Protokoll der Sitzung vom 18.06.2020

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie können es sich denken: Es war Frau Sayn-Wittgenstein, die mich zu meiner Wortmeldung brachte, die sich tatsächlich hier hinstellt und das Märchen von den netten deutschen Kolonialherren erzählt, das die Rechtskonservativen jetzt schon jahrzehnte-, ja fast jahrhundertelang erzählen. Das erzählen auch noch Teile der deutschen Minderheit in Namibia. Ich habe es selbst dort gehört.

Ich bin vor 30 Jahren das erste Mal nach Namibia gefahren. Wie gesagt, habe ich dort Freunde. Eine Freundin von uns ist ausgewandert und hat in eine deutsche Familie in Namibia eingeheiratet. Ihre Schwiegermutter war übrigens Absolventin der deutschen Reichs-Kolonialen-Frauenschule in Rendsburg. Da hätten wir schon einen wunderbaren Anknüpfungspunkt. In den Gebäuden ist jetzt übrigens das Nordkolleg untergebracht. - Aber dies nur nebenbei.

Als junges Mädchen habe ich „Morenga“ gesehen. Vielleicht erinnern sich einige an diese Fernsehserie. Sie erzählt die Geschichte eines Tierarztes aus Glückstadt, der mit den deutschen Schutztruppen nach Südwest kommt. Der Tierarzt ist natürlich für die Pferde der Schutztruppler zuständig, aber er darf sich auch um die, wie man damals sagte, Neger

(Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein)

kümmern; denn die brauchten keinen Arzt; für sie reichte der Vieharzt.

So war das Verständnis. Es gab keine netten Kolonialherren, und es war auch nicht besser als bei anderen. Es nützt nichts, und es gibt kein Herumreden und keine Beschönigung. In den 50er-Jahren hat Hans-Otto Meissner vom Traumland Südwest geredet. Aber das Traumland Südwest hat blutgetränkten Boden.

Als ich das erste Mal in Namibia war, sind wir an den Waterberg gefahren. Dort ist jetzt ein Nationalpark. Am Fuß des Waterbergs gibt es einen Friedhof. Dort liegen in wunderbar gepflegten Gräbern 20 oder 25 deutsche Schutztruppenreiter, die dort gestorben sind. Jeder hat ein einzelnes Grab mit einem großen Stein, mit Kreuz, Namen, Geburtsdatum und Geburtsort. In einer Ecke steht immerhin seit ein paar Jahren ein großer Stein für die gefallenen Herero-Krieger. Mehr als einen Stein sind sie nicht wert. Keiner weiß, wie sie hießen, keiner weiß, wie viele es waren. Es steht einfach nur ein Stein.

Dann fährt man auf den Berg, es ist ein Plateauberg, der Waterberg heißt, weil sich da die Regenwolken sammeln und es ein feuchter Punkt in der Kalahari-Wüste ist. Auf diesem Berg steht man und schaut in die Kalahari: Das sind Sand, wunderschöner roter Sand, Dornenbüsche und Steine. In diese Kalahari, in die Omaheke, haben die Deutschen die Herero getrieben: Frauen, Kinder und das Vieh. Dann haben sie die Wasserstellen besetzt oder vergiftet.

Jeder, der einmal von diesem Berg in die Wüste geguckt hat, weiß: Es gibt keine netten Kolonialherren, das war Völkermord! Jeder, der da steht, sieht das. Da gibt es kein Herumreden! Mir wird schlecht, wenn ich höre, was Sie hier sagen!

(Lebhafter Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat der Abgeordnete Lars Harms.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Auch ich habe mich noch einmal aufgrund der beiden Statements der letzten turnusmäßigen Redner zu Wort gemeldet. Herr Schnurrbusch, Sie sagten, das Ganze sei nicht überall gelungen. Ich empfinde das nicht nur als Relativierung, sondern als wirkliche Frechheit und

Affront gegenüber den Menschen, die zu diesen Zeiten unter deutscher Herrschaft haben leiden müssen.

Kein einziges Land, das einmal eine deutsche Kolonie war, wurde in irgendeiner Art und Weise vernünftig behandelt. Die Menschen wurden dort unterdrückt, gequält und ermordet - nichts anderes. Diese Tatsache allein reicht, dass es sich verbietet, hier irgendwie zu sagen, man habe dort tolle Wege gebaut.

