Protokoll der Sitzung vom 19.02.2020

Das ist natürlich verschlagen und ehrlos, aber wir müssen uns als Demokraten auf diese zerstörerischen Instrumente besser einstellen.

Über die FDP ist am 5. Februar 2020 eine Art politischer Sturm losgebrochen, der es wirklich in sich hat und der selbst für uns in dieser Form neu war. Kritik und Unmut waren absolut berechtigt, aber es ging zum Teil leider auch deutlich darüber hinaus. In Schleswig-Holstein war das zum Glück vergleichsweise überschaubar. Auch vor unserer Geschäftsstelle tauchte die Polizei auf, Parteifreunde saßen in einer Sitzung und hatten da schon gemischte Gefühle. Anderswo in Deutschland wurden Parteimitglieder, Mitarbeiter, Kandidaten massiv beleidigt und teilweise angegangen. Wenn jüdische Parteimitglieder, Nachkommen von HolocaustÜberlebenden oder - gerade in Hamburg - viele Kandidaten mit Migrationshintergrund als Nazis beschimpft werden, fragt man sich, was in unserem Land los ist, was mit unserer demokratischen Kultur los ist. Da müssen wir als Demokraten zusammenstehen.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Insofern danke ich all denjenigen Kollegen aus anderen Parteien, die Solidarität ausgedrückt und zur Mäßigung aufgerufen haben. Wenn Menschen aus demokratischen Parteien ernsthaft meinen, es ergebe Sinn, uns oder die Union mit der AfD gleichzusetzen, schadet man vor allem der Demokratie und hilft der AfD. Dass diese Leute das nicht einsehen, finde ich traurig. Darauf müssen wir noch deutlicher hinweisen.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Meine Damen und Herren, wir müssen uns in der Tat - Frau von Kalben hat das völlig zu Recht angesprochen - mit dem Aufstieg des Populismus, insbesondere des Rechtspopulismus, auseinandersetzen, der kein deutsches Phänomen ist, sondern in der gesamten westlichen Welt zu beobachten ist. Wir sind da später dran, sicherlich mit zu Recht sensiblem Blick auf unsere Geschichte. Die westliche Welt ist im Wandel begriffen. Die Demokratien in Westeuropa haben Krisen hinter sich oder stecken mittendrin. Die Globalisierung, verstärkt durch die Digitalisierung, produziert gerade in Deutschland viele Gewinner, aber auch Verlierer, und sie verunsichert die breiten Mittelschichten, die nicht wissen, wie es mit ihrem Wohlstand und der Zukunft ihrer Kinder weitergeht. Das spielt diesen Leuten mit ihren billi

(Christopher Vogt)

gen Antworten und vermeintlichen Konzepten in die Hände.

Wir müssen aber auch feststellen, dass wir uns darauf besser einstellen müssen und dass wir in Schleswig-Holstein zum Glück eine überschaubare AfD haben. Ich hoffe, wenn es in Hamburg nicht geschafft wird, dass wir in Schleswig-Holstein eines der ersten Parlamente sind, aus denen die AfD wieder rausfliegt. Auch das ist wichtig.

(Zuruf Jörg Nobis [AfD])

- Herr Nobis, wie oft ich das schon gehört habe, gerade von solchen Leuten wie Ihnen!

(Zuruf Jörg Nobis [AfD])

Unser Bundesland ist weltoffen und liberal. Da ist für solche Leute wie Sie kein Platz; das werden die Menschen auch erkennen.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Abschließend will ich sagen, die AfD ist in Schleswig-Holstein nicht besser als anderswo. Das haben wir bei vielen Debatten gesehen, bei der Wiederwahl von Frau von Sayn-Wittgenstein und anderen Themen. Wenn wir mehr mit den Menschen in Kontakt treten und unsere unterschiedlichen Konzepte deutlicher vortragen, wird - glaube ich - die Demokratie wieder stärker werden. Wir müssen uns wieder stärker mit den Menschen beschäftigen, uns ihnen mehr zuwenden und unsere Politik erklären. Das hat Frau von Kalben zu Recht gesagt. Dann wird die Demokratie zeigen, dass sie reformfähig und stärker ist als das, was von dieser Seite kommt. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das Wort für die AfD hat der Fraktionsvorsitzende, der Abgeordnete Jörg Nobis.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste! Die Sonne scheint, wir haben es zum Glück nicht beantragt. Herzlich willkommen zur Aktuellen Stunde der Selbstvergewisserung der Einheitsfront im Kampf gegen die Oppositionspartei AfD! Schon im Vorfeld haben Sie rhetorisch mächtig hochgerüstet, mit Nazi-Vergleichen, selbst Goebbels wurde hier bedient. Herr Dr. Stegner, Sie haben mit Ihrem Nazi-Vergleich das Ende Ihrer rhetorischen roten Fahnenstange erreicht.

