Protokoll der Sitzung vom 17.06.2020

Der „Berliner Tagesspiegel“ und „ZEIT-Online“ beides wahrlich keine Presseorgane, die man der Antifa-Bewegung zurechnen könnte - haben vor einiger Zeit durch intensive Recherche eine Aufstellung veröffentlicht, wonach seit dem Jahr 1990 mindestens 169 Menschen in Deutschland - ich wiederhole: 169 Menschen! - aus eindeutig rechtsextremen Motiven getötet worden sind. Die Amadeu-Antonio-Stiftung kommt für den gleichen Zeitraum sogar auf 208 Todesopfer durch rechte Gewalt, 17 Fälle davon in Schleswig-Holstein.

Für den gleichen Zeitraum liegen Zahlen über Todesopfer linksextremistisch motivierter Gewalt nicht vor. Meine Damen und Herren, um nicht missverstanden zu werden: Auch aus dem linken Phänomenbereich kommt es zu massiven Gewalttaten, die in Einzelfällen einen tödlichen Verlauf nehmen könnten, zum Beispiel Würfe mit Brandflaschen oder mit Steinen im Rahmen von Demonstrationen. Das ist unerträglich und in keiner Weise zu rechtfertigen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FPD)

Aber der ungehemmte, perfide, auf als minderwertig deklarierte Menschen zielende absolute Vernichtungswille ist Kennzeichen des rechtsextremen und rechtsterroristischen Spektrums in Deutschland genauso wie in Schleswig-Holstein. Er äußerte sich in den Brandanschlägen von Mölln, Solingen und in Lübeck, in den Morden des NSU, im Attentat auf Walter Lübcke, in den Anschlägen von Halle und Hanau. Auch der gegenwärtig in Schleswig-Holstein auftretenden Atomwaffen Division und dem Aryan Circle Nord sind derartige tödliche Aktionen und Anschläge grundsätzlich zuzutrauen.

Ich sprach aber auch von dem Phänomen der Anschlussfähigkeit. Diesbezüglich muss leider konstatiert werden, dass unmenschliche Haltungen, minderheitenfeindliche Stereotypen, sonderbare, oft antisemitisch aufgeladene Verschwörungstheorien anschlussfähig sind bis weit in die bürgerlich erscheinende Mitte unserer Gesellschaft. Das belegen seit Jahren die sogenannten Mitte-Studien der Universität Leipzig, aber auch die Forschungen der Universität Bielefeld um den Soziologen Wilhelm Heitmeyer.

Wie schnell faschistoides Denken in die Mitte der Gesellschaft gleichsam durch die Hintertür einsi

(Tobias von Pein)

ckern kann, zeigt das aktuelle Beispiel der Bauerndemo in Oldenswort in Nordfriesland letzte Woche. Mit mehr als 300 Traktoren hatten dort Landwirtinnen und Landwirte die Flagge der sogenannten Landvolk-Bewegung nachgestellt, mit einer Drohne von oben gefilmt und veröffentlicht. Jetzt geben sich die Organisatorinnen und Organisatoren ahnungslos. Aber ein Blick ins Netz unter dem Stichwort „Landvolk" hätte ausgereicht, um sich ein Bild vom präfaschistischen und antisemitischen Charakter dieser terroristischen Bauernprotestbewegung in Norddeutschland ab 1928 machen zu können.

Meine Damen und Herren, kurz und schlecht: Der Feind steht rechts. Damit erübrigen sich auch weitere Ausführungen zum Antrag der AfD.

Meine Herren von der AfD, Sie mögen noch so sehr bemüht sein, hier im Landtag die braven, nationalkonservativen Biedermänner zu geben. Solange Sie sich von den Höckes dieser Welt nicht eindeutig distanzieren und ihn und andere Brandstifterinnen und Brandstifter in Ihrer Partei dulden, sind Sie nicht Lösung, sondern Teil des Problems. Wir lehnen Ihren Antrag ab.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, FDP und vereinzelt SPD)

Den Verfassungsschutzbericht 2019 wollen wir mit Herrn Albrecht im Innen- und Rechtsausschuss sehr gern weiter erörtern. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, FDP und vereinzelt SPD)

Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Abgeordnete Jan Marcus Rossa.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Beitrag von Herrn Schaffer macht wieder einmal deutlich, wie absurd die Diskussion über die Gefahren sein können, die von rechtsextremistischen, linksextremistischen und extremistischen Gruppierungen insgesamt oder auch Einzeltätern ausgehen können.

Wir haben im Mai 2020 in diesem Landtag aus aktuellem Anlass über die Anschläge gesprochen, die eindeutig rassistisch motiviert waren und einen rechtsextremistischen Hintergrund gehabt haben und das haben wir zu Recht getan, weil sie aktuell waren, weil sie in hohem Maße bedrohlich waren und weil sie eine Debatte erfordert haben, damit wir

deutlich machen konnten, wie wir zu einem solchen extremistischen Verhalten stehen.

Fast reflexhaft wird dann darauf verwiesen - hier von der AfD -, dass der Linksextremismus in diesem Land nicht weniger gefährlich sei und dies nicht unerwähnt bleiben dürfe.

