie Ihren morgigen Kreisparteitag im Auge haben. Aber das ist nicht unser Thema. Das ist übrigens auch ein zu kleiner Zuschnitt im Hinblick auf das Problem, das wir hier haben, Herr Kollege von der Heide. - Vielen herzlichen Dank.

(Beifall SPD)

Das Wort für die Landesregierung hat Ministerpräsident Daniel Günther.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als ich heute Morgen auf die Tagesordnung geguckt habe, bin ich davon ausgegangen, dass dieser Tagesordnungspunkt und der Antrag, den die SPD dazu gestellt hat, genutzt werden, gerade den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die oben auf der Tribüne sitzen, ein eindrucksvolles Signal der Geschlossenheit zu senden, das Signal, dass wir hinter ihnen stehen, hinter den Menschen, die diese Arbeit leisten. Ich hätte mir gewünscht, dass das Parlament mit dieser Debatte einen Beitrag dazu leistet und wir uns nicht im parteipolitischen Klein-Klein verkämpfen. Ich finde, das ist der Debatte nicht angemessen.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP - Unruhe SPD)

Ich wäre bei aller Sympathie der Letzte, der nicht zugestehen würde, dass man in Sachen Verteidigungspolitik, insbesondere in der Frage, wie viel Geld man für Rüstung ausgeben sollte, unterschied

licher Auffassung sein kann. Uns trennt da manches von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Eka von Kalben und ich haben auch öffentlich nicht in allen Punkten die gleiche Meinung vertreten. Man kann dazu unterschiedlicher Auffassung sein.

Es geht jedoch nicht an, sich auf Bundesebene gegen alles einzusetzen, was darauf zielt, Geld in den Verteidigungshaushalt zu bekommen, damit solche Projekte ermöglicht werden. Wer überall Hürden aufrichtet, wenn es darum geht, dass die Produkte, die hier produziert werden, auch exportiert werden können, und überall das Wort dagegen erhebt, der sollte sich hier nicht hinstellen und allen Ernstes die Landesregierung angreifen mit der Behauptung, sie habe nicht genug getan. Das, was Sie von der SPD hier gemacht haben, ist wirklich vollkommen unglaubwürdig.

(Beifall CDU und FDP - Vereinzelt Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Serpil Mi- dyatli [SPD]: Das ist jetzt wohl kein Klein- Klein, keine Parteitagsrede?)

Mich tangiert gar nicht so sehr der Vorwurf, ich oder der Wirtschaftsminister dieser Landesregierung hätten angeblich nicht genug getan. Ich bin auf den Tätigkeitsnachweis der SPD für die Zeit vor der Befassung hier im Landtag gespannt. Dann werden wir sehen, was Sie eigentlich getan haben, um die Arbeitsplätze hier zu erhalten.

Ich sage Ihnen an dieser Stelle nochmals in aller Klarheit: Wir haben uns überall dafür eingesetzt, dass Marine-Schiffbau eine Schlüsseltechnologie wird. Wir haben das übrigens auch in den Koalitionsvertrag hineinbekommen. Das hat aber überhaupt nichts mit der Auftragsvergabe zu tun, von der wir heute reden. Dieser Auftrag ist in der vergangenen Legislaturperiode gestartet worden. Wissen Sie, welche Möglichkeiten Sie von der SPD gehabt hätten, mit diesem Auftrag etwas für die Beschäftigten hier zu tun? In der vergangenen Legislaturperiode hat die SPD die Landesregierung gestellt, und sie war auch schon an der Bundesregierung beteiligt. Sie hätten schon im damaligen Koalitionsvertrag dafür sorgen können, dass es zur Schlüsseltechnologie wird. Dann wäre es nämlich nur zu einer nationalen Ausschreibung gekommen, und wir würden diese Debatte heute überhaupt nicht führen. Dann wüssten die Beschäftigten, dass sie hier eine klare Perspektive haben. Sie haben über die Jahre hinweg geschlafen, meine Damen und Herren von der SPD.

(Dr. Ralf Stegner)

(Beifall CDU und FDP - Lachen SPD - Ser- pil Midyatli [SPD]: Das ist keine gute Minis- terpräsidentenrede!)

Es ist mir wirklich wichtig, dass wir jetzt diesen Schulterschluss hinbekommen. Ich bin wirklich bereit, diese Gespräche auch mit Ihnen zusammen zu führen.