Das ist ungefähr so - so etwas gibt es ja -, wie wenn man sagt: Bei Adolf war nicht alles schlecht, der hat doch die Autobahnen gebaut. - Die waren übrigens nach zwölf Jahren auch kaputt. Davon einmal ganz abgesehen: Diese Relativierung geht mir ganz schön auf den Zeiger. Das zeigt genau Ihre Gesinnung. Das ist vielleicht das Positive an dieser Debatte. Sie haben das gesagt, und die Leute wissen jetzt genau, wo Sie stehen.

Ich will einmal aus einer persönlichen Verbindung berichten: Mein Urgroßvater war an der Niederschlagung des Boxeraufstandes in Tsingtao beteiligt, wo Sie immer noch das leckere Bier verorten. Ich kann Ihnen sagen: Nach Familienforschung ist mir klar, dass die sich da wirklich überhaupt nicht menschlich verhalten haben. Warum es so war, hat der Kollege Habersaat eben deutlich gemacht. Der Befehl war eindeutig: Ihr geht dahin und bringt sie um! Alles, was sich nicht ergibt, wird nicht gefangen genommen, sondern umgebracht! - Das war die Sichtweise, weil aus Sicht derjenigen, die damals herrschten, diese Menschen - Asiaten - nicht den gleichen Status hatten wie alle anderen weißen Menschen aus Europa. Diese Schweinereien gilt es, nicht zu relativieren. Das ist ein Verbrechen gewesen, und wir haben uns dieser Verantwortung zu stellen.

Frau von Sayn-Wittgenstein, Sie stellen sich hier hin und sagen: Also, dieses Bildungssystem in Namibia beziehungsweise damals in Deutsch-Südwest, das sei so toll gewesen im Vergleich zu allen anderen Gegenden. - Das ist wirklich der Hammer. Die Menschen haben dort nichts gehabt. Frau Raudies hat eben beschrieben, was da eigentlich Sache war.

Ich kann Ihnen sagen: Größe haben die heutigen Namibier, die auch Deutsch als Landessprache anerkannt haben. Deutschsprachige Namibier sind genauso Namibier wie alle anderen. Schwarze und weiße Namibier haben genau die gleichen Rechte. Die zeigen uns, dass es geht und dass man auch,

(Beate Raudies)

wenn man gelitten hat, trotzdem eine Größe haben kann. Diese Größe sollten wir alle auch haben.

(Beifall SSW, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Es ist beantragt worden, die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage, Drucksache 19/2005, dem Bildungsausschuss zu überweisen. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? - Dann ist es einstimmig so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf:

Selbstbestimmtes Leben im Alter unterstützen „Präventiven Hausbesuch“ für Seniorinnen und Senioren in Schleswig-Holstein auf den Weg bringen

Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 19/2053

Selbstbestimmtes Leben der älteren Generation unterstützen

Alternativantrag der Fraktionen von CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP Drucksache 19/2170

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die SPDFraktion hat die Abgeordnete Birte Pauls.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es fällt mir etwas schwer, das vorige Thema komplett zu verlassen und in eine ganz andere Thematik einzusteigen.

Unsere Seniorinnen und Senioren sind alt genug, um selber zu bestimmen, wo und wie sie leben wollen. Sie dabei zu unterstützen, muss unsere gesamtgesellschaftliche Aufgabe sein. Fakt ist, dass die meisten älteren Menschen so lange wie möglich unabhängig, selbstbestimmt und aktiv in ihrer eigenen Wohnung, in ihrem eigenen Zuhause bleiben möchten. Wie können wir sie also in ihrem besten Sinne unterstützen? - Der präventive Hausbesuch ist dafür ein freiwilliges Angebot und ein sehr gutes Instru

ment. Die Beratung findet durch geschultes Personal niedrigschwellig zu Hause statt. Es geht darum, Risiken im Alltag zu verringern, das eigene Gesundheitsbewusstsein zu schärfen, Einsamkeit zu verhindern und Pflegebedürftigkeit durch die eigenen Stärken hinauszuzögern. Denn wer weiß schon, wo es welche Angebote gibt?

Einige Beispiele: Essen auf Rädern ist eine wirklich gute Sache. Da ist das Essen gesichert. Noch besser ist aber doch: auf Rädern zum Essen. Aber wo gibt es das? - Die Beratung kann lokale gemeinschaftliche Angebote aufzeigen, Besuchsdienste anbieten oder Begleitung organisieren. Es trägt zur Sicherung von gesellschaftlicher Teilhabe bei und wirkt so gegen Einsamkeit, unter der sehr viele Menschen im Alter leiden.