Ja, es ist durchaus richtig, dass Extremisten - linke, rechte und islamistische - unseren Rechtsstaat bedrohen und erklärte Feinde unserer freiheitlichendemokratischen Grundordnung sind. Es ist auch richtig, dass wir mithilfe der Sicherheitsorgane unseres Staates Extremisten jeglicher Couleur entschieden entgegentreten müssen. Es ist nicht nur unser Recht, sondern auch unsere Pflicht, unsere Gesellschaft vor Verfassungsfeinden und ihren verfassungsfeindlichen Taten zu schützen. Mir ist es, mit Verlaub, völlig egal, ob diese Feinde der Demokratie links stehen, rechts stehen oder religiöse Motive vortragen.

(Beifall FDP, CDU, vereinzelt SPD und Bei- fall Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Verfassungsfeind ist Verfassungsfeind und bleibt Verfassungsfeind. Von dieser Einschätzung lassen wir uns nicht abbringen.

Das ist von den Sicherheitsbehörden ganz nüchtern zu beobachten und zu bewerten. Unsere Behörden haben diese Aufgabe ideologiefrei, neutral und vor allen Dingen rational wahrzunehmen. Nichts anderes macht der Verfassungsschutzbericht für 2019 deutlich. Er erfasst und bewertet extremistische Bedrohungen ideologiefrei und unvoreingenommen.

Wenn statistisch nachweisbar ist, dass die Gefahren, die vom rechten Spektrum ausgehen, zurzeit viel größer sind als die von linken oder religiös motivierten Extremisten ausgehenden Gefahren, dann ist das eine Tatsache. Unsere Sicherheitsbehörden sind eben nicht auf dem linken Auge blind, wie die AfD mit ihrem Antrag hier glauben machen will.

Die Zahlen, Herr Schaffer, sprechen schlicht für sich. Das sollten auch Sie zur Kenntnis nehmen. Wir haben in Schleswig-Holstein ein deutliches Übergewicht beim Extremismus von rechts. Das darf und muss gesagt werden, ohne sich dem reflexhaften Vorwurf ausgesetzt zu sehen, man verharmlose die Gefahren von links. Eine solche Verharmlosung lässt sich jedenfalls aus dem aktuellen Verfassungsschutzbericht und aus den Beiträgen meiner Kollegen nicht herauslesen.

(Beifall FDP und Dr. Marret Bohn [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

(Burkhard Peters)

Hervorheben möchte ich einen weiteren Aspekt, den der Verfassungsschutz ganz an den Anfang seines Berichts gestellt hat: Es muss uns mit Sorge erfüllen, dass verfassungsfeindliche Desinformationen immer stärker in das Internet verlagert werden. Die Gefahren, die von solchen Desinformationskampagnen im Netz ausgehen, dürften sich durch die Coronapandemie leider massiv verschärft haben, was der Verfassungsschutzbericht allerdings noch nicht abbilden konnte. Diese Entwicklung kann zu einer ernsthaften Gefahr für unseren Rechtsstaat und auch die freie Meinungsbildung in unserem Staat werden. Dieser Gefahr müssen wir dringend etwas entgegensetzen. Das ist aber nur zum Teil Aufgabe der Sicherheitsbehörden. Vielmehr geht es darum, unsere Medien, unsere Presseorgane, unseren Rundfunk zu ermächtigen und zu ertüchtigen, solchen Lügengeschichten entgegenzutreten und durch wahrhaftige, kritische Berichterstattung die Probleme dort zu benennen, wo sie sind.

Eines steht für mich fest: Es ist mir völlig egal, aus welcher politischen Ecke die Feinde unseres Rechtsstaats kommen, ob von rechts, von links oder ob sie religiös motiviert sind. Wer sich gegen unsere freiheitliche Grundordnung stellt, wer unseren Rechtsstaat infrage stellt, wer uns unsere Freiheit nehmen will, dem ist das Handwerk zu legen - entschieden! Unsere Demokratie hat sich in der Vergangenheit durchaus als wehrhaft erwiesen. Das muss so bleiben, auch mithilfe unserer Sicherheitsbehörden. - Vielen Dank.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Abgeordneten des SSW hat der Abgeordnete Lars Harms das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch ich möchte mich für den vorgelegten Bericht bedanken. An dieser Stelle möchte ich noch einmal auf die Zahlen Bezug nehmen, die ich als besonders wichtig empfinde. In Schleswig-Holstein wurden im Jahr 2019 insgesamt 1.264 politisch motivierte Straftaten registriert - im Vergleich zum Vorjahr ein leichter Anstieg um 49 Taten.

Schlüsseln wir diese Zahl auf, sehen wir, dass es bei den Straftaten von rechts einen Anstieg im Vergleich zum Vorjahr gab; 709 Straftaten in diesem Bereich wurden verzeichnet. Innerhalb dieser Zahl

wiederum sind die Gewaltdelikte ebenfalls gestiegen. Insgesamt hat es laut Verfassungsschutz 40 Gewaltdelikte gegeben. Das sind die meisten, bezogen auf die einzelnen Phänomenbereiche. Beispiele für Gewaltdelikte sind einfache und gefährliche Körperverletzung, Widerstandsdelikte und ein versuchter Totschlag wegen rassistischer Gesinnung, die sich an einer auf den Gehsteig geworfenen Zigarette entlud.

