Protokoll der Sitzung vom 21.09.2017

(Serpil Midyatli)

der Rückführung nicht in Gänze beantwortet. Es geht uns vorrangig darum, dass die Rückführung aus der Landesunterkunft für Ausreisepflichtige in Boostedt, die es bereits gibt, so ausgestattet wird, dass sie unseren humanen Ansprüchen gerecht wird. Deshalb brauchen wir gute Kontakte in die Länder, in die die Menschen zurückkehren müssen.

Auch der Flüchtlingsrat fordert, dass es bei einer Rückführung eine materielle und nachhaltige Unterstützung für die Betroffenen geben muss, denn nur so kann eine echte Perspektive im Herkunftsoder Drittland eröffnet werden.

In dieser Debatte kommt es immer wieder zu einer Vermischung von sicherheitsrechtlicher Prävention und Abschiebehaft, von Terrorverdächtigen und Geflüchteten, von Ausländerrecht und Strafrecht so auch im Antrag der AfD. Aber eine mögliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit, wie die AfD sie hier darstellt, ist nicht zwingend gleichzusetzen mit Fluchtgefahr.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Die Abschiebehaft ist keine effektive und rechtlich zulässige Maßnahme zur Abwehr terroristischer Gefahren. Diesen muss mit Mitteln des Polizei- und Strafrechts begegnet werden. Nach dem neuen Gesetz der Bundesregierung ist es nun auch möglich, dass Gefährderinnen und Gefährder in Abschiebehaft genommen werden. PRO ASYL kritisiert hier zu Recht, dass die neu eingeführte Kategorie des Gefährders strafrechtlich höchst umstritten ist und nicht im Aufenthaltsrecht gelöst werden kann.

(Beifall Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Abschiebehafteinrichtung soll kommen. Im Koalitionsvertrag steht, dass es sich bei der Abschiebehaft nicht um eine Strafhaft handelt. Wir bestehen darauf, dass Unterbringungsstandards berücksichtigt werden. Diese Standards sind in der stillgelegten Einrichtung in Rendsburg nicht gegeben. Deshalb werden wir den Antrag der AfD ablehnen.

Diese Debatte ist auch eine Diskussion über Rechtsstaatlichkeit in der Flüchtlingspolitik. Diese begründet sich meiner Meinung nach nicht nur darin, möglichst restriktiv und hart in der Sache zu sein. Rechtsstaatlichkeit äußert sich für mich auch durch den Schutz der Menschenwürde.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP und SSW)

Nehmen wir nur die Debatte von vorhin. Der Schutz der Familie ist in Artikel 6 unseres Grundgesetzes verankert. Der Schutz ist nicht auf deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger begrenzt. Die Rechtsstaatlichkeit, die wir hier vorfinden, ist der Grund, aus dem sich Menschen auch dafür entscheiden, nach Deutschland zu kommen. Bevor sich die unsägliche Debatte der Pull-Faktoren in den Köpfen breitmacht, werfe ich vorsichtshalber eine Zahl in den Raum: 84 % der Menschen fliehen in die Nachbarstaaten. Deutschland ist nicht der Nachbarstaat von Syrien, auch nicht von Afghanistan, auch nicht von Eritrea oder dem Jemen. Es sind die Nachbarstaaten all jener Länder, die Millionen von Menschen aufgenommen haben.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP und SSW)

Die AfD hat einen Antrag zu sicheren Herkunftsstaaten geschrieben. Die Erweiterung der sicheren Herkunftsstaaten löst keine Probleme. Das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten ist unserer Meinung nach selbst ein Problem, denn kein Land ist pauschal sicher. Ich bin froh, dass wir im Koalitionsvertrag eine Vereinbarung dazu gefunden haben.

Die Verfahren werden dadurch im Übrigen auch nicht verkürzt, wie Sie in Ihrem Antrag behaupten.