Übrigens sind die Betriebsräte sofort auf uns zugegangen, eben weil sie Seite an Seite mit der Landesregierung für die Arbeitsplätze hier kämpfen wollen. Wie schon erwähnt, habe ich gemeinsam mit dem Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher einen Brief geschrieben und gefordert, dass es Schlüsseltechnologie wird.

Bei allen Versprechungen, dass es irgendwann kommen werde, sage ich hier in aller Klarheit: Wir haben schon so viele Zusagen des Bundes bekommen, dass es irgendwann beschlossen werde, dass ich jetzt schwarz auf weiß sehen möchte, dass es Schlüsseltechnologie wird und dass nationale Ausschreibungen durchgeführt werden. Das muss jetzt auch beschlossen werden.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, SSW und Dr. Kai Dolgner [SPD])

Es ist gut und wichtig, dass wir hier das klare Bekenntnis haben. Aber wir brauchen auch das klare Bekenntnis des Bundes. Ich habe schon meine Zweifel daran, dass es dem Bund wirklich wichtig ist, Industriepolitik zu machen, dass dort wirklich das Bewusstsein da ist, was die Bedeutung der maritimen Wirtschaft betrifft. Das betrifft ja nicht nur den Marine-Schiffbau, sondern den Schiffbau insgesamt. Der Bund sollte bedenken, welche Bedeutung er für unser Land hat. Allein dieser Auftrag hätte 6 bis 7 % des Bruttoinlandsprodukts Schleswig-Holsteins ausgemacht. Deshalb brauchen wir dieses klare Bekenntnis des Bundes. Es kann nicht sein, dass das größte Projekt, dass die deutsche Marine je ausgeschrieben hat, nicht in den Unternehmen, die wir in unserem Land haben, realisiert wird.

Auch für zukünftige Projekte ist dieses Bekenntnis wichtig. Wenn wir in befreundete Nationen solche Produkte exportieren wollen, werden wir immer gefragt: Wo baut denn die deutsche Marine ihre Schiffe? - Auch insofern hat diese Vergabeentscheidung eine fatale Wirkung.

Wir gucken uns im Moment an, was aus der Rüge wird. Die Entscheidung der Vergabekammer werden wir nicht beeinflussen können. Wir können übrigens auch nicht beeinflussen, wie ein solches Ver

gabeverfahren läuft. Bei aller Sympathie für den Einfluss von Parlamentarierinnen und Parlamentariern: Wenn man erst einmal die Fehlentscheidung getroffen hat, eine solche Vergabe europaweit auszuschreiben, dann kann man jetzt nicht mehr fragen: Warum habt ihr denn nicht im Dezember 2019 schon gesagt, wie das Ding vergeben werden soll? So läuft es eben nicht! Da lief die Ausschreibung schon geraume Zeit, und jetzt sind wir in dieser Situation.

Ich möchte vom Bund dessen Bekenntnis ganz klar dokumentiert bekommen. Die Aussage, dass 70 bis 80 % der Wertschöpfung ja in Deutschland landeten, reicht mir nicht aus. Wo ist das abgesichert? Ein Achtel Konstruktion, ein Achtel Fertigung, 75 % des Auftrags - in der Regel - Material. Wo ist denn festgelegt, was an Wertschöpfung in Deutschland verbleibt? Welche Verträge sind denn geschlossen worden - in diesem Fall: mit dem Privatunternehmen Damen -, wo welche Wertschöpfung erfolgt?

Das heißt: Jetzt müssen wir gemeinsam Druck machen. In Bezug auf den Bund ist es doch kein Signal der Stärke, wenn wir uns in Schleswig-Holstein beim Thema Arbeitsplätze gegenseitig kritisieren und uns gegenseitig vorwerfen, wer wo nicht genug gemacht habe. Deswegen ist meine herzliche Bitte: Schulterschluss nach außen dokumentieren! Das heißt auch, gemeinsam an einem Strang ziehen. Das erwarte ich auch von den Sozialdemokraten, wenn wir weiter hieran arbeiten.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Um das deutlich zu sagen: Wenn wir in Zukunft da hat Eka von Kalben recht -, auf europäischer Ebene eine gemeinsame Verteidigungspolitik anstreben und stärker kooperieren, heißt das, dass man sich für Auftragsvergaben stärker in Europa abstimmen muss, dass man vielleicht auch gemeinsame Aufträge machen wird. Das ist überhaupt keine Frage. Das brauchen wir für die Zukunft.

Aber wenn wir einen solchen Prozess angehen, wäre es sehr, sehr klug, wenn die Unternehmen mit Blick auf Kooperationen national vernünftig aufgestellte sind.