Ein anderes Beispiel: Der Teppich oder die Türschwellen, die im Alter zur Stolperfalle werden. Das Ausrutschen in der Dusche: Immer wieder kommt es bei älteren Menschen in ihren Wohnungen zu Unfällen. Die Beratung hilft, eine Wohnraumanpassung zu organisieren und zeigt Möglichkeiten der Finanzierung auf.

Der präventive Hausbesuch soll natürlich nicht den mobilen Einsatz der Pflegestützpunkte ersetzen. Es geht beim präventiven Hausbesuch genau darum, das Thema Pflege so weit wie möglich hinauszuzögern.

Für alle, die bei sozialen Themen gern auf das Geld schauen: Das spart uns in der Pflegeversicherung viel Geld, denn Prävention lohnt sich.

(Beifall Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Viele Seniorinnen und Senioren sind auch im Alter von 75 Jahren noch topfit, und immer mehr von ihnen werden immer älter. Wenn es einem gut geht, ist die Bereitschaft für ein Gespräch über Pflege sehr gering. Damit beschäftigt man sich eigentlich erst gern, wenn es so weit ist, und dann ist es immer kompliziert.

Wenn es aber um individuelle Sicherheit, Gesundheitserhaltung, Mobilität, Teilhabe und Selbstständigkeit geht, dann ist die Bereitschaft hoch. Das zeigen die Erkenntnisse aus Dänemark, wo der präventive Hausbesuch seit Jahrzehnten eine kommunale Aufgabe ist und sehr gerne angenommen wird. Seit 20 Jahren laufen in verschiedenen Bundesländern Modellprojekte, die wissenschaftlich begleitet werden. Diese Modellprojekte finden sich auch in Schleswig-Holstein. So hat die Stadt Flensburg schon früh im Rahmen eines INTERREG-Projektes

(Lars Harms)

gemeinsam mit der Syddansk Universitet Odense und der Europauniversität Flensburg ein Konzept für die Hausbesuche, angelehnt an das dänische Modell, entwickelt. Auch die Stadt Lübeck bietet Entsprechendes an. Das Programm „Gemeindeschwester plus“ in Rheinland-Pfalz und das Projekt PräSenZ in Baden-Württemberg sind weitere gute Beispiele.

Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass der präventive Hausbesuch gut geeignet ist, ältere Menschen frühzeitig zu erreichen, sie zu sensibilisieren, zu befähigen und zu unterstützen, auch, damit sie sich mit dem eigenen Risiko einer möglichen Pflegebedürftigkeit beschäftigen. Dann ist die Hemmung, Hilfe in Anspruch zu nehmen, auch nicht mehr so hoch. Das ist auch der Grund, warum sich die Koalition im Bund auf dieses Angebot verständigt hat. Eigentlich müsste die CDU unserem Antrag applaudieren.

Unser Sozialleistungssystem setzt sehr auf die Selbsthilfe der Menschen. Die Leistungen greifen erst, wenn der eigentliche Hilfebedarf besteht. Dass wir uns dann aber auf die Hilfe verlassen können, das zeichnet unseren Sozialstaat aus.

Im Jahre 2030 werden 21 % der deutschen Bevölkerung 60 Jahre und älter sein. Mit Blick auf unsere immer älter werdende Gesellschaft kommt es genau darauf an, diese Selbsthilfe und die Eigenverantwortung zu stärken. Das haben auch die Krankenkassen erkannt, die all diese Projekte unterstützen.

Der vorliegende Alternativantrag der Koalition blendet den Präventivgedanken komplett aus und ist überhaupt keine Alternative zu unserem Vorschlag. Digitalisierung ersetzt keine persönliche Begegnung - das haben wir jetzt gerade in dieser Coronazeit ganz deutlich gemerkt - und hilft nicht, Pflegebedürftigkeit zu verhindern. Für uns Sozialdemokraten gilt das alte Sprichwort: Vorbeugen ist besser als heilen - nicht nur finanziell. - Vielen Dank.

(Beifall SPD und Lars Harms [SSW])

Das Wort für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Werner Kalinka.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Alter möglichst lange selbstbestimmt und in vertrauter Umgebung zu leben, ist höchst wünschenswert. Wer mit geistiger und körperlicher Fitness bis ins hohe Alter kommt, der kann sich über ein hohes

Gut glücklich schätzen. Daher kann man zu diesem Ziel nur Ja sagen. Wenn die Kollegin jetzt sagt, wir würden das alles ausblenden, kann ich Ihnen nur sagen: Das ist immer unsere Politik gewesen, sie ist heute und wird es bleiben.

(Beifall CDU, vereinzelt FDP und Beifall Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])