Sie fordern die Reaktivierung von Rendsburg. Sie schreiben Kleine Anfragen zu Tuberkulosefällen durch Asylsuchende, Viehdiebstähle durch Ausländerinnen und Ausländer, Krätze durch Geflüchtete. Der Grundtenor: Migrantinnen und Migranten sind krank und kriminell. Sie erfragen lauter rechtes Zeug. Sie stellen keine lösungsorientierten Anträge.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP und SSW)

Sie verfolgen eine rassistische Ideologie, die es Migrantinnen und Migranten erschweren soll, in Deutschland zu leben, denn ansonsten würden Sie sich einmal die Mühe machen, nach Möglichkeiten zur besseren Integration zu suchen. Deshalb sind Ihre Programmatik und Ihre Partei rechts. Deshalb sind Ihre Partei und Ihre Programmatik auch rassistisch. Wir werden Ihren Antrag ablehnen, weil Sie rechts und vor allem rassistisch sind. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP und SSW)

Das Wort für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Kay Richert.

(Aminata Touré)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich sagte vorhin bereits, die Bürgerinnen und Bürger erwarten von uns, dass wir mit der Flüchtlingskrise umgehen und die bestehenden Probleme, die es ja gibt, erkennen und lösen und dass wir Asyl und Flucht und Zuwanderung vernünftig regeln. Ich habe vorhin auch schon einmal erwähnt, dass es mir wichtig ist, dass wir von hier aus tatsächlich Beiträge leisten, um das Zusammenleben in der Gesellschaft zu ermöglichen. Ich habe auch schon einmal erwähnt, dass ich deshalb froh bin, Teil einer Koalition zu sein, die sich sowohl die Rechtsstaatlichkeit wie auch die Menschlichkeit auf die Fahnen geschrieben hat.

Bei dem vorliegenden Thema spielt natürlich der Sicherheitsaspekt eine große Rolle. Ein wichtiger Teil des gesellschaftlichen Funktionierens ist aber auch die Integration von Minderheiten. Damit das gelingen kann - das habe ich vorhin auch schon einmal gesagt -, sind zwei Faktoren wichtig. Der eine ist das Sich-willkommen-Fühlen. Das haben wir vorhin schon behandelt. Der andere ist die Akzeptanz in der Mehrheitsbevölkerung. Das wollen wir jetzt behandeln. Ich hätte deshalb gern beide Anträge zusammen debattiert, aber da haben wir uns anders entschieden.

(Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Gott sei Dank!)

Widmen wir uns jetzt also dem Rückkehrmanagement. Ein wesentliches Prinzip in unserem Rechtsstaat ist, dass für alle die gleichen Rechte und Pflichten gelten. Jeder Mensch ist vor dem Gesetz gleich, formuliert unser Grundgesetz dazu. Die Akzeptanz staatlicher Aufgabenerfüllung hängt ganz entscheidend davon ab, dass dieses Prinzip verwirklicht wird, und zwar wahrnehmbar verwirklicht wird. Wenn in den Zeitungen, also in der veröffentlichten Meinung, getitelt wird: „Von Merkels Abschiebungsoffensive fehlt jede Spur“, oder: „Jede zweite Abschiebung in Schleswig-Holstein scheitert“, weil sich die ausreisepflichtigen Menschen der Ausreise entziehen, dann schwindet diese Akzeptanz, weil sich die Leute zu Recht sagen: „Wenn ich von einem Gericht zu etwas verurteilt werde, habe ich keine Wahl, dann muss ich das Geforderte tun - ob ich es will oder nicht. Warum haben andere die Wahl?“

Diesem Eindruck, dass das bei uns so ist, müssen wir entschieden entgegentreten, denn wenn wir Integration wollen, brauchen wir die Akzeptanz der Mehrheitsbevölkerung. Ohne geht es nicht. Wer

kein Bleiberecht in Deutschland hat, muss ausreisen. Wenn die Ausreise nicht freiwillig erfolgt, was wir - das hat der Innenminister geschildert - als erste Maßnahme forcieren möchten - die meisten Leute nehmen diese Angebote an und reisen freiwillig aus -, müssen wir, muss der Staat das geltende Recht durchsetzen, und das ist dann eine Abschiebung. Wenn die Gefahr besteht, dass sich jemand der Abschiebung entziehen könnte, dann muss auch Abschiebegewahrsam oder Abschiebehaft eingesetzt werden.