Damit das alle wissen: Das Kabinett der Niederlande - da kommt das Unternehmen, das diese Schiffe baut, her -, hat am 19. Dezember 2019 entschieden, dass das Projekt Einsatzgruppenversorger Combat Support Ship für die Königliche Marine unter Berufung auf Artikel 346 EU-Vertrag zum Schutz wesentlicher Sicherheitsinteressen selbstverständlich

(Ministerpräsident Daniel Günther)

nicht europaweit ausgeschrieben wird. Das heißt, wir bewegen uns hier im Moment absolut im europäischen Rahmen, wenn wir das entsprechend durchsetzen.

Unsere Industrie- und Exportnation braucht solche Referenzprojekte wie MKS 180. Es geht um den gesamten Schiffbau bei uns in Schleswig-Holstein. Deswegen muss die Bundesregierung jetzt auch Gespräche mit den Unternehmen führen, die übrigens vielfach bei uns in Norddeutschland und in Schleswig-Holstein angesiedelt sind.

Wenn man sich die Wertschöpfungskette anguckt, wird man feststellen, dass erhebliche Bereiche der Zulieferindustrie in Bayern und anderen südlichen Ländern liegen. Ich glaube, die Entscheidung, die jetzt getroffen wird, ist für Gesamtdeutschland unglaublich wichtig.

Wir brauchen bei Exportgenehmigungen Verlässlichkeit. Dass man über bestimmte Staaten hinweg miteinander diskutiert, ist völlig klar. Aber wenn ein Unternehmen eine Entscheidung getroffen hat und die Bundesregierung signalisiert, dass der Export stattfinden kann, darf es nicht sein, dass das Unternehmen am Ende immer wieder vertröstet wird und die Aufträge nicht seriös abarbeiten kann. Auch das gefährdet letztlich Arbeitsplätze hier bei uns in Kiel.

Meine herzliche Bitte: Wir alle müssen gemeinsam dafür kämpfen, dass die Lippenbekenntnisse jetzt mit Taten versehen werden. Überwasser-Schiffbau muss Schlüsseltechnologie werden. Wir müssen nationale Ausschreibungen in diesen Bereichen vornehmen.

Dass wir dafür gemeinsam kämpfen, dass wir gemeinsam an einem Strang ziehen, das haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf der Besuchertribüne, aber insbesondere auch die vielen Tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unseren Werften verdient. Darum bitte ich Sie alle herzlich.

(Anhaltender Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Der Ministerpräsident hat die vorgesehene Redezeit um 4 Minuten überschritten. - Die AfD-Fraktion möchte von der erweiterten Redezeit Gebrauch machen. Das Wort hat der Fraktionsvorsitzende Nobis.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste! Vieles ist schon richtig eingeordnet

worden. Aber ich muss Ihnen widersprechen, Herr Ministerpräsident: Wir dürfen hier in diesem Haus durchaus darüber diskutieren, wo der wirkliche Fehler liegt. Den haben Sie auch genannt: Letztlich bestand der Fehler darin, europaweit auszuschreiben. Das ist, wenn ich es richtig verstanden habe, 2015 passiert. Wer war denn 2015 in der Bundesregierung dafür zuständig? Das war Ursula von der Leyen.

(Zuruf Tobias Koch [CDU])

Man kann festhalten, dass sich die Abermillionen Euro für Beraterkosten richtig gelohnt haben. Die Europaverliebtheit der Deutschen hat dazu geführt. Stellen Sie es sich vor: Wir schreiben europaweit aus; kein anderer europäischer Staat macht das.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich gestatte keine Zwischenfragen, danke. Wir Deutschen denken, wir könnten europaweit ausschreiben. Der Skandal besteht nicht darin, dass das Projekt anderweitig vergeben wurde; das passiert. Wenn man Wettbewerb wünscht, gewinnt ein Wettbewerber. Es liegt in der Natur der Sache, dass das passieren kann. Der Skandal liegt aber darin, dass man das nicht vor 2015 oder spätestens dann zur Schlüsseltechnologie erklärt hat. Das darf man klarstellen. Das haben Sie getan.

Aber Sie müssen auch sagen: Damals war Ursula von der Leyen Bundesverteidigungsministerin. Die Millionen Euro für die Beraterkosten, die der deutsche Staat bezahlt hat, haben sich richtig rentiert. Das war eine wirkliche Fehlleistung der GroKo und insbesondere von von der Leyen. - Danke schön.

(Beifall AfD)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Beratung.