(Dr. Frank Brodehl [AfD]: Mehr geht nicht!)

Möchtegernkanzler Friedrich Merz sprach öffentlich bei AfD-Bundestagsabgeordneten von „Gesindel“.

(Lars Harms [SSW]: Na ja!)

Meine Damen und Herren, mehr rhetorische Eskalation geht nicht! Wir sind an der Endstufe angelangt. Ich persönlich mag mir da keine weitere Steigerung mehr vorstellen, aber Sie werden das vielleicht doch noch hinbekommen.

Herr Dr. Stegner, wenn Sie weit über 30.000 AfDMitglieder als Nazis beschimpfen, wie Sie das in Ihrer Pressemitteilung getan haben, dann ist das nichts anderes - das sage ich hier ganz laut - als eine fürchterliche Banalisierung des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

(Beifall AfD)

Herr Dr. Stegner, Sie und Ihre Genossen machen den Menschen schon lange keine sinnstiftenden Angebote mehr, sondern liefern nur noch verbale Hetzjagden. Nazi-Beschimpfungen sind bei Ihnen zum Programmersatz geworden. Genau deshalb befindet sich Ihre Partei auch in einem stetigen Abwärtstrend.

Meine Damen und Herren, in Zeiten, in denen AfDAbgeordnete pauschal als Nazis beschimpft werden - es wird so getan, als würde das Vierte Reich unmittelbar bevorstehen -, in denen selbst FDP-Abgeordnete als Freunde der Nazis tituliert werden, in denen sogar die Werteunion aus den eigenen Reihen der CDU heraus als „Krebsgeschwür“ betitelt wird,

(Dr. Frank Brodehl [AfD]: Wahnsinn!)

das mit allen Mitteln bekämpft werden müsse, und selbst der angesehene Anwalt Ralf Höcker aus Köln, Sprecher der Werteunion, mit Mafia-Methoden zur Aufgabe seiner Ämter gezwungen wird, in diesen Zeiten stimmt etwas Grundsätzliches mit unserer Demokratie nicht mehr. An die Stelle einer demokratischen Debattenkultur ist die bloße Stigmatisierung und Diffamierung des politischen Gegners getreten.

Nicht mehr um die besseren Argumente wird gerungen. Über Sachpolitik reden wir gar nicht - Sie wollten uns ja „stellen“. Das tun Sie nicht, sondern es geht nur noch um die Herabsetzung des politischen Gegners mittels der Nazi-Keule.

(Christopher Vogt)

Es gleicht wirklich einem inszenierten Maskenball der Demokratie, doch die Masken der selbsterklärten wahren Demokraten sind in Thüringen längst gefallen. Der vermeintliche Eklat von Thüringen! Was war denn der eigentliche Eklat? - Ich will es Ihnen gern sagen. In Thüringen sind auf Geheiß der Kanzlerin gleich drei Grundsätze unseres demokratischen Rechtsstaates zu Grabe getragen worden. Erstens: Der Föderalismus der Bundesländer. Zweitens: Der Parlamentarismus. Drittens: Der Volkswille, der in Parlamentswahlen zum Ausdruck kommt. Genau das ist der Skandal von Thüringen, meine Damen und Herren.

(Beifall AfD)

Die Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland verlangt, das Ergebnis einer freien, geheimen und demokratischen Wahl in einem Parlamentsgebäude, die Wahl des Ministerpräsidenten, rückgängig zu machen. - Lassen Sie sich das auf der Zunge zergehen: das Ergebnis einer Wahl rückgängig zu machen. Das ist ein beispielloser Vorgang. Noch nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat sich ein Bundeskanzler erdreistet oder angemaßt, so etwas zu tun. In Merkelscher Logik wurde der Richtige von den Falschen gewählt. Das soll jetzt, angeordnet von der Bundeskanzlerin, rückgängig gemacht und korrigiert werden, damit dann der Falsche von den Richtigen gewählt werden kann. Das ist ein demokratisches Schmierentheater. Dieser Sicht der Kanzlerin schließen Sie alle sich hier vorbehaltlos an und zeigen damit, dass Sie nicht anerkennen wollen, dass insbesondere freie und demokratische Wahlen zum Wesenskern der Demokratie gehören.