Nun ist das schwierig, wenn man keine Haftplätze dafür hat. In Schleswig-Holstein ist unsere Abschiebehaftanstalt aufgrund der mangelhaften Standards geschlossen worden. Wir müssen uns deshalb eine neue Möglichkeit suchen, um Abschiebegewahrsam oder Abschiebehaft durchzusetzen. Das wollen wir am liebsten zusammen mit den norddeutschen Nachbarn machen. Wie weit die Vorbereitungen dafür gediehen sind, ist uns ja gerade berichtet worden.

Aber klar ist auch: Sollte uns das nicht gelingen, in adäquater Zeit solche Möglichkeiten zu schaffen, wird Schleswig-Holstein auch allein handeln und durchsetzen. Auch insoweit ist unser Koalitionsvertrag klar.

Um zu dem anderen Antrag zu kommen: Die nordafrikanischen Maghreb-Staaten hält das Auswärtige Amt insoweit für sicher, als dass dort gefahrlos Urlaub gemacht werden kann. Warum diese Staaten dann keine sicheren Herkunftsländer sein sollen, erschließt sich den Freien Demokraten nicht.

(Beifall AfD)

Nichtsdestotrotz haben wir aber einen Koalitionsvertrag, in dem die Koalitionäre das auch fixiert haben. Wir haben vereinbart, wie wir dann handeln wollen. Selbstverständlich gelten die getroffenen Vereinbarungen dazu, und daran halten wir uns auch. - Vielen Dank.

(Beifall FDP und CDU)

Das Wort für die Abgeordneten des SSW hat der Herr Abgeordnete Lars Harms.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum Kapitel des Asylrechts gehört auch die Rückführung von denjenigen, die kein Bleiberecht bei uns erhalten haben. Die Länder sind für

die Bereitstellung der notwendigen Einrichtungen zuständig. Von daher ist es natürlich von Bedeutung, dass die Landesregierung noch einmal deutlich gemacht hat, wie unser Rückkehrmanagement aussieht. Ich finde es schön, dass es auch insoweit eine Kontinuität über Wahlperioden hinweg gibt. Etwas anderes hatte ich von Herrn Minister Grote aber auch nicht erwartet.

Wir als SSW begrüßen, dass die stillgelegte Einrichtung in Rendsburg nicht wieder in Betrieb genommen wird. Ein ganzes Gefängnis für wenige abschiebepflichtige Straftäter einzurichten, macht finanzpolitisch keinen Sinn, und unbescholtene Ausreisepflichtige in einem Gefängnis einzusperren, lehnen wir immer noch ab.

Was die Errichtung eines gemeinsamen norddeutschen Abschiebegewahrsams angeht, ist dies grundsätzlich ein vernünftiger Ansatz, dies gemeinsam mit den Nachbarländern anzugehen. In der Praxis muss sich dann aber auch zeigen, ob und wie die humanitären Standards tatsächlich auch eingehalten werden können. Das ist keine ganz einfache Aufgabe. Im Innen- und Rechtsausschuss wird es sicherlich reichlich Gelegenheit geben, diese Standards genauer zu betrachten.

Zum Thema sichere Herkunftsstaaten: Die Einteilung von bestimmten Ländern als sicherer Herkunftsstaat bedeutet nicht, dass in diesen Ländern nach unseren Wertvorstellungen alles zum Besten steht. Die Einteilung als sichere Herkunftsstaaten soll prinzipiell dazu beitragen, dass Asylverfahren beschleunigt bearbeitet werden können, wenn keine individuellen Gründe vorgebracht werden können. Das Asylrecht selbst wird dadurch nicht eingeschränkt.