Außerdem scheint es einen eklatanten Anstieg bei Straftaten mit antisemitischem Hintergrund zu geben.

Zur rechtsextremistischen Szene gehören momentan in Schleswig-Holstein 1.060 Menschen; davon sind etwa 360 gewaltorientiert.

Der zweite nach wie vor sehr besorgniserregende Bereich ist der des islamistischen Personenpotenzials. Hier geht der Verfassungsschutz von 715 Menschen aus, womit man auch hier von einem leichten Zuwachs sprechen kann. Es ist ja immer etwas unbehaglich, über dieses abstrakte Gefahrenpotenzial nachzudenken, das scheinbar unverändert hoch ist. Manchmal aber wird es dann doch sehr real. Wir erinnern uns an den Fall in Meldorf, wo Spezialkräfte unserer Polizei drei mutmaßliche islamistische Terroristen festgenommen haben.

Wenden wir uns als Drittes dem Phänomenbereich links zu: In den 383 Straftaten sind zehn Gewaltdelikte enthalten. Der linksextremistischen Szene rechnet der Verfassungsschutz 700 Personen zu, wobei der leichte Anstieg gegenüber 2018 allein mit dem Mitgliederzuwachs bei der Roten Hilfe zu erklären ist.

335 der linksextremen Menschen sind laut Bericht gewaltbereit. Die Blockade des Theodor-HeussRings im vergangenen Jahr wird übrigens unter „Politisch motivierter Kriminalität links“ geführt. Ich erinnere mich noch gut, dass auch ich mich damals geärgert habe, weil ich dadurch in einen Stau geriet. Aber dass das tatsächlich als relevant im Rahmen des Verfassungsschutzes angesehen wird, hätte ich mir dann doch nicht vorstellen können.

Das Interessante an der Zusammenlegung des Antrags der AfD mit dem Verfassungsschutzbericht von 2019 ist für mich, welchen Fokus die AfD selbst setzt. Verstehen Sie mich nicht falsch: Jeder dieser Fälle ist in meinen Augen einer zu viel. Aber wenn ich dann in dem Antrag der AfD lese, dass der Landtag jegliche Form von Hass, Hetze und Diskriminierung gegen Menschen aufgrund ihrer politischen Einstellung ablehnen soll, dann muss sich die AfD wohl zuallererst an die eigene Nase

(Jan Marcus Rossa)

fassen. Bei allen anderen Parteien im Landtag ist nämlich klar, dass sie sich gegen Hass, Hetze und Diskriminierung wenden.

Ich kann nur wiederholen, was ich schon letztes Jahr zum Verfassungsschutzbericht gesagt habe: Antifaschismus und Antirassismus gehören zur Mitte der Gesellschaft. - Es ist wichtig, hier selbstbewusst zu bleiben, zumal auch da die AfD-Fraktion vielleicht besser beraten wäre, vor der eigenen Haustür zu kehren; denn, meine Damen und Herren, Sie dulden immer noch Faschisten und Rassisten in Ihren eigenen Reihen. Solange das so ist, werden Sie niemals „stubenrein“ werden.

(Heiterkeit Dennys Bornhöft [FDP])

Kommen wir zur Kategorie „Politisch motivierte Kriminalität mit Auslandsbezug“: 14 Fälle insgesamt, vier davon Gewaltdelikte.

Weiterhin sei der Konflikt zwischen der nationalistischen türkischen und der PKK-nahen kurdischen Diaspora maßgeblich. In drei Fällen davon kam es aus dem Demonstrationsgeschehen heraus zu Gewaltdelikten. Auch das finde ich nicht schön.

Aber ich möchte an dieser Stelle anhand dieser Zahlen gern noch einmal darauf hinweisen, dass das Thema Kurdistan-Solidarität im Innenausschuss anhand einer Anhörung, die bekanntlich gerade auch Meinungsverschiedenheiten deutlich machen könnte, diskutiert werden sollte. Große Unterschiede zwischen den Kurdistan-Demos und der vorhin zitierten Demo auf dem Theodor-Heuss-Ring gibt es nämlich nicht, jedenfalls nicht, was die Gefahr für die Menschen und die Gesellschaft angeht.

In diesem Sinne freue ich mich auf die weitere Befassung im Ausschuss. - Vielen Dank.

(Beifall SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der AfD, Drucksache 19/2215. Es ist beantragt worden, über den Antrag in der Sache abzustimmen. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen! - Gibt es Stimmenthaltungen? - Damit ist der Antrag gegen die Stimmen der AfD und der Abgeordneten von Sayn-Wittgenstein abgelehnt worden.

Dann kommen wir zur Abstimmung über den Bericht der Landesregierung 19/2158 (neu). Es ist be