Wer Wahlergebnisse nicht akzeptiert, ist kein Demokrat. Die Demokratie wurde hier von Frau Merkel beschädigt

(Zuruf CDU: Ach!)

und nicht durch das Wahlverhalten von CDU-Abgeordneten, FDP-Abgeordneten oder AfD-Abgeordneten. Das Einschreiten von Frau Merkel, meine Damen und Herren, ist der Skandal von Thüringen. Das ist der Tabubruch und Sündenfall, begangen durch die Kanzlerin.

(Beifall AfD)

Sie alle versuchen lediglich mit pauschalen NaziBeschimpfungen, mit der Behauptung, es gehe darum, das Vierte Reich abzuwenden, mit „Wir müssen zusammenhalten“ und so weiter, und damit, dass auch von Gesindel gesprochen wird, davon abzulenken.

Erst hat die Bundeskanzlerin 2015 durch die Öffnung der Grenzen das Recht gebrochen sowie ihren Amtseid, Schaden vom deutschen Volk abzuwehren, verletzt. Jetzt übt sie sich in Amtsmissbrauch und schädigt die Demokratie.

Auch das wird in die Geschichtsbücher eingehen: Gratulanten, die allzu voreilig und zu schnell Herrn Kemmerich zur Wahl gratulierten, werden, politischen Säuberungsaktionen gleich, höflich gebeten, ihr Amt aufzugeben. So musste beispielsweise der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Herr Christian Hirte, auf dringliche Anregung der Bundeskanzlerin sein Amt zur Verfügung stellen.

(Zuruf Thomas Hölck [SPD])

Merkel hat mit ihrer vermutlich grundgesetzwidrigen Nötigung oder Einmischung in Thüringen wie eine Parteichefin agiert, die sie aber nicht mehr ist. Folglich musste dann jetzt die Pro-forma-Parteichefin Kramp-Karrenbauer auch das Feld räumen. Meine Meinung ist: Die CDU sollte sich lieber von Frau Merkel trennen als von ihrem Ostbeauftragten, der nur seinem guten Anstand gefolgt ist, als er Herrn Kemmerich zur Wahl gratuliert hat.

Lieber Herr Richert von der FDP: Ich hoffe, Ihre Parteikarriere ist noch nicht zu Ende. Sie gehören auch zu den Gratulanten der ersten Stunde. Das ist in diesen Tagen sicherlich eine schwere Bürde. Auch Wolfgang Kubicki, der Grandseigneur der FDP, hatte sofort Herrn Kemmerich gratuliert. Er sagte - ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten -:

„Es ist ein großartiger Erfolg für Thomas Kemmerich. Ein Kandidat der demokratischen Mitte hat gesiegt. Offensichtlich war für die Mehrheit der Abgeordneten im Thüringer Landtag die Aussicht auf fünf weitere Jahre Ramelow nicht verlockend.“

Da über Kubicki aber bekanntlich nur noch der liebe Gott kommt, konnten ihm seine ausgesendeten Glückwünsche nichts anhaben. Anders sah es bei denen aus, die nicht nur den blauen Himmel über sich haben. Selbst die CSU-Bundestagsabgeordnete Dorothee Bär, die lediglich „Herzlichen Glückwunsch, lieber Thomas Kemmerich!“ schrieb, musste mit voller Kraft zurückrudern, um dem alles verschlingenden Strudel der Entrüstungsdemokraten gerade noch so zu entgehen. Sie durfte am Ende ihren Job behalten.

Thüringen ist kein Beben, sondern die Bankrotterklärung der parlamentarischen Demokratie. So sagte Michael Heym, der Fraktionsvize der CDU Thüringen:

(Jörg Nobis)

„Da habe ich mich an tiefste DDR-Zeiten erinnert gefühlt.“

In der Tat: Den Kommunisten waren freie Wahlen natürlich schon immer fremd und ein Graus. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass jetzt die Fraktionschefin der Linken in Thüringen freie und geheime Wahlen gleich ganz abschaffen möchte. Sie nennt das - ich zitiere -: „Die Stimmen müssen dokumentiert werden“. Was heißt das denn? Soll man in der Wahlkabine ein Foto machen, wenn man den Ministerpräsidenten wählt?

(Lachen AfD)

Was für eine verfassungsfeindliche Ansicht, die die Fraktionschefin der Linken dort von sich gibt.