Zur Erinnerung: Das Asylrecht ist ein individuelles Recht. Schließlich geht es immer um das Schicksal des Einzelnen. Vor diesem Hintergrund machen auch Obergrenzen wenig Sinn. Was jedoch Sinn machen würde, wäre, die Asylgesetzgebung einmal generell zu überarbeiten. Denn viele Regelungen versprühen bisweilen noch den Muff der 90er-Jahre. Man hat damals ein Gesetz geschaffen, welches sich auf die damaligen Gegebenheiten bezog. Das mag auch nicht weiter verwerflich sein. Jedoch stellt sich die heutige Situation etwas anders dar.

Dabei gibt es durchaus Punkte, die man überarbeiten könnte und auch überarbeiten sollte, wie zum Beispiel das Thema Arbeitsaufnahme, die Fragen nach Sach- oder Geldleistungen, die immer noch so im Gesetz stehen, oder gar die ganz grundsätzliche Frage nach den definierten Gründen, die zu einem

positiven Asylbescheid führen können. Gibt es neben der genannten politischen Verfolgung beispielsweise auch andere Gründe, die eine Asylberechtigung ermöglichen könnten? Wir haben hier ja schon viele Diskussionen über diese Frage geführt.

Über diese und ähnliche Fragen werden der nächste Bundestag sowie die Bundesregierung diskutieren müssen. Wir meinen, dass man das Grundrecht auf Asyl auch auf weitere Gruppen wie beispielsweise Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung verfolgt werden, ausweiten könnte.

(Beifall SSW)

In Zukunft sollte sich niemand mehr überlegen müssen, in welches EU-Land er oder sie fliehen sollte, um im besten Fall Asyl bekommen zu können. Denn Fakt ist: Fast alle Länder der EU nutzen im Asylverfahren Listen, in denen sie Länder als sichere Herkunftsstaaten definieren. Die Länderlisten sind aber höchst unterschiedlich. Es müsste eigentlich darum gehen, eine einheitliche europäische Auflistung von Staaten hinzubekommen, deren Bürger eine vergleichsweise geringe Chance auf Anerkennung haben.

Das Asylrecht muss jetzt endlich im Jahre 2017 ankommen und nicht nur die gerade angesprochenen Fragestellungen klären, sondern vor allem EU-weit einheitlich sein. Wir brauchen eine abgestimmte europäische Asylgesetzgebung. Davon sind wir aber zugegebenermaßen noch weit entfernt, zumal sich die Positionen innerhalb der Europäischen Union in dieser Frage derzeit immer weiter voneinander entfernen.

Jetzt aber die Flinte ins Korn zu werfen, wäre zu kurz gedacht. Wir alle wissen, dass die EU eine Meisterin der Verwaltung ist. Nun muss sich zeigen, inwieweit sie auch ihre Fähigkeit zur Konfliktlösung unter Beweis stellen kann. Denn schließlich ist die europäische Solidarität mindestens genauso gefragt wie die europäische Rechtsstaatlichkeit.

Wir haben ja schon über Europa diskutiert und darüber, was man alles tun und lassen könnte und wie man theoretisch Europa aufbaut. Dieses aber ist eine richtig praktische Frage: Wie kriegt man es hin, dass wir in Europa ein halbwegs einheitliches Asylrecht haben, das natürlich das Asylrecht in Deutschland nicht auflöst? Das ist selbstverständlich. Aber es muss ein relativ hohes Niveau haben. Das ist eine richtig große politische Aufgabe für Europa, die man nur in Europa lösen kann und die man auch in Europa lösen sollte. Ich glaube, das ist etwas, das uns verbindet. Dafür sollten wir auch auf

(Lars Harms)

europäischer Ebene kämpfen, damit wir insoweit etwas Vernünftiges hinbekommen. - Vielen Dank.

(Beifall SSW und SPD)

Das Wort zu einem ersten Kurzbeitrag hat der Herr Abgeordnete Claus Schaffer von der AfD.